Kapitel 5: Zu wenig Halliwells...

"Glaubst du, sie fallen drauf rein?"

Chris hockte mit seiner Mutter hinter einem Müllcontainer.

„Sie fallen immer drauf rein!", beschwichtigte Piper und brachte den Wächter des Lichts zum Schweigen, als dieser noch etwas sagen wollte. Gerade waren vor ihnen eine Wächterin des Lichts mit ihrem Schützling aufgetaucht. Es war Katrina, die junge Frau die vor einigen Tagen bei den Halliwells Hilfe gesucht hatte. Eine Horde von Wächtern der Finsternis war in diese Welt eingebrochen und machte Jagd auf ihre Gegenspieler.

Sie sah sich nervös um.

„Katrina, sind wir hier sicher?", fragte das junge Mädchen neben ihr. Sie schien nicht sehr überzeugt von einem Versteck in einer Seitengasse, in der noch nicht einmal irgendeine gute Fluchtmöglichkeit lag. „Keine Angst, wir sind sicher."

Plötzlich erschienen drei Wächter der Finsternis in ihren schwarzen Funken und zielten gleich mit ihren Armbrüsten auf die zwei Frauen, doch sie hatten nicht den Hauch einer Chance.

Im richtigen Moment hatte Piper „Los!" geschrieen, und Patrice schoss ihre Feuerbälle auf zwei der Angreifer ab, den Letzten fror Piper ein. Ein Triumphlachen entfuhrt ihr und sie grinste Chris ins Gesicht. Nun entspannten sich auch die zwei Frauen, die den Köder gespielt hatten. Patrice sprang von der Feuerleiter, auf der sie sich auf die Lauer gelegt hatte, und kam langsam auf Piper und Chris zu, die auch aus ihrem Versteck kamen.

„Wieso mussten die Zwei eigentlich den Köder spielen!", fragte der junge Wächter des Lichts und verschränkte die Arme. Im selben Augenblick hatte Piper die gleiche Bewegung gemacht und die Beiden sahen sich verlegen an. „Ich hätte es auch machen können!"

„Nein, anscheinend jagen sie nur Wächter des Lichts , die auch einen Schützling haben."

Katrina stimmte zu. „Meinen anderen Schützling hätten wir fast verloren, danke, dass du uns geholfen hast , Tess." Sie lächelte dem jungen Mädchen neben sich zu.

„Genug gequatscht, quetschen wir ihn aus!" Patrice stand ungeduldig da und knackste mit den Finger, so wie es Phoebe immer tat.

„Sollten wir nicht die Anderen holen?", warf Chris ein. Er sah besorgt zu seiner Mutter, doch diese winkte ab.

„Nein, das schaffen wir schon ."

Sie hatte Paige und Prue aufgetragen, nach Leo zu suchen und Phoebe versuchte mehr über die Warlockfamilie herauszufinden.

Piper richtete sich an Patrice und ihren Sohn. „Bereit?"

Ein entschlossenes Nicken kam als Antwort und sie löste die Erstarrung, jedoch nur der Kopf des Wächters wurde befreit.

„Was...!" Der Mann schien sichtlich verwirrt. Zwar sah er seinen Körper und konnte ihm spüren, doch bewegen konnte er ihn nicht

„Hi.", grüßte Patrice, der das alles richtig Spaß zu machen schien.

„Ich werde euch nichts verraten , Hexen!", kläffte der Wächter. „Tötet mich ruhig!"

„Oh nein, nein, nein. Wir wollen dich doch nicht töten.", sagte der Halbdämon und kam einen Schritt näher. In ihren Augen funkelte der selbe gefährliche Glanz, den auch Cole immer hatte. Dieses, doch etwas angsteinflößende Erbe, schien im kompletten Gegensatz zu ihrer sonst so lustigen Art zu sein. Piper sah sie etwas besorgt an, doch ließ sie sie gewähren.

