Kapitel 34: Der Brief

Draco Malfoy tobte, im wahrsten Sinne des Wortes, und sein Schlachtfeld war der Schulsprechergemeinschaftsraum. Es geschah eigentlich selten, dass jemand ihn so aus der Fassung bringen konnte, es sei denn, dieser jemand hieß Severus Snape oder Hermione Granger. Besagte befand sich ebenfalls im Raum und versuchte verzweifelt, ihren Freund zu beruhigen.

„Draco, bitte, würdest du…"

Doch dieser hörte ihr nicht einmal zu. Blind vor Wut trat er ein weiteres Mal auf den Stuhl ein, den er bereits zu mundgerechten Stückchen verarbeitet hatte. „Das ist doch echt nicht zu fassen! Dieser minderbemittelte, intrigante, selbstgefällige… was fällt dem eigentlich ein?! Und dann noch vor der gesamten Mannschaft!" Draco war gerade im Begriff, Krummbein zu treten, als Hermione einschritt.

„Draco Malfoy!" donnerte sie, „Wag es ja nicht, meine Katze zu treten, sonst wirst du mich kennen lernen!" Draco schaute sie verdutzt an, jeglicher Ärger für den Moment vergessen, als er in die Augen der wütenden Gryffindor blickte, die ihn gefährlich anfunkelten. Ein Funkeln, das er das letzte Mal im dritten Schuljahr bei ihr gesehen hatte. „Setz dich!" Sie deutete auf das Sofa vor dem Kamin, das glücklicherweise noch nicht Dracos Wutanfall zum Opfer gefallen war. Mehrere Minuten schaute sie Draco nur durchdringend an und sagte nichts, was den Slytherin erneut in den Wahnsinn treiben würde. Jedoch wusste dieser auch, dass es klüger war, sich nicht mit ihr anzulegen, wenn sie wieder einmal kurz vor einer ihrer Predigten stand, die, wie Draco zugeben musste, wirkungsvoller waren, als die seines Hauslehrers. Und Liebhabers deiner Mutter und Vater des Kindes nicht zu vergessen.

„Ich versteh' dich ja."

Nein, tust du nicht! Du hasst Quidditch und deine Mutter ist nicht fremdgegangen!

„Und ja, ich würde ihn auch am liebsten erwürgen, wenn ich an deiner Stelle wäre."

Siehst du!

„Aber…"

War ja klar. Das Aber klang ja schon am Anfang mit.

„…du musst zugeben, dass Zabini Recht hat."

WIE BITTE?!?!?

„Es sieht schon seltsam aus, wenn Draco Malfoy, arroganter Reinblüter vom Dienst, plötzlich mit einem Schlammblut Kontakt pflegt und dafür das Quidditch-Training ausfallen lässt, oder? Besonders wenn das Schlammblut auch noch zufällig die beste Freundin des Jungen-der-lebt ist, den du seit Jahren als persönlichen Erzfeind ansiehst. Du musst dich nicht wundern, wenn Maximilian deine Schwäche für sich nutzt und jetzt auf deiner Position spielt."

„Wenn das mein einziges Problem wäre…"

„Denkst du wieder an deine Mutter?" Das war also der eigentliche Knackpunkt.

„Natürlich! Ich meine, wie stellen die zwei sich das eigentlich vor?! Was, wenn das Kind nicht blond ist? Und diese Möglichkeit ist doch sehr wahrscheinlich, glaubst du nicht?"

„Jetzt wo du es sagst. Biologisch gesehen ist schwarz dominanter… Es muss eigentlich schwarzhaarig werden."

Resigniert schaute Draco zu Boden. „Danke."

Hermione suchte verzweifelt nach aufmunternden Worten. „Keine Sorge. Deine Mutter und Professor Snape haben sich sicherlich schon etwas überlegt."

Hoffentlich.

