Prolog

1871

Erik

Wie hunderte feiner Nadeln trafen die Glassplitter meine Hände und Unterarme. Ich betrachtete das im Spiegel zerberstende Gesicht mit Erleichterung. Dieser Fratze hatte ich mit all meiner Kraft den schweren Kerzenleuchter entgegen geschmettert.

Es war vorbei. Der letzte Akt des Dramas war durch einen einzigen Kuss beendet worden. Christines Menschlichkeit hatte meinen übermächtig scheinenden Hass, die über Jahre aufgestaute Verzweiflung besiegt.

Wie sehr ich sie wirklich liebte, war mir erst in dem Moment klar geworden als ich sie gehen ließ. Der junge Vicomte liebte sie, und ihr sanftes Gemüt war auch ihm in Liebe zugetan. Ohne Zweifel würde er alles für sie tun. Ich wusste meinen geliebten Engel bei ihm in guten Händen. Beide verließen mich Arm in Arm, ohne ein weiteres Wort. Alles was mir an Erinnerung an Christine Daaé blieb war der Verlobungsring, den sie mir mit einem kleinen Lächeln zurück geschenkt hatte, ehe sie für immer gegangen war.

Ich tauchte aus dem Sumpf meiner Gedanken auf, als mich der näherrückende Lärm des mordlüsternen Lynchmobs erreichte. Jeder wusste nun, dass sich unter der Maske des Phantoms ein Mann verbarg, nichts weiter als ein gewöhnlicher Sterblicher, den es für seine Untaten zu richten galt.

Vor mir lag nun der letzte Fluchtweg offen, den ich damals vor Jahren errichtet hatte – eigentlich ohne das Vorhaben ihn jemals zu benutzen. Es lag nicht in meiner Natur davonzulaufen. Nun widersetzte ich mich ihr dennoch.

Mit einem letzten Blick über die Schulter nahm ich Abschied von dem Leben, das ich bisher gekannt hatte. Die dunkle Grotte, angefüllt mit über Jahre erschaffenen Erinnerungen, konnte mir nicht länger ein Zufluchtsort sein.

Zwei Möglichkeiten waren alles, was mir offen blieb. Ich konnte verharren wo ich war und mich dem Hass meiner Verfolger ausliefern, oder ich begann noch einmal von vorn – so weit ab vom Ort meiner Schreckensherrschaft, wie es nur möglich war. Welcher Gedanke mir mehr Furcht einflößte, wusste ich selbst nicht. Doch mein Entschluss stand unumstößlich fest.

Christine ... ich war es ihr schuldig zu leben. Nur so konnte ich versuchen etwas zu tun, um für all das Leid zu büßen, das ich ihr angetan hatte.

Mich abwendend von der Bühne meiner selbst erschaffenen Tragödie, trat ich durch den leeren Rahmen und hinein in die Dunkelheit, die hinter dem Spiegelglas verborgen gewesen war.

Wie lange ich durch diese Finsternis wanderte, würde ich niemals sagen können. Doch irgendwann blieb nur ein Gedanke übrig, wurde zu allem, was mein Universum noch ausmachte.

Christine ... Christine ... ich werde es irgendwie wieder gut machen.