Disclaimer: siehe Kapitel 1

Kapitel 16

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Was bisher geschah: Wir befinden uns in Gadara, einer reichen Hafenstadt im südlichen Gondor. Im Rahmen eines siebentägigen Festes beehren das Königspaar und die Gefährten die Stadt mit ihrer Anwesenheit. Gleich bei ihrer Ankunft wird dem Elb Legolas ein schmerzhafter Empfang bereitet: Eine junge Magd hat ihn versehentlich für einen Dieb gehalten und unter zur Hilfenahme von Äpfeln vom Pferd bombardiert. Im Laufe der Festlichkeiten treffen Ravean, so ihr Name, und Legolas noch des öfteren aufeinander. Diese Zusammenkünfte sind stets von ähnlich merkwürdigen Umständen begleitet. Schließlich gestehen sie sich nach einigen Hürden und Missverständnissen ihre Liebe ein. Legolas beschließt zunächst in Gadara zu bleiben. Damit wäre unsere Geschichte schnell zu ihrem Ende gekommen, hätte Thranduil, Legolas Vater und Elbenkönig des Düsterwaldes, sich nicht angkündigt. Durch einen unerwarteten Zusammenstoß mit Banditen ist er, ganz entgegen seiner ursprünglichen Reisepläne, gezwungen, in Gadara halt zu machen. Legolas nimmt sich ein Herz und berichtet ihm von seiner neugewonnen Liebe. Thranduil ist betrübt: Einen Sterblichen zu lieben bedeutet für einen Elb den sicheren Tod, da ihr Herz für gewöhnlich am Kummer über den Verlust vergeht. Dennoch ist er bereit die Liebe seines Sohnes zu akkzeptieren. Während Legolas sich mit seinem Vater unterhält, genießt Ravena die Stunden mit ihrem Bruder Vilem. Seitdem er im Zuge des Ringkrieges aufgebrochen war, Faramirs Truppen zu stärken, gilt er als Verschollen. Erst ein unwahrscheinlicher Zufall hat die Familie wieder zusammengeführt. Die gleichen Banditen, die auch Thranduil überfallen haben, entführten zuvor Ravena und Legolas. Vilem, Mitglied dieser Bande, verhalf den beiden zur Flucht und folgte ihnen zu Ravenas Heim. Bei ihrem Wiedersehen flossen viele Tränen. Nicht zuletzt deswegen, weil das Mädchen erfähren musste, das zwei ihrer fünf Brüder im Krieg gefallen waren. Von den übrigen zwei und von ihren Eltern fehlt weiterhin jegliche Spur. Schließlich führt der Zwerg Gimli Ravena zu Legolas. Dort werden Legolas und seine Liebste von Thranduil im Flagranti erwicht. Thranduil beschließt nichts gegen diese Liebe zu unternehmen und Ravena gelingt es die Situation durch ihren Humor zu entschärfen.

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Kapitel 16

„Dein... dein Vater?" Ravenas Stimme glich dem Krächzen eines heiseren Vogels. Entsetzt blickte sie einem sehr amüsiert dreinschauenden Legolas in die Augen. „Bitte, bitte, sag mir, dass das um Erus Willen nicht wahr ist! Sag es mir!" Wäre sie von ihrem Geliebten nicht noch immer in dessen aufmerksamen Armen gehalten worden – ihre Beine hätten wohl schon längst unter ihr nach gegeben. Der Elb gab sich indes redlich Mühe ein aufkeimendes Lächeln zu unterdrücken, doch das verräterische Zucken seiner Mundwinkel strafte ihn schändlich Lügen. Schließlich konnte er nicht mehr an sich halten. Herzhaft lachend verschloss er ihre Lippen mit den seinen. Nun, da er den Segen seines Vaters hatte, fühlte er sich wundersam beschwingt, ja geradezu frei. 

„In Ordnung", schelmisch grinste er sie an, „das war nicht mein Vater."

„Legolas! Das ist nicht zum Lachen!", verzweifelt kniff sie ihm in den Arm, „Was wird dein Vater nun von mir denken? Sieh dir doch nur einmal an, wie ich aussehe!" Mit einer unbestimmten Geste deutete sie an sich hinab. In der Tat bedeckte das von Legolas geborgte Hemd kaum das Nötigste. Dazu kam die prekäre Situation, in der sie beide erwischt worden waren. Der König musste sie für ein leichtes Mädchen halten, eine Dirne, seinem Sohn lediglich für die Dauer der Nacht zueigen. Erst jetzt begriff sie das volle Ausmaß dieser Bredouille. Es war nicht nur Legolas' Vater, sondern auch der Elbenkönig vom Düsterwald,  vor dem sie sich bis auf die Knochen blamiert hatte. Völlig verstört barg sie ihr Gesicht in Legolas' Brust.

„Wie du aussiehst, Melamin?", liebevoll hauchte er seinen sanften Kuss auf ihr Haupt, „Wunderschön." Das brachte ihm einen erneuten Kniff seines Engels ein. Schmunzelnd beobachtete er, wie Ravena den Kopf hob, nur um ihn anschließend mit einem empörten Blick zu bedenken.

„Wofür war denn das nun schon wieder?" Er lachte fröhlich.

„Pah! Wunderschön! Ich sehe aus wie eine Dirne." Das Bild des Königs, wie er in der Tür gestanden hatte, war ihr noch lebhaft im Gedächtnis. Niemals zuvor war es ihr vergönnt gewesen, einem so einnehmenden, ja, geradezu makellosen Wesen zu begegnen. Und im Angesicht solcher Anmut, solcher Perfektion wagte Legolas es tatsächlich sie, ausgerechnet sie, wunderschön zu nennen? Nun, zumindest hatte sie jetzt eine Ahnung davon, woher ihre große Liebe viele seiner, zugegebenermaßen nicht von der Hand zu weisenden, Qualitäten haben musste. Der Gedanke daran ließ sie kichern. Dennoch kam sie nicht umhin, etwas ein für alle mal klar zu stellen: „Aber ich bin keine Dirne! Ich bin anständig!"  

Plötzlich spürte Ravena, wie sie den Boden unter den Füßen verlor und sich ein starker Arm unter ihre Knie schob. Nach einem erschreckten Aufschrei schlang sie beide Arme um Legolas Hals. Vergnügt trug der sie zum Bett.