„Du...du bist ein Dämon! Hilf mir!", flehte der Eingefrorene und sah zu Patrice, deren Lippen ein verführerisch diabolisches Lächeln preisgaben. Langsam hob sie die Hand und ließ einen hell lodernden Ball aufleuchten. Sofort wurde der Dämon blass. Piper sah ihre Nichte verzückt an. Sie sah einerseits den mordlustigen Blick von Cole, doch andrerseits erkannte sie auch Phoebe in ihr. Patrice schien eine glückliche Kindheit gehabt zu haben, so unbefangen und locker sie mit Dämonen und Feuerbällen umging. Dieser Gedanke lies Piper wieder an Wyatt und Chris denken. Traurig sah sie zu ihrem Sohn, der sofort ihrem Blick auffasste und besorgt fragte:

„Ist was?"

„Nein...", antwortete sie und drehte ihm den Rücken zu. Sie dachte an Wyatt, ihren kleinen Wyatt, der angeblich so schreckliche Dinge tun wird.

In diesen Gedanken versunken fingen ihre Augen an zu brennen, doch schnell fing sie sich wieder und konzentrierte sich auf das Verhör.

„Katrina, Tess...", begann sie dann. „Beamt euch auf unseren Dachboden. Prue und Paige sind dort und passen auf euch auf."

Fast schon sehnlichst erwartet lachten die zwei Frauen kurz auf und folgten.

„Nun...?" Patrice kam noch einen Schritt näher und spielte mit ihrem Feuerball. Sie ließ ihn auf und ab schweben, ließ ihn um ihre Hand gleiten und ließ ihn in fünf kleine Bälle zerspringen die sie dann locker auf ihren Fingern balancierte. Ihre Fingernägel waren in einem leicht rötlich-lila Stich lackiert, auch wenn sich niemand so sicher war, dass es wirklich nur Lack war. Allgemein hatte sie etwas übersinnliches. Ihre goldige Haut, ihre leicht rötlichen Haare, ihre tiefen Augen, die auch einen stich Rot hatten und eine seltsame Wölbung um ihre Hüfte, knapp über dem riesigen Ledergürtel. Ja, sie war ein Dämon, doch hatte sie auch Hexenblut in sich.

„Also!", hackte sie nach und schoss einen der Mini-Feuerbälle ins Gesicht des Wächters, woraufhin seine Augenbrauen verbrannten.

„Niemals, Verräter!"

Fast schon als hätte sie so eine Antwort ersehnt bündelte Patrice grinsend ihren Feuerball wieder und feuerte ihr auf einen Arm des Mannes, der sofort in tausend dunkler Flecken verschwand. Der Gefangene schrie auf.

„Patrice...", begann Piper und richtete sich unbekümmert über die Schmerzen des Wächters an ihre Nichte. „Pass auf, dass du ihn nicht umbringst."

Beide hatten ein Lächeln auf den Lippen, das Chris Angst machte. Er wusste aus Geschichten von Wyatt und anderen Leuten, dass die Mächtigen Drei recht brachiale Methoden hatten, doch auf so etwas war er nicht gefasst gewesen.

„Findet ihr nicht, ihr übertreibt?", sagte er und versuchte besonders kühl und unberührt zu wirken.

„Wieso denn? Findest du es nicht lustig?", fragte Patrice und lud wieder einen Feuerball nach.

„Nein, ganz und gar nicht!", entgegnete der Wächter des Lichts. „Warum sprecht ihr nicht einen Wahrheitszauber aus? Er müsste euch dann alles sagen!"

Seine Mutter drehte sich zu ihm.

„So ein Wahrheitszauber ist schwer zu sprechen. Vor allem bei einem Wesen, das sowohl dämonische, als auch Hexenzauberkräfte besitzt. Ein falsch gewähltes Wort und du könntest ihn sprengen!"

Zwar sagte sie es in einem besorgten Ton, doch alle wussten, dass sie sich nicht um den Wächter, sondern um die Arbeit einen Neuen zu fangen sorgte.

„Und außerdem...", begann sie erneut. Chris sah ihr in die Augen und ein stolzer Schimmer überkam ihr Gesicht. „Warum sprichst du nicht den Zauber, mein Sohn?"

Chris zuckte etwas zusammen, als sie „Sohn" sagte. Die Hexe merkte das und wurde unsicher. „Oder ich spreche ihn, vielleicht ist das besser!"

„Nein, nein!", sagte Chris beschwichtigend. Ihm war es unangenehm wie sie ihn so verletzt ansah. Zwar fühlte er sich auch unwohl Zaubersprüche zu sprechen, doch da musste er durch.

