Disclaimer: siehe Kapitel1

Kapitel 15

Teil 2

Mit offenem Munde folgte Ravena dem Zwerg durch die weiten Gänge des Gadara'schen Stadtschlosses, immer darum bemüht, ihren Führer nicht aus den Augen zu verlieren. Erst zweimal in ihrem Leben war es ihr vergönnt gewesen einen Fuß in diese Hallen zu setzen und stets war sie von ihrer Größe erschlagen worden. Doch diese beiden Male verblassten angesichts der Szenerie, der sie sich jetzt gegenüber sah. Die Fackeln entlang der unendlich scheinenden Wände waren zu dieser nächtlichen Stunde bereits erloschen, sodass ihr Weg lediglich vom fahlen Mondlicht beleuchtet wurde. Beinahe schien es, als würden sich jeden Augenblick die Geister längst vergangener Zeiten aus den Ritzen dieses alten Gemäuers hervorwagen, dessen Bewohner mit ihrem Spuk in Angst und Schrecken versetzend. Mit einem Lächeln auf den Lippen wies sich Ravena selbst zurecht. Welch törichte Gedanken. Sicherlich war sie nur aufgeregt, weil sie schon bald Legolas wiedersehen und damit auch endlich den Grund für sein Ausbleiben erfahren würde.

Plötzlich blieb der Zwerg so abrupt stehen, dass sie beinahe in ihn hinein gerannt wäre. Verwirrt schaute sie sich um. Sie fühlte sich, als wäre sie gerade erst aus einem tiefen Schlummer erwacht. Überrascht stellte sie fest, dass sie vor einer großen Holztür zum stehen gekommen waren. Einer Tür, wie es sie mit ihren verzierenden Ornamenten scheinbar unzählige Male in diesen Hallen gab. Und für Ravena wäre wohl auch diese hier nur eine unter vielen geblieben, unbeachtet an ihr vorrübergezogen, hätte sich ihrer nicht eine Ahnung davon bemächtigt, wer sich dahinter befand. Wie um ihre Vermutung zu bestätigen deutete der Zwerg auf den Eingang.

„Das sind seine Gemächer. Geht einfach hinein."

„Einfach so?"

Plötzlich musste Gimli lächeln. „Ja, einfach so, Ravena." Die für diesen Trakt zuständige Wache hatte ihm versichert, dass der Elbenkönig schon vor einiger Zeit aus dem Zimmer seines Sohnes entschwunden war. Von einem betrunkenem Elb also einmal abgesehen, würde es für das Mädchen keine unangenehmen Überraschungen bergen. Gimli selbst hatte Ravena noch nichts von Thranduils Besuch erzählt – wusste er doch nicht, wie Legolas' Pläne für die Zukunft aussahen. Das sollte sein werter Freund nun selbst regeln.  

„Also gut, dann gehe ich jetzt hinein." Damit wandte sie sich endgültig der Tür zu. Was sie darin wohl erwarten würde? Doch noch bevor sich ihr Zögern in einen Impuls zur Flucht hätte verwandeln können, war die Klinke auch schon heruntergedrückt. Nicht ohne ein letztes Mal tief Luft zu holen schlüpfte sie schließlich durch den engen Spalt, den sie für sich geöffnet hatte – immer darauf bedacht in diesen gespenstigen Hallen so wenig Lärm wie möglich zu machen.

Als hinter ihr die Tür wieder in ihr Schloss fiel, umfing sie schwarze Nacht. Während sich ihre Augen mit der tiefen Dunkelheit vertraut machten, fragte sie sich, ob sich Gimli nicht vielleicht doch geirrt haben könnte. Noch nicht einmal die winzigste Kerze brachte Licht in dieses Dunkel, ließ auf ein bewohntes Zimmer schließen. Vielleicht war Legolas ja gar nicht hier? Doch gerade als sie diese Überlegung zuende gedacht hatte, war es ihr, als hörte sie etwas rascheln. Angespannt spitzte sie die Ohren. Tatsächlich, da war es wieder. Sie war also nicht die einzige Person in diesem Zimmer.

