Kapitel 37: Verluste
Hermione Granger war zu schockiert von dem Anblick, der sich ihr bot, um Draco aufzuhalten, der sich vom Waldboden aufrappelte und in blinder Angst auf die Einhornlichtung zulief.
„DAAAD!"
Dracos Stimme riss sie aus ihrer Starre, aber es war bereits zu spät. Der junge Slytherin würde direkt in die Arme der Gestalt laufen, die seinen Vater soeben vor ihren Augen skrupellos getötet hatte. Mit den anderen setzte sie sich wieder in Bewegung auf die Lichtung und auf Draco zu. Ihr Bewusstsein schrie: DRACO! NICHT!
„Draco! Nicht!"
Wage registrierte Hermione die Stimme einer bekannten Person und kurz darauf erschien direkt vor ihr auch schon ihr Besitzer, welcher mit unglaublicher Geschwindigkeit durch das Unterholz lief. Aber noch immer war ihr Blick ganz auf das Geschehen der Lichtung gerichtet, wo Draco, der sich nun zwischen die Gestalt seines Vaters und den Erben Voldemorts gestellt hatte, entwaffnet und gegen einen Baum geschleudert wurde.
„NEIN!"
Hermione hatte nicht einmal bemerkt, dass auch sie geschrieen hatte, im Gegensatz zu von Grossek, denn dieser hielt kurz inne und blickte überrascht in ihre Richtung. Auch andere Rufe waren nun zu hören und hallten im Verbotenen Wald, als kämen sie von überall her. Hermione meinte, Professor Lupins Stimme unter ihnen wieder erkannt zu haben.
„Albus, ich habe sie gefunden! Hier entlang!"
Während Arius von Grossek widerwillig die Flucht ergriff und hinter seinen zwei Gefährten im Gehölz zu verschwinden suchte, hatte Hermione zusammen mit Harry, Ron und Marie Therese nun auch die Ritualstätte erreicht. Von Grossek war nicht mehr zu sehen.
„Schnell, er entkommt!" hörte sie Harry rufen und Ron stupste sie an, weiterzulaufen.
Marie konnte den Zwiespalt im Gesicht der Schulsprecherin erkennen.
Hermione wollte zu Draco, ihn umarmen, sicher gehen, dass er wirklich in Ordnung war. Es schmerzte, ihn so zu sehen, mit leeren Augen, in denen lediglich die Tränen von Leben zeugten. Doch…
„Hermione!"
Hermione hatte jedes Jahr aufs Neue erfahren, was passieren konnte, wenn man Voldemort entkommen ließ und sie wollte bei seinem Erben gewiss nicht dasselbe durchmachen. Und Draco war nicht Harry Potter, welcher sich jedes Mal mit mehr Glück als Verstand hatte retten können.
Mit einem letzten Blick Richtung Draco wandte sie sich ab und holte Marie ein, während sie mit Harry und Ron die Verfolgung aufnahmen. Gut, dass die Einhornlichtung ein magisch-geschützter Ort war, der es den Flüchtlingen schwer machen würde, einfach zu apparieren.
§§§
Mit von Zorn verzerrtem Gesicht eilte Arius von Grossek durch den langsam dichter werdenden Wald. Er war es gewohnt, im Sumpf auf seine Füße zu achten, jetzt aber schlugen ihm auch noch Äste ins Gesicht, die er nicht alle mit den Händen abwehren konnte.
Vor ihm bahnte sich Gregor einen Weg durch das Dickicht, vorbei an den Geschöpfen des Waldes und weg von den Stimmen der Verfolger um Dumbledore.
Wie hatten sie so schnell herausgefunden, dass es sich in Stonehenge um eine Finte gehandelt hatte? Arius war sich sicher, dass die Todesser so vorgegangen waren, wie er es ihnen auferlegt hatte… Nein, jemand musste sie gewarnt haben.
„Wenn ich den erwische, wird er sich wünschen niemals geboren zu sein!"
Und er hatte immer angenommen, Menschen einschätzen zu können, aber Malfoys Verhalten hatte ihn wirklich überrascht. Sowohl das von Lucius als auch das seines Sohnes. Seinem Informanten zufolge konnten sich Draco Malfoy und Harry Potter nicht ausstehen, warum also half der Erzfeind seines Vaters ihm nun? Dass er nun ebenfalls von dem Jungen-der-lebt bedroht wurde…
Von Grossek musste unwillkürlich lachen bei dieser Ironie. Hatte der Fluch des Einhornblutes schon eingesetzt?
