Kapitel 2: Schein und Wahrheit

Das Dunkle Mal stand am Himmel und nachdem die Zauberer und Hexen, die in der Winkelgasse ihren Geschäften nachgingen, ihre erste Lähmung überwunden hatten, breitete sich Panik aus.

Auch Harry, Ron und Hermine, die eben noch die Bekanntschaft eines merkwürdigen Fremden gemacht hatten, warfen einander besorgte Blicke zu.

Der Fremde, der bis aufs Haar Draco Malfoy zu gleichen schien, starrte ebenfalls das Unheil verkündende Symbol am Himmel an.

Hermine warf Harry einen unruhigen Blick zu. Seit dem, was in den letzten Jahren passiert war, hatte sich seine Abneigung gegen Todesser in abgrundtiefen Hass verwandelt und er hatte schon mehrfach versucht, sich an ihnen zu rächen. Für das, was seinen Eltern und vielen anderen Menschen angetan worden war, aber vor allem wegen Sirius' Tod.

Im letzen Jahr hätten er, Ron und einige andere deswegen fast ihr Leben verloren. Diese Gedanken kamen jetzt in ihr hoch, diese und andere, glücklichere Erinnerungen, die aus einer anderen Zeit zu stammen schienen. Sie sah Harry vor sich, so wie er früher gewesen war, und so, wie er heute war. Ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Sie wischte diese Gedanken ärgerlich beiseite, es war nicht der richtige Zeitpunkt und auch nicht der richtige Ort, um in Erinnerungen zu schwelgen. Sie blickte Harry an und sagte mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zuließ: "Harry, wenn das Dunkle Mal erschienen ist, sind auch Todesser hier. Lass uns gehen, wir... du hast hier nichts verloren." Und flehentlich fügte sie hinzu: "Bitte, Harry. Egal, was du tust, es macht ihn nicht wieder lebendig und denk daran, was letztes Jahr geschehen ist... denk daran, wie sehr wir alle gelitten haben."

Harry starrte weiterhin das Dunkle Mal an. Doch schließlich, nach einem Moment, in dem es so schien, als ob er innerlich mit sich rang, wandte er sich ab und nickte. "Du hast recht", sagte er leise, wobei er Rons Blick mied.

Der Fremde räusperte sich. Alle drei hatten den Mann, der immer noch bei ihnen stand, fast vergessen. "Wenn ihr hier weg wollt", sagte er, "dann kenne ich eine kleine Abkürzung, mit der man schnell aus der Winkelgasse herausfindet. Ich bin auch nicht gerade scharf darauf, Todessern zu begegnen, obwohl ich denke, dass das Dunkle Mal diesmal nur eine Warnung war."

Hermine wollte darauf etwas antworten, aber Ron kam ihr zuvor: "Wieso sollten wir einem Malfoy-Zwillling trauen? Es ist bestimmt eine Falle!"

Der Fremde schüttelte den Kopf. "Zwilling?" Er lächelte. "Nein, ich bin ganz bestimmt nich Dracos Zwilling, auch wenn ich nicht leugne, dass ich ihm ähnlich sehe."

"Und wer sind Sie dann?", fragte Harry misstrauisch.

"Mein Name ist Aidan Sovent", antwortete er. "Und wenn ihr es genau wissen wollt: Draco ist mein jüngerer Bruder."

"Sie lügen. Draco hat keine Geschwister", sagte Hermine stirnrunzelnd.

"Das stimmt und es stimmt auch wieder nicht. Denn Draco weiß nichts von mir."

"Er weiß nichts von Ihnen?" Ron sah Aidan an, als ob dieser geistesgestört wäre. "Kommt Leute, wir verschwinden, der Typ spinnt doch."

"Warte, Ron", sagte Hermine und hielt ihn zurück. "Könnten Sie das vielleicht genauer erklären?"

"Ja, aber ich werde meine Lebensgeschichte ganz bestimmt nicht hier offenbaren. Außerdem kenne ich euch ebenso wenig, wie ihr mich", antwortete er. Er sah sie der Reihe nach an. "Wie wäre es mit einem Neuanfang?" Er machte eine Pause. Dann sprach er weiter: "Ich bin Aidan Sovent, sehr erfreut eure Bekanntschaft zu machen."

"Hermine Granger, ebenso erfreut", sagte Hermine und schüttelte seine Hand.

Ron sah sie an, als wäre sie nun auch wahnsinnig geworden. "Äh, Hermine..."

Hermine warf ihm einen wütenden Blick zu und trat ihm auf den Fuß.

"Au- ...äh, Ron Weasley." Widerwillig und mit schmerzverzerrtem Gesicht schüttelte er Aidans Hand.

"Harry Potter", sagte Harry als letzter und erwiderte Aidans Händedruck.

"Schon viel besser", sagte Aidan. "Wenn ihr mir nun folgen würdet..."

Mit einem vielsagenden Blick zu den beiden Jungen folgte Hermine ihm. Ron und Harry tauschten einen Blick und gingen hinter ihr her.

Aidan führte sie um mehrere Ecken und Geschäfte und bog schließlich in eine kleine Seitengasse ein. An deren Ende befand sich eine Mauer.