„Vater? Bist du schon wieder zurück?" Die Stimme klang unsicher, beinahe gebrochen, doch sie barg noch genug von ihrem starken Elb in sich, um sie als Legolas' ausmachen zu können.

„Legolas?" So schnell wie ihr begrenztes Sichtfeld es erlaubte, stolperte sie in die Richtung aus der die Stimme gekommen war. Erst einem faul im Weg herumstehendem Stuhl wollte es gelingen, sie zu bremsen.

„Autsch! Autsch! Autsch!" Der stechende Schmerz in ihrem rechten Knie, sowie der Schock ob des plötzlich aufgetauchten Hindernisses ließen sie lauter aufschreien, als es vielleicht nötig gewesen wäre. Unwillkürlich zog sie das hämmernde Gelenk zu ihrem Körper heran und hüpfte wild auf einem Beim herum.

„Ravena?" In seiner Stimme vereinten sich Besorgnis und Unglauben. Weilte er denn noch im Land der Träume, dass er wie aus dem Nichts plötzlich den Ruf seines Engels vernahm?

„Legolas!" Nachdem sie den feindlichen Stuhl kurzerhand weit von sich gestoßen hatte, beeilte sie sich, die wenigen Schritte zu ihrem Geliebten so schnell als möglich zu überwinden. Hätte sie Ruhe bewart, wäre sie vielleicht noch in der Lage gewesen die Schuhe auszumachen, bevor sie darüber stolperte. So aber wurde ihr freier Fall erst wieder von einer harten Bettkante gedrosselt.

„Autsch!" Doch sämtlicher Schmerz, alle aufkeimenden Flüche waren in dem Augenblick vergessen, als sie seine Hände auf ihrer Taille spürte. Fühlte, wie er sein Gesicht in ihrem Bauch vergrub, ihren Geruch in sich einsog. Ein Seufzer der Erleichterung entfloh ihren Lippen.

„Legolas." Willenlos ließ sie sich von ihm auf das Bett ziehen, sich in seiner Umarmung gefangen nehmen.

„Du bist da, Melamin." Immer und immer wieder strich sie ihm sacht durchs Haar, hauchte zärtliche Küsse auf sein Haupt.

„Aber ja." Sie wiegte ihn, versuchte ihn mit sanftem Einerlei zu beruhigen, die tobenden Wellen in seinem erschütterten Geist wieder zur Ruhe zu bringen. Welch grässlicher Sturm mochte ihn nur so aufgewühlt haben? 

„Ich dachte ich hätte dich verloren." Nun brach seine Stimme wirklich, ließ all die Qualen erahnen, die er in den vergangen Stunden zu erleiden hatte.

„Mich verloren? Aber wieso?" Legolas' Verhalten machte ihr Angst. Das war nicht ihr starker Elb, der immer über allen Dingen zu stehen schien, der jedweder Lebenslage gewachsen war. Was nur mochte ihm wiederfahren sein, dass er sich nun an sie klammerte wie ein Ertrinkender an das rettende Boot? „So sprich doch!"

Endlich richtete er sich auf und sah ihr fest in die Augen. Entzückt stellte er fest, dass sich Luna in diesen reinen Wassern so klar spiegelte, wie auf der schimmernden Meeresoberfläche. Plötzlich sah er sich an die Kulisse ihres ersten wirklichen Kusses zurück versetzt, an die Nacht in der er ihr seine Liebe gestanden hatte, sich aus freiem Willen an sie gebunden hatte. Als hätte Ravena genau die selben Gedanken gehabt, tastete sie im Dunkel der Nacht mit ihren weichen Lippen nach den seinen, forschte nach diesen wundersamen Kathedralen, die es vermochten sie immerfort in ungeahnte Höhen zu katapultieren. Als ihre Suche schließlich von Erfolg gekrönt wurde, schenkte sie ihm einen innigen Kuss. Es war kaum mehr als ein Hauch – gleich einem Seidentuch, das, vom Kind der Winde in die Lüfte empor gehoben, auf dem Weg zum Himmel seine Haut liebkosen mochte.