„Gleich müssten wir einen Punkt erreichen, an dem wir verschwinden können, Arius", hörte er Gregors Stimme von vorne, während er einem weiteren Ast auswich.
„Das wird knapp, Meister. Harry Potter und die anderen Blagen sind uns dicht auf den Versen", kam es von hinter ihm.
„Vielleicht ist es nun an der Zeit, sich von der Maske zu trennen, mein Freund."
„Vielleicht." Auch wenn die Mimik aufgrund der Maske verborgen blieb, hatte Arius das deutliche Gefühl, dass der Mann hinter der Maske grinste.
§§§
Harry war sich sicher, dass sie näher kamen, denn vor ihnen schien der Wald wieder etwas lichter zu werden. Sie näherten sich einer Lichtung. Er bewaffnete sich mit seinem Zauberstab, die anderen taten es ihm nach. Es ging um jede Sekunde…
Noch einmal beschleunigten sie ihren Lauf und schließlich sahen sie die drei, wie diese gerade um einen der typischen großen Bäume des Verbotenen Waldes verschwanden.
Dann standen sich die zwei Gruppen gegenüber.
Mit unglaublicher Schnelligkeit wurden Zaubersprüche, Kontersprüche und Flüche losgelassen, die die Lichtung für kurze Zeit in gleißendes Licht tauchten.
Ein Expelliarmus von Hermione hatte von Grossek überraschend entwaffnet, nachdem Harry Gregor Heydrich, der sich schützend vor seinen Meister gestellt hatte, mit einem starken Angriffszauber zu Boden gebracht hatte und ihn ebenfalls seines Zauberstabs entledigt hatte. Ein Todesfluch von Arius wurde glücklicherweise durch einen Konterspruch Maries und Rons Angriff entschärft und beförderte die beiden unsanft zu Boden. Aber ein Fluch des noch immer Maskierten hatte Hermione getroffen und nun lag sie ebenfalls am Boden, unfähig, sich zu bewegen.
Nach diesem rasanten Abtausch kehrte angespannte Stille ein.
Ron und Gregor suchten aus den Augenwinkeln nach ihren Zauberstäben, während sich beide Seiten aufmerksam beobachteten. Arius von Grossek und seine Gefährten zogen sich etwas zurück.
„Geben Sie auf, von Grossek! Gleich werden Professor Dumbledore und die anderen hier sein." Rons Worte wurden mit schallendem Gelächter beantwortet.
„Nun, dann ist es vielleicht an der Zeit, uns zu verabschieden. Mister Weasley…"
Ron dachte, dass allein der Blick von Grosseks ihn töten würde, doch dann richtete er den Blick auf seinen maskierten Begleiter.
Was?
Schützend stellten sich Harry und Marie vor Ron, während der geheimnisvolle Anhänger von Grosseks nun langsam seine Maske herunternahm. Wären Arius zwei Köpfe gewachsen, es hätte Harry und Ron nicht mehr überrascht als das, was die Maske enthüllte.
§§§
Marie Therese von Waldersee kam nicht aus England und hatte auch ihre Schultage nicht in Hogwarts verbracht und so verstand sie nicht, was Harry und Ron erstarren ließ. Aber auch sie bemerkte zu spät, wie von Grossek und Heydrich langsam zurückgegangen waren und nun nach einem Gegenstand am Boden griffen.
„Auf Wiedersehen die Herren… und Damen!"
Zu spät lenkten sie die Aufmerksamkeit wieder auf Arius und Gregor. Das Licht, dass die Gegenstände in ihren Händen ausstrahlten, verriet Harry, dass es sich um Portkeys handeln musste. Harrys „Stupor" flog unbeachtet durch das sich auflösende grinsende Gesicht von Grosseks. Die Ablenkung war gelungen. Arius von Grossek war entkommen.
„Nun, womit fangen wir an. Ah, Crucio!"
Entsetzt sah Marie, wie Harry neben ihr zusammenzuckte und unter Schreien zu Boden ging. Nun lag es an ihr. Mutig stellte sie sich in Angriffspose.
Ihr Gegenüber lachte. Oder war es eher Gackern?
„Eine nette Freundin hast du da. Sie will ihr Leben für dich opfern. Gibt es einen größeren Liebesbeweis?"
Ron erwachte endlich aus seiner Trance. Marie war in Gefahr. Er wollte nach seiner Waffe greifen.
