Kapitel 4

Feuer in der Nacht

William schreckte hoch und saß einen Moment schwer atmend im Bett, bevor er sich das feuchte Haar aus der Stirn strich. Dann stand er auf und ging zur Waschschüssel, um sich mit einem Tuch die Stirn abzuwischen. Es hatte aufgehört zu regnen und nun war es drückend heiß und feucht im Haus. Es war noch weit vor Sonnenaufgang, also hatte er nur ein, zwei Stunde geschlafen.

Die Stirn gerunzelt, ging er langsam zu seiner Schlafzimmertür. Was war es, das ihn geweckt hatte? Kein böser Traum, eher eine Art seltsame Unruhe, die ihm noch in den Gliedern steckte. Dann hörte er ein Knacken auf den Dielen und spannte sich an. Mit einem Griff war er bei seinem Degen und riss die Tür auf, um auf den Flur zu gelangen.

Der Schlag traf ihn unvorbereitet auf den Kopf, doch er ging nicht bewusstlos zu Boden, sondern es gelang ihm noch, sich im Fallen zu drehen und nach dem dunklen Schatten zu stechen, der neben ihm aufragte. Auf die Knie gesunken, hörte er einen verdutzten Aufschrei und ein Klappern. Der Degen seines Angreifers polterte zu Boden und kurz darauf Schritte die Treppe hinauf.

„Scheiße, der Kerl hat Smitty erwischt!"

William blinzelte schmerzvoll, sich mit einer Hand auf den Dielen aufstützend, als eine Fackel entzündet wurde. Auf dem Treppenabsatz standen sechs wild aussehende Gestalten und eine sechste war direkt neben ihm an der Wand entlang zu Boden geglitten. Blut färbte die Tapete dort, wo sein durchstochener Bauch entlanggeglitten war.

Und just in diesem Moment öffneten sich am anderen Ende des Ganges die Türen und drei Gestalten kamen daraus hervor. William ächzte, als er neben Jack und Marie, beide zur Nacht gekleidet, aber voll bewaffnet, auch seinen vierjährigen Sohn Justin erkannte, der mit großen Augen die Geschehen betrachtete. Die Piraten verharrten kurz im Angesicht des geänderten Größenverhältnisses, doch dann knirschte der dunkelhäutige Mann an der Wand:

„Legt sie um. Die Schlampe brauchen wir lebend."

Pistolen wurden gezogen und Sekunden später brach die Hölle los. Schüsse peitschten durch den Flur und William erhielt von einem der anstürmenden Piraten einen Tritt gegen seine Rippen, der ihn zur Seite warf, ihm es aber gleichzeitig ermöglichte, durch den Schwung wieder schwankend auf die Beine zu kommen. Mit einem wütenden Brüllen warf er sich auf die Angreifer, die es gewagt hatten, in den Frieden seines Heimes einzubrechen. In den Augenwinkeln sah er Jack auftauchen, der kaum aus den Augen zu sehen schien, so müde wirkte er, doch der Pirat ließ es sich nicht nehmen zu bemerken:

„Aye, Will Turner, das ist ja wie in alten Zeiten."

„Wo ist mein Sohn?" William spießte wütend einen der Piraten auf, der anscheinend Probleme damit hatte, sein langes Entermesser zu ziehen und wandte sich direkt dem nächsten zu. In dem langen, aber nur sehr engen Gang zwischen den Schlafzimmern stellte sich jeder Stoß der Klinge als Wagnis heraus und an Deckung war nicht zu denken. Jack drehte kurz den Kopf und blickte dann zu William mit einem Ausdruck in den Augen, der dem Schmied das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er wagte es nicht, sich selbst umzudrehen, in panischer Angst vor dem, was er sehen könnte und trieb seinen Gegner weiter in Richtung der Treppe. Dort tauchte plötzlich ein massiger, schwarzer Schatten auf und eine Machete blitzte im trüben Licht der Fackel. Jerome spießte Wills Gegner ohne mit der Wimper zu zucken auf und nickte seinem Herrn zu, dann warfen sich die beiden Männer gemeinsam gegen die restlichen Piraten, die Jack momentan alleine bändigen musste. William sah noch, dass am Ende des Ganges etwas oder jemand lag und der plötzliche Schmerz, der ihn durchzuckte, raubte ihm fast den Atem. Doch da fielen eine Hand und eine Fackel zu Boden und die Schatten schluckten den Rest des Ganges für eine kleine Weile. Blut bildete Lachen und funkelte trügerisch rot im Schein der Flammen, die begannen, sich langsam auf die Tapete auszuweiten.