Für einen kurzen Moment schwanden ihm alle Sinne, wurde er von seiner Liebe für sie übermannt. Plötzlich wusste er nicht mehr, wie er so abgrundtief dumm hatte sein können, so schrecklich geistesarm, sie in seiner grenzenlosen Eifersucht einer Affäre zu verdächtigen. War sie nicht hier? Küsste sie ihn nicht just in diesem Augenblick? Liebkoste sie ihn nicht mit einer Hingabe, die er unter sämtlichen Wesen Mittelerdes wahrlich als letzter verdient hätte? Wie nur sollte er das jemals wieder gut machen?

„Es tut mir so leid, Ravena." Er spürte mehr ihre Überraschung, als dass er sie tatsächlich sah. Selbst er hatte mittlerweile Schwierigkeiten, mehr als nur undeutliche Schemen auszumachen. Lediglich die Augen seiner Geliebten strahlten noch, das Mondlicht reflektierend, in ungebrochenem Glanze, dienten ihm als Anker in dieser gesichtslosen Dunkelheit. „Ich habe deine Liebe nicht verdient."

„Was für einen Unsinn, natürlich hast du meine Liebe verdient!" So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte seinen Worten einfach keinen rechten Sinn verleihen. „Wo warst du heute gewesen – was tut dir leid, Legolas?" Noch immer war ihre Stimme durchwirkt von Güte und Zärtlichkeit. Zu seiner Verwunderung hörte er sie plötzlich kichern. „Sag mir jetzt nicht, dass du dich in einer Schenke betrunken hast, weil ich Gimli umarmt habe." Unverzüglich fuhr er hoch. Ihm war, als hätte sie ihm gerade eine schallende Ohrfeige verpasst. Wenn sie wüsste, wie nah sie damit der Wahrheit gekommen war. Natürlich war auch dem Mädchen die plötzliche Anspannung in Legolas' Körper nicht verborgen geblieben.

„Legolas! Du hast dich nicht wirklich in einer Schenke betrunken, weil ich Gimli umarmt habe, oder?" Ihr Stimme klang nun schärfer, drängender. Unglaube bemächtigte sich ihrer.

„Es war nicht wegen Gimli." Betreten schaute er zu Boden, suchte etwas, was er in der Dunkelheit nicht finden konnte. Nun war es heraus. Er erwartete sein Urteil. Ravena indes glaubte endlich den wahren Grund für Legolas' seltsames Verhalten erraten zu haben.

„Du hast mich mit Vilem gesehen." Natürlich, das war die Lösung! Er musste ihr zwangloses Spiel als den Tanz zweier Liebender missgedeutet haben und einfach davon gerannt sein. Sprachlosigkeit, Verblüffung, aber auch jähes Verstehen übermannten sie, ließen sie nicht sofort reagieren.

„Wenn das sein Name ist." Konnte sie da etwa immer noch einen Funken Eifersucht heraushören? „Es tut mir so leid, Ravena, ich war so dumm, so schrecklich dumm. Ich weiß doch, dass ich dir vertrauen kann. Aber, aber ich hatte plötzlich fürchterliche Angst dich zu verlieren. Ich brauche dich doch so sehr." Sein Plädoyer sprudelte förmlich aus ihm heraus, offenbarte ein weiteres Mal die ganze bandbreite seiner Verzweiflung. 

Das Mädchen wusste nun nicht, ob sie wütend oder amüsiert sein sollte. Wütend, weil dieser Narr von einem Elb wirklich geglaubt hatte, sie könne ihn hintergehen, aber amüsiert, weil der Auslöser für seine Eifersucht ausgerechnet ihr eigener Bruder war – von dem Legolas zugegebenermaßen noch nichts wusste. Schließlich kam sie nicht umhin anzumerken, dass auch sie zeitweise an den Gefühlen des Elben gezweifelt hatte. Es schien ihr immer noch unbegreiflich, dass er unter all den Frauen seines schönen Volkes ausgerechnet sie, einen Menschen, gewählt hatte. Wie plump musste sie doch neben ihm wirken. Umso beruhigender war es  für sie zu wissen, dass es Legolas allem Anschein nach nicht viel anders erging.

