Disclaimer: Wie immer, nicht meins.
3. Vergessen
Ich muss aufhören zu trinken, das macht ihn auch nicht wieder lebendig. Außerdem ist das nicht gut für meinen Kopf, nicht gut ... nicht gut. Wo war noch mal dieser Antischmerzzaubertrank? Nachttisch. Ja, da .... Bei Merlin, was hab ich mir da nur gedacht. Erstmal wieder nüchtern werden.
Wann war das Meeting? Verdammt, heute! Mal schnuppern wer schon da ist.
Molly – ihr Stew riecht halb so gut, wie er schmeckt. Hab ich was verpasst? Das Mittagessen, und das davor und das davor auch und das davor? Was weiß ich. Seit wann bin ich hier? Seit ...
Noch einen Schluck nehmen, nur noch einen! Vergessen, alles vergessen!
Oh, Moody.
Klick, klock, klick, klock.
Um einen paranoiden, aber verdammt guten Auror wie ihn auszumachen braucht man nicht einmal ein Freak wie ich zu sein. Verdammt, keinen Schluck mehr. Ich brauche diesen Antischmerzzaubertrank.
Wird wieder nüchtern du Schaf im Wolfspelz.
Ja, besser. Snape mag ein Arschloch sein, aber ein verflucht guter Meister der Zaubertränke. Anziehen ... diese Socken könnten von letzter Woche sein, oder von der davor – so wie sie riechen.
Tonks?!!?!
Was macht sie schon hier?
KRACH!!!
Muss sie so laut sein?
Sie riecht heute anders!
Blut.
Molly will sie ins St. Mungos bringen.
Noch mehr Blut, trockenes Blut!
Sie hat sich nicht erst geschnitten.
Viel Blut!
Viel trockenes Blut.
Tonks will nicht. Verständlich, dort wird man auch nur als Studienobjekt und Ausstellungsstück behandelt. Auskennen würden sich die Heiler bei ihr schätzungsweise noch weniger wie bei mir. Und wenn sie dann erst noch die ganzen HIPler an dein Bett ran ziehen, damit sie dich als außergewöhnliche magische Kreatur begutachten kommt man sich vor wie der Affe im Zoo.
Au ... nicht bücken, Remus, nicht bücken. Deine Schädeldecke platzt gleich und deine Augen werden rausfallen, wenn du das noch einmal machst.
Nein, sie werden nicht rausfallen. Noch einen Schluck von dem Zaubertrank nehmen.
Besser, es wird besser!
Molly streicht Heilsalbe auf ihre Wunden.
Dieses Zeug stinkt fürchterlich.
Tonks hat Schmerzen, sie winselt.
Ich sollte ihr was von dem Zeug aufheben, glaube nicht, dass Snape gerade in Freudentränen ausbricht, wenn er ihr einen Trank brauen soll. Nun gut, es wäre ja nicht für mich, sondern für eine Black.
Noch einen Versuch. Fuß aufheben, Socke ausziehen, frische Socke anziehen. So und das jetzt noch mal mit dem Zweiten.
Siehst du? Dein Kopf ist noch ganz und deine Augen sind noch drin!
Mal einen kurzer Blick in den Spiegel wie spät es ist.
Zu spät ... das Übliche.
Wie der Tod nur aufgewärmt!
Vielleicht sollte ich erst einmal etwas Wasser ins Gesicht bringen und diesen Wildwuchs zähmen! Oder doch erst frische Klamotten anziehen ...
Frische Klamotten, da kann nicht so viel passieren, nachdem mein Kopf noch ganz ist und meine Augen noch drin.
Oki, doki.
Was haben wir denn da.
Schaut nach Hose und T-Shirt aus ... Boxer, da. Braver Junge und jetzt das Zeug anziehen. Bei Merlin, war der Boden schon immer so weit weg?
Noch ein letzter Blick in den Spiegel.
Einmal Tod in frischen Klamotten.
So ... kurzer Säuberungszauberspruch. Duschen wäre jetzt mehr ernüchternder. Keine Lust, mein Kreislauf spielt noch nicht mit. Und den Wildwuchs ... den lassen wir! Nicht das heute noch mehr Blut fließt, aber so blutleer wie ich aussehe würde da nicht einmal viel fließen.
Molly bandagiert Tonks.
Der Geruch von getrocknetem Blut und Wundsalbe lässt nach.
Sie muss ganz schön böse aussehen.
Was hat sie nur wieder angestellt?