„Niemand behauptet etwas anderes, mein Engel." Damit ließ er sie sanft in die weichen Kissen sinken und gesellte sich gleich darauf zu ihr. Besitzergreifend legte er einen Arm um ihre Hüften, zog sie eng an seinen eigenen Körper heran. Auf dem anderen Arm stützte er seinen Kopf ab. Mit einem liebevollen Lächeln tat er nichts weiteres als seine Liebe, dieses Geschenk der Valar, zu betrachten. Sie mochte es so heftig bestreiten wie sie wollte, für ihn würde sie stets die Schönste sein. Das Feuer ihrer Seele brannte heller als der gleißendste Stern am unendlichen Himmelsfirmament, verbannte alles übrige in bedeutungslosen Schatten. Er hatte nur noch Augen für sie.

„Und was tue ich dann im Bett des Herrn?" Lachend fuhr sie die Konturen seines Gesichtes nach, hob ihm leicht ihren Oberkörper entgegen, sodass sie seine Lippen zärtlich mit den ihren liebkosen konnte. Ein leises Kichern entfloh ihrer Kehle, als sein silbern schimmerndes Haar sanft die empfindliche Haut ihres Halses neckte. Plötzlich wurde ihr gewahr, dass sie ihren Geliebten noch nie ohne seine Zöpfe, dessen scheinbar ständige Begleiter, gesehen hatte. Ohne auf eine weitere Antwort seinerseits zu warten, griff sie um seinen Kopf herum und begann mit geübten Fingern seine Flechten zu lösen.

Obwohl Ravena seinem fragenden Blick lediglich mit einem amüsierten Lächeln begegnete, ließ er sie willig gewähren. Leise Seufzer der Entzückung entflohen seiner Kehle, als ihre fähigen Hände damit begannen, seinen gepeinigten Kopf zu massieren. Ihrem kleinen Kätzchen Dimthon nicht ganz unähnlich, wenn es seine täglichen Streicheleinheiten erhielt, lehnte sich auch Legolas vertrauensvoll in ihre Berührungen – ganz ohne Worte weitere Zärtlichkeiten fordernd. Zärtlichkeiten, die ihm Ravena mehr als nur bereitwillig angedeihen ließ.

Noch immer war es ihr unmöglich zu begreifen, weshalb es ausgerechnet diesen – ihren – schwieligen Händen bestimmt war, ihn in solche Erregung zu versetzten, ihn alles außer ihr selbst vergessen ließen. Wie nur hatte es ihr erlaubt sein dürfen, diese samtige Haut zu berühren, dieses Kunstwerk einer ihr entrückten Welt durch ihre gewöhnlichen, von harter Arbeit gezeichneten Hände zu entweihen? Sie vermochte ihr Glück kaum zu fassen.

Als sich schließlich die letzte seiner Flechten unter ihren Fingern auflöste, fuhr sie ihm gespannt durch die Haare. Zum ersten Mal, seitdem sie ihn nun kannte, sah sie keinen Krieger vor sich. Die für gewöhnlich streng zurückgebundenen Haare fielen ihm nun in offenen Sturzbächen über die Schultern, bargen einen Teil seines Gesichtes in geheimnisvollen Schatten. Die sterbende Kerze, nicht bereit ihrem Erlöschen klaglos entgegen zu sehen, begehrte in ohnmächtiger Wut gegen ihr unwiderrufliches Schicksal auf. Wild flackernd schien sie Legolas' Haar in goldenes Flachs zu verwandeln.

„Gefalle ich dir, Melamin?" Seine Stimme klang belegt, ein akustischer Spiegel seiner Erregung. Niemals zuvor hatte er es jemand anderem gestattet, diese Zöpfe zu lösen, das Symbol seines Kriegerdaseins.

Als Antwort fuhr sie ihm lachend durch die Haare, zerwuschelte sie, bevor sie ihn mit festem Griff am Schopfe packte und zu sich hinunter zog. Die letzte Entfernung zwischen ihnen überbrückend, erklärte sie seine Lippen durch einen leidenschaftlichen Kuss zu ihrem Eigentum. Erst ihrer beider Bedürfnis nach Luft ließ sie für einen kurzen Moment innehalten.

„Wie kannst du mir nur solch eine Frage stellen?", lachte Ravena, als stünde die Antwort schon von Anbeginn der Zeit fest. Doch ihr zärtliches Spiel wurde jäh unterbrochen, als sich Legolas' Gesicht unvermittelt in eine schmerzverzehrte Maske verwandelte und seiner Kehle ein gepeinigtes Aufstöhnen entfloh. Trost suchend vergrub er seinen Kopf in Ravenas Bauch, Linderung für die donnernden Riesen in seinem Kopf herbeisehnend. Während den vergangenen Stunden war es ihm erfolgreich gelungen, sie zu verbannen. Fast schon hatte er die Hoffnung gehegt, sie auf ewig verjagt zu haben, doch nun schlugen sie unbarmherzig zurück. Mit mächtigen Verbündeten im Schlepptau verwandelten sie seinen leidgeprüften Kopf erneut in ein wüstes Schlachtfeld. Kichernd streichelte Ravena ihm immerzu über den Rücken.

„Will ich wissen wie viel du getrunken hast?" Statt einer Antwort ließ Legolas lediglich ein weiteres Stöhnen hören. Wieder konnte Ravena sich ein Lachen nicht verkneifen. „Glaub mir, morgen wird es dir noch viel, viel schlechter gehen."

„Das macht mir wirklich Mut, mein Engel." Da sein Gesicht immer noch gegen ihren Bauch gepresst war, klang seine Stimme seltsam gedämpft. Doch solange er seinen Humor noch zu bewahren vermochte, konnte sein Zustand so schlimm schon nicht sein.

„Komm her, du dämlicher Elb- mein dämlicher Elb.", verbesserte sie sich selbst. Liebevoll lächelte Ravena ihn an. Sie zog ihn zu sich hinauf, bis er mit seinem Kopf nur eine Handbreit entfernt von ihrem eigenen lag, ihre Nasen sich beinahe berührten. Nach einem letzten, zärtlichen Kuss erhob sie sich ein wenig, um dem zähen Überlebenskampf der Kerze ein vorzeitiges Ende zu bereiten, das Gemach wieder in die Schwärze der Nacht zu hüllen. Lächelnd schmiegte sie sich in der undurchschaubaren Dunkelheit an Legolas. „Schlaf jetzt, wir haben noch alle Zeit der Welt um unanständig zu werden."