Plötzlich stöhnte ihr Liebster bitter auf und griff nach seinem hämmernden Kopf. Die Ereignisse der vergangenen Stunden in Verbindung mit seinem überhöhten Alkoholkonsum waren definitiv zu viel für einen Tag. Auch Ravena schien sich jäh ihrer eigenen Erfahrungen mit dem ein oder anderen Tropen guten Weines zu erinnern. Dieses Missverständnis und seine Folgen musste ihn wohl sehr mitgenommen haben. Nach einem kurzen Moment weiteren Zögerns gewann schließlich ihre schalkhafte Ader die Oberhand über sie. Der Elb mochte seinen Ohren kaum trauen, als er seine Geliebte plötzlich herzhaft Lachen hörte. Die Überraschung stand ihm geradezu in seine Stimme geschrieben – als er sie denn endlich wiedergefunden hatte.

„Du bist mir nicht böse, Melamin?" Die Hoffnung war wieder zu ihm zurückgekehrt, ließ ihn neuen Mut schöpfen. Sein Herz macht einen doppelten Salto, als er ihre süßen Lippen auf den seinen spürte. Für seinen Geschmack verging der Moment viel zu schnell.

„Legolas, wenn es dir nicht schon so schlecht ginge, würde ich jetzt dafür sorgen, dass es das täte." Sie gab ihm einen verspielten Schlag vor die Brust. „Wie kommst du nur auf den völlig absurden Gedanken, dass ich dich hintergehen könnte, du...du dämlicher Elb. Vilem ist mein Bruder!"

„Dein...dein Bruder?" In diesem Moment war er froh, das kein Licht das Zimmer erhellte. Sein Gesicht brannte wohl heißer als jede Peitsche eines Balrogs. Ihr Bruder! Im Nachhinein ergab alles einen Sinn. Er hielt sich wieder das Bild des jungen Mannes vor Augen, dessen große Statur, das lange Haar. Haar, so rot wie...wie... . Am liebsten hätte der Elb sich selbst geschlagen. Das Haar so rot wie das seines geliebten Engels. Wieso war es ihm nicht sofort aufgefallen? Wahrscheinlich hatte er sein Kombinationsvermögen gemeinsam mit seinem Verstand verloren.

„Ja, ich hab ihn endlich wieder!" Ravenas Stimme überschlug sich fast vor Freude und Begeisterung. „Erinnerst du dich noch an diesen seltsamen Mann, der uns damals bei der Flucht geholfen hatte? Das war er, mein Bruder. Oh Legolas, ich bin so glücklich, ihn wieder zu haben." Damit sah er sich plötzlich in einer stürmischen Umarmung gefangen. Beseelt  begnügte er sich damit, die Liebkosung einfach nur zu erwidern. Wenn Ravena glücklich war, dann war er es auch.

„Das ist wunderbar, Ravena. Wenn einer es verdient hat, dann du." Er freute sich mit ganzem Herzen für sie, doch in den Tiefen seines Herzen begann sich plötzlich wieder sein schlechtes Gewissen zu regen. „Und ich habe deine Freude über das Wiedersehen getrübt, es tut mir leid. Ich..." Noch bevor er zuende sprechen konnte, hatte sie seine Lippen bereits in Besitz genommen, zu ihrem Eigen erklärt.

„Shhh" Mit aller Zärtlichkeit fuhr sie die Linien seines schönen Gesichtes nach, rief es sich auf diese Weise im Dunkel der Nacht in Erinnerung. Sie strich ihm liebevoll eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Das erste mal seit langem bin ich wirklich und wahrhaftig glücklich. Ich habe die Liebe meines Lebens gefunden und endlich auch wieder einen Teil meiner Familie bei mir. Ich bin glücklich und das habe ich alles dir zu verdanken, Liebster." Legolas war sprachlos, fühlte sich durch diese lieblichen Worte im Einklang mit ihren sanften Berührungen in einen wahren Freudentaumel versetzt. Doch weitere Worte waren auch nicht von Nöten. Lange bevor Legolas' Gestammel einen Sinn ergeben hätte, hatte sie schon wieder seine Lippen gefunden, fordernder dieses mal, nicht gewillt, sie jemals wieder aufzugeben.