„Hast du einen guten Spruch?", fragte Patrice sichtlich enttäuscht, dass die Folter anscheinend nicht weiterging. Chris nickte und schloss die Augen. Piper sah ihn erwartungsvoll an.

Das Wort so falsch und unrein

von nun an wahr und klar wird sein

Jeder Sinn und Wille bricht,

damit dein Mund die Wahrheit spricht."

Ein sanftes Leuchten umfing erst Chris, dann ging es zu dem Wächter der Dunkelheit, der verwirrt um sich sah.

„Hey..." Piper war sichtlich beeindruckt. So ein Wahrheitszauber auszusprechen war nicht einfach für einen Anfänger.

„Hat's geklappt?", fragte Chris und öffnete ein Auge leicht, dann erschrak er und sprang einige Schritte zurück. Patrice war direkt vor sein Gesicht gekommen und hatte ihn angegrinst. „Mach das nie wieder!", fauchte er und ihr Grinsen wurde breiter. Piper sah zu ihrem Sohn, dann zu dem Warlock.

„Wie ist dein Name?"

„Vergiss es Hexe ich..." Der Mann schien abgelenkt, dann redete er ohne Betonung und mit regungslosem Blick. „Typhus Kroasand aus der vierten Wächter der Dunkelheits- Division." Dann schien es zu sich zu kommen und redete weiter, wie als ob er diese Information die Preisgegeben hätte. „...werde dir nichts sagen!"

Die Halliwells sahen sich an und ein Lächeln huschte über Chris Gesicht.

„Also,", begann Piper und verschränkte die Arme. „Wer schickt euch?"

Der Gefangene wollte lachen, doch mitten drinnen verstummte er und antwortete willenlos.

Prue, und Paige saßen oben auf dem Dachboden auf der verstaubten Couch, die mit ihrem Rüschchen und rosigen Farben völlig deplaziert wirkte.

„Und du hast den Dämon der Angst ganz allein besiegt?", staunte Paige. Sie hatte auf ihrem Schoß das Buch der Schatten. Eigentlich sollten sie herausfinden, wie man einen Ältesten herbeiruft oder wenigstens aufspüren kann. Zuvor hatten sie es mit Pendeln und schlichten Zaubersprüchen versucht, doch nichts hatte gewirkt.

„Na, ja. Aber ohne Phoebe und Piper hätte ich meine Angst vor Wasser nie überwunden, und das ist schließlich die einzige Methode den Dämon zu vernichten, das weist du doch." Prue saß mit einem Bein auf der Couch da und lächelte zu ihrer Schwester. Paige sah sie verlegen an.

„Aber ohne meine Schwestern hätte ich es ja auch nicht geschafft."

„Ich hab deinen Kampf damals beobachtet. Ich hab gesehen, wie du deine Angst zu versagen besiegt hast und den Dämon schließlich zur Hölle gejagt hast." Sie lächelte sanft, doch erstarrte ihr Lächeln. „Da kommt etwas."

Paige sah sie verwirrt an, doch entspannte sie sich schnell, als sie Katrina und Tess in tausend blauen Funken ankommen sah.

„Wie machst du das!", fragte sie ihre Schwester, doch diese winkte ab und grinste. „Übung."

Sie stand auf und ging zu den zwei anderen Frauen.

„Und, wie sieht's aus?", fragte Paige und verschränkte die Arme. Eine Angewohnheit, die alle Halliwells hatten, selbst die erst kürzlich dazugekommenen.

Die Wächterin des Lichts lächelte die Hexe an.

„Es hat funktioniert. Die Anderen haben jetzt einen von Ihnen und versuchen etwas herauszukriegen."

Paige stand auf und sah mitleidig auf die junge Hexe, die sichtlich nervös und angespannt war.

„Und wie geht's mit Leo voran?", fragte Katrina. Sie kannte den Ältesten noch aus dessen Wächtertagen.

„Nicht gut...", sagte Prue bestürzt. „Wir haben alles versucht: Pendeln, Zaubersprüche, Herbeirufen, nicht einmal Wyatt scheint seinen Vater aufspüren zu können!"

„Wo ist er eigentlich?", fragte die Wächterin besorgt. Alle „Oben" kannten die Mächtigen Drei und Wyatt.