„Alle Zeit der Welt. Das klingt schön, Melamin, so schön." Vor Wonne seufzend glitt er in die Welt der Träume – in Sphären, die es ihm tatsächlich erlaubten auf immer und ewig mit Ravena eins zu sein.

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Forsch wagten sich die ersten Sonnenstrahlen an den Vorhängen vorbei, badeten das Gemach in goldenes Licht. Vor den Fenstern kündeten zwitschernde Vögel, Botschafter eines neuen Tages, den nahenden Morgen an. Doch von alledem ließen sich die beiden ineinander verschlungenen Gestalten nicht ihres friedvollen Schlafes berauben. Ein heimlicher Beobachter hätte es kaum vermocht zu sagen, wo der Körper des einen anfing und der des anderen aufhörte. Blondes Haar ging nahtlos in Rotes über, just noch ebenmäßige Haut war plötzlich mit unzähligen Sommersprossen gesprenkelt und ineinander verschränkte Hände besaßen jäh das doppelte an Fingern.

Erst als sich eine der beiden Gestalten genüsslich zu Räkeln begann, wurde der Szenerie ein wenig Leben eingehaucht. Ravena spürte ihn, die Wärme und Geborgenheit, die er brachte, bereits lange bevor sie wirklich erwachte. Noch ehe sie gänzlich die Traumpfade verlassen hatte, war sie sich seines Körpers bewusst gewesen, seiner bloßen Anwesenheit. Ein Körper, der sie selbst im Schlafe hielt, sie beschützte. Wie unbeschreiblich schön es doch war neben dem Wesen aufzuwachen, das man über alles liebte. Ach, was würde sie dafür geben jeden Morgen ihres Lebens neben ihm erwachen zu dürfen.

In froher Erwartung seines lächelnden Gesichtes öffnete sie schließlich ihre Lieder, gewährte dem noch jungen Tag Einlass in ihr liebendes Herz. Doch ihr ward als hielte bitterer Winter Einzug in ihr Innerstes, als verwandelten eiserne Schneewehen ihr Herz in trostlose Einöde, da sie sich umwandte und in seine Augen sah. Diese Augen, die unentwegt mit sämtlichen Edelsteinen Mittelerdes um die Wette strahlten, die es vermochten sie stets aufs neue in ungeahnte Tiefen zu entführen, entbehrten, getrübt von milchigen Schleiern, alles Leben.

Kalte Angst ergriff von ihr Besitz, ließ ihren Körper unkontrolliert erzittern. Was nur war mit ihm geschehen? Ihr Verstand sagte ihr, dass das, was sie sah nicht wahr sein konnte, ein Albtraum sein musste, Trümmer, Ruinen der Traumpfade auf denen sie eben noch gewandert war. Legolas war ein Elb. Elben starben nicht einfach so über Nacht – und doch lag er nun neben ihr, blass und leblos. Weinend raffte sie sich auf, begann ihn zu schütteln. Er war nicht tot, durfte nicht tot sein.

„Legolas! Legolas!" Schon schrie sie, immer wieder wurde sie von heftigen Schluchzern geschüttelt. „Wach auf! So wach doch auf!" Hätte sie Ruhe bewart, wäre ihr vielleicht Legolas' regelmäßiger Herzschlag aufgefallen. Doch die Angst davor, der Liebe ihres Lebens so plötzlich und grausam entrissen zu werden, beraubte sie jedweden klaren Gedankens, schnürte ihr erbarmungslos die Kehle zu. Erst als sie sich von starken Armen gehalten fühlte, wollte sie sich etwas beruhigen. Wimmernd brach sie in Legolas' Umarmung zusammen. 

„Shht, Melamin, was ist geschehen?" Selbst völlig verstört tat er sein bestes, um die aufgelöste Ravena wieder zu beruhigen. Immer wieder streichelte er sie, versuchte er seinen Engel durch beständiges Einerlei aufzumuntern. Was nur hatte sie so erschrecken können? Endlich schienen seine Berührungen Wirkung zu zeigen. Als er den langsam versiegenden Tränenstrom und ihren wieder stetig werdenden Herzschlag spürte, platzierte er eine zärtliche Hand unter ihrem Kinn, zwang sie sanft ihn anzuschauen. Was er sah erschreckte ihn. Vom vielen Weinen waren ihre Augen rot unterlaufen, ihr Gesicht geschwollen. In ihren Augen, seinen Häfen, seiner neuen Heimat, stand noch immer diese namenlose Angst, dieses unbestimmte Grauen. Eine letzte Träne, eine verlorene Perle inmitten der Betten längst versiegter Flüsse, bahnte sich ihren Weg über Ravenas Wangen. Intuitiv beugte Legolas sich nach vorne, um sie auf halbem Weg mit seinen Lippen abfangen zu können, sie zu kosten.

„Willst du mir nicht sagen, was geschehen ist?" Erst der liebliche Klang seiner Stimme, das prickelnde Gefühl seiner zärtlichen Lippen auf ihrer Wange, vermochte es Ravena wieder in die Wirklichkeit zurückzurufen, ihr gänzlich offenbar zu machen, dass er tatsächlich lebte, sie nicht verlassen hatte.

„Legolas, du lebst!" Diesmal war es der Elb, der sich einer stürmischen Umarmung gegenüber sah. Überraschung mischte sich mit unbeschreiblicher Freude und Erleichterung. Ihr ward, als fiele ihr ein tonnenschwerer Stein vom Herzen. „Deine Augen, sie waren offen, ich dachte, ich meine, du hast ausgesehen wie... wie tot." Ungestüm sprudelte alles aus ihr heraus, ihre Ängste und schlimmsten Befürchtungen. Wieder begann ihr Körper verdächtig zu beben.

„Wie tot?" Plötzlich übermahnte ihn jähes Verstehen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie ihn niemals zuvor ruhen gesehen hatte, dass sie kaum etwas vom Schlaf der Eldar wusste. Für sie musste er ausgesehen haben wie ein Mensch, nachdem er sein Leben ausgehaucht hatte. „Shht, Melamin", er verstärkte seine Umarmung, „es tut mir leid. Ich vergesse immer wie kurz wir uns erst kennen und wie wenig wir eigentlich voneinander wissen. Ich hätte dir sagen müssen, dass der elbische Schlaf nicht dem der Menschen gleicht. Ich bin wahrlich ein dämlicher Elb." Das ließ Ravena aufhorchen.

„Du... du meinst du schläfst immer so? Mit offenen Augen?" Sie schniefte ungeschickt und rieb sich mit dem Handrücken über die brennenden Augen. Langsam begann sich der Schreck in Neugierde zu verwandeln – und Wut. 