In Mrs. Blacks Vitrine mit dem chinesischen Porzellan gestolpert?
Dann wäre wenigstens das kitschige Zeug vernichtet!
Oh ... Tonks bittet Molly nichts zu sagen ... interessant, war wohl doch nicht das Porzellan!
So, Remus ... it's showtime. Vielleicht kann ich mich ja wieder verdrücken und muss nicht das ganze Meeting durchstehen!
Tür auf, Remus raus, Tür zu.
Noch einmal kurz schnüffeln, was uns erwartet.
Moody ist angepisst. Sollte ihm vielleicht aus dem Weg gehen solange ich noch nicht weiß, wer seinen Gram verdient hat!
Zuerst in die Küche zu Tonks und Molly, was zu trinken besorgen. Hab ich einen Durst.
Tonks Anblick ist ernüchtern.
Bleich, blutleer, müde, abgewrackt.
Wie ein Häufchen Elend sitzt sie über ihrem Stew!
Was ist passiert?
Der Geruch von Wundsalbe und Blut liegt immer noch im Raum.
Ich bin mir sicher, dass das kein Ausrutscher war und auch, dass sie das nicht allein gemacht hat. Wieso bin ich nicht schon eher hier gewesen? Sie hätten mich gebraucht! Tonks hätte mich gebraucht! Idiot, du verdammt Idiot!
„Oh, Hallo Remus! Wie geht's dir? Möchtest du auch Stew haben?"
Molly. Freundlich wie immer. Zu freundlich. Natürlich möchte ich etwas von ihrem Stew haben. Schätzungsweise hätte ich nicht einmal eine andere Wahl. Sie schiebt ihn mir ja schon förmlich in den Mund. Ab und zu ist es gut jemanden zu haben, der sich um alle sorgt. Molly ist wie dafür geschaffen.
„Molly – Ja, Danke gerne."
Ich setzte mich Tonks gegenüber, sie hat mich ja noch nicht einmal angesehen. Isst sie auch noch was oder rührt sie die ganze Zeit nur in ihrer Brühe rum? Sie sollte was essen, sie sieht fürchterlich abgemagert aus! War das schon immer so?
Soll ich sie fragen, wie es ihr geht?
Das wäre heuchlerisch, du weißt, dass es ihr beschissen geht! Du siehst es ihr an.
Mir fällt ihr bandagiertes Handgelenk auf – Fesseln?
Sie hat meinen Blick bemerkt und zieht ihren Arm schnell unter den Tisch.
Scheu sieht sie kurz zu mir auf.
Molly betrachtet uns. Sie überlegt. Ich glaube ihr behagt diese Situation nicht.
Sie legt das Geschirrtuch beiseite und geht.
„Ich ... ich seh mal nach Alastor."
Eine Ausrede. Mir entgeht allerdings der Sinn, wieso sie nicht hier bleiben wollte. Jetzt ist sie weg und Tonks und ich sind allein, Ich weiß nicht, was ich zu ihr sagen soll. Ich komme mir auch seltsam schuldig vor. Schuldig für ihre Wunden und dafür, dass sie aussieht wie ein Spiegelbild meiner selbst. Warum? Ich habe ihr das nicht angetan.
Sie fischt weiter in ihrem Essen, ohne auch nur einen Löffel zu sich zu nehmen.
Ich ertappe mich dabei, dass ich sie anstarre, mein Stew vor mir hindampfend.
Ihre Haare sind heute braun, dunkel braun und leicht gelockt, ihre Augen Haselnussfarben – so wie Sir ...
Sie trauert auch.
Wieder komm ich mir dumm vor. Dumm und egoistisch, dass ich so lange oben gesessen war und mich betrunken habe. Sie hätte mich gebraucht.
Ich greife über den Tisch und halte ihren Arm. Sie zieht scharf Luft ein und hält ihren Atem. Erschrocken lass ich von ihr.
„Wo hast du das her?"
Und deute auf ihr Handgelenk, das immer noch unter dem Tisch auf ihrem Schoß ruht.
„Tantchen Bella."
Sie sieht mich nicht an. Sie meinte ihre Verletzung am Arm. Wie konnte ich das vergessen?
„Nein, dein Handgelenk."
Immer noch sieht sie mich nicht an.
„Das ist nichts, nur ein Kratzer. Ich dummer Tollpatsch."
Mir fällt der Verband unter ihrem Shirt auf, der durch den dünnen weißen Stoff durchscheint.
„Da auch?!"
Ich deute auf ihren Torso.