„In der Zauberschule.", antwortete Paige und fügte hinzu: „Warum geht ihr nicht auch, dort seit ihr sicher und wenn wir euch brauchen, rufen wir euch."

Sie sah tröstend zu Tess, die sichtlich glücklich über diesen Vorschlag war. Sie sah bittend zu ihrer Wächterin, diese lächelte und nickte. „Wenn ihr uns braucht, wir sind da!"

Dann verschwanden sie.

„So...", begann Prue und drehte sich zu ihrer Schwester. „Haben dir die Anderen eigentlich schon von unserem ersten Warlock erzählt?"

Paige grinste und die Beiden setzten sich wieder auf ihre Couch.

„Hm..." Piper ging einige Schritte vor und zurück. Sie hielt ihre Hand nachdenklich am Kinn. Der Wächter der Dunkelheit war immer noch eingefroren und unter Chris Zauber.

„Wer hat euch geschickt?", fragte sie eindringlich und der Gefangene antwortete in einem Wirren Geschrei aus Tönen und Flüchen. Die Hexe stieß einen deutlichen Laut der Verzweiflung aus. „So wird das nichts, es muss eine Art...Gegenzauber sein."

Patrice hatte sich wieder auf ihre Feuerleiter gelegt und spielte gelangweilt mit einigen Feuerbällen, während Chris, wie seine Mutter, nervös herumging.

„Wie wär's mit einem... Gegen-Gegenzauber?", fragte er und sah selbst etwas irritiert, als er dies sagte. Piper winkte ab.

„So funktioniert das nicht, er hat einen Zauber aufgelegt bekommen, der verhindert, dass er den Namen seines Meisters preisgibt. Und den können wir nicht umgehen oder brechen!"

Die Hexe gestikulierte wild mit den Händen. Ihr war der Ärger anzusehen.

„Bitte tötet mich endlich...", flehte der Wächter. Er sah entnervt zu Chris, dann zu Piper.

„Wer ist dein Meister?", hörte man Patrice von oben sagen und wieder entfuhr dem Mann ein Schrei aus Flüchen und Lauten. Man hörte ein leises Kichern von dem Halbdämon, und Piper rief nach oben:

„Lass das! Wir brauchen ihn noch!"

Chris sah zu dem Mann.

„Ist was?", fragte seine Mutter. Chris Blick richtete sich auf sie, und der Hexe fuhr es kalt den Rücken runter. Seitdem alle wussten, dass er ihr Sohn war, hatte sich sein Benehmen gegenüber ihr stark abgekühlt.

„Nichts.", sagte er knapp. Lange sah die Hexe ihn an, dann drehte sie sich wieder zu dem Wächter.

„Können wir ihn nicht einfach töten?", fragte Patrice gelangweilt. Ein entschlossenes „Nein" kam von Chris und Piper, nur der Dämon selbst flehte darum.

„Hey, ich dachte ihr Dämonen habt einen starken Überlebenswillen!"

„Nicht wenn man seinen Körper nicht spüren kann und einem Schreie aus der Kehle dringen, die man nicht kontrollieren kann!", sagte der Mann, der immer noch eingefroren war. Piper war kurz davor ihm etwas zu entgegnen, doch wurde sie von Chris unterbrochen.

„Irgendwas stimmt nicht..."

Die Hexe drehte sich sofort zu ihrem Sohn um und kam einige Schritte näher. Doch der Wächter des Lichts wich aus. Er sah sie ernst an und wieder durchfuhr Piper eine gewisse Kälte. Sie passte sich diesem Benehmen traurig an, und fragte kühl:

„Was ist los?"

Chris sah sie an, dann antwortete er.

„Ich weiß nicht... ich fühl mich so, seltsam..."

Patrice sprang von ihrer Feuerleiter. „Was meinst du?"

„Ich weiß es nicht, wir sollten lieber zu den Anderen..."

Piper sah ihn immer noch an, dann nickte sie.

Patrice kam näher und Chris beamte sie alle nach Hause.

Erst nach einer Weile erschienen wieder die blauen Funken und Patrice lachte kurz.

„Fast hätten wir dich vergessen!" Sie grinste dem Wächter der Dunkelheit ins Gesicht, dann schickte sie ihn mit ihren Feuerbällen zu Hölle.

