2. Kapitel

Ihre Majestät in Hogwarts

Circa zehn Minuten später stand Snape mit einer trotzig- verängstigten Shirley und einem Harry Potter, dem das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben stand, vor Dumbledores Tür. Er blaffte dem Wasserspeier das Passwort zu („ Kanariencreme") und rauschte in seiner üblichen Art in das Büro des Schulleiters.

Er klopfte nicht einmal an sondern stieß das Portal mit mehr Schwung als nötig auf, sodass die Tür erst einmal gegen die Bürowand knallte. Mit vor Ärger umwölktem Gesicht, dem es jedoch nicht ganz gelang, die Häme bei dem Gedanken, das Harry nun wirklich Ärger bekäme und Shirley den ersten echten Ärger ihrer Schulzeit, zu verbergen, wandte er sich an Dumbledore. Zumindest wollte er sich an ihn wenden.

Doch er erstarrte mitten in der Bewegung.

Neben dem Kamin saß eine Frau. Sie war in feinstes weißes Leder gekleidet, dass sich wie eine zweite Haut an ihren Körper schmiegte. Der schwere schwarze Mantel war mit kostbaren weißem Pelz abgesetzt, ihr fast silberweißes, dichtes Haar durch mehrere winzige Zöpfe gehalten und auf ihrer Stirn war eine kunstvolle Rune gezeichnet. Doch am auffälligsten war ihr Gesicht. Ihre Züge waren scharf gezeichnet und ihre eisblauen Augen von stahlharter Klarheit.

Sie war keine schöne Frau, hatte weder eine exotische Anmut noch besonders weiche Rundungen. Aber ihre Ausstrahlung machte es unmöglich, sie NICHT anziehend zu finden. Es war die Ausstrahlung reiner Macht und reiner Kraft. Ihr Blick ruhte kurz auf Harry, und er fühlte sich jäh an eine Zeile erinnert, die er bei einer Recherche über altnordische Himmelsreiter, mythische magische Wesen, gelesen hatte: „Und sie bestehen nur aus Stahl, Seide und Blitzen."

Er erkannte den Stuhl, auf dem sie saß, als einen der hochlehnigen Sessel, die Professor McGonagall heraufbeschwor. Und tatsächlich, seine Hauslehrerin stand in einer Ecke, ebenso Professor Sprout. Und, was ihn sehr überraschte, Cornelius Fudge. Harry betrachtete wieder den Stuhl. Allein die Tatsache, dasssie darauf saß, genügte, um daraus einen Thron zu machen.

„Das ist… unmöglich… wie…" Harry hätte nie geglaubt, dass das einmal passieren würde, doch Snape stammelte! Er starrte die Frau an, als ob er jemanden treffen würde, von dem er schon mehr gehört hatte, als ihm lieb sei.

„Was tun Sie hie-", wollte er fragen, doch mit einer einzigen herrischen Bewegung erhob sie sich und schnitt ihm das Wort ab.

„Ich habe von Ihnen gehört, Professor Snape. Und ich bin nicht erfreut über das, was mir berichtet wurde.", sagte sie mit einer Stimme, die zu ihren Augen passte.

„Shirley, meine Liebe.", sagte sie dann, schon weitaus sanfter, und das Mädchen verbeugte sich und stammelte:„Brenda von Isenstein… das Ihr selbst kommen würdet… meine Königin", flüsterte sie, offenbar sehr ergriffen. Die Königin (!) nickte ihr zu, dann baute sie sich vor Snape auf. Sie war nur wenige Zentimeter kleiner als der Lehrer.

Harry war schon früh aufgefallen, dass Snape die Gabe hatte, einen Raum mit seiner Gegenwart zu erfüllen, ihn mit seiner Ausstrahlung so zu beeinflussen, dass es unmöglich war, ihn nicht zu beachten. Mit Brenda und Snape zusammen wirkte der Raum nahezuüberfüllt,so als wäre er bis in jeden Winkel mitMenschen voll gestopft.

Und zu allem Überfluss waren die beiden so geladen, dass es ihn nicht überrascht hätte, in der Luft Blitze zu sehen. „Sechs Jahre lang.", sagte sie leise, „Sechs lange Jahre lang war Shirley an dieser Schule; ein Versuch, die Beziehungen Islands zu England zu erweitern. Alle Berichte, die ich erhielt, waren durchaus positiv. Alle, bis auf die von Ihnen. Ich dulde nicht, wie sie mit Cousine umgehen. Das hat von nun an aufzuhören."

Ein klarer Befehl.

Doch ein Severus Snape ließ sich nichts befehlen.

„Ich denke nicht, dass sie das Recht haben, sich in die schulinternen Angelegenheiten einzumischen. Kein Schüler erhält hier eine Sonderbehandlung, egal, wer seine Verwandten sind." Dieser Seitenhieb gegen Harry schien niemand außer ihm selbst aufzufallen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, stand Harry von allen unbeachtet in der Tür wie ein X-Beliebiger Junge, der zufällig im selben Moment Ärger bekam wie eine wirklich wichtige Person. Er genoss dieses Gefühl aus tiefster Seele.

„Wenn das so ist, wird der Versuch ab jetzt abgebrochen.", sagte die Frau kalt.

Nun mischte sich Fudge ein: „Aber aber, Lady von Isenstein, wegen solch einen Lappalie gleich über eine so wichtige diplomatische Angelegenheit… das Mädchen ist nun mal in dem Alter, wo Kinder für gewöhnlich überreagieren, wenn sie sich unfair behandelt fühlen…"

Langsam drehte Brenda sich um, mit einem Blick wie ein Löwe, während dessen Mittagsschlaf eine Maus überlaut gepiepst hatte.

„Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen das Wort erteilt zuhaben, Minister. Aber, wo Sie sich schon einmal in den Vordergrund gespielt haben: wieso regieren Sie eigentlich noch? Verstanden Sie es so gut, Ihre Unfähigkeit zu verbergen, oder haben Sie sich einflussreiche Freunde gekauft?", fragte Brenda.

Fudge war bei jedem Wort zusammengezuckt wie unter einem Peitschenhieb, so scharf war ihr Ton. Nun warf der kleine Mann einen Hilfe suchenden Blick zu Dumbledore. Es war unmöglich vorauszusehen, wie er reagieren würde. Nach allem, was Fudge ihm an Demütigungen und Verleumdungen angetan hatte, würde es Harry nicht wundern, wenn er seine schlanken Finger aneinanderlegen, sich zurücklehnen und Brausebonbons lutschend zusehen würde, wie die Isländerin den Minister so richtig zur Schnecke machte.

Doch dafür schien der Schulleiter ein zu weiches Herz zu haben. „Brenda, ich verstehe Ihren Zorn, wirklich. Doch bevor sie Shirley hier von der Schule holen, sollten Sie nicht erst einmal sie fragen, ob sie gehen möchte?"

Seine ruhigen, vernünftigen Worte schienen sie etwas zu beruhigen. Sie wendete sich an das Mädchen. Harry beachtete immer noch niemand.

„Sprich, Kind." Sie war wohl kein Freund vieler Worte.

„Herrin… ich habe Euch gerufen… weil… weil ich es nicht mehr ertragen habe… diese ständigen… Demütigungen…" Shirley senkte den Kopf, offenbar beschämt.

„Das ist keine Schwäche, Kind. Schwach ist, wer um seine Möglichkeiten weiß, sie aber nicht zu nutzen wagt, wenn er sie dringend braucht. Es gibt keinen Grund für Scham."

Diese Worte klangen warm, wie ein Trost, doch Harry fragte sich, was das für ein Volk sein musste, wie die Zauberer dort lebten, dass sie solche Sprichworte hatten. Oder war das nur etwas wie ein privates Motto der Königin?

„Nun, also… ich habe hier viele Freunde gefunden… und viel gelernt… und… es ist gut, dass ich hier bin… für die beiden Völker…" Brenda nickte, offenbar zufrieden mit dem, was sie hörte.

„Also gut, wie du wünschst. Shirley ist von diesem Unterricht freizustellen."

In der daraufhin einkehrenden Stille schien Snape endlich seine Chance zu wittern, zu Wort zu kommen. Er wandte sich an Dumbledore: „Also, ich muss doch sehr bitten! Dies ist nicht Island, diese Frau hat kein Recht, sich einzumischen! Meine Unterrichtsmethoden kann sie unmöglich in Frage stellen, und ich dulde nicht, dass über meine Schüler so bestimmt wird!"

Er fuhr herum und schnauzte nun die Frau an: „Was erlauben sie sich eigentlich, hier hereinzuschneien und einfach so über alles bestimmen zu wollen? Sie haben hier keinerlei Befugnisse, und ich dulde nicht, dass Sie so mit mir sprechen, wie sie es vorhin taten!"

Die Frau hob eine Augenbraue. Für Harry war es unersichtlich, was als nächstes geschehen würde, ob sie auf Snape eindreschen würde, in verhexen, aus dem Raum rauschen oder anfangen herumzubrüllen, alles schien möglich. Die Spannung in der Luft wurde zu einer knisternden Materie, die ihm einen Schauder über den Rücken jagte.

Doch sie schien keine Lust zu haben, das Schloss zu sprengen. Denn sie sagte nur: „Dumbledore, wenn Ihr Lehrer nicht bald seinen Mund hält, wird er noch einen Krieg mit Island heraufbeschwören." Sie sagte es ganz ruhig, ohne mit der Wimper zu zucken, in vollem Ernst gesprochen.

Snape klappte die Kinnlader herunter.

Harry machte große Augen.

Shirley zog scharf die Luft ein.

Dumbledore tauschte einen Blick mit McGonagall.

Professor Sprout musste sich setzen.

Cornelius Fudge quiekste.

Es war ein so komischer Laut, dass Harry beinahe laut herausgeprustet hätte. Brenda von Isenstein hob auch noch die zweite Augenbraue. „Wollten Sie etwas sagen, Minister?"

„Äh… also… nein… lieber Gott… Sie können doch nicht… natürlich könnten Sie, aber… aber… also… jetzt, wo das Projekt so weit ist…. Also…"

Projekt? Was für ein Projekt? Harry spitze die Ohren. Auch Professor McGonagall schien sich sehr für das Projekt zu interessieren, oder sie versuchte nur leicht panisch, das Thema zu wechseln.

„Ach ja, unser Projekt! Hatten Sie nicht darum gebeten, weitere Magier aus Island daran mitarbeiten zu lassen? Und ein anderer Standpunkt war ja auch im Gespräch, wenn ich mich recht entsinne!", sagte sie in dem tapferen Versuch, ein normales Gespräch ohne Drohung von internationalen Katastrophen zustande zu bekommen.

„Das ist wahr, am liebsten würde ich es selbst beaufsichtigen!", stimmte die Königin zu. Doch es hielt sie nicht damit ab, Snape weiterhin mit Blicken wie Messer zu traktieren, was dieser kunstfertig zurückgab.

„Nun, da habe ich doch eine fantastische Idee!", rief Dumbledore fröhlich. „Wir holen das Projekt nach Hogwarts, Sie kommen hierher und arbeiten direkt daran mit, dann können Sie auch auf Shirley aufpassen, und sie kann dann weiterhin am Unterricht teilnehmen! Und als Gegenleistung können Sie ja unseren Abschlussjahrgang in Aktiver Verteidigung und Militärstrategie unterrichten!"