"Ein Sackgasse. Echt toll", meinte Ron sarkastisch, aber Aidan hatte eine Hand auf die Mauer gelegt und murmelte irgend etwas.

Da wurde die Mauer plötzlich durchsichtig und gab einen Blick in die belebte Londoner Innenstadt preis.

"Tja, Ron, was ist nun mit deiner Sackgasse?", fragt Hermine schnippisch.

Ron beachtete ihren Einwurf nicht weiter. "Können uns die Muggel nicht sehen?"

Aidan verneinte. "Nur wir können sie sehen. Von außen sehen sie nur eine Steinmauer. Aber kommt, wir wollen hier doch keine Wurzeln schlagen." Damit durchschritt er die Mauer und gab ihnen von der anderen Seite ein Zeichen, ihm zu folgen.

Hermine ging zuerst, dann Ron, zögernd, und schließlich Harry.

"Was weiß sie eigentlich schon wieder, was wir nicht wissen?", flüsterte Ron Harry zu, als Hermine sich sofort wieder Aidan zuwandte. "Sie vertraut ihm doch nicht etwa?"

Harry zuckte mit den Schultern. "So dumm ist sie nicht." Schon gar nicht nach allem, was passiert ist, dachte er. Laut sagte er: "Wahrscheinlich weiß sie etwas, aber früher oder später wird sie es uns schon noch erzählen." Dann wandte er sich an Aidan: "Ich wusste gar nicht, dass es noch einen weiteren Ausgang aus der Winkelgasse gibt."

"Nur wenige kennen diese Abkürzung, alle anderen benutzen den Tropfenden Kessel oder Kaminfeuer, um an- oder abzureisen, aber wenn man die richtige Stelle und den richtigen Zauber kennt, warum sollte man ihn dann nicht auch benutzen", antwortete Aidan. "Ich vermute mal, dass ihr im Tropfenden Kessel einquartiert seid?"

"Ja, das stimmt", sagte Hermine.

"Nun, ich nämlich auch", sagte Aidan. "Dann haben wir ja den selben Weg. Und wenn wir dort sind, würde ich euch gerne auf mein Zimmer einladen, zu einer Flasche Butterbier und Kesselkuchen. Dann kann ich euch auch mehr über mich erzählen, wenn ihr wollt."

"Ja, warum nicht. Oder was meint ihr, Jungs?", meinte Hermine freudig.

Ron nickte nur, aber Harry fragte scharf: "Warum wollen Sie uns etwas über sich erzählen? Woher wollen Sie wissen, dass wir Draco wirklich kennen, wir sind Fremde für Sie, auch wenn Sie jetzt unsere Namen kennen. Warum haben Sie uns eben auf die Nase gebunden, dass sie angeblich Dracos Bruder sind?"

Aidan seufzte. "Ich weiß, dass es schwer ist, jemandem zu trauen, den man nicht kennt. Aber so wahr ich hier stehe, er ist mein Bruder. Und warum ich es euch erzählt habe? Ich habe einfach zwei und zwei zusammen gezählt. Ich weiß, dass mein Bruder in Hogwarts zur Schule geht und wenn ich mich nicht täusche, gilt das ebenso für Harry Potter und für seine Freunde müsste es dann ebenso gelten. Aber...", er zuckte mit den Schultern, "...eigentlich habe ich mehr oder weniger ins Blaue hinein geraten." Er lachte.

"Der Typ is' echt komisch", flüsterte Ron Harry zu. "Der hat doch nicht alle Tassen im Schrank!"

"Ich weiß, dass es dumm war, so zu handeln, aber ihr seid die ersten, bei denen ich mir mehr oder weniger sicher sein konnte, dass sie auf der selben Schule wie mein Bruder sind", sagte Aidan, als ob das alles erklären würde. "Und so, wie ihr mich angestarrt habt, hatte ich auch keinen Zweifel daran, dass ihr ihn persönlich kennt. Ich weiß selbst, das ich ihm sehr ähnlich sehe. Dennoch bin ich zwei Jahre älter als er und wenn ihr genau hinseht, könnt ihr auch erkennen, dass ich nicht ganz genau so aussehe wie er."

"Sie sind größer als er...", sagte Harry, "...Ihre Augen haben eine andere Farbe und Ihre Haare sind etwas länger."

"Ja", bestätigte Aidan. "Du hast eine gute Beobachtungsgabe."

Harry zuckte auf diese Bemerkung hin nur mit den Schultern.

Jetzt war es an Ron und Hermine, sich einen verstohlenen Blick zuzuwerfen, denn beide wussten, dass Harry sich diese Gabe antrainiert hatte. Ein Blick genügte und er erkannte eine Person unter hundert anderen immer wieder und konnte ihre speziellen Merkmale bis ins kleinste Detail wiedergeben. Seine Beobachtungsgabe war nützlich, wenn es darum ging, Todesser zu erkennen und sie würde ihm später bestimmt nicht schaden, denn er hatte vor, Auror zu werden.

Als sie den restlichen Weg bis zum Tropfenden Kessel gingen, schwiegen sie und jeder hing seinen Gedanken nach.

To be continued...

A/N: Im nächsten Kapitel erfahrt ihr mehr über Aidan, also bleibt dran!

Eure Lupinus