Kapitel 2

Bloody Marie

„Du hast noch gar nicht gefragt, für was ich Dich brauche, Jack Sparrow."

Jack rappelte sich endgültig auf die Beine und kratzte sich hingebungsvoll an der Stelle, an dem ihre Stiefelspitze ihn getroffen hatte. Dabei hob er eine Augenbraue und deutete eine Verbeugung an.

„Mistress Marie, es ist mir vollkommen gleich."

Marie versetzte einem der Männer, die sie überwältigt hatte, einen Kinnhaken, da er offenkundig wieder zu Bewusstsein kam und nahm ihm de Waffengurt ab, um ihn sich umzuschnallen. Ihre Bewegungen waren schnell und sicher, als sie den Säbel und zwei Messer darin verstaute und sich dann aufrichtet. Das gesammelte Gold ließ sie in ihrem Ausschnitt verschwinden.

„Ich will Dein Schiff, Sparrow."

Jack schluckte.

„Äh, könnten wir über den Punkt noch mal re -?"

Doch sie war schon an ihm vorbei zur Tür hinaus. Jack seufzte und folgte ihr. Im Schankraum löste Maries Erscheinen für einen Moment Verblüffung aus, vor allem in Anbetracht ihrer neuen Bewaffnung, doch dann setzte sich das geschäftige Treiben fort. Pirate wussten, wann es besser war zu schweigen und zu feiern – also fast immer. Marie schlenderte auf die Tür zu und Jack seufzte erneut. Warum gelang es ihm eigentlich stets, das Unglück auf sich zu ziehen?

Draußen, in der dumpfen karibischen Nacht, blieb die Piratin abrupt stehen und rupfte entschlossen an ihrem Kleid. Mit einem Reißen gaben die Nähte nach und plötzlich trug die junge Dame nur noch lange Unterhosen und das Mieder.

„So ist das viel besser."

Sie wirbelte zu Jack herum, warf de überflüssigen Stoff zu Seite und ihre Augen blitzen.

„Ich will Dein Schiff, Jack Sparrow. Und Du kannst mir glauben, es soll nicht Dein Schaden sein. Dort, wo ich hinwill, gibt es für Dich und Deine Mannschaft reichlich zu holen."

„Und wo soll das sein?"

„Dominica." Ein kurzes Zögern lag in ihrer Stimme, doch dann straffte sich Maries Gestalt und sie stemmt die Hände in die Hüften. „Mehr Gold als Du Dir vorstellen kannst, Jack."

Er wusste nicht recht, ob in diesem Augenblick das glänzende Metall oder der Anblick von Maries Brüsten interessanter war, also nickte er einmal kurz und schluckte trocken.

„Gut, dann ist das abgemacht", sagte sie selbstzufrieden und lächelte dann, atemberaubend weiße Zähne zeigend.

‚Sparrow, Du bist ein Idiot, aber was für ein glücklicher!'

„Eh, außer Gold, wäre da noch etwas drin für mich?"

Er trat einen Schritt näher.

„Jack", kam es tadelnd zurück. „Denk noch nicht mal dran."

„Ich küsse schon jetzt den Boden unter Deinen Füßen."

Marie lachte schallend und schlug ihm auf die Schulter.

„Du bist in Ordnung. So, kommen wir zur Erklärung." Sie ging die Gasse hinunter in Richtung Hafen und Jack folgte ihr, wissbegierig lauschend. „Der Gouverneur von Dominica hatte eine Tochter, die in England lebte. Er hat sie zehn Jahre nicht gesehen und ließ sie kürzlich nachkommen. Zu ihrem Unglück wollte das Handelschiff, das sie beförderte, nicht den üblichen Zoll zahlen und die Kleine kam ums Leben. Und ich nahm ihren Platz ein."

Jack verschränkte die Arme und blies sich eine Strähne Haar aus dem Gesicht. Er grinste.

„Du willst an das Geld des Mannes kommen, nicht wahr? Schämst Du Dich denn gar nicht?"

Marie zwinkerte ihm zu.

„Ach, der Gute hat es gar nicht gemerkt. Ich kam also an und wurde herzlich willkommen geheißen. Während meine Mannschaft von Bord ging und sich ein nettes Leben machte, öffnete Gouverneur Parkins sein Herz und auch seine Börse. Dummerweise hielten mich ein paar Idioten für die echte Tochter – und deswegen bin ich hier."

Jack gab ein glucksendes Geräusch von sich.

„Und die Jungens wollten Lösegeld erpressen. Tststs. Und wie komme ich ins Spiel? Als Dein hochherziger Retter?"

Sie maß ihn mit einem Blick, der alles sagte.

„Nicht ganz, Sparrow. Wenn ich mir Dich so ansehe, dann sehe ich einen Piraten. Der Gouverneur ist nicht ganz so dumm wie Du glaubst. Bring mich einfach nach Dominica und gib mir in einem Beiboot ein paar vertrauenswürdige Männer mit. Sie werden Dir Deine Belohnung vorbeibringen."

Während er ihr halbherzig zuhörte, wuchs in Jacks Kopf ein Plan. Genial einfach, gewinnbringend – und sicherer, als ein paar seiner Männer der Gefahr auszusetzen, beim Landgang von Maries Mannschaft hochgenommen zu werden. Er hob einen Finger.

„Mir schwant, dass ich dabei keine gute Figur machen werde. Und ich traue nun mal keiner Frau, die Hosen trägt." Skeptisch maß er ihre gerüschte Unterwäsche mit einem Blick. „Ich habe einen anderen Vorschlag."

Sie erreichten den Kai, der die schmale Einfahrt in einem Halbkreis umschloss und Jack deutete voller Stolz auf die „Black Pearl", deren schwarze Masten hoch in den dunklen Nachthimmel aufragten. Taue knarrten im lauen Wind und hier und dort war das Geräusch trippelnder Rattenfüße zu hören. Salzwasser schwappte gegen die Mauern des Kais und Möwen umflogen kreischend ein kleines Fischerboot, das just in diesem Moment anlegte.

„Und welchen?" Marie sah zum Mast der „Pearl" empor und gab sich gelangweilt.

„Wir bringen mein Schiff nach Dominica – in den Hafen. Ich glaube, dass das eine gute Rückversicherung ist, dass ich mein Gold bekomme. Von Bord gehen wird an Deiner Seite ein gutaussehender, charmanter Mann, dem niemand den Piraten ansieht und er wird es auch sein, der Dich dem Gouverneur übergibt."

Marie hob die Schultern, nickte dann nach einer kleinen Weile und streckte ihm dann die Hand entgegen, in die er einschlug.

„Und wo willst Du hier so einen Mann finden?"

Jack nahm ihre Hand, die er noch immer hielt und hauchte einen Kuss darauf, dann sah er hinauf zum höher gelegenen Teil der Insel.

„Finden? Ich weiß wo er ist."