Kapitel 3

Frederica erwachte am nächsten Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen, die das gemütliche Gästezimmer der Xavier Mansion erwärmten. Sie war sehr früh zu Bett gegangen und so voller Nervosität, daß sie nicht wieder einschlafen konnte. Kurt wollte sie um halb acht zum Frühstück abholen und sie dann in das Lehrerzimmer bringen, damit sie das Kollegium kennenlernen konnte. Sie sprang unter die Dusche und breitete den mageren Inhalt ihres Koffers auf dem Bett aus, nachdem sie es gemacht hatte.

‚Das ist nicht gut! Machen wir das beste draus!', dachte sie bedauernd.

Frederica seufzte tief, sie hatte keine Zeit und kein Geld gehabt, ihre Garderobe zu erneuern. Sie hatte fast drei Jahre den Habit getragen und vorher auch im Kloster gelebt, so daß sie nur sehr brave Kleidung besaß.

Glücklicherweise besaß sie noch einige Jeans aus ihrer Studienzeit, sie wollte nicht im altmodischen Kostüm Xaviers Leuten gegenübertreten. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, daß die Damen des Hauses sehr viel Wert auf ihr Aussehen legten. Also wählte sie ein paar ausgebleichte Jeans aus und dazu eine langärmelige, korallenrote Bluse mit Trompetenärmeln, die sie beim Kauf an ihre Herkunft erinnert hatte. Sie zog auch ihre goldenen Kreolen an, die seit Generationen im Familienbesitz waren, das war der einzige Schmuck, den sie besaß, wenn man das goldene Kruzifix von Schwester Sybelia nicht dazu zählte.

Damit ihre langen Haare sich nicht in den feinen Gehängen verfingen, hielt sie sie mit einer Spange im Nacken zurück. Da sie noch nicht dazu gekommen war, sich Make-up zu besorgen, mußte der farblose Lippenbalsam für heute genügen.

Als es an die Tür klopfte, atmete sie tief durch und ging dann öffnen.

„Guten Morgen, Freddy!"

Logan grinste sie breit an, während er sich lässig an den Türrahmen lehnte und sie prüfend musterte.

„Guten Morgen, Mr. Logan! Kurt wollte mich doch abholen?"

Frederica maß den impertinenten Kerl mit gerunzelter Stirn.

„Kurt mußte leider umdisponieren, Du wirst mit mir Vorlieb nehmen müssen!"

„Na schön! Ich hole nur meine Unterlagen!", ergab sie sich in ihr Schicksal.

Frederica ging zu dem geöffneten Koffer, der auf dem Boden vor dem Bett lag und ging davor in die Hocke, um die Ledermappe mit ihren Referenzen herauszusuchen. Sie wies Logan den Rücken und bemerkte nicht das interessierte Aufleuchten seiner Augen, als er ihr hübsch gerundetes Hinterteil betrachtete. Eine verdammte Verschwendung, dieses unter einer Kutte zu verstecken. Sie sah aus wie eine moderne Zigeunerin und war verdammt appetitlich, Logan lief fast das Wasser im Mund zusammen.

„So, wir können!"

Frederica trat auf den Gang und wartete, daß Logan ihr den Weg in die Küche wies. Sie waren scheinbar die ersten, denn niemand hielt sich in der geräumigen Küche auf.

„Mist, wer zuerst kommt, muß den Kaffee kochen!", brummte Logan.

Er verzog den Mund und begab sich zur Kaffeemaschine wie sie sonst in Großküchen verwendet wurde.

„Darf ich? Ich koche gerne Kaffee, ich bin koffeinsüchtig! Eine sehr lästige Sünde!"

Frederica fühlte sich angesichts dessen, daß sie endlich etwas Nützliches tun durfte, schon etwas sicherer. Logan zeigte ihr, wo alles Nötige aufbewahrt wurde und Frederica bereitete den Kaffee vor.

„Macht sich jeder selbst das Frühstück?"

Frederica lehnte sich an die Arbeitsplatte vor der Kaffeemaschine und beobachtete Logan, der einen Blick in den riesigen Kühlschrank warf.

„Meistens, die Älteren sind dazu angehalten, den Jüngeren dabei zu helfen!"

Logan blickte erstaunt auf die kleine Person herunter, als sie ihn resolut zur Seite schob, um den Inhalt des Kühlschranks zu inspizieren.

