Kapitel 9
Ein harmloser Kuss?

Sara folgte Brass zu seinem Wagen. Der Captain verstaute ihre Tasche auf dem Rücksitz, öffnete ihr die Beifahrertür und schaute sich auf dem Parkplatz um.

„Meinst du, Sam ist hier irgendwo?", fragte Sara und glitt auf den Sitz.

„Unwahrscheinlich ist das nicht", antwortete Brass, schloss die Tür, eilte um den Wagen herum und stieg ebenfalls ein. Als er den Zündschlüssel umdrehte, fuhr er fort:

„Ich habe je einen Cop zu deinem und meinem Apartment geschickt. Wunder dich also nicht."

Sara betrachtete Brass. Die Nervosität, die sie eben noch beim Anblick von Sams Foto verspürt hatte, war verflogen. Brass gab ihr das Gefühl von Sicherheit. Und nicht nur das. Sie genoss es, in seiner Nähe zu sein, genoss die Art, wie er sie ansah, mit ihr sprach, sie behandelte. Es waren die kleinen Gesten, die sie besonders berührten und die ihr schon früher aufgefallen waren. Brass behandelte sie mit Respekt und Fürsorge, das war das eine. Aber da war noch mehr. Es war eine Vertrautheit zwischen ihnen, eine Nähe, die sich bis in seine Körpersprache ihr gegenüber fortsetzte. Sara lächelte, als sie daran dachte, wie oft sie sich im Job fast beiläufig berührten, egal ob bei Besprechungen, an Tatorten oder selbst im Vernehmungszimmer. Und Brass war der Einzige, dem es schon zu Beginn aufgefallen war, als sie versucht hatte, ihre Verzweiflung über ihre verdammte Vergangenheit und Grissoms Ablehnung mit Bier zum Schweigen zu bringen.

Sara streckte ihre Hand aus und legte sie auf seinen Arm.

„Danke."

Brass lächelt, nahm ihre Hand in seine linke und küsste sie, bevor er sie losließ und sich wieder auf die Straße konzentrierte. Zu konzentrieren versuchte. „Schalte deinen Verstand ein, Jim", dachte er. „Sie ist bei dir, weil sie deinen Schutz sucht, nicht, weil sie Interesse an dir hat. Du hast doch ihre Worte zu Greg gehört! Außerdem liebt sie Grissom, und selbst, wenn das vorbei sein sollte, ist da noch Greg. Wie willst du da mithalten?"

Sara legte ihre Hand auf ihren Schoß und sah aus dem Fenster. Ihre Gedanken kreisten um die Stelle, an der Brass' Lippen sie berührt hatten. Sie wandte ihren Kopf und schaute wieder zum Captain. War sie gerade dabei, sich in ihn zu verlieben? Herrje, es war doch nur ein harmloser Handkuss!

„Ah, der Steifenwagen ist schon da", sagte Brass mehr zu sich selbst. Sara blickte auf. Tatsächlich, sie waren schon vor ihrem Apartment.

„Woher weißt du eigentlich so genau, wie man zu mir kommt?", fragte sie.

Brass parkte neben dem Polizeiauto und zwinkerte ihr zu.

„Was wäre ich für ein Schutzengel, wenn ich das nicht wüsste?"

Sara grinste. Auch seine Schlagfertigkeit liebte sie. Halt. Hatte sie gerade „liebte" gedacht? Sie stöhnte innerlich auf. Es hatte sie stärker erwischt als sie gedacht hatte. Wie sollte das bloß werden, wenn sie mit ihm in den kommenden Tagen auch noch zusammen wohnte? Sie wollte sich nicht schon wieder so lächerlich machen wie sie es so oft in Grissoms Gegenwart getan hatte. Und es war schwer genug für sie gewesen, sich von ihren Gefühlen für Grissom zu befreien …

Sie stiegen aus, grüßten den Cop und gingen zu Saras Wohnung. Sara schloss die Tür auf und schaltete das Licht ein. Brass folgte ihr und schaute sich in ihrem 1-Zimmer-Apartment um. An den Wänden hingen zahlreiche Fotos, offenbar Freunde aus San Francisco. Auf einem großen, gerahmten Foto war Sara lachend vor der Golden Gate Bridge zu sehen.

Sara schloss die Tür hinter ihnen ab und ging zur Küchenzeile. Auf der Anrichte stand der Anrufbeantworter und blinkte.

„Oh, jemand hat angerufen", sagte sie und drückte die Play-Taste. Brass stellte sich neben sie und spürte, wie sie beim Erklingen der Stimme zusammenzuckte.

Hallo Prinzessin. Hast du meine Nachricht erhalten? Nicht mehr lange, und wir werden uns wieder sehen ... Diesmal werde ich dich nicht nur einmal nehmen, das verspreche ich dir. Du entkommst mir nicht. Diesmal nicht. Und auch dein verknallter Bulle wird dir nicht helfen können."

Sara drehte sich zu Brass. In ihren Augen spiegelte sich Entsetzen. Brass zog sie an sich und sie ließ sich in seine Umarmung fallen.

„Keine Angst, ich bin bei dir und ich bleibe bei dir. Er wird dir nichts tun, dafür sorge ich", murmelte er ihr ins Ohr. Er spürte, wie die Anspannung aus ihrem Körper wich. Sara hob ihren Kopf und suchte seinen Blick.

„Er muss uns beobachtet haben, sonst wüsste er nicht von dir."

Er nickte und ließ sie los.

„Such du deine Sachen zusammen, ich sichere das Band und sag Grissom Bescheid, damit er nachher jemanden schickt, der es bei mir Zuhause abzuholt."

Brass schaute Sara hinterher, bis sie im Schlafzimmer verschwunden war, und wandte sich dann dem Anrufbeantworter zu. Er spielte das Band noch einmal ab, bevor er es aus dem Gerät nahm und einsteckte. Brass zückte sein Handy und wählte Grissoms Nummer, doch seine Gedanken kreisten weiter um Sams Worte. „Verknallter Bulle" … Waren seine Gefühle für Sara so offensichtlich?

TBC