Kapitel 12
Darf ich
raten?
Brass beugte sich hinunter und gab Sara einen Kuss. Seine Gedanken kreisten um ihre Worte.
„Sara …", begann er mit belegter Stimme und machte eine Pause.
Saras Augen weiteten sich. War sie zu voreilig gewesen?
„Jim, ich wollte einfach nur sagen, dass ich es schön fand. Ich weiß, ich hab dich überfallen und ja, es war nicht ladylike und wahrscheinlich viel zu schnell, und es ist auch sonst nicht meine Art, gleich mit jemandem zu schlafen, bei Gott, mit Hank habe ich überhaupt nicht geschlafen, und ich kann verstehen, wenn du …"
Ihre letzten Worte erstarben unter seinen Lippen. Als er sie wieder atmen ließ, legte er ihr seinen Zeigefinder auf den Mund.
„1.: Ich fand es auch wunderschön. 2.: Ich wollte dich genauso. 3.: Hauptsache, es war „saralike". 4.: Wir kennen uns seit mehr als fünf Jahren, als „schnell" würde ich das nicht bezeichnen. 5.: Ich habe auch nicht vermutet, dass du gleich über jeden herfällst. 6.: Das mit Hank freut mich mehr als du ahnst. Und 7. und was ich eigentlich sagen wollte: Ich liebe dich."
Sara nahm sein Gesicht in ihre Hände und zog es zu sich hinunter. In diesem Moment hörten sie die Türklingel.
Brass ließ seinen Kopf fluchend neben Sara ins Kissen sinken.
„Wir machen einfach nicht auf", schlug sie vor.
Das Türklingeln wurde stürmischer.
Brass setzte sich auf und schüttelte den Kopf.
„Ich fürchte, damit ist jemand nicht einverstanden. Ich zieh mir schnell was über, bleib solange liegen."
Er stand auf, suchte seine Sachen vom Boden zusammen, schlüpfte in Socken, Shorts und Hose, eilte zum Schrank und streifte sich auf dem Weg zur Haustür ein T-Shirt über. Kurz vor der Haustür drehte er noch einmal um und schloss die Schlafzimmertür.
Das Türklingeln hatte in einen Dauerton gewechselt, und Brass musste sich bremsen, nicht einfach die Tür aufzureißen und den Klingler am Kragen zu packen. Er atmete tief durch und öffnete. Vor ihm stand Grissom.
„Gil, verdammt, wolltest du den Klingelknopf in die Wand drücken? Was machst du überhaupt hier? Ist dein Telefon kaputt?"
„Meins nicht, aber eure anscheinend. Ich versuche, euch seit einer Stunde anzurufen. Darf ich reinkommen?"
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Grissom an Brass vorbei in den Flur. Brass verdrehte die Augen und schloss die Tür. Grissom blieb vor dem offenen Gästezimmer stehen und starrte auf das Jackett auf dem Boden und die über die Couch verstreuten Sachen.
„Wo ist Sara?", fragte er.
„Sie hat sich hingelegt."
„Darf ich raten wo?"
Die Schlafzimmertür ging auf und Sara trat auf den Flur, bekleidet mit Brass' Hemd. Grissoms Blick huschte über das Tattoo auf ihrem Knöchel, ihre nackten Beine entlang, weiter hoch über das Hemd zu ihrem Gesicht. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Lippen geschwollen, ihr Augen-Make-up war verschmiert, ihr Haar zerzaust. Grissom schüttelte den Kopf. Wie hatte das passieren können? Wie hatte er Sara an Brass verlieren können? Er räusperte sich.
„Hi Sara. Ich hab Neuigkeiten aus dem Labor. Auf deinem Schal haben wir Sperma gefunden. Die DNA deckt sich mit den Spuren unter Mrs. Hendersons Fingernägeln. Und der Nachbar, der 911 gerufen hat, hat Sam Jackson anhand des Fotos identifiziert."
Sara wurde blass und schwankte. Brass eilte zu ihr und legte einen Arm um sie.
„Wir werden dieses Schwein kriegen, das verspreche ich dir."
Sara nickte und presste ihre Hand auf den Mund.
„Klo", würgte sie hervor.
Brass öffnete die Tür neben dem Schlafzimmer und Sara stürzte an ihm vorbei zur Toilette. Er folgte ihr, kniete sich neben sie und hielt ihren Kopf über der Kloschüssel. Ihre Stirn war schweißnass. Zitternd lehnte sie sich an Brass.
„Gil, hol bitte eine Wolldecke aus dem Schlafzimmer, okay?", rief er und zog Sara vom kalten Boden hoch auf den Badewannenrand. Mit einer Hand, hielt er sie fest, mit der anderen angelte er nach einem kleinen Handtuch, hielt es unter laufendes Wasser und wischte Saras Gesicht ab.
Grissom betrat das Schlafzimmer und blieb vor Saras zerrissenem Shirt stehen. Daneben lag ihr BH. Grissoms Augen schweiften über die Bettdecke. Sie war zerwühlt. Als er die weißen Flecken sah, schloss er für einen Moment die Augen. Wie lange lief es schon zwischen den beiden? War sich Brass deswegen so sicher gewesen, dass zwischen Sara und Greg nichts war? Andererseits: Wenn die beiden schon länger zusammen waren, wieso dann das Bettzeug im Gästezimmer?
Wieder war Saras Würgen zu hören. Grissom griff nach der Wolldecke am Fußende des Bettes und lief hinüber ins Bad. Brass kniete wieder neben Sara, die auf dem Boden kauerte, ihren Kopf an Brass' Schulter gelehnt hatte, die Augen geschlossen. Grissom legte ihr die Decke um die Schultern.
„Danke", murmelte sie.
„Soll ich einen Arzt rufen?", fragte er.
Sara schüttelte den Kopf.
„Ich glaub, möchte jetzt einfach nur noch schlafen."
Sie öffnete die Augen und blickte Brass an. Der nickte, fasste mit seinen Händen unter sie, hob sie hoch und trug sie hinüber ins Schlafzimmer.
„Ich lass euch dann mal allein", sagte Grissom mehr zu sich selbst als zu Sara und Brass und ging, ohne eine Antwort abzuwarten.
TBC