„Ich werde uns ein paar, wie heißen die noch auf Englisch, ah, Pancakes machen. Eier sind ja im Überfluß da und bestimmt habt ihr irgendwo Mehl oder eine Backmischung.", murmelte sie, während sie die Schränke der modernen Küche durchforstete.

Die Küche der Xavier Mansion war mit den neuesten Geräten ausgestattet, deshalb hatte Frederica innerhalb weniger Minuten den Teig fertig und zwei gebutterte Pfannen auf dem Herd und den Backofen vorgeheizt, um die Pfannkuchen warm zu halten.

„Wow, Du kannst tatsächlich kochen! Xavier wird dich nicht so leicht von der Leine lassen! Unsere anderen Damen sind auf diesem Gebiet nicht gerade sehr begabt!"

Logan verputzte mit Appetit seinen kleinen Berg mit viel Sirup und nahm zufrieden seufzend einen Schluck von dem ausgezeichneten Kaffee.

Frederica schüttelte grinsend den Kopf: „Das ist chauvinistisch, Mr. Logan! Sie sollten in Ihrem Klagelied Ihre Kollegen mit einbeziehen. Kochen ist doch keine geschlechtsgebundene Tätigkeit.", rügte sie ihn mit einem Lächeln.

„Honey, hör auf mich zu siezen, ich heiße Logan!"

„Kein Vorname?"

Frederica sah ihn arglos mit großen Kulleraugen an, so daß er ihr die Frage nicht übelnahm. In der Regel reagierte er ziemlich bissig auf persönliche Fragen.

„Nope, ich habe keine Erinnerung an meinen Namen. Nur Logan oder mein Codename Wolverine- Ich leide an Gedächtnisverlust, seit die Armee versucht hat, aus mir einen Supersoldaten zu schaffen."

„Oh, das tut mir leid. Ich wollte dir nicht zu nahe treten."

Sie sah ihn betroffen an und legte ihm eine Hand auf die Schulter, da sie ihm gerade Kaffee nachschenkte. Er legte seine große Hand mit leichtem Druck auf ihre zierlichen Finger.

„Es riecht hier unglaublich gut, haben wir Heinzelmännchen zu Besuch gehabt?", rief in dem Moment jemand hinter ihnen aus.

Zwei Schüler hatten die Küche betreten und Frederica drehte sich lächelnd zu ihnen um, während sie ihre Hand unauffällig von Logans Schulter gleiten ließ. Seine Berührung war wie ein Stromschlag durch sie hindurch gejagt und ihr Herz hämmerte wie wild in ihrer Brust.

„Guten Morgen Rogue, Bobby. Das ist Frederica Rose, ein Neuzugang. Sie war so nett für alle Frühstück zu machen. Frederica, das sind Marie D' Ancanto oder Rogue und Bobby Drake, genannt Iceman, sie sind in der Abschlußklasse."

Die hübsche Marie, deren dunkle Haare eine weiße Strähne über der Stirn hatten, kam auf sie zu und schüttelte ihr die Hand mit einer behandschuhten Hand. Frederica erwiderte ihr Lächeln und nahm dann Bobbys Händedruck entgegen.

„Kommst Du zu uns in die Klasse?"

Bobbys eisblaue Augen blitzten wißbegierig auf und Logan grinste breit.

„Nein, ich denke nicht, Bobby.", erwiderte Frederica amüsiert.

Bevor sie ihm jedoch weitere Erklärungen geben konnte, kamen weitere Schüler in die Küche und stürzten sich mit Begeisterung auf ihr Frühstück. Frederica erhielt so viele begeisterte Dankesbekundungen, daß ihr ganz schwindelig wurde. Irgendwie schienen die jungen Leute anzunehmen, daß sie eine Schülerin war. Logan erlöste sie aus der Bedrängnis und führte sie in den Garten, von wo aus man auch das Lehrerzimmer über eine kleine Terrasse erreichen konnte.

„Bevor die anderen Lehrer erscheinen, sollte ich dir noch einige Erläuterungen zu ihnen geben. Die Mission am Alkali Lake ist nicht so erfolgreich verlaufen, wie in den Zeitungsberichten darüber berichtet wurde."

Logan blickte herunter und sah, daß die Kleine ihm aufmerksam zuhörte.