„Das hättest du mir in der Tat sagen können." Schneller noch, als der Elb sehen konnte, hatte er eines der vielen Kissen im Gesicht. „Weißt du eigentlich was für einen Schock du mir eingejagt hast, du, du dämlicher Elb? Ich hatte fürchterliche Angst um dich, ich dachte du wärst tot. Tot! Wie hattest du mir nur so etwas antun können?" In ihrer Tirade unterbrach sie sich nur, um Legolas einige weitere Male das Kissen um die Ohren zu schlagen. Eine merkwürdige Art seine Erleichterung zu zeigen, doch in diesem Moment die einzige Möglichkeit wieder Herr über die Angst zu werden.

Für einen kurzen Moment hatte sie wirklich geglaubt, war sie fest der Überzeugung gewesen, dass er tot sei, dass er in ihren Armen gestorben sei, ohne dass sie etwas dagegen hätte unternehmen können. Und in diesem Moment, in diesem Hauch einer Sekunde, während dem Ravena sich sicher war ihn verloren zu haben, ihm auf ewig entrissen zu sein – dem einzigen Wesen, dem sie jemals ihr Herz geschenkt hatte, all ihre Liebe – hatte auch sie nichts weiter tun wollen, als zu sterben. Ja, sie hatte ihn gefunden. Sie hatte den Mann gefunden, für den sie bereitwillig alles aufgeben würde, selbst wenn es sich dabei um ihr eigenes Leben handelte – und das war etwas, was nicht viele Menschen von sich behaupten konnten.

 „Gnade, Gnade!", lachte Legolas unter Ravenas beständigem Bombardement. Seine Kopfschmerzen, eine direkte Folge des gestrigen Gelages, verdrängte er so gut es ihm denn gelingen mochte. Wirklich wehren tat er sich nicht. In Ravenas Augen, diesen tiefen Seelenwassern, hatte er von ihrer Angst gelesen, von dem Schrecken, der sie erfasst hatte. Es würde ihr gut tun alle Wut herauszulassen.

Obwohl er wusste, dass sie ihn liebte, es in jedem ihrer Blicke lesen konnte, traf ihn die Intensität von Ravenas, aber auch seinen eigenen Gefühlen völlig unvorbereitet. Soweit er zurückdenken konnte, hatte er sein Herz stets gehütet, sorgsam auf es Acht gegeben, sodass niemand es ihm wegzunehmen vermochte. Doch nun hatte es nur einer Menschenfrau bedurft, um es ihm geradewegs vor seiner Nase wegzustehlen. Er hatte ihr bereits sein Leben zu Füßen gelegt, war sogar bereit für sie in den Tot zu gehen. Dieses Gefühl war erschreckend, aber zugleich so überwältigend, dass er es niemals wieder missen mochte.  

Tatsächlich schien Ravena schon bald erschöpft zu sein. Das viele Weinen, der Schreck und nicht zuletzt die Angst hatten an ihr gezerrt, hatten sie ausgelaugt. Schließlich sank sie kraftlos in seine Arme. Wie ein Kind ließ sie sich von ihm wiegen, vom Klang seiner Stimme verzaubern.

„Es tut mir leid, dass ich mich so aufgeführt habe." Nach einer Weile der Besinnung war es Ravena, die als erste wieder das Wort ergriff. „Wenn ich ruhig geblieben wäre, dann hätte ich bestimmt bemerkt, dass du nur geschlafen hast." Mit einem tiefen Atemzug sog sie seinen Duft ein, dieses unverkennbare Aroma aus Wald und grünen Wiesen nach einem warmen Sommerregen.

„Shht." Mit seinem Zeigefinger auf ihren Lippen brachte er sie sanft zum Schweigen. Er verstärkte seine Umarmung noch, labte sich seinerseits am Geruch seiner Liebsten. Wenn es ihnen nur vergönnt wäre ihr gemeinsames Leben auf ewig in diesem Bett zuzubringen – er würde der glücklichste Elb sein, der jemals durch diese Gefilde gewandert war. „Es ist keine Entschuldigung von Nöten, Melamin." Unbewusst streichelte er mit den Kuppen seiner Finger beharrlich den Pfad ihrer Wirbelsäule entlang, nicht ahnend, was diese unschuldigen Berührungen bei Ravena alles anrichteten. „Schließlich war ich es, der gestern zu betrunken war, um dich zu warnen." Er grinste trocken und ließ einen schweren Seufzer hören. „Ich war so dumm." In diesem Punkt wiedersprach ihm Ravena nicht. Endlich wieder mit einem Lächeln auf den Lippen umfasste sie mit beiden Händen das Gesicht des Elben und schenkte ihm einen flüchtigen Kuss – allzu flüchtig, wie Legolas fand.

„Und wie geht es deinem Kopf?" Auch wenn ihre Besorgnis echt sein mochte, überwog in diesem Moment doch der Schalk, der frech aus ihren Augen blitzte.

„Er hämmert."

Ravena lachte. Ein Klang, der Legolas' Herz gleich um einiges schneller schlagen ließ. Unendlich zärtlich strich er ihr eine rote Strähne ihres Haares aus dem Antlitz, liebkoste dabei wie zufällig die Säume ihrer Wange. Sie ergriff unwillkürlich seine Hand, erforschte mit ihren eigenen Fingern die Wege seiner Lebenslinien. Welche Geschichten sie wohl zu erzählen hatten? Verträumt führte Ravena seine Hand schließlich zu ihrem eigenen Gesicht, lehnte sich in sie, gab sich ganz dieser einen Berührung hin. Erst ein sinnlicher Kuss ließ das Mädchen wieder in die Wirklichkeit zurückfinden. 

„Ich liebe dich, Ravena." Obschon diese lieblichen Worte kaum lauter als das angenehme Wispern eines lauen Sommerwindes gesprochen wurden, genügten sie, um Ravena erschauern zu lassen. Beide schienen sie sich hoffnungslos in den Augen des jeweils anderen zu verlieren, in deren unergründlichen Tiefen nach dem Herzensgrunde zu tauchen. Plötzlich ward es dem Mädchen, als lockten sie unsichtbare Zugkräfte, sie völlig willenlos machend, gänzlich zu Legolas. Die unweigerlich folgende Berührung ihrer Lippen ließ die Zeit gefrieren, schloss die beiden ein weiteres Mal in ihr selbst geschaffenes All ein. Ein Ort, an dem nur sie beide existierten, an dem alles Übrige in Bedeutungslosigkeit verpuffte.

