Epilog
1919
Serafina
Seit drei Tagen ist Erik tot, und er fehlt mir mehr, als ich lange ertragen kann.
Wir kamen vor Wochen nach Paris, und seitdem er wusste, dass sein Ende nahe war, hatte er mich gebeten, die letzen, nötigen Vorkehrungen zu treffen. Auch da hatte ich noch nicht glaube können, dass er wirklich bald fort sein würde. Am letzten Tag fuhren wir zu dem kleinen versteckten Eisentor an der Rue Scribe und stiegen ein letztes Mal in die Kellergewölbe der Oper, seines ewigen Grabmals, hinab.
Er hat alles mitgenommen, und es grämt mich, zu wissen, dass niemand jemals erfahren wird, welch wunderbare Werke er von der Welt ungesehen erschaffen hat. Sicher wird es nie wieder jemanden geben, der zu so etwas fähig ist.
Nun habe ich noch dafür zu sorgen, dass niemand Eriks letzte Ruhe stören wird und auch wenn ich angenommen hatte, stark genug zu sein, um alles allein zu schaffen, bin ich froh, dass Julia bald bei mir sein wird. Sie ist eine große Stütze und keine Mutter könnte stolzer auf ihre Tochter sein. Sie hat Eriks Talent zu zeichnen geerbt und lebt nun mit ihrem Mann, einem sehr fürsorglichen und humorvollem Kinderarzt in Brüssel.
Das Automobil kommt zum Stehen. Wir sind da.
Ich nicke dem Fahrer zu, als er mir die Tür öffnet und ziehe das schwarze Spitzentuch ein wenig enger zusammen. Es ist kalt, Raureif liegt auf den Bäumen neben dem filigranen Eisengitter und zwischen den kahlen Ästen der winterlichen Büsche erkenne ich die ersten Grabsteine aufragen.
Der Fahrer weiß, dass er warten soll. Ich werde nicht lange brauchen, um ein Versprechen einzulösen, das Erik mir nie abgenommen, ich ihm aber vor langer Zeit stumm gegeben habe.
Überall liegt Laub, das noch etwas gefroren ist und leise unter meinen Füßen knackt. Ich war bereits einmal hier, gemeinsam mit Erik und auch weil ich schon immer ein recht gutes Orientierungsgedächtnis hatte, fällt es mir nicht schwer, zwischen all den Engeln und Steinsarkophagen schließlich den hellen Marmorblock auszumachen, wegen dem ich hier bin.
Freundlich sieht sie aus, gütig und hübsch. Ihre Augen tragen selbst auf einem leblosen Bild den Glanz lebendiger Liebe. Wie ein Engel ...
Vorsichtig lege ich mein Geschenk auf den Sockel des Grabes, eine Rose mit schwarzem Satinband ... und den Ring, den Erik immer bei sich getragen hatte. Ich hatte ihn darum gebeten in nie abzunehmen. Für mich bedeutete er wohl beinahe ebensoviel, wie für ihn selbst, und das ist auch der Grund, weswegen meine Dankbarkeit mich hierher geführt hat.
Christine, du hast ihm das Leben geschenkt, welches ich mit ihm teilen durfte, und ich danke dir dafür.
Ich schlage ein kleines Kreuz und wende mich ab.
Als ich durch das Tor trete, sehe ich einen alten Mann, dessen Rollstuhl von seinem Chauffeur und einer hageren Krankenschwester begleitet wird. Der Herr sieht wohlhabend aus, vielleicht stammt er aus einer der letzen Pariser Adelsfamilien, die seit Kurzem mehr und mehr die Stadt verlassen.
Was mich innehalten lässt, ist die kleine Box, die er fest mit beiden Händen umschlossen hat.
Als Julia noch ein Kind war, hatte Erik ihr eine Spieluhr geschenkt. Dieselbe Figur eines persisch gekleideten Äffchens hatte das geliebte Spielzeug geschmückt, wie er auch auf dem kleinen Schatz saß, den der alte Mann mit gedankenvollem Blick hütet.
Einen Moment zögere ich. Es wäre zu schwer, mich ihnen zu nähern und meiner Frage nach der Herkunft dieses außergewöhnlichen Stückes Ausdruck zu verleihen. Der Herr scheint zu trauern und sein abwesender Blick lässt auch mein Herz wieder schwer werden.
Erik ...
Ich sollte heimkehren. Es ist so kalt geworden ...
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