Kaum waren die letzten Funken verschwunden brach Chris zusammen. Sofort rannten alle Halliwells zu ihm. Piper hatte sich auf ihren Sohn geschmissen und hielt seinen Kopf.

Ganz plötzlich war er zusammengebrochen, ohne Voranzeichen oder irgendwelche unmittelbaren Gründe.

„Chris, was ist los! Chris!"

Ihr Sohn sah sie mit trüben Blick an. Er wollte etwas sagen, doch seine Kehle gab nur Stöhnen und Krächzen Preis. Auf seiner Stirn waren Schweißperlen zu sehen und seine Haut fühlte sich heiß an.

„Chris!", flehte Piper. Ihre Schwestern und Patrice saßen ebenfalls bei ihr und hielten den Atem an.

„LEO!", schrie Piper verzweifelt. Sie hatte noch nie erlebt, dass jemand so plötzlich zusammenbrach. Sie richtete sich an ihre Schwestern. „Was ist los mit ihm? Was ist nur los!" Die Tränen standen ihr in den Augen. „LEO!"

Immer mehr und mehr Verzweiflung schwang in ihrer Stimme. „LEO!"

Doch nichts regte sich.

„Piper!", sagte Prue, doch ihre Schwester hörte nicht. Erst als die Ältere sie an der Schulter gepackt und geschüttelt hatte, reagierte sie. „Frier ihn ein!"

Die Mutter wusste erst nicht, was sie meinte, doch fing sie sich. Sanft legte sie den Kopf des keuchenden und zitternden Chris auf den Boden und stand auf. Dicke Tränen rollten über ihr Gesicht, als sie all ihre Konzentration aufbrachte, um ihren Sohn in der Zeit festzuhalten.

Es war still im Hause Halliwell. Paige hatte Chris in ihr Zimmer gebeamt und die Schwestern hatten eine Barriere um ihn gelegt, dass weder seine Erstarrung gelöst, noch er irgendwie verletzt werden konnte. Als Phoebe von ihren Informanten zurückgekommen war, erzählte ihr Paige, was passierte. Die Jüngere wurde genauso bedrückt wie alle im Haus.

Nun saßen alle still auf dem Dachboden. Piper hatte immer noch Tränen in den Augen. Sie hatte gerade erst erfahren, dass Chris ihr Sohn ist, und schon brach er zusammen. Phoebe saß bei ihr und strich ihr sanft durchs Haar. Patrices Gesicht war seltsam dunkel, noch nie, seit sie in dieser Welt war, hatte man sie so traurig erlebt. Prue suchte Blatt für Blatt im Buch der Schatten eine Möglichkeit Leo zu finden, oder Chris zu helfen, doch sie fand nichts. Paige saß auf der Lehne der alten Couch und hielt ihre Hand auf Pipers Schulter.

Niemand sagte etwas, alles war ruhig, und nur das Umblättern der alten Pergamentseiten im Buch der Schatten durchschnitt diese dicke, feste Atmosphäre der Trauer und Ungewissheit.

Nach einer Weile stand Prue resignierend auf. Traurig hatte sie das Buch zugeschlagen und ging jetzt zu ihren Schwestern.

„Es gibt nur eine Möglichkeit, wie wir Leo finden und Chris so retten.", sagte sie und verschränkte die Arme. Alle sahen auf, und in Piper regte sich wieder ein Funke der Hoffnung. „Was?"

„Ich müsste wieder ins Jenseits, dort findet man jeden Lebenden, egal auf welcher Ebene oder Zeitstufe er sich befindet."

Phoebe sah auf. „Aber dazu müsstest du doch sterben?"

Prue nickte zwar, doch machte sie einen seltsames Gesichtsausdruck dabei.

„Es gibt noch eine Möglichkeit ins Jenseits zu kommen, ohne endgültig zu sterben."

„Der Tartaros?", fragte Paige, doch die Älteste winkte ab.

„Der Tartaros funktioniert anders. Man kommt zwar mit seinem Körper ohne größere Probleme vom Jenseits ins Diesseits, jedoch nicht umgekehrt. Ich meinte den Kristalldolch der Engel."

Alle sahen sie verwirrt an. „Steht darüber was im Buch der Schatten!"