Zum ersten Mal fanden Hände und Lippen geheime Trassen fern von störenden Stoffen. Untrennbar verknüpft überschritten sie bisher unbekannte Grenzen, erforschten, vorsichtig noch, namenlose Pfade. Die Luft war geschwängert von betörenden Seufzern und aufsteigender Hitze, ineinander verschlungenen Körpern und atemlosen Liebesschwüren, als plötzlich- „Legolas!" Jemand klopfte ungestüm an die Tür.

Erschrocken fuhren die beiden Liebenden auseinander, schauten sich mit weit aufgerissenen Augen an, bevor sie ihre Blicke zur Tür des Gemachs weiter wandern ließen. Einem ersten Impuls folgend  presste Legolas Ravena eine Hand auf den Mund.

„Psst! Wenn wir ganz still sind, wird, wer immer auch dort draußen sein mag, wieder seiner Wege gehen.", flüsterte er ihr schwer atmend ins Ohr. Ravena nickte zum Zeichen, dass sie verstanden hatte, bemüht ihre eigene Erregung wieder in den Griff zu bekommen. Trotzdem wollte es ihr nicht recht gelingen ein aufkeimendes Grinsen zu unterdrücken.

„Meinst du nicht, dass es dafür mittlerweile ein bisschen zu spät ist?" Unschuldig lächelte sie ihn an. Ein Lächeln, das Legolas beinahe den Verstand kostete.

„Vielleicht hat er uns eben nicht gehört." Noch bevor er diesen Satz beendete hatte, wurde ihm plötzlich bewusst, wie verzweifelt er sich anhören musste. Auch Ravena konnte sich einem leisen Kichern nicht erwehren. Erschrocken presste sie ihre Hand gegen den Mund.

„Legolas, man hätte schon taub sein müssen, um uns nicht zu hören." Immer noch wisperten sie.

„Vielleicht ist der Mann ja taub?" Er grinste seine Liebste schief an, bevor er sie ein weiteres Mal mit einem Kuss beglückte. Unwillkürlich presste sie sich enger an ihren Lieblingselb, der ob dieser unerwarteten Berührung überrascht aufstöhnte. Schon längst hatten sie sich all ihrer Kleider entledigt, sodass kein elendes Stück Stoff mehr zwischen ihnen stand, sie sich ganz und gar den tausend Sensationen ihrer nackten Haut hingeben konnten. 

„Ich weiß ganz genau, dass ihr dort drinnen seid. Die Geräusche eurer unzüchtigen Umtriebe hört man ja im ganzen Schloss." Wieder fand die Stimme einen Schleichweg durch das massive Holz der Tür.

„Gimli!" Beide stöhnten sie laut auf, als sie endlich den Besitzer der Stimme erkannten.

„Ja, Gimli ist hier, und so ungern ich das junge Glück auch stören möchte ist es doch an der Zeit, das Frühstück einzunehmen. Dein Vater wäre sicherlich mehr als ungehalten, wenn du ihn schon wieder versetzen würdest. Also hurtig, ich warte hier." Die Stimme verstummte und Legolas musste sich zähneknirschend eingestehen, dass sein Freund Recht hatte. So sehr er sich auch auf das Wiedersehen mit seinem Vater freute, für den Moment wäre er herzlich gerne mit der Frau, die er liebte, im Bett geblieben.

„Es tut mir leid, Melamin." Entschuldigend blickte er sie an. Doch sie war ihm nicht böse. Ganz im Gegenteil. In ihrem Gesicht stand noch immer dieses liebende Lächeln, das ganz alleine ihm galt, das sie schöner aussehen ließ, als jede Elbenfrau. In diesem Moment schwor er sich alles in seiner Macht stehende zu tun, um dieses Lächeln auf ewig zu erhalten.

„Gimli hat recht. Es ist nicht richtig, deinen Vater warten zu lassen. Schon gar nicht, wenn er ein waschechter König ist." Sie seufzte. Bei ihren letzten Worten hatte man einen leichten Anflug von Verzweiflung heraushören können.  Mit einem schiefen Grinsen erinnerte sie sich der Rüge, die sie dem Elbenkönig, wenn auch unwissentlich, erteilt hatte. Legolas indes war wieder bester Dinge.

„Gräm dich nicht, Ravena. Ich bin sicher, er wird dich lieben.", versicherte er seiner skeptisch dreinschauenden Geliebten gerade so, als sei es schon seit Urzeiten beschlossen. Schweren Herzens erhob er sich schließlich von der Schlafstätte, die sie während der Nacht geteilt hatten. Unbefangen wanderte er in seinem Gemach herum, suchte die Kleidung wieder zusammen, derer er sich zuvor unbedacht entledigt hatte. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er selbstzufrieden, wie Ravena vom Bett aus jeder seiner Bewegungen mit verstohlenen Blicken folgte.

Mit einem verträumten Lächeln auf den Lippen dachte er an eine andere Begebenheit zurück, während der Ravenas Augen ihm ebenfalls auf diese Weise gefolgt waren. An diesem Tag hatte er sie das erste Mal in den Armen halten dürfen, damals, nach ihrem unfreiwilligen Bad im Fluss. Lag es wirklich erst so wenige Tage zurück? Ihm ward, als kenne er sie schon seit Jahr und Tag.

„Woran denkst du?" Ihre Stimme riss ihn jäh aus seinen Tagträumen. Lächelnd setzte er sich wieder zu ihr auf die Bettkante und ergriff ihre Hand – immer noch so wie Eru ihn erschaffen hatte.

„An unser gemeinsames Bad." Verschmitzt beobachtete er, wie Ravenas Wangen sich angesichts der Erinnerung verdächtig verfärbten, sie verschämt die Augen niederschlug. Ob er es in einigen Jahren wohl noch immer fertig bringen wird, sie erröten zu lassen?  Er hoffte es von ganzem Herzen.

„Oh je, wie peinlich mir das alles war." Lachend vergrub sie ihr Gesicht in Legolas' nackter Schulter, liebkoste währenddessen mit ihrer rechten Hand seine Brust. Als einzige Antwort steckte er seine Nase in ihr Haar, sich ganz ihrem wundervollen Geruch hingebend. Es war ein Bild des Friedens. Erst ein ungeduldiges Pochen an der Tür ließ sie ein weiteres Mal an diesem Tag auseinander fahren.