Sie antwortet nicht, sondern steht auf und geht in Richtung Küchenbuffet, wo ihre schwarze Ministeriumsrobe liegt.
„Nymphadora!"
Ich will nicht, dass sie geht und fasse ihr an den Rücken, damit sie hier bleibt.
Automatisch zuckt sie zusammen und ihr Gesicht ist Schmerz verzerrt.
„Nymphadora!"
Sie dreht sich zu mir um. Ich bin derweilen besorgt aufgestanden und will ihr helfen sich wieder zu setzten.
Sie lächelt. Es ist zwar eher eine Fratze, aber sie versucht es.
„Remus – wenn du mich noch einmal so nennst, verhexe ich dich und zwar solange, bis du nicht mehr weißt, wie Dumbledore mit Vornamen heißt!"
„Wohin willst du?"
Ich gehe nicht auf sie ein.
„Mir ist kalt, ich will mir meine Robe über ziehen."
Sie geht wieder einen Schritt auf ihre Robe zu, doch ich bin schneller und hole die Robe für sie. Vorsichtig lege ich sie ihr um. Meine Hände ruhen vielleicht einen Moment zulange auf ihren Schultern. Ihr Haar duftet nach Walderdbeeren und Sommer. Ich schleiße kurz meine Augen, will den Duft – ihren Duft – noch ein wenig länger riechen, will mich noch ein wenig länger in dem Gefühl von Geborgenheit, das mir dabei kommt, wiegen.
Gern würde ich sie jetzt umarmen und ihr Trost spenden, ihr sagen, dass ich der größte Vollidiot auf der ganzen Erde bin, sie nach Sirius Tod allein zu lassen, dass es mir Leid tut und, dass ich demjenigen, der ihr das angetan hat sämtliche Knochen brechen werde. Widerwillig öffne ich meine Augen.
Sie sieht mich direkt an. Heute zum ersten Mal.
Sie erwiedert meinen Blick.
„Wie geht es dir?"
Sie ist besorgt, besorgt um mich?
Ich bemerke, dass meine Hände immer noch auf ihren Schultern liegen. Ruckartig geh ich einen Schritt von ihr weg.
„Remus ..."
Sie nimmt meine Hand und sucht meinen Blick.
„Remus ... du kannst nicht ewig davor weglaufen."
Nicht ewig davor weglaufen ... Das Mädchen hat Nerven. DAVOR. Vor was? Vor der Gegenwart, vor der Vergangenheit, vor der Zukunft, vorm Leben, vorm Tod? Vor was? Davor, dass ich allein hier bin. Einsam, ohne einer Menschenseele, dass ich nachts allein in einem kalten Bett liege. Vor mir selbst, dann, wenn ich einmal im Monat mit Schwanz und Schnauze die Nacht verbringe. Vor den Schmerzen davor, oder vor den Schmerzen danach? Vor den Schmerzen des Verlusts? Der Trauer? Oder doch physischen Schmerz? Davor niemals irgendwo mehr richtig dazu zu gehören? Immer der Freak zu sein? Davor von der Gesellschaft ausgegrenzt zu sein, niemals geliebt zu werden?
VOR WAS?
Sie hat keine Ahnung.
Sie ist immer everybodys' darling. Amüsant, unterhaltsam ... immer ein bisschen frech.
Sie hat keine Ahnung.
Sie hat niemanden verloren, sie ist diejenige, die von allen geliebt wird.
Sie ist ...
„Remus – bitte, du musst mit jemanden darüber reden. Du weißt, ich bin immer für dich da."
Sie wird nie für mich da sein. Wieso sollte sie auch?
„Danke. Wenn ich einen Freund brauche, dann werde ich auch zu ihm gehen."
Abrupt lässt sie meine Hand fallen. Mir war gar nicht bewusst, dass sie sie überhaupt solange gehalten hatte. Was habe ich zu ihr gesagt? Ich würde zu einem Freund gehen, wenn ich ihn bräuchte. Hab' ich das wirklich zu ihr gesagt?.
Ich seh sie erschrocken an.
Etwas Fremdes ist in ihren Augen. Sie ist gekränkt. Gekränkt und enttäuscht.
Ein letztes Mal sieht sie mich noch an. Eine wortlose Frage, ob ich das wirklich gesagt habe. Ich kann ihr keine Antwort darauf geben, will ihr keine Antwort darauf geben.
Beschämt sehe ich zu Boden.
Ich höre nur noch, wie sie mit kleinen, bedachten Schritten aus der Küche geht.