„Wir hätten Jean Grey fast dabei verloren. Sie und Scott Summers sind ein Paar. Sie ist Telepathin und beherrscht die Telekinese ähnlich wie der Professor, aber sie war nicht so mächtig wie er. Bei dem Einsatz opferte sie sich, um uns andere zu retten. Wir dachten, daß sie tot sei, aber sie tauchte nach einigen Tagen aus den Fluten des Stausees empor und ist seitdem Phoenix. Sie hat irgendwie überlebt, wir versuchen noch herauszubekommen wie. Du kannst dir vorstellen, daß wir einigermaßen über ihre Wiedergeburt erstaunt waren. Nach ein paar Tagen stellten wir fest, daß Jean nicht mehr sie selbst war, sie hat immense Kräfte, die nun an die der Professors heranreichen, kann sie jedoch nur schlecht kontrollieren. Sie verbringt die meiste Zeit in unserer Krankenstation, wo Dr. Hank McCoy herauszufinden versucht, wie Jean an einen solchen Kraftzuwachs gekommen ist. Kurt ist gerade bei ihr, weil Hank kurzfristig verreisen mußte. Scott versucht, die Kontrolle zu behalten, aber das Ganze zerrt an seinen Nerven. Sein Codename ist Cyclops, seine Augen schießen Laserstrahlen aus, die absolut tödlich sind. Dann ist da noch Ororo Munroe oder Storm, sie ist dir etwas ähnlich, in ihrer Heimat in Afrika war sie eine Priesterin, da sie das Wetter beherrschen kann. Sie und Jean waren sehr enge Freundinnen. Wie Du siehst, haben alle Mitglieder des X-Teams Grund etwas angespannt zu sein."

Frederica legte den Kopf schief und ließ die Informationen in sich einsinken.

„Was ist mit dir, Logan? Wie stehst Du zu Jean?", fragte sie schließlich, weil er diesen Punkt in seiner Zusammenfassung unterschlagen hatte.

Logan wich ihrem Blick aus und sah in die Ferne.

Vor seinem geistigen Auge entstand das Bild der schönen, intelligenten Jean. Sie hatte ihre Wahl getroffen, er hatte es Scott mitgeteilt. Logan hatte nie eine Chance gehabt, das wußte er. Sein Flirt mit Jean sollte in erster Linie Scott zur Weißglut treiben, der ihn mit seinem gestärkten Äußeren, das so gut zu seinen Hemden paßte, immer bis aufs Blut reizte.

„Ich mag sie sehr und hoffe, daß Hank ihr bald helfen kann. So, genug geredet! Die anderen dürften inzwischen im Lehrerzimmer eingetroffen sein."

Logan führte sie zurück zum Haus und Frederica dachte bei sich, daß Logan wohl eine Schwäche für diese Jean Grey gehabt haben mußte.

Und wenn das Aussehen von Ororo Munroe auch nur ein kleiner Hinweis auf Miss Greys Attraktivität war, dann konnte sie das gut verstehen. Storm war eine schwarze Schönheit mit Modelmaßen und weißblonden Haaren, die ihr bis zur Taille fielen.

Der Professor saß am Kopfende der Tafel und rechts neben ihm saß ein junger Mann mit einer Sonnenbrille und dunklen gegelten Haaren, das mußte Scott Summers sein. Auch er sah aus wie ein junger Gott mit seinen klassischen Gesichtszügen und den vollen Lippen.

„Miss Rose, nehmen Sie doch Platz. Kurt und Jean kommen gleich. Ich habe mit ihr gesprochen, und sie scheint sich stark genug zu fühlen, um an unserem Gespräch teilzunehmen."

Frederica sah, wie Scott sich versteifte und seine vollen Lippen etwas an Farbe verloren. Es mußte schrecklich sein, den geliebten Menschen zu verlieren, um ihn dann zurückzubekommen und feststellen zu müssen, daß er sich sehr verändert hatte.

Ororo sah auch besorgt aus, versuchte jedoch, sie freundlich anzulächeln.

Nach einem kurzen Klopfen an der Tür, betrat Kurt das Zimmer und ihm folgte eine sehr attraktive Rothaarige, die einen eleganten Haarknoten trug. Sie war geschmackvoll gekleidet und perfekt geschminkt. Sie überflog mit ihren grünen Augen die Anwesenden und ihr durchdringender Blick blieb an Frederica haften. Frederica mußte blinzeln, weil sie plötzlich ein grelles Licht blendete, das von der Frau auszugehen schien.