Dichter Nebel hing über der Moorlandschaft, die das verlassene Herrenhaus einer der wohl einflussreichsten Zaubererfamilien Deutschlands, wenn nicht Europas, umgab. Kaum eine Hand war vor Augen zu erkennen und hätte die Gestalt mit dem schwarzen Umhang den richtigen Weg nicht genauestens gekannt, wäre sie hoffnungslos verloren gewesen und hätte ihr feuchtes Grab in der dunklen Sumpflandschaft gefunden, wie bereits Unzählige vor ihr. Sicheren Schrittes näherte sie sich jedoch dem imposanten Gebäude, das, wenn auch ein wenig verkommen über die langen Jahre, noch immer nichts von seiner eindrucksvollen und zugleich beängstigenden Wirkung verloren hatte.

Beängstigend wohl auch aufgrund der vorherrschenden Wetterverhältnisse: Die düsteren Wolken hingen in der heutigen Nacht derart tief, dass man nicht einmal sicher sein konnte, wo der Himmel anfing und der Horizont aufhörte. Nicht ein einziger Stern wagte es, sich zu zeigen, und die dunkelgraue Färbung der unheilvollen Regenbringer hinderte selbst den Mond daran, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

An der Tür angekommen wartete die Person nicht darauf, eingelassen zu werden – nicht, dass man an solch einem Ort einen herzlichen Empfang erwarten würde, vor allem nicht, wenn man das Gebäude durch die Hintertür betrat. Mit einem skeptischen Blick gen Himmel betrat sie das Haus. Da braut sich ganz schön was zusammen.

Der äußere Eindruck war trügerisch: Zwar verlor das Haus Innen nichts von seinem unheimlichen Ambiente, doch war es hier alles andere als heruntergekommen. Es gab weder eine Zentimeter hohe Staubschicht, die sich auf sämtlichen Möbeln und Gegenständen angesammelt hatte, noch waren irgendwelche Anzeichen von Ungeziefer im Inneren des Hauses vorzufinden. Sowieso schien die antike Innenausstattung komplett saniert und teils renoviert worden zu sein, so dass moderne Hightech-Geräte neben schweren Ebenholzschränken Platz gefunden hatten.

Mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen über den noch immer seltsam anmutenden Anblick von alt und neu durchquerte der Besucher die Eingangshalle und folgte dem Lichtschein, der aus einer halbgeschlossenen Tür herausdrang, wohlwissend, dass dort jemand auf ihn wartete. Er betrat das Arbeitszimmer.

„Du kommst spät, Gregor."

„Dir auch einen schönen guten Abend, Arius." Gregor Heydrich legte seinen Mantel ab und setzte sich an den Kamin, um sich in seinen klammen Sachen nicht den Tod zu holen. Wohl niemand anderes würde sich in der Gegenwart des wohl mächtigsten und raffiniertesten Magiers der Zauberergesellschaft derart unvorsichtig verhalten wie Heydrich. Aber schließlich war er auch nicht „niemand", denn er konnte diesen außergewöhnlichen Zauberer als seinen Freund bezeichnen. Ein Freund, dem er vollends vertrauen konnte und der ihm vertraute… mehr oder weniger.

Arius von Grossek begutachtete seinen Freund kurz vom Schreibtisch aus und widmete sich dann wieder seinen Geschäften. „Und? Alles erledigt?"

Auf diese Frage hin lachte Gregor kurz humorlos auf und erntete von seinem Gesprächspartner umgehend einen abfälligen Blick. „Also wirklich, denkst du etwa, ich würde mich sonst hierher begeben?" Gregor schaute seinen Freund mit gespielter Ungläubigkeit an. „Arius, ich muss zugeben, ich bin enttäuscht. Ich habe angenommen, du würdest mich besser kennen. Nun gut. Was ist mit dir? Hast du schon alles erledigt ?"

„Ich wäre längst fertig, wenn ich nicht andauernd abgelenkt würde." Mit einem warnenden Blick erstickte Arius jedwede Erwiderung seitens seines Besuchers, der genau wusste, wann er besser den Mund halten sollte. Stillschweigend verfolgte Gregor, wie Arius den Brief zu Ende schrieb und sich dann, mit eben diesem, zu ihm an den Kamin setzte.