Ravena wusste nicht recht wie ihr geschah. Sie nahm nichts anderes mehr wahr als seine Lippen, die Zärtlichen, die sich, einer unsichtbaren Spur folgend, auf den Weg zu ihrem Dekolletee befanden. Jeder ihrer Sinne erhörte allein seine Hände, öffnete sich ihnen. Immer wieder glitten sie ihren Rücken hinab, nicht den kleinsten Fleck aussparend. Seufzer der Entzückung entwischten, jedweder Hemmung beraubt, ihrem betörendem Mund. In diesem Moment war Legolas das Zentrum ihres Alls, galt sämtliche Aufmerksamkeit einzig und allein ihm. Niemals zuvor hatte die Berührung eines Mannes solche Gefühlsstürme in ihr ausgelöst, niemals zuvor hatte sie sich so geborgen, geliebt gefühlt, wie in den Armen dieses Elben.

Da war das Quietschen der sich öffnenden Tür nur ein unliebsamer Störfaktor. Erst ein penetrantes Räuspern ließ die beiden Liebenden erschrocken auseinanderfahren und ihr Interesse wieder dem Eingang zuwenden. Im Türrahmen stand, mit einem Kerzenleuchter bewaffnet, ein anzüglich grinsender Zwerg.

„Ich wollte mich nur vergewissern, dass sie dir noch nicht deinen Kopf abgerissen hat, mein Freund. Aber wie ich sehe bedarf hier niemand mehr meiner Hilfe?"

Legolas' einzige Antwort bestand in einem Kissen, das in hohem Bogen in Richtung des Zwerges flog. Der allerdings  hatte längst mit einem zufriedenem Grinsen die Tür wieder hinter sich zugeschlagen. Was würden diese beiden Chaoten nur ohne ihn tun?

Als der Überraschungsmoment vorüber war brachen Legolas und Ravena in schallendes Gelächter aus. Sie konnten Gimli einfach nicht lange böse sein, dazu hatte er viel zu viel für sie getan. Mit einem zufriedenem Seufzer lehnte sie sich an die Schulter ihres Geliebten, ließ sich von ihm genüsslich den Rücken kraulen, wieder zur Ruhe kommen. Nur höchst ungern erlaubte sie der Realität in diese selbstgeschaffene Insel des Friedens einzudringen.

„Ich sollte gehen, Legolas. Die anderen werden sich Sorgen machen.", entschuldigend blickte sie ihn an. Der Elb, der damit nun aber ganz und gar nicht einverstanden war, umschlang sie mit beiden Armen, hauchte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn.

„Geh nicht, Melamin. Bleib heute Nacht hier. Gewähre mir das Vergnügen morgen früh neben dir aufwachen zu dürfen."

Sie lachte leise, versuchte ihren Verstand argumentieren zu lassen. „Ein wahrlich verführerisches Angebot." Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Nase „Aber ich habe noch nicht einmal ein Nachthemd dabei..."

„Dann nimm ein Hemd von mir, mein Engel." Er untermauerte sein Angebot tatkräftig mit einem leidenschaftlichen Kuss. „Bitte." Immer noch war es Dunkel im Zimmer, doch es bedurfte keiner großen Vorstellungskraft um seine großen, blauen, aber vor allem flehenden Augen vor sich zu sehen. Augen, denen sie für gewöhnlich nichts abschlagen konnte. So auch jetzt.

„Also gut." Gespielt theatralisch seufzte sie auf. „Dann zünde endlich eine Kerze an, damit ich etwas sehen kann." Das ließ sich der Elb natürlich nicht zweimal sagen. Im nu war er aus dem Bett gehüpft, schließlich wollte er Ravena unter keinen Umständen die Zeit für einen eventuellen Meinungswechsel lassen.

