Stumme Schreie
PG-12
Kapitel 4: Unachtsamkeit
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„Ein wunderschöner Tag ... