Author's Note: Hier sind wir mit dem 6. Kapitel. Ich hab etwas Bedenken, ob es nicht das sittliche Empfinden verletzt, deswegen hab ich versucht, die diversen Enthüllungen so jugendfrei wie möglich zu halten. Was allerdings zur Folge hat, dass man vielleicht etwas denken muss, um zu verstehen, was Crispin Malfoy Lucius da eigentlich klarmachen will. Aber führts Euch erst mal zu Gemüte, dann könnt Ihr mir ja sagen, ob Ihr auf Anhieb verstanden habt, wovon die Rede war : )

Ich kann nur sagen, ich bin wiedermal entzückt über das viele Feedback. Wheeeeee : ) Heißen herzlichen Dank an bia, candy, fairy, ac., tashgan, noir, mimim, das-som, meta & maia!

candy: wow, sogar aus Südfrankreich krieg ich Post! Du passt gut auf, wenn ich in den Epilogen anderer Stories Details einstreue, die noch wichtig werden könnten, was? Ich würde sagen, hier bist Du auf der richtigen Fährte. An Snapes Geschichte hab ich einiges geändert, es hat mir selber wehgetan : (

tashgan: jau, ich nenn das Geschreibsel im Gegesatz zu Gedrucksel : ) das eine kann man vorzeigen, das andere muss man zwischen zwei Buchdeckeln versteckeln ; ) Stimmt, ich mag Lily ziemlich gern. Mehr als James, aber ich denke, das ist verzeihbar... Mmh, das ist so meine Art: ich streueFährten, bis alle ganz verwirrt sind. Aber am Ende klärt sich alles!

noir: Du darfst raten : ) aber ich kann das noch nicht beantworten! Einfach dran bleiben, im nächsten James-Kapitel gibts neue Hinweise auf die gewisse Person.

mimim: ich denke, ich verschmelz die beiden zu einer Person. Ich hätte schon gern, dass HBP in diese Geschichte passt bzw. umgekehrt, also ändere ich die altbekannten Tatsachen ein wenig ab.

das-som: ja, das hatte ich absichtlich da nochmal untergebracht. Beide, die Person und der Ort werden noch extrem wichtig für James' ganz persönliches Seelenheil lol

meta: stimmt, der Slytherin-Ring ist es nicht. Der taucht aber auch noch auf! Ich schwöre, ich hatte die Idee mit dem Ring an der Kette früher als HBP. James ist bei mir nur ein Opfer der Umstände - falsch erzogen, das Kind. Ein bisschen wie bei Malfoy nur genau in die andere Richtung. Auf den Tippfehler bin ich schon aufmerksam gemacht worden. Ich kann mich nur damit entschuldigen, dass b und n auf der Tastatur doch ziemlich nahe beieinanderliegen. James ist von den dreien hier mit Sicherheit am schwersten zu schreiben. Merkt man das? ; ) Am einfachsten ist Voldemort zu schreiben, am schwersten Remus Lupin. Aber frag mich nicht warum... Ich glaube, ich bin auf den Namen Nathaniel gekommen wegen der Bartimäus-Bücher. Dabei sind die von der Persönlichkeit her ganz unterschiedlich, komisch.

alle: die mysteriöse Dame war nicht so schwer zu identifizieren, hm? Bloß: was macht sie auf Großvater Potters Schreibtisch. Tjaja, schon alles sehr seltsam. Da wird mir nichts übrig bleiben, als fleißig weiterzuschrieben und das Rätsel zu lösen... Aber jetzt erst mal zurück zu den verkorksten Familienverhältnissen der Malfoys.

Kapitel 6: Lucius

Mehrt man das Wissen, mehrt man den Schmerz. -- Koheleth

In Malfoy Mansion herrschte jene besondere Art der Stille, die eintritt, wenn viele Besucher auf viele Räume verteilt schweigend beieinandersitzen. Lucius fühlte sich an ein Museum erinnert, nur dass der Lichteinfall bei weitem zu beschränkt war, um Kunstwerke zu betrachten. Es war ein regnerischer Tag, kalt für die Jahreszeit und düster genug, dass dem Haus ein paar zusätzliche Kerzen nicht geschadet hätten. Allerdings schienen die Hauselfen der Auffassung, dass die speziellen Umstände ein herkömmliches Maß an Beleuchtung wohl verbäten, und so erinnerte der ganze Komplex bei Lucius' Rückkehr etwas an ein Mausoleum. Als er auf die Bitte der Blacks hin zum Bahnhof King's Cross aufgebrochen war, um die Kinder in Empfang zu nehmen, war er froh gewesen, der drückenden Atmosphäre seines Elternhauses für eine kleine Weile zu entkommen und hatte absichtlich jeden Gedanken an später verdrängt. Doch jetzt konnte er feststellen, dass es ihm gar nicht mehr so viel ausmachte. Vielleicht war es die Aussicht, dass den Alten in Bälde der Teufel holen und dann endlich alles vorbei sein würde. Oder dass er Bellatrix an seiner Seite hatte.

Erwartungsgemäß hatte sie, sobald ihre Cousins in die Droschke geklettert und somit außer Hörweite waren, die Gelegenheit ergriffen, die Frage zu stellen, mit der Lucius bereits gerechnet hatte: "Warum ist meine Mutter nicht hier? Ihr fehlt doch nichts, oder?" Es gefiel ihm, dass sie sich um Elladora Gedanken machte und auch die Art, wie sie das zeigte. Auf dem Gleis hatte er ihre Augen nach ihrer Mutter suchen sehen, die es sich sonst nie hatte nehmen lassen, ihre Mädchen persönlich abzuholen. Nun da ihr Liebling Bellatrix die einzige war, die Hogwarts noch besuchte, gab es keinen Grund, die Tradition zu ändern, daher befremdete es Bellatrix ein wenig, Elladora nirgends zu entdecken. Trotzdem hatte sie sich lange genug beherrscht, um sich im Privaten nach ihr zu erkundigen. Es war genau das Verhalten, das Lucius sich von seinem eigenen Kind vorstellte, wenn er irgendwann eins haben sollte.

"Ihr fehlt nichts," betonte er guter Dinge. "Die ganze Sippe hat sich in Malfoy Mansion versammelt, um dem Oberhaupt das allerletzte Geleit zu geben."

"Oh." Bellatrix brauchte keine weiteren Ausführungen um zu verstehen, worauf er anspielte. "Und sie haben dich hierhergeschickt? Du hättest nicht lieber an seinem Sterbebett sitzen wollen und ihn ausgiebig betrachten in seiner ganzen Qual?" Ihre Augen funkelten sardonisch. "Salazar weiß, du hättest es dir verdient nach all den Jahren." Er spürte, wie seine Mundwinkel sich unwillkürlich nach oben bogen. Ihre Blicke trafen sich in vollkommenem Einverständnis.

"Ich soll euch nur rasch aufsammeln und bei den Hauselfen in Grimmauld Place abgeben," erklärte Lucius. "Dann werde ich sofort wieder meine Pflichten nacheilen. Ich will mir schließlich nicht nachsagen lassen, ich wüsste nicht, was sich gehört - du verstehst mich doch?"

Bellatrix lachte und setzte mit spielerischer Leichtigkeit ihren eigenen Kopf durch. "Das träumst du aber nur, Lucius. Denkt irgendjemand dort im Ernst, das würde ich mir entgehen lassen? Ich weiß aus Erfahrung, dass bei Totenwachen und Testamentseröffnungen immer die unglaublichsten Gesprächsthemen aufkommen. Du wirst dich zu erinnern geruhen, wie Onkel Cepheus das Begräbnis meines Vaters mit dem Sturz meiner Mutter gleichsetzen wollte und anlässlich der Erbfolge ausfallend wurde."

"Stark angeheitert wie üblich," warf Lucius ein. Er erinnerte sich noch an Orion Blacks Begräbnis. Eine Beerdigung im Schnee. Elladora hatte ihr Gesicht hinter einem schwarzen Schleier verborgen. Narzissa und Andromeda hatten geweint; Bellatrix, die die Hand ihrer Mutter hielt, nicht. Orion, der älteste Sohn, hatte nur Töchter in die Welt gesetzt, was bedeutete, dass das Erbe samt Siegelring an Cepheus fiel und später an dessen ältesten Sohn weiterging. Zwischen den Brüdern hatte es deswegen zeitlebens eine Menge Streit gegeben, und auch ihre Frauen mochten sich nicht. Die Kinder wurden ebefalls in diesen Zank mithineingezogen. Doch gewöhnlich spielte sich all das hinter einer Fassade aus Wohlanständigkeit und Familienzusammenhalt ab.

"Sicher, was auch immer." Bellatrix machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ich weiß selbst, dass ich der dritte Fehlversuch meiner Eltern war. Aber ich werd's dem alten Säufer nachtragen bis dereinst Slytherins Erbe durch die Tore von Hogwarts schreitet. (Reinblüterredensart, die sich nicht drum schert, dass Slytherins Erbe inzwischen längst dort war, Amn. d. Schreiberlings) Der springende Punkt ist allerdings, ich habe das damals am eigenen Leib ertragen müssen - jetzt bin ich widerlich neugierig auf die schmutzige Wäsche anderer Leute."

Dem war nicht viel hinzuzufügen. Sie lieferten die Jungen in Grimmauld Place ab - Sirius ließ keinen Zweifel daran, dass er eher Rasierklingen schlucken würde, als Malfoy Mansion zu betreten, und auch Regulus schien erleichtert, dass man dort ihren Typ nicht verlangte - und Apparierten nach Wiltshire. Lucius hob Bellatrix, die sozusagen per Anhalter mit ihm gereist war, auf die unterste Treppenstufe, als wäre sie noch ein kleines Mädchen und beide lachten ganz unziemlich vergnügt. "Du hast hoffentlich im Zug noch was gegessen," meinte Lucius, während sie ihrer Kleidung den nötigen Traueranstrich verlieh. "Die irdischen Genüsse werden warten müssen, bis der Alte das Zeitliche gesegnet hat."

"Berge von Süßigkeiten," erwiderte Bellatrix achselzuckend. "Ehrlich gesagt, mir ist ein bisschen schlecht, aber wenn alle was vom Trolley kaufen, probiert man natürlich mal von allem. Ich bereu es jedes Jahr aufs Neue." Sie musterten sich gegenseitig kritisch, ob sie auch heuchlerisch-betrübt genug dreinblickten und versicherten sich gegenseitig ihrer Pietät. Seite an Seite tauchten sie ein in die düstere Gruft, in die sich das Haus seiner Väter verwandelt hatte. Eine Reihe kleinerer Salons zierten das Erdgeschoss und den ersten Stock von Malfoy Mansion; dort hatte man die Trauergäste untergebracht. Kühle graue Augenpaare folgten ihnen aus zahllosen Ahnenportraits auf ihrem Weg durch den Westflügel. Ein einziges, lebendiges begegnete kurz Lucius' Blick, ehe sein Vater sich wieder seiner langsamen Wanderung durch den Garten zuwandte. Tristan war also auch nicht in Crispins Sterbezimmer, sondern durchstreifte lieber den kleinen Garten beim Haus, fernab von seinem siechen Vater und den Gästen gleichermaßen.

Sie waren zu dritt gewesen, solange Lucius sich erinnern konnte. Drei Generationen unter einem Haus. Ein Einzelkind von einem Einzelkind, das von einem Einzelkind abstammte. Es hatte Vor- und Nachteile, allein zu sein, dachte Lucius. Anders als Orion Black würde er sich nicht erst gegen seine Geschwister durchsetzen müssen, um dereinst sein Erbe anzutreten. Doch das bedeutete nicht, dass er nicht dafür bezahlt hatte: Crispins Sadismus, Tristans Gleichgültigkeit, den Verlust seiner Mutter - alles hatte er von jeher allein ertragen müssen. Lucius sah seinen Vater zum Himmel blicken. Der Regen würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.

"Wo ist meine Mutter?" wandte Bellatrix sich gebieterisch an einen der Hauselfen. Die Blacks hatten sich in die Bibliothek zurückgezogen - zweifelsohne um zu beraten, wie man mit dem geschätzten Erbteil verfahren sollte, das ihnen aus Crispin Malfoys Tod zuwachsen würde. Lucius wollte sie dabei eigentlich nicht stören (sie würden früh genug herausfinden, dass der Alte mal wieder für eine unliebsame Überraschung gut gewesen war), doch er wusste auch nicht, was er sonst mit seinem angebrochenen Nachmittag anfangen sollte. Ganz sicher würde er sich nicht an Crispins Bett setzen und mit ihm auf den Tod warten. Hinunter in den Fechtraum zu gehen und ein bisschen zu trainieren, als wäre nichts, schien ihm jedoch etwas unpassend. Wenn er sich der Familie seiner Zukünftigen anschloss, würde das jeder normal finden.

Cepheus und Olive saßen nebeneinander auf der Chaiselongue und spielten mit ihren Teetassen wie zwei Teenager, die den nächsten Schritt in ihrer Beziehung herbeisehnen und gleichzeitig davor zurückschrecken. Schwer vorstellbar, dachte Lucius, wie die beiden es fertiggebracht haben, nicht nur eins, sondern gleich zwei Kinder in die Welt zu setzen. Gäbe es nur Sirius, würde ich sagen, sie haben es einmal probiert und es hat ihnen nicht gefallen. Salazar weiß, sie machen nicht den Eindruck, als sei das Eheleben die Erfüllung ihrer geheimsten und unaussprechlichsten Sehnsüchte. Andererseits tut das niemand hier.

Alphard Black hatte nie geheiratet. Lucius glaubte, dass er mit Frauen nichts anfangen konnte - oder vielleicht eine romantische Zuneigung zu seiner Schwägerin hegte. Elladora war allein seit dem Tod ihres Mannes und schien damit gut zurecht zu kommen. Auch sie, fand Lucius, war ein perfektes Beispiel für die herrschende Moral der alten reinblütigen Familien. Ein Frau hatte in der Öffentlichkeit die perfekte Lady zu sein: emotionslos und unantastbar, zugeknöpft bis unters Kinn. Über das, was im Schlafzimmer an der Tages- oder besser Nachtordnung war, machte man sich allerdings besser keine Illusionen. Elladora hatte sich diesen Zwängen und Forderungen mit einer unnachahmlichen Nonchalance angepasst, doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Ihren hohen Rang im Dunklen Orden hatte sie nicht erhalten, weil sie wusste, in welcher Höhe eine Dame in Gesellschaft die Beine übereinanderschlagen durfte.

Lucius erinnerte sich an sie, wie sie gewesen war, als ihr Mann noch lebte. Da hatte es jene Tage gegeben, wenn sie Gewänder mit einem hochgeschlossenen Kragen getragen hatte, auch im Sommer. Und einmal, als sie alle im Garten von Grimmauld Place nachmittags Tee getrunken hatten und sie sich über die Anrichte beugte, hatte er auf der Porzellanhaut ein Fluchmal entdecken können, gerade an der Stelle unterhalb des Ohrläppchens, wo der Kieferknochen endete. Seit Orions Tod hatte er sie nie wieder in hochgeschlossener Kleidung gesehen. Lucius Blick wanderte weiter zu Elladoras zweitgeborener Tochter, die neben ihrer Mutter in einem hohen Sessel saß. Narzissa gelang es von den hier Versammelten mit Abstand am besten, die dem Anlass angemessene Miene zur Schau zu stellen. Was für eine Ehe sollten sie dereinst unter solchen Voraussetzungen führen?

Bellatrix durchquerte den Raum mit ein paar raschen, lautlosen Schritten, legte die Hand auf die Armlehne ihrer Mutter und setzte sich auf ihre Fersen. Elladoras halbgeschlossene Augen öffneten sich und leucheten auf. "Ich habe früher mit dir gerechnet. Dass es dich nicht in Grimmauld Place hält, hatte ich natürlich miteinkalkuliert." Sie steckten die Köpfe zusammen, blond und dunkel, beinah identische Profile. Eine grausame, unbeugsame Frau und ihr grausamer, unbeugsamer Sprössling, dachte Lucius. Warum liebt sie Bellatrix so sehr und Narzissa und Andromeda nicht? Aber gleich darauf schalt er sich für diesen Gedanken. Andromedas Verrat hatte Elladora schwer zu schaffen gemacht. Wer konnte schon sagen, was wirklich hinter der undurchdringlichen Fassade seiner künftigen Schwiegermutter vorging?

"Lucius." Er drehte sich um, unangenehm überrascht, dass jemand in seinem eigenen Haus an ihn herantreten konnte, ohne dass er ihn hatte kommen hören. Da stand die alte Griselda Marchbanks und sah ihn aus dunklen Eidechsenaugen in ihrem Gesicht wie zerknittertes Papier an. "Er will jetzt mit dir sprechen."

Er spürte den kollektiven Blick der Familie Black in seinem Rücken, als er den Raum verließ. Das Schlafzimmer seines Großvaters befand sich unter dem Dach. Lucius hatte es eigenartig gefunden, dass der Alte in seinen letzten Wochen auf der Erde nicht lieber unten untergebracht sein wollte, wo er Gesellschaft hatte und sich von seinem Sohn und Enkelsohn und gelegentlichen Gästen erzählen lassen, was in der Welt vor sich ging. Dann wieder: wozu diese Heuchelei? Sie hatten die längste Zeit nebeneinanderhergelebt, um zu wissen, dass jeder von ihnen froh war, wenn er die beiden anderen nicht sehen musste. Und was in der Welt vor sich ging, konnte seinen Großvater ab einem gewissen Moment auch nicht mehr interessieren. Daher quälte sich Lucius hinter Griselda Marchbanks die Stiegen hinauf, betrat ein großes, finsteres Zimmer mit einer niedrigen Decke und ließ sich neben einem Bett mit einem lebenden Leichnam zwischen vier Pfosten nieder. Sein Großvater sah ihn an.

Crispin Malfoy war einhundertachtundzwanzig Jahre alt. Als Erstklässler in Hogwarts hatte er dort Albus Dumbledore noch als Schulsprecher erlebt. Mit dreißig war er Schriftführer der britischen Delegation gewesen, die in Sion mit Grindelwalds Vater über den Status von Wolkenkuckucksheim verhandelt hatte. Mit vierundfünfzig war er Leiter der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit. Mit sechsundsechzig hatte er zwei Ehefrauen verschlissen, von denen eine ihm den schwächlichen, gleichgütigen Sohn geschenkt hatte, der Lucius' Vater werden sollte. Mit zweiundneunzig stellte er Heinrich Grindelwald in eigener Person die Vertragsbedingungen der magischen Gemeinschaft Großbritanniens vor und verließ einen Raum, vollgestopft mit Hexen und Zauberern, die sein Blut sehen wollten, ohne sich umzudrehen und ohne einen Kratzer am Leib.

Mit dreizehn stand sein Enkelsohn in Hogwarts im Verteidgungsunterricht einem Irrwicht in Gestalt Crispin Malfoys gegenüber, der ohne die fiebrigen Augen von ihm zu nehmen, seinen Gürtel löste...

Doch das alles war vorbei. Vor Lucius lag ein Gerippe von einem Mann. Die verfaulte Hülle spiegelte den verfaulten Geist wider. Ein ausschweifender Lebensstil und die Tatsache, dass er nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst nicht geschont hatte für die Verwirklichung seiner Ziele, hatten ihn vor der Zeit altern und sterben lassen. Lucius betrachtete die knochigen Finger, die sich in die Decke krallten, die blutunterlaufenen Augen und den mageren Brustkorb, der sich mit rasselndem Atem hob und senkte. Er fühlte nichts. Nicht einmal Befriedigung oder Neugierde, was sein Großvater jetzt noch von ihm wollte.

"Näher," grinste der Alte ihn an. "Komm näher." Lucius gehorchte seufzend. Als sein Großvater so leise das Wort an ihn richtete, bemerkte er zum ersten Mal, dass sie nicht allein im Raum waren. Auf der Seite gegenüber dem Bett standen entfernte Angehörige, Respektspersonen der Zauberergemeinde. Die Stillen. Die Neutralen. Keine Anhänger von Voldemort, keine von Dumbledore. Seltsam, sie waren ihm nicht aufgefallen beim Hereinkommen. Er konnte seinen Vater nicht entdecken - offenbar war was gesagt werden sollte, nur für seine Ohren bestimmt.

"Lucius," summte Crispin Malfoy und die silbernen Augen seines Enkels wurden schmal und brannten von einer Sekunde zur anderen mit dem ganzen Hass seiner Kindheit, denn dies war genau der Ton, den Crispin stets angeschlagen hatte, bevor er sich an ihm verging. Crispin lachte leise und wurde prompt von einem Hustenanfall geschüttelt. Die Erinnerung, die er von Lucius' Gesicht ablesen konnte, schien ihm Vergnügen zu bereiten. "Ja," meinte er fast verträumt. "Du bist immer anders gewesen als Tristan, zornig und wild. Ich mochte das immer an dir. Und das beweist, dass ich richtig gehandelt habe,... mein Erbe." Er legte den Kopf schief. "Denn das bist du, wie du wissen musst. Ich hinterlasse dir alles, was ich besitze, Tristan erhält nichts."

Lucius schwieg. Der Alte hatte ihn kaum rufen lassen, um ihm etwas zu sagen, was in seinem Testament ohnehin schriftlich festgehalten worden war. Er hatte ihn herbestellt, um ihn zu reizen, um eine Reaktion zu provozieren. Lucius wollte verdammt sein, wenn er ihm diesen letzten Triumph gönnte. Doch er wusste nicht, welches As Crispin womöglich noch im Ärmel hatte. Es hieß vorsichtig sein, wenn er sich keine Narben fürs Lebens einfangen wollte. Beinahe hätte er höhnisch aufgelacht bei dem Gedanken. Wären sie nur sichtbar, gäbe es keine Stelle an seinem Körper, die nicht von Narben bedeckt war.

Die vom Tod gezeichnete Fratze lächelte. "Ich will einmal in meinem Leben etwas geradeheraus sagen, Lucius. Du bist mein Geschöpf, meine Schöpfung. Das warst du immer. Von dem Moment, als du ins Leben kamst. Slytherin machte eine Prophezeihung, dass in Jahrhunderten sein eigener, wahrer Erbe geboren werden würde, und überließ alles weitere dem Schicksal, aber ich, siehst du... Ich wollte solange nicht warten." Seine Finger bearbeiteten rastlos die Bettdecke, als könnte er seine Ungeduld noch nachempfinden. "Ich wollte die Zukunft meines Hauses selbst in die Hände nehmen. Tristan, diesem Fehlschlag, konnte ich es wohl kaum überlassen, einen Erben für mich zu zeugen. Er war dazu gar nicht in der Lage... Er war schwach, das Blut seiner Mutter setzte sich durch, ich weiß auch nicht. Also," seine grauen Augen, Lucius' so ähnlich, richteten sich auf den Jüngeren, "was konnte ich anderes tun, als mich der Sache selbst anzunehmen?"

Einige Sekunden verstrichen, in denen sich Lucius Nackenhaare ausfrichteten und er sich fragte, ob Crispin wirklich von einer solchen Ungeheuerlichkeit sprach, wie er selbst es auffasste. "Deine Mutter war auch besser dafür geeignet als ihre Vorgängerin," erläuterte Crispin entgegenkommend und fuhr sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen. Eine sterbende Viper, die zusah, wie ihr Gift langsam in ihr letztes Opfer einsickerte.

"Du lügst," flüsterte Lucius. "Du lügst!" Seine Hände waren eiskalt, doch sein Kopf fühlte sich mit einemmal fiebrig an.

"Warum sollte ich?" wisperte der Alte zurück. "Was hätte ich jetzt noch davon, dir etwas vorzumachen?"

"Keine Ahnung!" rief Lucius so laut, dass sich die anderen erschrocken nach ihnen umdrehten. "Woher soll ich wissen, was in deinem kranken Hirn vorgeht? Warum erzählst du mir das überhaupt?" Er ballte die Fäuste und kämpfte gegen den Drang, den letzten Lebensfunken aus dem Gerippe herauszuprügeln, bis der Alte zugab, dass alles eine krankhafte Phantasie gewesen war.

Crispin lachte meckernd. "Was denkst du wohl, wie egal mir das ist, was du von mir hältst?" Er hustete heftig, doch Lucius machte keine Anstalten, ihm zu Hilfe zu kommen, und unter seinem kalten Blick wagte es auch niemand sonst. "Das Haus gehört jetzt dir. Morgen kannst du mein Testament verlesen lassen und dann gehört dir alles und Tristan nichts. Deswegen wollte ich, dass du weißt, warum das so ist."

Lucius sah auf seine Hände hinunter und merkte, dass er die Fingernägel so fest eingegraben hatte, dass seine Handflächen bluteten. "Und nach all dem dachtest du, ich sitze jetzt hier bei dir und halte deine Hand, während du wartest, dass deine schwarze Seele ausgelöscht wird?"

"Tu was du willst. Wie auch dein Vater immer getan."

Lucius musste nicht lange nachdenken über seine letzten Worte. "Stirb allein."

Niemand sagte etwas, als er fluchtartig das Zimmer verließ. Lucius war sich nicht sicher, wieviel irgendjemand von der Unterredung mitbekommen hatte. Es scherte ihn auch nicht. In seinem Kopf fügten sich die Puzzelteilchen aneinander fast ohne sein Zutun. Seine Mutter... wie hatte sie das alles verkraftet? Offensichtlich gar nicht, sonst wäre sie nicht tot. Und Tristan - es wäre nicht weiter erstaunlich, wenn er nach Crispins Misshandlungen nicht in der Lage gewesen war, Kinder in die Welt zu setzen. Ja, dachte Lucius, das beantwortete wohl seine unausgesprochene Frage, wie Tristans Kindheit ausgesehen hatte. Crispin hatte ihm dasselbe angetan. Mein Großvater ist mein Vater, dachte Lucius und stürmte davon in Richtung der unterirdischen Gewölbe seines Hauses.

In seiner Schlafkammer unter dem Dach verendete der alte, in seiner Fechthalle im Keller betrank sich der neue Lord Malfoy. Es war spät - oder sehr, sehr früh am Tag darauf - und Lucius hielt sich einiges darauf zugute, dass er ein gewisses Zeitgefühl noch nicht verloren hatte nach anderthalb Flaschen Feuerwhiskey, als Elladora in ihrer leisen Art das Zimmer betrat, die es einem unmöglich machte, den nächstbesten Gegenstand nach ihr zu werfen, wie man das bei jedem anderen getan hätte, der es wagte, einen jetzt zu stören...

"Lucius," sagte Elladora ruhig. "Es ist vorbei."

Lucius fing an zu lachen, wild, höhnisch und verzweifelt. Er konnte nicht wieder aufhören, es war wie ein Krampf. Es machte ihm selbst Angst und er glaubte, dass es Elladora ebenso gehen musste.

"Sobrietatis!"

Der Zauber wirkte sofort. Lucius sah sie mit ratlosen, schlagartig ernüchterten Augen an. "Was zum Henker hat mich geritten, heute mit da hineinzugehen?" war der erste klare Gedanke, den er fasste und aussprach. Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht - was für eine Geste, registrierte sein hysterisches Hirn, einem dahergelaufenen Weasley eher angemessen als dem Malfoy-Erben. "Haben es alle gewusst?" flüsterte er. "Alle außer mir?"

Elladora - absurd schön in ihrer eleganten Trauerkleidung, das volkommenste Gegenstück, das sich zu seinem eigenen, aufgewühlten, abgerissenen Selbst denken ließ - sank neben ihm auf ein Knie. "Du darfst dir jetzt nicht das Hirn zermartern, Lucius. Warte damit, bis die Leute hier verschwunden sind. Es muss alles seinen ordnungsgemäßen Gang gehen, keiner darf mit dem gerinsten Zweifel von hier fortgehen, dass du durch dieses Testament bekommen hast, was dir zusteht."

"Ich kann jetzt unmöglich da raus gehen und das Testament verlesen lassen, als ob nichts vorgefallen wäre," begann Lucius fast verzweifelt.

"Irrtum," sagte Elladora knapp, aber nicht kalt. "Du kannst und du wirst. Ich habe kein Schlammblut ausgebildet, das sich seiner Aufgaben nicht bewusst ist." Sie legte eine Hand auf seine Wange. "Ich helfe dir," versprach sie leise. "Ich weiß, dass es hart ist, aber rette dich durch diesen Tag und du wirst nie wieder Gefahr laufen, dein Gesicht zu verlieren."

Er schwieg. Der rote Nebel in seinem Kopf wollte sich nicht lichten. "Lucius, schau mich an." Ihre Augen begegneten sich. "Der Mann, dem du die Treue geschworen hast, war ein Waisenkind von Geburt an, aufgewachsen in einer feindlichen Umgebung, geschmäht von denen, die ihn nicht verstanden und gehasst von den meisten, die ihn zu begreifen glaubten. Hat unser Herr da einfach aufgegeben und ist gestorben, wie so viele es wollten? Du kennst die Antwort und ich sollte sie kennen, denn ich war dabei. Ich sah seinen Sieg und heute werde ich deinen sehen." Elladora streckte die Hand nach ihm aus und Lucius ergriff sie. Er kam jedoch von allein auf die Füße.

Die Hauselfen hatten die Uhren angehalten. Die Spiegel waren mit schwarzen Tüchern verhängt. Die Haupthalle war erfüllt von Menschen, die ihm kondolieren wollten, wie sie schon Tristan ihr Beileid ausgesprochen hatten. Lucius fing den Blick des Mannes auf, den er einundzwanzig Jahre lang als seinen Vater gekannt hatte - seinen Vater, von dem er sich gemieden und ignoriert und vernachlässigt gefühlt hatte - und wusste endgültig und ohne jeden Zweifel, dass Crispin die Wahrheit gesagt hatte. Und dass Tristan dieses Geheimnis auch kannte. Elladora wich nicht von seiner Seite.