Der letzte Pirat fiel in sich zusammen und Jack zog seine Klinge aus dem toten Körper, dann reagierte er schneller, als Will es mit seinem schmerzenden Kopf gekonnt hätte. Mit einigen Tritten versuchte er, die Flammen zu löschen, doch es war bereits zu spät. Die Decke begann zu brennen und nur breitete sich beißender Rauch in dem Flur aus. William atmete zitternd aus und ein.

„Jerome, hol Deine Frau und bring sie raus. Jack, geh mit und sieh, dass keine Überraschungen warten. Ich komme nach." Seine Stimme klang erstaunlich ruhig und befehlsgewohnt. Doch Sparrow schüttelte nur kurz den Kopf und hüpfte über die Leichen, an den Flammen vorbei und in den hinteren Bereich des Flurs, der nun wieder beleuchtet war und William sah, wie der Pirat erstaunlich sanft die zwei Gestalten voneinander zu lösen begann, die dort lagen. Da erwachte er aus der Erstarrung und lief hinter seinem alten Kampfgefährten her, um seinen Sohn aus Jacks Händen zu reißen. Mehr als ein Moment verging, bis er sich gewahr wurde, dass die kleine Gestalt in seine Armen, die ihn so sehr an Elisabeth erinnerte, atmete und dass das Blut, das seine Kleidung tränkte, nicht das sein war. Tränen stiegen ihm kurz in die Augen, ausgelöst vom inzwischen dichten Rauch und seiner unbändigen Erleichterung.

„Tja, war wohl nur ein Schlag auf den Kopf. Hier sieht's aber übler aus, denke ich." Jack drehte die bewusstlose Marie um, fühlte kurz ihren Puls und warf sie sich kurzerhand über die Schulter. „Und jetzt mal hü, mein Freund."

Halb blind, Justins Kopf gegen seine Schulter gedrückt, um ihn nicht den Rauch einatmen zu lassen, drückte William sich an der Flammenwand vorbei. Er fühlte die Hitze nicht einmal, das einzige, das ihn bewegte, war, dass sein Sohn nicht ernsthaft zu Schaden kam. Erst als er draußen vor der Tür zusammensackte, setzte sein bewusstes Denken wieder ein. Jeromes starke Arme fingen ihn auf und führten ihn zu dem Fuhrwerk, das angeschirrt auf sie wartete und half ihm auf die Ladefläche. Jack schob Marie neben William, half galant noch Nanny auf den Kutschbock neben ihren Mann und sprang dann selbst auf.

Die Zügel knallten und rumpelnd setzte sich das Gefährt in Bewegung. William blickte auf, wie betäubt, und sah, wie die ersten Feuerzungen aus dem Dachstuhl leckten. Sein Zuhause ging in Flammen auf und es gab nichts was er dagegen tun konnte. Funken regnete auf das Dach der kleinen Schmiede und auch dort begann es langsam aber sicher zu brennen. Noch war das Holz nass vom Regen der Nacht, aber der Macht des Feuers gab es nicht viel entgegenzusetzen. Dichter, schwarzer Rauch stieg auf in den Himmel und musste von überall auf der Insel gut zu sehen sein.

In seinen Armen regte sich Justin, schlug die Augen auf und fing an zu weinen. William hob ihn an, flüsterte ihm beruhigende Worte ins Ohr und als er das nächste Mal zum Haus sehen wollte, da war es schon nicht mehr hinter der Wegbiegung zu erkennen. Er seufzte bitter und hörte Nannys fassungsloses Schluchzen. Die alte Kinderfrau hatte sich an Jerome gelehnt und hatte das Gesicht in den Händen verborgen – es war auch ihr zuhause, das verlorengegangen war.

„Was machen wir jetzt?", fragte er und meinte damit eher die Welt als irgendjemand bestimmten. Jack fühlte sich natürlich bemüßigt zu antworten. Er war dabei, Maries langes Nachthemd systematisch zu verkürzen und die Schusswunde in ihrer Schulter zu verbinden.

„Wir sollten kucken, dass wir auf die „Pearl" kommen und sehen, dass wir Land gewinnen." Er legte den Kopf schief und tätschelte etwas unbeholfen Maries Wange. Dann entgleisten vom einen Moment auf den anderen seine Gesichtszüge.

„Was ist?" fragte William alarmiert und sah sich panisch um. Waren die Angreifer doch zahlreicher, als er gedacht hatte? Jack schüttelte in tragischer Geste den Kopf.

„Ich glaube, meinen Hut hat's erwischt."

Da erwischte ihn Williams Faust.