„Keine Bewegung, Ronald Weasley! Oder ihr seid alle des Todes!" Ron hielt inne.
„Braver Junge."
Der jüngste der Weasley-Brüder war in einem Alptraum gefangen.
§§§
Hermione kam langsam wieder zu Bewusstsein. Warum tat ihr ganzer Körper weh? Ach ja, wir waren Arius von Grossek gefolgt…Genau!
Von Grossek hatte Dracos Vater getötet und hatte auch den Rest der Familie vernichten wollen! Hermione wollte aufspringen und von Grossek angreifen, aber ihr Körper versagte seinen Dienst.
„Warum…?"
Das war Rons Stimme. Was war geschehen? Wie ging es den anderen?
„Warum?!" wiederholte Ron seine Frage jetzt lauter.
Eine Hermione bekannte Stimme lachte. Nein, das kann nicht sein!
„Du musst deine Frage schon präziser stellen, Ron."
„Du weißt, was ich meine. Warum arbeitest du für von Grossek?! Antworte, Percy!"
Wieder dieses Lachen. „Warum? Wie wäre es mit Geld, Ansehen, alles, was du wohl niemals haben wirst."
Hermione traute ihren Ohren nicht. Als Percy der Familie den Rücken gekehrt und zum Zaubereiministerium gegangen war, hatten sie ihm das schon nicht verzeihen können, aber dass er jetzt wirklich für die falsche Seite kämpfte…
Sie versuchte sich aufzurichten, um es mit eigenen Augen sehen zu können.
„Hör endlich auf, Percy. Du arbeitest für das Böse. Das kannst du unmöglich ernst meinen. Du bist doch auch ein Gryffindor!"
Hermione konnte langsam erste Umrisse erkennen. Neben ihr lag Harry, er schien bewusstlos zu sein. Außerdem erkannte sie die Beine von Marie. Ihre Ängste hatten sich nicht bewahrheitet. Gott sei Dank lebten sie noch alle.
„Gryffindor! Hah! Ich war nur in Gryffindor, weil alle aus unserer Familie in Gryffindor gewesen sind. Aber dort waren meine Talente vergeudet. Ich hätte eher in Ravenclaw oder Slytherin gehört."
„Weißt du was, Percy, das war schon immer dein Problem! Dass du dich immer für etwas Besseres gehalten hast!"
„Halt die Klappe!"
Hermione konnte jetzt das zornige Gesicht Percy Weasleys sehen. Er richtete den Zauberstab auf Ron, der nicht bewaffnet zu sein schien.
„Hör auf, bevor du noch jemanden tötest!"
Percy schien kurz zu stocken, aber dann lachte er bitter. „Dafür ist es schon zu spät. Selbst wenn ich wollte, wäre es jetzt schon zu spät." Dann schrie er Ron an, aber es klang mehr, als versuchte er sich selbst zu überzeugen. „ABER ICH WILL AUCH NICHT ZURÜCK!"
Stimmen kamen näher.
„Percy, du bist vollkommen verrückt!" In Rons Augen waren Tränen.
Hermione versuchte wieder sich aufzurappeln. Die letzte Bemerkung schien Percy nicht gefallen zu haben, denn seine Augen wurden weit, während sich die Augenbrauen vor Zorn zusammenzogen.
Und dann lachte er wie ein Wahnsinniger, bevor er mit leiser Stimme sprach. „Sag auf Wiedersehen, Ron…", er hob den Zauberstab in die Luft. „…zu deiner kleinen Freundin!" und damit wandte er sich direkt an Marie.
Hermione sah mit vor Entsetzen geweiteten Augen, wie Ron noch versuchte, seinen Zauberstab zu schnappen und einen Konterzauber zu formulieren, aber der Angriff war zu schnell.
„AVADA KEDAVRA!"
Der Spruch traf Marie mit voller Wucht. Wie in Zeitlupe sahen Hermione und Ron, wie Maries Augen vor Verwunderung aus den Höhlen traten und ihr Mund in einem stummen Schrei geöffnet war. Dann fiel sie langsam mit einem dumpfen Geräusch zu Boden.
„NEEEEEEEIIIIIIIN!"
Rons Schrei war durch den ganzen Wald zu hören und seine Wut schien ungebändigt. Hermione versuchte, ihn aufzuhalten, aber sie konnte nur langsam auf ihn zukriechen und in seiner rasenden Wut konnte Ron ihre leise Stimme nicht hören. „Tu…es nicht, …Ron."