„Nein. Eigentlich weiß niemand von dem Dolch, es darf auch niemand etwas darüber wissen."

„Wieso?"

„Weil er das letzte Artefakt aus dem Alten Krieg der Engel ist."

„Krieg der Engel?", hackte Paige nach.

„Ja. Vor tausenden von Jahren gab es weitaus mächtigere Engel als die Wächter des Lichts oder ähnliche Gestalten. Sie waren so mächtig, dass sie die Dämonen für immer vernichten wollten und sie fielen mit einem riesigen Armee in die Unterwelt ein. Doch das war verboten.

Egal wie mächtig eine Seite wird, niemals darf sie die Grenzen der jeweils anderen Seite überschreiten, jedenfalls nicht mit einer Armee." Sie machte eine kurze Pause, dann fuhr sie fort. „Auf jedenfalls sind die Engel in die äußerste Schicht der Hölle eingefallen und töteten dort jeden Dämon, Warlock und alles was sie finden konnten. Doch wie gesagt, das war im höchsten Grade verboten! So entschieden die neutralen Mächte, die, die alles im Gleichgewicht hielten, eine Waffe zu schmieden die selbst Engel, die damals wie heute völlig unsterblich sind, töten kann."

„Die Armbrüste der Wächter der Finsternis?", warf Paige ein.

„Nein, diese wurden dann später erschaffen, damit es Gegenspieler der Wächter des Lichts gibt. Die Waffe die erschaffen wurde hieß Dolch der Schatten."

„Aber du sagtest der Dolch den wir brauchen heißt Kristalldolch der Engel?", warf Phoebe ein.

„Lass mich zu Ende erzählen.", entgegnete Prue und fuhr fort. „Als der Krieg dann endgültig ausbrach, übergaben die Avatare, die neutrale Macht zu der auch Cole in Patrice Welt gehört, den Dolch dem damaligen bösen König, den mächtigsten aller Dämonen. Später wird er nur Quelle des Bösen heißen." Wieder machte sie eine kurze Pause und sah zu Patrice, die ausnahmsweise still dasaß und zuhörte. „Und er wusste, wie er ihn einzusetzen hatte...", begann sie wieder. „Er vernichtete einen Engel nach dem Anderen mit dem Dolch, und mit jedem Mord wurde der Dolch mehr und mehr zu dem, was er heute ist. Die Macht der damaligen Engel war so stark und so rein, dass sie den Stahl des Dolch in Kristall verwandelten und von da an hieß er Kristalldolch der Engel."

„Also hat die Quelle allen Bösens die guten Engel vernichtet? Was ist denn aber dann mit dem Gleichgewicht passiert?", fragte Paige.

„Die Engel waren das Problem, sie hatten das Ungleichgewicht erschaffen, doch damit das Gute nicht völlig Schutzlos war, erschufen die Avatare dann die Wächter des Lichts und die Ältesten."

„Und wo ist der Dolch?", hackte Paige nach.

„Nun ja...", Prue lächelte etwas schief. „Die Sache ist heikel, denn der Dolch wurde in drei Teile zerschlagen, als das Werk vollendet war, und jede Seite erhielt einen."

„Du meinst, um meinen Sohn zu retten müssten wir ein heiliges Relikt vom Bösen, Guten und Neutralen stehlen, lebend zurückkehren und dich dann damit..?", sagte Piper. Sie war bis jetzt völlig still gewesen, doch ihre erröteten Augen waren nun wieder die einer Halliwell.

„Ihr müsstet mir den Dolch ins Herz schlagen."

„Was!", brach es aus Phoebe. „Wir sollen dich töten!"

„Nein, nein!", sagte Prue beschwichtigend." Der Dolch funktioniert etwas anders. Wie gesagt, die Engel damals waren unsterblich und es gab nichts, wie die Armbrüste, so musste der Dolch diese Unsterblichkeit umgehen! Wenn er in das Herz eines Wesen geschlagen wird, entzieht er ihm sofort alles Bewusstsein, alle Macht und die Seele, transformiert sie in eine kleinere Einheit des Lichts und schließt sie in den magischen Kristall, der an seinem Schaft befestigt ist, ein. Und dieser Stein ist ein Portal in eine Ebene des Nichts, eine neutrale Ebene in der weder das Gute, noch das Böse Macht besitzen."