„Beeilt ihr beiden euch wohl endlich?"

Lachend stand Legolas auf, Ravena mit sich ziehend. Schelmisch zwinkerte er ihr zu.

„Das mit dem unanständig werden sollten wir wohl wirklich auf ein anderes Mal verschieben. So sehr ich das auch bedaure." Er küsste sie. „Jetzt werde ich dich erst einmal meinem Vater vorstellen. Gestern Abend war er so schnell wieder verschwunden."

Plötzlich spürte sie, wie ein mulmiges Gefühl sie beschlich. Trotz Legolas' Narreteien war sie sich beinahe sicher, dass  der König sie hasste, sie als nicht standesgemäß betrachtete. Gewiss würde sie etwas furchtbar falsch machen, sich schrecklich blamieren – so, wie sie es bisher immer getan hatte, wenn sie aufgeregt war. Jäh wurde sie von einem weiteren, furchtbaren Gedanken heimgesucht. „Legolas?"

Der Elb war gerade dabei, seine Beinkleider anzuziehen. Nur am Rande wunderte sie sich darüber, wie natürlich ihr diese Situation bereits erschien.

„Ja?" Fragend sah er auf, erstarrte im Angesicht ihrer Erscheinung. Da stand sie vor ihm, seine Geliebte, sein Leben. Die langen Haare flossen in verspielten Locken über ihre Schultern, passten sich geschmeidig ihren Rundungen an, all das erahnen lassend, was er zuvor hatte liebkosen dürfen. Sein Herz jubelte, als er die Ungezwungenheit bemerkte, mit der Ravena ihm gegenüberstand. Sie vertraute ihm völlig, fühlte sich sicher in seiner Nähe. Es kostete ihn einiges an Willensstärke, sich wieder auf ihre Worte zu konzentrieren.

„Als Gimli gemeint hatte, man würde uns im ganzen Schloss hören, das war ein Scherz gewesen, oder?"

Für einen Moment schaute Legolas seine Geliebte verdutzt an, dann brach er in schallendes Gelächter aus. Mit der nur halb angezogenen Hose hüpfte er auf Ravena zu und schenkte ihr einen stürmischen Kuss. Wie er ihren Humor doch liebte. Immer wieder gelang es ihr, ihn unvermittelt zum Lachen zu bringen.

„Ich bin mir ganz sicher, dass es nur ein Scherz gewesen war." Er schien für einen Moment nachzudenken. „Glaube ich."

*~*~*

Als sie mit schweißnassen Händen und heftig klopfendem Herzen der Tür zum Speisesaal gegenüber stand, meinte sie, die Pforten einer flammenden Hölle passieren zu müssen. Auch wenn Legolas' Vater nicht gerade die personifizierte Inkarnation eines Herrschers der Unterwelt sein mochte, musste sie sich doch eingestehen, dass sie für den Moment etwa genau so viel Angst vor ihm hatte. Erst als sie Legolas' vertraute Hand auf ihrer Schulter verspürte, wollte sich ihr aufgewühlter Geist etwas beruhigen.

„Kein Grund nervös zu werden, Melamin, mein Vater wird ganz begeistert von dir sein – so wie jeder, der sich in deiner Nähe aufhält." Noch bevor sie eine zweifelnde Antwort geben konnte, hatte er auch schon die Tür aufgestoßen und sie sanft in den Raum hineingeschoben. Es war kein übermäßig großes Zimmer, wie etwa der Ballsaal, doch auch hier zeugte jedes noch so kleine Detail vom schier unermesslichen Reichtum Gadaras. An den Wänden hingen prunkvolle Gobelins, die den Raum auch in ungemütlicheren Jahreszeiten angenehm warm halten würden. Ein Luxus, der selbst in Residenzen Adeliger keineswegs selbstverständlich war. Urplötzlich fühlte sie sich in ihrem einfachen Kleid schrecklich fehl am Platz.

Zu Ravenas großem Entsetzen konnte sie lediglich den Elbenkönig ausmachen. Damit verpufften all ihre heimlichen Hoffnungen, sich unauffällig hinter den hohen Persönlichkeiten Gadaras verstecken zu können, im Nichts. Als blende sie die Erscheinung des Königs, hielt sie ihren Blick tief gesenkt. Auch im hellen Licht des Morgens hatte Legolas' Vater nichts von seinem majestätischen Auftreten verloren. Die aufsteigende Sonne selbst schien ihm geneigt zu sein. Ihre glanzvollen Strahlen umfingen Thranduil gleich einer Korona, badeten ihn in pures Gold. Dabei kleidete ihn noch immer ein Reisegewand, Legolas' Geraderobe nicht unähnlich. Die Farben des Düsterwalds, grün und braun, trug er mit unverkennbarem Stolz.  Sie hatte wahrlich einen König vor sich stehen.

„Mein Sohn", bei ihrem Eintreten erhob er sich würdevoll, „es erfreut mein Herz, dass es dir wieder besser zu gehen scheint. Wie ich sehe, hattest du in der Tat das rechte Heilmittel zu Händen." Mit seinem melodischen Lachen umfing er Legolas in einer herzlichen Umarmung, schien für einen Moment die seltene Nähe seines Sohnes zu genießen, bevor er ihn wieder frei gab, um sich endlich Ravena zuwenden zu können – der Frau, der es gelungen war, das Herz seines einzigen Sprösslings zu erobern.

Die linke Braue neugierig in die Höhe gezogen, nahm er das Mädchen in Augenschein. Ravena, die zuvor beseelt die innige Begrüßung zwischen Vater und Sohn verfolgt hatte, wurde sich jäh wieder ihrer unangenehmen Situation bewusst. Sie stand dem Elbenkönig des Düsterwalds gegenüber, dem Vater des Mannes, den sie liebte. Sich angesichts solcher Perfektion unzulänglich fühlend, senkte sie ein weiteres mal die Augen – dieses mal aus Scham: Wie nur hatte sie es jemals wagen können, Legolas für sich zu beanspruchen? Sein Herz zu erobern? Er hatte etwas besseres als sie verdient. Unvermittelt ergriff der Königssohn die Hand seiner Geliebten, bekundete offen ihre Zusammengehörigkeit.

„Darf ich dir Ravena vorstellen, Vater?" Seine Worte waren schlicht gewählt, doch mit solch einer Liebe, solch einer Zärtlichkeit durchwirkt, dass kein Zweifel mehr an seinen wahren Gefühlen herrschen konnte. Dankbar drückte sie seine Hand.