„Soll sie mich etwa ersetzen? Ich habe doch klar gemacht, daß ich bald wieder arbeiten möchte.", sagte sie mit kühl beherrschter Stimme.

Jean Grey sah den Professor und ihren Verlobten vorwurfsvoll an.

Frederica schloß kurz die Augen und versuchte, das unangenehme Gefühl loszuwerden, das sich in ihrem Inneren ausgebreitet hatte. Die starke Aura von Jean Grey war schier überwältigend, nicht einmal der Professor war mit einer so starken Aura ausgestattet. Sie hörte nicht, was die anderen sprachen, obwohl sie die Augen wieder geöffnet hatte und versuchte, sich zu konzentrieren. Die fremde Kraft war jedoch stärker. Frederica begann, am ganzen Körper zu zittern und Schweißperlen traten auf ihre Stirn.

Als Jean sie wieder ansah, verursachte ihr der Blick der nun gleißenden Augen immense Schmerzen.

Wieso bemerkten die anderen dieses Leuchten nicht?

Sie sprang auf die Füße und erschreckte damit die anderen Anwesenden. In einer tiefen grollenden Stimme murmelte sie ein paar Worte in einer alten Sprache, die sie nie gelernt hatte, dann gaben ihre Füße nach und sie fiel besinnungslos auf ihren Stuhl zurück.

„Nein! Nein! Laß mich in Ruhe!"

Logan hielt Frederica fest an seine Brust gedrückt, als sie anfing, sich in seinen Armen zu wehren. Ihre Lider flatterten auf und sie sah verwirrt zu ihm auf. Er legte sie vorsichtig auf das Liegesofa ab, das im Lehrerzimmer stand.

„Ruhig, Frederica. Du bist ohnmächtig geworden."

Ororo brachte ein Glas Wasser und Frederica nahm es dankbar entgegen. Der Professor rollte zu ihr hin und fixierte sie mit einem sehr nachdenklichen Blick.

„Miss Rose, können Sie uns erklären, was passiert ist? Ich habe gefühlt, daß Ihnen Jeans Anwesenheit körperliche Schmerzen zugefügt hat. Ihre Gedanken waren für mich unverständlich, da sie in einer sehr alten Sprache gesprochen wurden, die ich noch nie gehört habe. Scott bringt Jean gerade auf die Krankenstation, sie ist ebenfalls ohnmächtig geworden."

„Logan hat mir erzählt, was am Alkali Lake passiert ist. Ich kenne Jean Grey nicht, aber was ich gespürt habe, war nicht Menschlich. Ich kann es nicht genau erklären. Als Hexe habe ich eine feine Antenne für die Aura der Menschen. Wenn sie sehr starke Persönlichkeiten sind, dann fühle ich das, so wie bei Ihnen, Professor. Aber Jeans Aura ist nicht normal, da ist etwas so Starkes, das mir Schmerzen bereitet hat. Ich glaube, ich habe mich mit einem sehr alten Zauberspruch vor dieser Aura beschützt. Ich wußte nicht, daß ich die Sprache meiner Vorfahren überhaupt aussprechen kann."

Die Augen des Professors leuchteten triumphierend auf.

„Ich wußte es, Jean ist zurück und hat etwas mitgebracht, das ihre Persönlichkeit verändert. Und es hat nichts mit Mutationen zu tun. Glauben Sie, Miss Rose, daß Sie Jean mit Ihren Fähigkeiten helfen können?"

Die Gesichter der anderen waren gespannt und voller Hoffnung auf sie gerichtet.

„Ich weiß es nicht. Ich muß mein verschüttetes Wissen erst wieder aus meinem Unterbewußtsein herausholen, ich bin ziemlich aus der Übung. Ich möchte nichts Unmögliches versprechen. Aber wenn es in meiner Macht liegt, würde ich Ihrer Freundin gerne helfen."

„Miss Rose, ich bitte Sie, helfen Sie Jean. Ich spüre, wie sie mir jeden Tag mehr entgleitet!", sagte jemand von der Tür her.

