Kapitel 10
Good bye Grissom

Sara spürte eine leichte Aufregung, als Brass seine Wohnung aufschloss. Er nahm ihre beiden Taschen und ging voraus.

Vor ihnen lag ein heller, in dunklem Gelb gehaltener Flurbereich, von dem links und rechts Räume abgingen und der sich nach hinten hin in einen großen Wohnzimmerbereich öffnete. Sara erspähte eine dunkelrote Couch, zwei lederne Sessel und einen gelungenen Mix aus Antiquitäten und modernem Design. An den Wänden hingen Schwarzweiß-Fotographien von Landschaften und alten Gebäuden. Ein deckenhohes Regal mit Büchern zierte eine komplette Wand. Sara war verblüfft.

„Wir bringen erstmal deine Sachen ins Gästezimmer, danach gibt es eine kleine Wohnungsführung", lächelte er über seine Schulter, als er ihren interessierten Blick auffing.

Sara schloss die Haustür und klatschte in ihre Hände.

„Einblicke in die Privatgemächer von Captain Brass … wow, ich wollte schon immer wissen, wie es bei dir aussieht!"

Sie grinste, als er sich mit hochgezogener, rechter Augenbraue umdrehte und rückwärts in einen Raum einbog, der anscheinend das Gästezimmer war. Sie folgte ihm. Er stellte ihre Taschen auf eine Schlafcouch, öffnete einen Schrank und holte Bettdecke, Kissen und Bettzeug heraus.

„Hier im Schrank ist genug Platz für deine Sachen. Und nachher bezieh ich dir auch noch das Bett."

Sara betrachtete die Fotografien an den Wänden. Sie ähnelten denen im Wohnzimmer. Brass trat neben sie.

„New Jersey", sagte er.

Sara legte Waffe, Pieper und Handy auf einem kleinen Tisch am Fenster, deutete auf das Porträt, das auf dem Tisch stand, und flüsterte: „Und Ellie."

"Ich bin halt sentimental", witzelte Brass, doch seine Stimme verriet Traurigkeit.

Saras Hand schlüpfte in seine und sie küsste ihn auf die Wange.

„Ich würde eher sagen, dass du Gefühle hast. Und das finde ich sehr sympathisch."

Brass drehte sich zu ihr. Ihre Lippen berührten sich fast. Brass spürte Saras Atem. Er schloss die Augen und beugte sich weiter vor … In diesem Moment läutete es an der Tür. Beide zuckten zusammen.

„Das muss jemand vom Labor sein, wegen des Bandes", sagte Brass und ließ Saras Hand los. In ihren Augen las er Bedauern.

Innerlich fluchend eilte er zur Haustür und öffnete sie. Vor ihm stand Grissom.

"Was machst du denn hier?", entfuhr es Brass.

„Danke, mir geht es gut, und euch? Ich möchte das Band abholen und Sara sehen, schließlich bin ich ihr Chef. Oder hast du etwas dagegen?"

Brass räusperte sich. Er setzte ein Lächeln auf und machte eine einladende Handbewegung.

„Natürlich nicht, komm rein, Gil. Ich war nur verwundert, dass du nicht einfach jemanden geschickt hast."

Grissom ging ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei und blieb vor dem Gästezimmer stehen. Brass schloss die Haustür und beobachtete, wie Sara sich vor Grissom an den Türrahmen lehnte.

„Hi", sagte sie tonlos.

Grissom verschränkte seine Arme vor der Brust.

„Sara, für die Ermittlungen ist es besser, wenn du jetzt mit mir zurück ins Labor kommst. Und du brauchst auch nicht bei Brass zu übernachten. Du kannst gerne mit zu mir kommen."

Brass hielt den Atem an. Das konnte nicht wahr sein. Jahrelang hatte Grissom Sara auf Abstand gehalten, sie leiden und um seine Aufmerksamkeit betteln lassen, und nun kam er im ungünstigsten Moment hereingeplatzt und ...

„Nein", sagte Sara. Sie fühlte den fragenden Blick beider Männer auf sich und wiederholte:

„Nein. Ich komme nicht mit zurück ins Labor. Mir geht es nicht gut und ich möchte gleich etwas essen und mich dann hinlegen."

Sie ging an Grissom vorbei zu Brass und hielt die Hand auf.

„Gibst du mir bitte das Tonband?"

Brass kramte es aus seiner Jackettasche und hielt es ihr hin. Sie nahm es, ging zurück zu Grissom und reichte es ihm.

„Darauf ist der Anruf von Sam Jackson. Aus seinem Wortlaut kann man schließen, dass er mich damals vergewaltigt hat. Daher möchte ich nicht, dass es im Labor die Runde macht, sondern dass es bei dir unter Verschluss bleibt. Und jetzt geh bitte. Ich komme morgen wie gewohnt zur Arbeit, aber für heute ist für mich Schluss. Als verantwortungsbewusster Chef hast du dafür sicher Verständnis."

Bei ihrem letzten Satz konnte sich Brass ein Grinsen nicht verkneifen, doch er fing sich sofort wieder, als er den bestürzten Gesichtsausdruck seines Freundes sah.

„Er hat dich vergewaltigt?", würgte Grissom hervor. Für einen Moment sah es so aus, als wollte er Sara berühren, doch er blieb regungslos stehen.

Sara schüttelte den Kopf und starrte an ihm vorbei ins Leere. Sie hatte Grissoms Problem, seine Gefühle in Worten oder Gesten auszudrücken, satt. Früher hatte sie gehofft, dass sie nur lange genug warten und mit ihrer eigenen Öffnung ihm gegenüber um sein Vertrauen werben musste, damit er eine Beziehung zwischen ihnen zuließ. Doch seit längerem schon spürte sie kein Verlangen mehr danach, ihn aufzutauen und dabei selbst zu erfrieren. Und in diesem Moment wollte sie nur noch, dass er ging. Damit sie mit Brass alleine sein konnte.

„Sara?", fragte Grissom.

Sie verschränkte ihre Arme und sah ihn direkt an.

„Sam Jackson hat mich vergewaltigt, als ich in Harvard war. Und damit er das nicht noch einmal schafft, bleibe ich bei Brass, bis dieser Mistkerl geschnappt ist. Jetzt entschuldige mich."

Sie drehte sich um und schloss hinter sich die Gästezimmertür.

Grissom wandte sich zu Brass um.

„Wusstest du das?"

Brass nickte.

„Ich sah sie im Pausenraum das Gleichgewicht verlieren, nachdem sie das Päckchen von diesem Schwein aufgemacht hat. Sie ist zusammengebrochen und hat es mir erzählt."

Grissom sah Brass grimmig an. Er setzte zum Gehen an.

„Okay. Ich fahre jetzt zurück. Ich ruf euch an, wenn es etwas Neues gibt."

TBC