„Was, meinst du, wird sie zu meinem Angebot sagen?" Der vorangegangene Ärger schien vergessen. Mit einem leichten Wink seiner Hand erschienen zwei Gläser und eine Flasche Feuerwhiskey auf dem kleinen Tisch vor ihnen.

„Ich denke, dieses Angebot wird sie unmöglich abschlagen können." Beide mussten unweigerlich lachen.

„Darauf trinken wir."

Narcissa Malfoy saß bereits seit einer geschlagenen halben Stunde in ihrem Zimmer und schaute wie gebannt auf den Brief, der vor ihr auf dem Bett lag. Sie hatte so ein ungutes Gefühl in der Magengegend und da sie des Öfteren schon festgestellt hatte, dass es besser war, auf dieses Gefühl zu hören, hatte sie dementsprechend nicht gewagt, den Brief zu öffnen.

Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Wäre Lucius zu Hause gewesen, hätte er ihre Ängste aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer höhnischen Bemerkung als Kinderkram abgestempelt und sie somit zwar verärgert aber auch gleichzeitig beruhigt. Aber er war nicht da. Sowieso war er die letzten Tage recht merkwürdig gewesen und seit dem Morgen war er verschwunden.

Dies war wiederum sicher nichts Ungewöhnliches für die Frau eines Todessers, der jahrelang dem Ruf seines Meisters gefolgt und wiederholt tagelang fort gewesen war, ohne sie über seinen Aufenthaltsort zu informieren.

Dennoch, ihr früher so eiskalter Ehegatte erstaunte Narcissa jeden Tag aufs Neue. Zwar dachte sie anfangs – und zum Teil noch immer –, dass Lucius nur wieder seine Spielchen mit ihr spielen würde, und seine liebende und führsorgliche Art nur ein Mittel zum Zweck sei, um sie nochmals für sich zu gewinnen, doch inzwischen war sie sich dessen nicht mehr so sicher. In letzter Zeit hatte Lucius einen überdurchschnittlichen Beschützerinstinkt entwickelt, der sich die letzten Tage noch intensiviert zu haben schien und seit geraumer Zeit ertappte sie sich oftmals bei der Frage, ob ihr Mann ihr wirklich nichts mehr bedeutete…

Das Treten ihres ungeborenen Kindes brachte die Reinblüterin zurück in die Realität. Dorthin, wo immer noch der ungeöffnete Brief vor ihr lag.

Benimm dich nicht so kindisch, Narcissa. Öffne ihn endlich.

Entgegen jedweder Logik nahm sie das Schreiben und betrachtete ein weiteres Mal das Siegel, welches die Rückseite zierte. Das Siegel war ihr völlig unbekannt. Ohne weitere Umschweife machte sie den Brief auf, bevor sie es sich wieder anders überlegen konnte und ehe sie sich versah, fiel ein kleiner goldener Schlüssel auf das Bett. Leicht verwundert widmete sich Narcissa dem beiliegenden Schriftstück.

Sehr geehrte Mrs. Malfoy,

wenn Ihnen das Leben Ihres Sohnes etwas bedeutet, nehmen Sie den Schlüssel an sich und retten damit das Leben Ihres Erben. Andernfalls wird Ihr Ehemann von Ihrer Untreue in Kenntnis gesetzt.

Arius von Grossek

Narcissa war starr vor Angst. Das konnte nicht wahr sein.Niemand durfte ihrem Baby auch nur ein Haar krümmen! Narcissa griff zaghaft nach dem Schlüssel. Das laute Aufschlagen der Eingangstür ließ sie unweigerlich zusammenschrecken. Wer war da gekommen?

„…tter!" Sie kannte diese Stimme.

„Mutter!" Draco. Er war hier?

Doch es war bereits zu spät.

TBC

A/N: Hoffe es hat euch gefallen. Wir haben noch ein Zusatz Kapitel geschrieben, was eigentlich vor „Der Gargoyle" gehört, aber da wir schon weitergemacht haben, werden wir es als letztes Zusatz-Kapitel uploaden. Es ist auch nicht wirklich wichtig für die Geschichte.

REVIEW!!!