„Sieh mich an, mein Kind." Des Königs liebliche Stimme zeugte von ungeahntem Ernst. Trotzdem ward es Ravena, als werde sie von großer Güte umfangen. So zögerte sie nicht einen Augenblick, seiner Aufforderung Folge zu leisten. Zu ihrer Überraschung sah sie sich nicht den flammenden Höllenfeuern, sondern einem warmen Lächeln gegenüber. „Du liebst also meinen Sohn?" Es war mehr eine Feststellung, denn eine tatsächliche Frage. Dennoch nickte Ravena, wissend, dass sie dem König eine aufrichtige Antwort schuldig war.

„Ja Herr, mehr als alles andere." Sie schaute ihm fest in die Augen, widerstand dem Drang erneut den Blick zu senken. Bis zum Bersten gespannt erwartete sie sein Urteil. Ob er ahnte, dass ihre Gefühle ehrlicher Natur waren? Dass sie mehr war, denn eine Dirne, eine willige Gespielin für die Dauer der Nacht? Als sie sich ihres ungebührlichen Verhaltens erinnerte, stahl sich auf heimlichen Schleichpfaden wieder die lästige Röte auf ihre Wangen.

Erstaunlicherweise lag keine Wut in seinen Blicken, vielmehr ward es Ravena für die Dauer eines Lidschlags, als wäre er von einer grenzenlosen Traurigkeit ergriffen, als befände er sich in den Schlingen einer schleichenden Melancholie. Rührte diese Schwermut von ihr her? War er enttäuscht über die Wahl seines Sohnes? Verzweifelt wünschte sie sich ein tiefes Loch herbei, in das sie würde versinken können. Sie hatte gewusst, dass er sie niemals an der Seite seines Sohnes akzeptieren würde, dass sie in seinen Augen Legolas nicht würdig war. Wer war sie denn schon?

Nun senkte Ravena doch ihr Haupt, Tränen verbergend, die ihren Blick trübten, sie alles aus einem verschleierten Vorhang düsterer Vorahnungen wahrnehmen ließen. Niemals würde sie anfangen zu weinen, nicht vor diesem König, nicht vor Legolas. Sie mochte keine Adelige sein, doch auch sie besaß ihre Würde – und die würde sie zu bewahren wissen.

Umso überraschter war sie, als Ravena plötzlich spürte, wie sanfte, aber bestimmte Finger sie dazu zwangen, ihren Blick wieder zu heben. Es waren des Elbenkönigs Augen, denen sie sich gegenüber sah.

„Es ist mir eine Ehre, dich in unserer Familie begrüßen zu dürfen." Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Meine Tochter."

Ravena glaubte ihren Ohren niemals wieder mehr Vertrauen schenken zu dürfen. Er hatte sie Tochter genannt! Legolas' Vater hatte sie tatsächlich Tochter genannt, sie in seiner Familie willkommen geheißen! Bestimmt war sie noch am Träumen. Schon bald würde sie in Legolas' starken Armen aufwachen und feststellen, dass alles nur eine schöne Illusion gewesen war – zu schön, um jemals Wirklichkeit zu werden.

Doch Legolas' strahlendes Gesicht, sowie Gimlis laute Beifallsbekundungen belehrten sie schon bald eines besseren. Die Illusion war in der Tat zur Wirklichkeit geworden, Legolas' Vater hatte sie akzeptiert – als Familienmitglied, nicht als Bettgespielin.

„Danke, Herr." Der Klos in ihrem Hals wollte nicht recht weichen, doch dieses Mal standen ihr die Tränen aus purer Freude in den Augen. Am liebsten hätte sie Legolas' Vater stürmisch umarmt.

Auch Thranduil rang um seine Fassung. Er war hin und her gerissen zwischen der Freude über Legolas' neu gewonnenes Glück und dem Wissen über die Tragik, die aus dieser Verbindung erwachsen würde. Seine Frau war nach Valinor aufgebrochen, kaum dass Legolas der Wiege entwachsen war.  Seit damals bedeutete sein Sohn alles für ihn. In den Zeiten des Schattens hatte er Thranduil stets die Kraft gegeben Saurons Arm zu wiederstehen, seinem Volk ein sicheres Leben zu ermöglichen – ganz ohne die Macht eines Ringes. Was nur sollte er tun, wenn ihm jetzt auch sein Sohn, die wenige Familie, die ihm noch blieb, entrissen würde?

Und doch war er klug genug zu erkennen, dass er sich nicht gegen diese Liebe stellen durfte. Legolas liebte dieses Mädchen. Jede seiner Bewegungen, all seine Worte waren von Zuneigung für sie durchdrungen. Die zarte Pflanze ihrer Liebe mochte noch jung und zerbrechlich sein, doch es war unverkennbar, dass sein Sohn sich an Ravena gebunden hatte, mit allen Konsequenzen. Sollte er ihre Beziehung nun verbieten, würde Legolas nur früher erfahren, was der Verlust einer geliebten Person bedeutete. Er würde früher die Schmerzen eines gebrochenen Herzens spüren, früher in Mandos Hallen eingehen. Plötzlich fühlte Thranduil sich alt – alt und ausgelaugt wie ein verdorrter Baum. Nein, ein Sohn sollte wahrlich nicht von dem Vater zu Grabe getragen werden.

„Dann lasst uns jetzt frühstücken.", Thranduil fasste sich schnell wieder, „Der Baron war so gütig, uns ein wenig Abgeschiedenheit zu ermöglichen. Ich habe dich so lange nicht gesehen, mein Sohn, es wird mir ein großes Vergnügen sein, all deinen Abenteuern zu lauschen. Ich bin schon gespannt, wie es dieser temperamentvollen jungen Dame", mit einem beinahe verschmitzten Lächeln erinnerte er sich ihrer ersten Begegnung, „gelungen war, dein Herz zu erbobern."

*~*~*

Das Lachen des Elbenkönigs erfüllte den Raum.

„Mit Äpfeln?" Heiter bedachte Thranduil seinen Sohn mit einem bedeutungsvollen Blick. „Mir scheint, die Dame deines Herzens besitzt in der Tat ein außerordentliches Temperament." Ein Temperament, das man für den Moment freilich nur erahnen konnte. Ravena, dem König gegenüber sitzend, lauschte den Erzählungen Gimlis und Legolas mit hochrotem Kopfe. Wie konnten die beiden sie nur derart in Verlegenheit bringen? Wenigstens schien der Herrscher Düsterwalds nicht erzürnt zu sein. Ganz im Gegenteil, er amüsierte sich köstlich. Lediglich in stillen Momenten schien ihn diese unbestimmte Traurigkeit zu übermannen.