„Und wie willst du von da ins Jenseits kommen?", fragte Piper. Ihr war das alles sehr skurril.

„Mit der Macht der Halliwells."

„Aber auf dieser Ebene kann doch keine Gute macht gewirkt werden?", sagte Phoebe.

„Na, ja...", begann Prue und lächelte wieder so seltsam. „Ich sagte, es können weder Gute noch Böse Mächte dort genutzt werden, sehr wohl die Macht der Halliwells, da sie im eigentlichen Sinne weder Gut noch Böse ist. Jede Hexe kann sich die Seite völlig frei wählen und jederzeit übergehen, das macht die Neutrale Macht aus. Aber das ist eigentlich nicht wirklich das Problem..."

„Was ist das Problem?", hackte Paige nach.

„Das Problem ist, dass der Dolch schon voll ist."

„Voll?" Piper sah zu ihrer älteren Schwester hoch und Prue konnte immer noch die Sorge in ihren Augen sehen.

„Ja.", begann sie." Nicht ein Engel, Dämon oder Hexe würde noch reinpassen, ohne dass ein schon gefangenes Wesen freikommt."

„Na, und? Dann kommt eben ein Engel frei, ist doch nicht so schlimm, oder?" Paige stand auf und verschränkte auch die Arme.

„Im Grunde nicht, nur wie würdet ihr euch fühlen, wenn ihr tausende Jahre eingesperrte gewesen seit?", entgegnete Prue und alle verstanden ihren Einwand.

„Können wir nicht einfach Grandma um Hilfe bitten? Oder die Ältesten?", fragte Phoebe. Prue lächelte wieder so, wie als müsste sie jetzt etwas heikles erklären.

„Nun ja...", begann sie. „Wir können die Ältesten natürlich nicht um Hilfe bitten. Das was wir vorhaben ist im höchsten Grade verboten...:" Doch bevor sie weiterreden konnte unterbrach sie Phoebe:

„Nein, nein! Ich meinte ob sie nicht wissen, was mit Leo ist?" Prue stockte, doch dann winkte sie ab.

„Katrina hat schon nachgefragt, sie können ihn weder aufspüren noch wissen sie, wo er ist. Auch wissen sie nicht, was mit Chris los ist, die wissen einfach gar nichts..."

Paige sah zur Ältesten hoch. „Woher weist du das alles?"

Prue grinste. „Geheimnis."

„Aber was ist mit Grandma?", hackte Phoebe nach.

„Alle unsere toten Verwandten sind zur Zeit etwas...abkömmlich."

Ihre Schwestern sahen verwirrt hoch.

„Es tut mir leid, aber das kann ich euch wirklich nicht sagen, es währe zu gefährlich!"

„Also...", sagte Piper und ignorierte völlig ihre älteste Schwester, die verdutzt zu ihr sah.. Sie stand auf und ging langsam einige Schritte vor. Sie tat es ihren Schwestern gleich und verschränkte die Arme. „Dann müssen wir die drei Teile des Dolchs stehlen, Prue damit töten, den Engel irgendwie vernichten oder einsperren, bis wir den Dolch wieder einsetzen können; Leo finden, Chris retten, Prue wieder zurückholen, herausfinden, was mit Chris los war und den zur Hölle jagen, der Schuld ist, und das alles möglichst noch lebend." Sie sah zu ihren Schwestern. Es schien ihr alles so lächerlich, so unglaublich unrealistisch, doch Prue nickte ihr lächelnd zu. Sie verstand, dass alles genau so passieren müsste. Von hinten hörte man plötzlich Patrice Stimme.

„Vergesst nicht die Wächter der Finsternis, und diese komische Warlockfamilie , die uns ewige Familienfehde geschworen hat, die müssen wir auch noch kalt machen."

„Stimmt...", sagte Piper und drehte sich zu ihrer Nichte um, die jetzt wieder gutgelaunt auf dem Stuhl hockte. „Schaffst du die Wächter alleine?"

Ein Ruck ging durch die Frauen. „Was!", brach es aus Phoebe. „NEIN!"

„Klar schaff ich das!", sagte Patrice und schien überglücklich endlich wieder etwas Action zu erfahren.