„Auuu." Ein weiteres mal wurde er auf schmerzliche Art und Weise an seine Entgleisung erinnert. In seinem Kopf ging es immer noch wilder zu als auf jeder Kegelbahn. Selbst als er sein Haupt mit beiden Händen festhielt, wollte sich der Tumult nicht legen – ob er das wohl jemals tun würde? In diesem Augenblick war er sich da gar nicht mal so sicher. Aber nichts desto trotz war es ihm irgendwie gelungen in der Finsternis nach einer Kerze zu tasten und sie erfolgreich anzuzünden. Unverzüglich wurde das Gemach in warmes Licht getaucht, tänzelten verspielte Schatten mit der flackernden Flamme um die Wette. Er hatte schon viel zu lange im Dunkel ausgeharrt.  

Als er sich schließlich zu seiner Geliebten umwandte, spürte er, wie die Schmetterlinge aufgeregt in seinem Bauch umherschwirrten. Sie saß noch immer auf seinem Bett und schaute sich mit offenem Munde in seinem Gemach um. Ihre Lippen waren leicht gerötet, ihr endloses Haar von seinen Liebkosungen in Unordnung gebracht worden. Hatte er jemals wahre Schönheit gesehen, bevor sein Blick das erste Mal auf sie gefallen war? Schließlich beendete sie ihre Rundschau bei seinen Augen. Als sie ihn verführerisch anlächelte meinte er für einen Moment sein Herz müsse aussetzen.

„Wolltest du mir nicht eines von deinen Hemden ausleihen?" Erst da bemerkte er, dass er starrte, sich wieder einmal in ihrem Anblick verloren hatte. Abermals spürte er seine Ohren heiß werden, gerade so, als wäre er noch ein junger Elb von kaum mehr als fünfzig Jahren.

„Ähm ja... natürlich... warte einen Moment." Nur langsam kam er wieder zu Sinnen, wollte es ihm gelingen sich von ihr loszureißen. Schon beinahe verschämt ob seines Gestotters wandte er seine Aufmerksamkeit dann schließlich doch dem massigen Schrank zu. Als er sich, mit einem Hemd bewaffnet, wieder zu ihr umdrehte, stockte er plötzlich. Sie hatte sich mittlerweile aus dem Bett erhoben und stand nun wenige Zentimeter vor ihm. Zärtlich streichelte sie ihm mit ihrer Hand über die Wange.

„Du solltest dich wieder hinlegen Legolas, dir geht es nicht gut. Ich kann es dir ansehen." Der Elb lächelte nur und ergriff ihre Hand, barg mit einem tiefen Seufzer sein Gesicht in ihr, bevor er sie zu seinen Lippen führte und sanfte Küsse auf ihre Fingerkuppen hauchte. Er schaute tief in ihre Augen, ihre Seele.

„Wie soll es mir schlecht gehen, wenn du bei mir bist, Melamin?" Auf einmal konnte Ravena sich eines Kichern nicht erwehren. Bevor Legolas so plötzlich in ihr Leben getreten war, hatte ihr niemals jemand solch süße Worte gesagt.

„Du Charmeur", sie sah ihn herausfordernd grinsend an, „wer sagt mir denn, dass du heute Nacht anständig bleibst und nicht auf dumme Gedanken kommst?" Plötzlich sah sie sich von Legolas an der Hüfte gepackt und hart gegen seinen Körper gepresst. Noch bevor sie sich recht versah, war sie auch schon in einem leidenschaftlichen Kuss gefangen. Auf einmal war Ravena unglaublich froh von dem Elb so fest gehalten zu werden. Sie konnte regelrecht spüren, wie ihre Knie unter ihr nachgaben. Verzweifelt klammerte sie sich an ihn, versuchte dem Sog seines Kusses zu entgleiten, war ihr doch als würde sie in ihm Ertrinken, die Fluten des Meeres über ihnen zusammenschlagen, sie beide in die Tiefe reißen.

Erst ein Mangel an Luft ließ sie wieder voneinander ablassen, sie Stirn an Stirn zu Atem kommen. Es war Legolas, der sich als erster wieder soweit im Griff hatte, dass er seine Stimme wiederfand.