Scott war zurückgekommen, stellte sich hinter den Professor und stütze sich mit einer Hand an dessen Schulter ab. Frederica konnte seine Augen nicht hinter dem roten Glas der Brille erkennen, doch sie hätte schwören können, daß er Tränen in den Augen hatte.

„Ich werde mir alle Mühe geben, Mr. Summers. Als erstes muß ich ein paar Besorgungen machen. Ich benötige Kräuter und Kristalle als Hilfsmittel, ich weiß leider nicht, wo ich hier in dieser Gegend so etwas finden kann."

Der Professor stellte Ororo für diese Aufgabe ab, da sie als Priesterin sich gelegentlich mit Magie beschäftigte und die entsprechenden Läden in der Umgebung am besten kannte.

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Frederica und Ororo besorgten alle Hilfsmittel, die sie benötigen würde und der Professor bereitete im Dachgeschoß der Schule einen Raum für sie vor, wo sie mit Jean arbeiten konnte. Er stand in ständigem telepathischem Kontakt zu Frederica und leitete ihre Anweisungen an Scott und Logan weiter.

Zurück in der Schule begann Frederica damit den Raum zu reinigen, er sollte eine Schutzzone für sie und ihre Kräfte werden, um diese zu verstärken. In der Küche bereitete sie einige Zaubertränke zu, wie ihre Großmutter es sie gelehrt hatte. Mit Ausführung der heiligen Tätigkeiten kam auch gleichzeitig eine Flut von Erinnerungen zurück. Es war nicht alles so tief verschüttet, wie sie geglaubt hatte. Es schien als würde alles Wissen über Magie nur so aus ihr heraussprudeln wollen, auch wenn andere Erinnerungen immer noch hinter einem Nebelschleier versteckt blieben.

Ororo fuhr sie mit einem schnellen Auto aus dem gepflegten Wagenpark der Schule nach New York in die Bibliothek, wo sie in einigen sehr alten Büchern Nachforschungen anstellte.

Sie konzentrierte sich auf alte Sagen und Überlieferungen, denn ihr Volk hatte schon immer davor gescheut, sein Wissen in Büchern festzuhalten. Sie hatten Angst davor, daß die „Gadjos", die Nicht-Zigeuner, sich ihres Wissens bemächtigen und sie so die Quelle ihrer Macht verlieren würden. Erst in jüngster Zeit hatten einige moderne Zigeuner beschlossen, dieses Wissen mit der restlichen Welt zu teilen.

Die uralten Überlieferungen waren in Form von Märchen und Sagen festgehalten worden, doch Frederica wußte aufgrund ihrer Erziehung, daß die meisten ein Körnchen Wahrheit enthielten.

Die Roma und auch andere Stämme von Zigeunern glaubten an Geister, die die Elemente Erde, Luft und Wasser beherrschten. Die Wassergeister wurden in ihrer Sprache Nivashi genannt, es waren mächtige Geister, die, wenn man ihnen an Land begegnete, freundlich und zuvorkommend waren. In der Ruhe in ihrem Element dem Wasser gestört, konnten sie sich jedoch als rachsüchtige und machtgierige Geister herausstellen.

Jean Grey war in einem See ertrunken, der vielleicht das Zuhause eines solchen Nivashis gewesen war. Frederica verbrachte einen ganzen Tag in der Bibliothek und Ororo half ihr wichtige Passagen in Büchern zu kopieren, damit sie sie in der Schule in Ruhe lesen konnte.

Scott Summers installierte mehrere Überwachungskameras in dem rituellen Zimmer, auf die der Professor bestanden hatte. Wenn Frederica mit Jean zusammentraf, wollte er die Sitzung jederzeit unterbrechen können, falls eine der beiden Frauen in Gefahr war.

Frederica verlangte zwei Tage zur inneren Reinigung und Vorbereitung, bevor sie mit Jean zusammentraf. Sie sprach mit keinem und meditierte fast die ganze Zeit, um alle Kräfte zu sammeln, die sie in sich finden konnte. Jeder Mitbewohner der Mansion grüßte sie wispernd, doch die Schüler hielten respektvollen Abstand zu der neuen Lehrerin. Sie spürten, daß etwas Besonderes in der Luft lag.

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Der Professor und Scott saßen im Überwachungsraum und blickten gespannt auf den Monitor, der das kleine Zimmer, wo Frederica ihre rituelle Umgebung eingerichtet hatte, zeigte.

Auf dem Boden bildeten Kristalle ein Pentagramm und Duftkerzen erleuchteten den Raum, der mit Gestecken von Zauberkräutern bestückt war. Die schweren Vorhänge waren zugezogen.

„Scott, Logan bleibt vor der Tür stehen, ich kann ihm jederzeit eine Warnung zukommen lassen. Frederica hatte recht damit, daß Du besser in einiger Entfernung zusiehst. Du hast ihr erstes Zusammentreffen erlebt. Es kann sein, daß beide einiges durchmachen müssen, bevor Frederica etwas herausfindet."

Scott kniff den Mund zusammen atmete tief durch die Nase durch.

„Ich weiß. Es ist nur so schwer, in die passive Rolle gedrängt zu sein. Ich bin normalerweise derjenige, der Befehle erteilt."

Beide verstummten und starrten gebannt auf den Monitor, als Jean das Zimmer betrat. Sie konnten sehen, wie die Kristalle aufleuchteten. Frederica saß in der Mitte des Pentagramms und bat Jean, sich ihr gegenüber zu setzen.

„Was ist das für ein Spielchen? Glaubt ihr wirklich, daß mich ein paar Felsbrocken erschrecken werden?"

Jeans sonst so freundliche Stimme klang kalt und abweisend.

„Wenn es dich nicht erschreckt, dann nimm doch Platz. Ich finde, die Steine beruhigend, sie geben mir Kraft.", forderte Frederica ihre Gegnerin freundlich auf.

Jean nahm Frederica gegenüber Platz, die Jeans Hände nahm und sie dann fest hielt, damit Jean den Kontakt nicht gleich wieder unterbrechen konnte.

Die Kristalle leuchteten nun heller als Halogenstrahler und die Lichtstrahlen verbanden sich und bildeten eine Art Halbkugel, die die beiden Frauen wie ein Iglu umschloß. Sie hörten Frederica wieder in der fremden Sprache murmeln und beide Frauen begannen zu zittern.

„Ich gehe nicht! Diese Hülle gehört mir, ich habe ein Recht darauf.", sprach Jean mit völlig fremder Stimme, die klang wie eine alte Bandaufnahme.

„Du bist nicht willkommen! Du magst sehr mächtig sein, aber Jean Grey will dich nicht länger beherbergen."

„Sie ist mein, ich habe sie gerettet und ihr Leben erhalten. Sie hat nun viel mehr Macht als vorher. Sie ist mein Geschöpf."

„Ich lasse es nicht zu, daß Du Jeans Körper besetzt! Sie wird dich mit meiner Hilfe noch viel stärker bekämpfen. Sie hat nie um deine Hilfe gebeten, war bereit, für ihre Freunde ihr Leben zu lassen. Du hattest kein Recht, sie dir zu eigen zu machen. Es ist nicht vorgesehen, daß Du von einem Menschen Besitz ergreifst, das ist wider die Natur."

„Ich bin Phoenix, ich habe die Macht und unendliche Geduld. Du bist ein Nichts, Du kannst mir nichts befehlen!"

„Ich befehle nicht! Ich rufe die ewige Ordnung der Dinge an und werde dich bis zum Tod bekämpfen.", antwortete die Hexe mit fester Stimme.

Danach verfiel Frederica wieder in die alte Sprache und murmelte beständig Beschwörungsformeln. Es war ein altes Gesetz der weisen Frauen der Roma, daß Beschwörungen durch Wiederholung immer mächtiger wurden. Das Licht um sie herum verfärbte sich blutrot und Blitze formten sich daraus, die auf Frederica herabfielen. Sie schrie und zuckte zusammen, doch sie hielt den Kontakt zu Jean aufrecht.

„Jean, Du mußt dich wehren! Tu es Scott zuliebe. Er ist wahnsinnig vor Sorge um dich, bitte Jean. Scott liebt dich über alles, bitte kämpf dagegen an!"

Scott preßte seine Nase fast an den Monitor und der Professor befürchtete, daß er jeden Moment aufspringen würde, um Jean beizustehen, die weinte und nun ebenfalls von Energieblitzen getroffen wurde.