„Nein, du kannst das nicht alleine machen, das ist viel zu gefährlich!", warf Phoebe ein und sprang hoch. Piper hielt sie davon zurück zu ihrer Tochter zu rennen.

„Wir haben viel zu tun und wenig Zeit und Kraft, wir müssen Prioritäten setzen und Patrice ist nun mal die Einzige, die es gewöhnt ist alleine zu kämpfen, wenn man mal von Prue absieht."

„Aber...es ist zu gefährlich, und sie kann sich nicht mal beamen!", warf Phoebe ein und sah flehend zu ihrer Tochter. Diese stand nun auf und ging zu ihrer Mutter. „Ich bin es gewöhnt alleine zu kämpfen, und ich fliehe nie aus einer Schlacht." Sie sah aufmunternd zu ihr hoch.

„Aber..." Phoebe wollte etwas einwenden, doch sie gab klein bei. „Sei aber vorsichtig!"

Ihre Tochter sah sie fröhlich an.

„Richards Familie können wir vorerst hinten anstellen, vielleicht müssen wir ein oder zwei Kopfgeldjäger ausschalten, doch mehr sollten wir nich erwarten.", sagte Piper und alle nickten zustimmend.

„Wir haben also vier Schwestern und drei Ziele, wobei wir für jedes einzelne die Macht der Drei brauchen könnten.", sagte Phoebe und legte die Hände in den Nacken.

„Sollen wir alles nach der Reihe machen oder trennen wir uns?" Paige sah in die Runde.

„Ich würde sagen wir gehe alle zusammen zu jeder Station und..." Prue wurde wieder von Piper unterbrochen.

„Nein. Für so was haben wir keine Zeit!"

Alle Blicke richteten sich auf sie.

„Mein Sohn stirbt!"

Die Halliwells sahen sie an, und nickten zustimmend.

„Wir machen es so: Phoebe."

Ihre jüngere Schwester sah auf. „Du kümmerst dich um die Dämonen. Es gibt keine wirkliche Quelle, und zur Not schickst du alle Attacken zurück!"

Phoebe nickte, dann wendete sich Piper an Paige.

„Du gehst nach Oben, zwar werden sie es nicht freiwillig geben, aber du musst sie überreden!" Auch Diese nickte.

„Prue und ich gehen zu den Avataren."

Der Plan war beschlossen, und mit einem aufbauenden Lächeln, verabschiedeten sich die Mitglieder der Halliwell Familie.

Doch Paige blieb skeptisch und beamte sich kurze Zeit, nachdem alle gegangen waren, zurück auf den Dachboden.

Langsam ging sie zum Buch der Schatten, das auf dem Ständer vor dem Fenster stand. Sie sah auf den Lederumschlag. Das Symbol der Macht der Drei war immer noch getrennt.

Sie seufzte, und blätterte zu einer Seite, die sie gesehen hatte, als sie nach einer Möglichkeit gesucht hatte Leo zu finden. Sie sah auf das leere Blatt, doch sie wusste, dass dort etwas war.

Als sie diese kleine Notiz zum ersten Mal gesehen hatte, wollte sie nicht glauben, was dort stand, obwohl sie es schon gefühlt hatte.

Das leere Blatt, das ist nicht wahr,

drum zeig dich Schrift und werde klar."

Wie als hätte man Wasser über die Seite gegossen, breitete sich ein Eintrag aus. Langsam wurden Buchstaben, Wörter und ein Bild sichtbar.

Es war der Zauber, mit dem man die Macht der Halliwells anrufen kann, der Zauber, mit dem die ursprüngliche Quelle des Bösen vernichtet wurde.

Mit jedem Toten hatte sich der Spruch erweitert. Immer wenn eine Halliwell starb, erschien ihr Name dort im Spruch und gab ihm mehr Kraft.

„Penelope, Patricia...", begann sie leise zu sagen und fuhr dabei mit der Hand von einem Namen zum anderen. Vor dem letzten Namen stockte sie. „Prudence"

Lange sah sie auf ihn, wie auf etwas, was unmöglich sein konnte. Dann fuhr sie mit der Hand über die kleine Linie, die mit Kugelschreiber unter dem Namen gezogen wurde, dann ging sie zur unteren Ecke, auf der etwas stand, ebenfalls mit dem gleichen Stift.

„Vertraut ihr nicht."