Lucius hörte durch einen Vorhang aus Rauschen, wie Romuald Lestrange das Testament verlas. Es gab keine Kommentare, nicht einmal, als die Bedeutung der komplizierten juristischen Floskeln allmählich zur Hörerschaft durchdrang. Hätte der alte Malfoy seinen jüngeren Sohn dem älteren gegenüber bevorzugt, hätte Tristan das anfechten können. Aber niemand wusste von Lucius wahrer Abstammung und gegen einen Sprung in der Generationenfolge war die geschädigte Partei üblicherweise machtlos. Die Gesetze waren da genau. Wer beide kannte, hätte auch ohne Schwierigkeiten begriffen, warum Crispin seinen Enkelsohn als Alleinerben eingesetzt hatte. Lucius betrachtete Tristan und Crispins Worte wollten ihm nicht aus dem Sinn gehen.

Schwach.

Fehlschlag.

Diese überraschende Wendung lenkte die Anwesenden, die sich Hoffnungen auf ein kleines Erbteil gemacht hatten, tatsächlich so weit ab, dass sie dem Verflossenen nicht nachweinten, sondern eifrig zu tuscheln begannen. Lucius streifte den Siegelring der Malfoy über und kümmerte sich nicht darum. Ohne weiter darauf zu achten, wo sich die Person befand, die er ansprach, bereitete er sich auf die letzte Aufgabe des heutigen Tages vor.

"Tristan Malfoy," sagte Lucius und es kam ihm bereits wieder selbstverständlich vor, seine Stimme laut und klar zu hören, wie sie durch den Raum trug. Unerschütterliches Sebstbewusstsein, wie die Leute es von einem Malfoy erwarten würden, und keine Spur mehr von Hysterie. "Als dein Squire spreche ich dich ledig und lose aller Bande, die dich mit dem Haus unserer Väter verbinden. Du bist verbannt auf Lebenszeit von den Gründen der Malfoy ohne das Recht auf Anhörung. Verweilen ist der Tod."

Die Worte kamen ganz von selbst, vor Ewigkeiten im Kodex der Fünfzig Familien nachgeschlagen und im Gedächtnis behalten für wenn es notwendig werden sollte. Und heute war es notwendig, das wusste er. Unter diesem Dach würde von heute an nur Platz sein für einen von ihnen. Vielleicht hatte Tristan damit gerechnet. Ganz sicher musste er gewusst haben, dass Lucius, sollte er jemals in diese Position kommen, ihm nicht nachsehen würde, dass er nie den Versuch unternommen hatte, ihn vor Crispin zu beschützen. Es gab nichts mehr zu sagen, er würde gehen müssen und das gleich. Die rituellen Worte am Ende der Formel waren kein leeres Geschwätz.

Tristan verließ den Raum - ohne seinem Squire den Rücken zuzuwenden, wie es der Brauch erforderte - und Lucius fragte sich seltsam ausgelaugt, ob der Nachmittag Bellatrix' Sensationsgier wohl befriedigt hatte. Sie sah ganz so aus, dachte er, als er die Gesichter der Blacks in der Menge suchte und fand. Sie kamen auf ihn zu, die verbleibende Familie, die er jetzt noch hatte, die seiner zukünftigen Frau. Die Glut in Bellas Augen verriet ihren Drang, es ihm gleichzutun. Sirius und Regulus zum Teufel zu schicken und als das jüngste Mädchen wider aller Voraussicht das Erbe einzustreichen. Cepheus' unbedachtes Geschwätz bei Orions Begräbnis mochte weitaus stärkere Folgen haben, als dieser sich im Vollrausch hätte träumen lassen, dachte Lucius. Draco dormiens nunquam titillandus. Seit über tausend Jahren das Motto der Schule, durch die sie alle gegangen waren, und aus gutem Grund.

Er blickte von Bellatrix zu ihrer Mutter und fand inmitten der ruhigen, aufmerksamen Präsenz Elladora Blacks einen winzigen Funken der Erregung, die ihre jüngste Tochter beseelte. Er hatte die Prüfung mit Auszeichnung bestanden und er wusste es. Hatte sie wirklich von Voldemort gesprochen, dass er allein unter Feinden aufgewachsen sei? Ein Waisenkind, hatte sie gesagt. Lucius beschloss, dass er den Klang mochte. Es bezeichnete am besten, was er jetzt auch war.

"Der König ist tot," flüsterte Elladora. "Lang lebe der König."

Author's Note: Ich hoffe, es war verständlich und nicht zu undeutlich? Schreibt mir was!