Die Gesichter der beiden Frauen waren mit einem dünnen Schweißfilm bedeckt und schmerzhaft verzerrt. Charles Xavier hielt nun mentalen Kontakt zu Logan und Scott, um jede ihrer Reaktionen vor Ausübung abfangen zu können.

Es dauerte Stunden und die Sonne war längst untergegangen, als sich die Lichtkugel um Jean und Frederica wieder in helles Licht verwandelte. Langsam machte sich der Professor sorgen um die Gesundheit der beiden Frauen.

Das Phoenix-Wesen, das sich in Jeans Körper eingenistet hatte, war pure kosmische Energie so alt wie das Universum selbst und kaum zu bezwingen. Frederica hatte das vorher einkalkuliert. In ihrem Schoß hielt sie einen rituellen Dolch zwischen den Falten ihres weitschwingenden Rockes versteckt, den sie während ihrer Klausur einer spirituellen Weihe unterzogen hatte. Sie hatte keinem von ihrem Plan erzählt, aber Jean würde mit Sicherheit in Kürze von dem mächtigen Wesen übermannt werden.

Das war ihre einzige Chance, die Idee war ihr während der Meditationen gekommen, nachdem sie eine alte Legende über eine Frau gelesen hatte, von der ein böser Geist Besitz ergriffen hatte. Sie betete im Stillen, denn auch die Roma glaubten an eine übermächtige Gottheit, ähnlich den Christen, die sie Devla nannten.

„Jean, I'm very sorry for this, please forgive me.", wisperte sie ihrem Gegenüber zu.

Frederica griff in ihren Schoß und zog den Dolch hervor, bevor Jean zurückzucken konnte, rammte Frederica ihr das Messer in den Bauch. Jean röchelte und starrte sie mit glasigen Augen an. Frederica legte die Frau auf den Rücken und ließ den Dolch in ihr stecken, sie murmelte die stärksten Beschwörungsformeln ihrer Ahnen und hielt die Hände über Jean ausgebreitet.

„Dieser Körper ist nicht länger deine Hülle."

Sie zog den Dolch aus der Wunde und endlich entwich die Energieform dem sterbenden Körper in einem gleißenden Lichtstrahl durch die blutende Wunde. Das Zimmer war erhellt, als hätten sich tausend Blitze entladen und dann war nur noch das Licht der Halbkugel zu erkennen, das nun hellblau schimmerte.

Sie hatte nicht viel Zeit, die Tür war zwar durch einen Zauber blockiert, doch Scott und alle anderen würden versuchen, Jean zur Hilfe zu kommen. Sie betete still und nahm den Dolch in die rechte Hand, dann hielt sie ihre linke Hand über Jean, um mit der scharfen Klinge ihre Handfläche aufzuritzen, bald quoll ihr rotes Blut daraus hervor.

Der Tod ist nie das Ende,

mein Blut verlangt die Wende.

Wie Tropfen, die vom Himmel kamen,

und zu Früchten machten kleine Samen,

soll Leben sich aus Blut erheben.

Ich biete als Gabe mein Blut, mein Leben.

Dafür soll dieses Blut Leben wiedergeben.

Frederica machte mit der linken Hand eine Faust und ihr Blut tropfte nun in einem stetigen Strom auf Jeans Wunde. Immer wieder wiederholte sie den Zauberspruch, den sie eigens für dieses Ritual vorbereitet hatte.

Einen langen Augenblick dachte sie, daß die Mächte, die sie angerufen hatte, ihr Leben für Jeans Leben nehmen würden. Frederica schloß die Augen und ergab sich demütig in ihr Schicksal, sie hatte damit gerechnet, daß die Ordnung der Dinge ein größeres Opfer von ihr als ihr verlangen könnte. Jean wurde von ihren Freunden und ihrem Verlobten gebraucht, sie dagegen würde nicht von vielen Menschen vermißt werden.

„Nehmt mich, wenn Ihr jemanden nehmen müßt! Bitte nehmt mich, ich bin bereit, an ihre Stelle zu treten!", flehte sie die höhere Macht an, die die Entscheidung über Leben oder Sterben treffen würde.

Die Energiekugel um sie herum lud sich immer mehr auf und implodierte schließlich, das Licht drang durch die beiden Frauen hindurch und war dann verschwunden. Im Zimmer war es auf einmal stockdunkel, da auch die Kerzen von der Energiewelle ausgeblasen worden waren.

Fortsetzung folgt…