„Glaub mir, Melamin, meine Kopfschmerzen sind zu stark, als das ich heute noch unanständig werden könnte." Er flüsterte die Worte mehr, als dass er sie tatsächlich sprach, kitzelte sie dabei mit seinem Atem verführerisch am Ohr. Plötzlich hätte sie gar nichts mehr dagegen gehabt, wenn er unanständig geworden wäre. Dennoch gelang es ihr, sich soweit zusammenzunehmen, um ihn resolut zum Bett dirigieren zu können. Sie musste Legolas ja nicht unbedingt auf die Nase binden, welche Wirkung er auf ihren gesunden Menschenverstand ausübte. Anschließend nahm sie dem völlig verblüfften Elben mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen das Hemd aus der Hand und hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

„Dann üb dich schon mal in deiner Anständigkeit dadurch, dass du wegschaust während ich das hier überziehe."

Mit einem resignierendem Seufzer fügte sich der Elb schließlich in sein Schicksal, indem er seiner Geliebten gehorsam den Rücken zuwandte. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, als er das Rascheln ihrer Kleidung vernahm. Wer hätte auch von ihm erwarten können stoische Ruhe zu bewahren, während sich die Frau seiner schlaflosen Nächte gerade neben ihm auszog. Plötzlich hörte er sie leise Summen. Ein liebevolles Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Ob sie das wohl immer tat, wenn sie sich umzog? Er verliebte sich sogleich in diese Angewohnheit.

„Ravena?"

„Hm?" Sie trug gerade einen Kampf mit ihrem Kleid aus, das sich beim Ausziehen in ihren Haaren verfangen hatte.

„Wie alt bist du eigentlich?" Er erinnerte sich wieder an die Unterhaltung, die er in der Schenke mit Gimli geführt hatte, die ihm verdeutlicht hatte, wie wenig er eigentlich über seine Liebste wusste.

Ravena indes hielt erstaunt inne. „Wie kommst du denn jetzt darauf?" Das Kleid, das noch immer über ihrem Kopf hing, ließ ihre Stimme etwas gedämpft erklingen.

„Ich will alles über dich wissen, Melamin."

Das Mädchen lachte vergnügt. „Ich bin neunzehn, Liebster." Endlich hatte sie sich von dem hartnäckigem Kleidungsstück befreit. Unachtsam ließ sie es zu Boden fallen.

„Neunzehn", Legolas wiederholte die Zahl beinahe ehrfürchtig, „so jung – Und wann ist dein Geburtstag?"

„Mein Geburtstag?" Sie zog sich Legolas' Hemd über den Kopf, versicherte sich immer wieder durch Schulterblicke, dass des Elben Augen auch tatsächlich da waren, wo sie sein sollten. „Im März, am dreiundzwanzigsten. So, fertig." Vergnügt drehte sie sich zu ihrem Liebsten um. „Und wie alt bist du?"

Legolas blieb ihr die Antwort vorläufig noch schuldig, starrte stattdessen seinen Engel mit offenem Munde an. Sein Hemd reichte ihr nicht einmal bis an die Knie, sodass es einen weiten, fesselnden Einblick auf ihre Beine freigab.

Unsicher trat Ravena von einem Fuß auf den anderen. Sicherlich war er schönere, makellosere Anblicke gewohnt. Ob sie ihm gefiel? Erst als Legolas sie zärtlich in die Arme nahm, wollten ihre Selbstzweifel langsam schwinden.

„Du bist wunderschön..." Plötzlich hörte sie die Tür in ihrem Rücken knarren. Verzweifelt seufzte sie auf. Dieses Mal war sie ganz und gar nicht gewillt sich von einem gelangweiltem Zwerg ihre Zweisamkeit mit Legolas zerstören zu lassen. Des Elben plötzliche Angespanntheit unbeachtet lassend, fing Ravena bereits lange bevor sie sich zu dem ungebetenem Gast umgedreht hatte mit ihrer Standpauke an.