Rons mörderischer Blick wischte Percys Grinsen kurz aus seinem Gesicht, aber dann kehrte es unvermittelt zurück. „Du kannst es nicht Ron."
„Avada… Kedavra", brachte Ron die Worte bebend hervor, als auch schon der Strahl seinen Stab verließ und Percy traf. Im Fallen verwandelte sich dessen grinsendes Gesicht in Ungläubigkeit und blieb so auf ewig erstarrt.
Als Albus Dumbledore mit den anderen endlich die Lichtung erreichte, saß Ron mit dem leblosen Körper Maries im Schoß auf dem Waldboden und weinte. McGonagall und Madam Hooch kümmerten sich um ihn.
Remus Lupin hob Hermione auf. Auch sie hatte geweint.
„Professor? …Ich möchte…zu Draco."
§§§
Remus wusste nichts, um die junge Hexe zu trösten, also trug er sie schweigsam zur Einhornlichtung zurück, wo sich alle versammelten. Wäre er nur früher gekommen…
Er fand Draco mit Snape bei seiner noch immer ohnmächtigen Mutter sitzend. Er setzte Hermione ab und belegte sie mit einem Wärmezauber. Dann ging er mit Snape zu Dumbledore.
Hermione schaute zu Draco herunter. „Draco? …Wie… geht es deiner Mutter?"
Der Slytherin sah sie an und sprang auf, als er sie erkannte, die Leere in seinen Augen verschwindend. „Hermione!" Er umarmte sie. „Meiner Mutter geht es gut, aber…"
Die Gryffindor klammerte sich an Draco fest und vergrub ihr Gesicht in seinem Hemd.
„…Was ist mit dir? Was ist passiert?" flüsterte er mit besorgter Stimme in ihr Ohr, als eine böse Vorahnung ihn erfasste.
„Marie…", schluchzte Hermione. „Marie ist…Percy hat sie…t-tut mir leid…ich kann nicht…" Jetzt überkamen auch den Malfoy-Erben die Tränen. Draco drückte Hermione noch stärker an sich und gemeinsam trauerten sie. Ein Beweiß dafür, dass sie nicht alles verloren hatten. Sie hatten sich.
§§§
Nachdem Albus Narcissa wieder aufgeweckt hatte, wurde sie auf eine Bare gelegt und zurück nach Hogwarts gebracht. Von Lucius' Tod hatte man ihr noch nichts erzählt. Denn das würde seine Aufgabe sein…
Severus Snape starrte auf das schmerzverzerrte Gesicht Lucius Malfoys herab, der vor ihm am Boden lag und war gefangen in den Klauen seines ganz persönlichen Alptraums.
Lucius Malfoy, dessen Leben ihn so sehr gezeichnet und geformt hatte. Der Mann, den er geschworen hatte zu hassen, dafür, dass er ihm den Weg zum Dunklen Lord geebnet hatte, dessen Welt niemals unschuldig gewesen und der gestorben war – für seine Frau und sein Kind. Und Severus Snape fühlte sich schuldig.
Er verfluchte sich, versuchte den Gedankengang abzubrechen und ließ sich einmal mehr von seinem Hass übermannen. Von der Dunkelheit, die ein Teil seines Wesens war und anstatt sie zu bekämpfen, hieß er sie mit offenen Armen willkommen, denn dies war so viel einfacher… Und die Dunkelheit strömte heran, umfing ihn, durchdrang ihn. Er wollte nicht darüber nachdenken.
Doch nun standen die furchtbaren Bilder eines toten Lucius klar eingebrannt vor seinem geistigen Auge. Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen, nicht darauf achtend wohin er ging – nur weg von diesem unheilvollen Ort.
Ist das deine letzte Rache an mir, Lucius? Erwartest du etwa meine Absolution?
Nein, dafür war er noch nicht bereit. Zu tief waren die Wunden. Zu stark der Schmerz. Vergeben nein. Vergessen vielleicht. Die Zeit heilte alle Wunden.
Seit Jahren bekämpfte Severus Snape nun schon das Böse, dass sich vor allem in den Todessern offenbarte, aber noch immer war er unfähig, das Böse im Inneren seines Herzen zu zerstören.
Es tut mir leid, Lucius. Wenn ich könnte, würde ich es ändern. Aber das liegt nicht in meiner Macht.
TBC
AN: Kein Kommentar
REVIEW!