„Ja, das hat sie, Vater." Legolas ergriff ein weiteres mal Ravenas Hand, bedeutete ihr, dass sie sich nicht schämen musste. Versonnen beobachtete der König den heimlichen Austausch von Zärtlichkeiten zwischen den beiden Liebenden. Thranduil war kein Narr. Er wusste, dass sein Sohn schon viele Elbenfrauen in seinem Bett gehabt hatte, und doch war Legolas nie soweit gegangen, Liebkosungen in die Öffentlichkeit zu tragen.

Sobald er diesem Mädchen in die Augen schaute, schien er wie ausgewechselt zu sein, schien er von innen heraus zu strahlen. Ach, weshalb nur konnte sie nicht elbischen Blutes sein? Der Herrscher Düsterwalds war ganz bezaubert von ihrem Wesen. Sie war erfrischend aufrichtig, nicht verdorben von höfischen Ränkespielchen – und sie liebte seinen Sohn. Auch das war offensichtlich.

„Ravena, ein außerordentlich schöner Name.", bedächtig ließ Legolas' Vater den Namen für einige Sekunden im Raume stehen.  „Wo nur hab ich ihn schon einmal gehört?" Für die Dauer der Nacht hatte nicht eine Minute vergessenden Schlafes über ihn kommen wollen, ihn von den quälenden Ahnungen und Unnützen Grübeleien zu befreien. So hatte er denn zu den Sternen hinauf geschaut, in ihrem ewigen Glanze den Trost gesucht, den ihm der Schlaf nicht bereit war zu geben. Trost, den sie ihm in dieser Nacht nicht zu schenken vermochten. Immer wieder waren seine Gedanken zu dem rothaarigen Mädchen gewandert, immer wieder hatte er sich gewünscht, sie hassen zu können – und immer wieder hatte er erkennen müssen, das es ihm einfach nicht gelingen wollte.

Dieses rote Flachs ihrer Haare, dieses ungewöhnliche Blau ihrer Augen. Wo nur hatte er sie schon einmal gesehen? War er ihr überhaupt schon einmal begegnet? Die gesamte Nacht lang hatte ihm diese Frage keine Ruhe gönnen wollen. Es ward vor gut vierzehn Jahren, dass er das letzte Mal einen Fuß auf Gondors Erde gesetzt hatte. Zu dieser Zeit bereiste er mit Legolas das schöne Ithilien. Ob Ravena ihm schon damals aufgefallen war? Aber dann wäre sie selbst nach menschlichen Maßstäben noch ein Kind gewesen, kaum der Wiege entwachsen. So sehr er sich auch darum bemühte, des Rätsels Lösung ließ sich nicht greifen. Er seufzte auf. Vielleicht hatte sein Geist sich auch einfach nur im Nebel der Torheit verirrt, vielleicht war er einfach nur von Sinnen.

„Meinen Namen, Herr?" Überrascht horchte das Mädchen auf, rief Thranduil wieder in die Wirklichkeit zurück. Auch Legolas und Gimli sahen sich erstaunt an.

„Sag mir, Ravena, wer sind deine Eltern?" Höchst interessiert wartete der König auf eine Antwort. Vielleicht würde sie ja den Schlüssel zu allen Lösungen in sich bergen.

„Meine Eltern sind von einfachem Stande, Herr. Mein Vater ist Ulfert Dunkirk aus Ithilien und meine Mutter ist Saphria." Ravena war es, als rufe die Nennung ihrer Heimat wage Erinnerungen wach.

„Dunkirk... Ithilien..." Wieder sprach er die Worte vor sich hin, ließ sie für einen Moment unkommentiert im Raume stehen, als erleichtere ihm dies, Altes wieder zum Leben zu erwecken. „Dunkirk... Dunkirk...hm..."

So gespannt wie Legolas' Bogen hingen ein Mädchen, ein Elb und ein Zwerg an den Lippen des Herrschers. Was nur mochte all dieses seltsame Gebaren zu bedeuten haben?

„Ha!" Von einem lauten Aufruf begleitet, ließ er seine Hand auf den Tisch herunterschnellen, sodass Gläser und Geschirr einen fröhlichen Reigen tanzten. „Ich hab's!" Er hatte den rechten Weg aus den Nebeln der Vergangenheit gefunden. In lichteren Gefilden war er auf dem Pfad der Erinnerung gewandert, hatte den verlorenen Schlüssel wiederentdeckt. 

„Was hast du, Adar? Woher kennt du Ravenas Namen?" Verstört betrachtete Legolas seinen Vater. Wenn er doch endlich erfahren würde, was sich hier abspielte. Doch Thranduil schien noch nicht geneigt zu sein, die Übrigen in seine Gedankengänge mit einzubeziehen. Stattdessen wandte er sich ein weiteres mal Ravena zu.

„Ravena, dein Vater", beinahe verschwörerisch, senkte der König die Stimme, „war nicht zufällig Pferdehändler?" Für einen Moment vergaß das Mädchen sogar ihren Mund zu schließen.

„Ja... ja", setzte sie schließlich an, nachdem sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte. „Meine Eltern besaßen ein kleines Gut in Ithilien und eine unserer Haupteinnahmequellen war in der Tat die Pferdezucht. Verzeiht, aber woher... woher wisst Ihr das?", wagte Ravena es nun doch zu fragen. Das Erstaunen stand ihr noch immer deutlich ins Gesicht geschrieben. Ein kurzer Blick zu Legolas verriet ihr, dass dieser ebenso sehr im Dunkel tappte, wie sie selbst.

„Vater, du kennt Ravenas Eltern?" Aufgeregt ergriff das Mädchen seine Hand, übertrug ihre eigene Spannung allein durch die bloße Berührung ihrer beider Haut.

„Lasst mich euch eine kleine Geschichte erzählen, Kinder." Für einen schier endlos scheinenden Moment ruhte sein lachendes Gesicht auf dem Paar. Konnte das noch Zufall sein oder sandten die Valar ihm auf diese Weise ein Zeichen, ihm verheißend, dass diese Liebe bereits von Anbeginn an vorbestimmt war?

*~*~*

Ob euch das hier wohl gefallen hat? Bitte schreibt mir doch eine Review. Ihr macht mich damit so unsagbar glücklich:)