„Gimli, verdammt noch mal, jetzt lass uns doch endlich... in... Ruhe..." Ihre Stimme verebbte, als sie des Eindringlings schließlich gänzlich gewahr wurde. Immer wieder flog ihr Blick von Legolas zu dem Neuankömmling und wieder zurück. In der Tür stand der wohl eindrucksvollste Elb, auf den Ravena jemals einen Blick geworfen hatte. Ihn einfach nur als schön zu bezeichnen, wäre ihm nicht gerecht geworden, wäre zu trivial gewesen. Er war makellos, vollkommen, nahezu perfekt. Er war nicht etwa majestätisch, sondern erhaben, ehrwürdig. Sein Haar war nicht blond, sondern golden wie die Strahlen der aufgehenden Sonne. Der Beerenkranz auf seinem Kopf schien Ravena mehr einer Corona zu gleichen, denn irdischen Früchten. Das Gesicht hatte etwas zeitloses, war alterslos, im selben Moment jung und alt. Konnte dies ein irdisches Wesen sein? Konnte solche Perfektion aus dem Schoß Mittelerdes stammen? Als das Wesen schließlich sprach war es ein Wispern, das seinen Mund verließ – ähnlich dem Wind, der flüsternd durch die Baumwipfel fuhr.

„Ich wollte dir noch einen lindernden Tee bringen, aber wie ich sehe hast du bereits ein besseres Heilmittel gefunden." Verwirrt schaute Ravena wieder von Legolas zu dem Elb, dessen Lippen sich zu einem schalkhaften Lächeln verzogen. Wieso hatte sie nur gedacht, dass solch ein ätherisches, ja geradezu unwirkliches Wesen keinen Humor besitzen könne?

„In der Tat habe ich von dem einzigen Heilmittel Besuch bekommen, das es für meine Leiden gibt."

Irritiert beobachtete sie, wie Legolas eine Verbeugung andeutete und den Griff um ihre Taille noch etwas verstärkte – gerade so, als wolle er verhindern, dass dieses Wesen sie ihm entführen würde, als wolle er verdeutlichen, dass sie an ihn gebunden war. Ravena konnte Legolas' Anspannung deutlich spüren, wenn auch nicht nachvollziehen. Seltsamerweise fühlte sie selbst keine Angst.

„Dann verabschiede ich mich jetzt und wünsche euch beiden eine", der Elb lächelte mokant, „angenehme Nachtruhe." Damit verließ er sie und während er ihnen den Rücken zuwandte war es Ravena für einen kurzen Moment, als habe sich sein schönes Antlitz zu einer traurigen Grimasse verzogen, als habe sich eine einsame Träne den Weg aus den blauen Wassern seiner Augen gebahnt. Doch so schnell der Augenblick auch gekommen sein mochte, so schnell war er wieder verflogen. Verwirrt schüttelte sie den Kopf, suchte sich von dem Irrbild zu befreien. Sicherlich sah sie nur Gespenster wo keine waren.

Erst als sie beide wieder alleine waren, sprachlos angesichts dieser Erscheinung, wurde Ravena sich bewusst in welchem Aufzug sie dem Wesen gegenüber gestanden hatte. Legolas' Hemd gewährte wesentlich mehr Einblicke, als sie bereit war jedwedem Fremden zuzugestehen. Überhaupt musste sie wohl mehr wie ein leichtes Mädchen denn eine anständige Frau gewirkt haben. Verschämt spürte sie die Röte in ihre Wangen steigen. Doch schließlich war es ihre Neugierde, die über ihre Scham den Sieg davon trug.

„Legolas?"

„Ja?" Liebevoll lächelte er sie an, sie immer noch nicht aus seinen Armen entlassend.

„Das war nicht Gimli, oder?"

Plötzlich lachte der Elb lauthals los. Wie sehr er doch Ravenas Humor liebte. „Nein, Melamin, das war nicht Gimli."

„Das hab ich mir gedacht." Grübelnd legte sie ihre Stirn in Falten, „Wer war es dann?"

„Das", er strich ihr eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht, „Das war mein Vater."

*~*~*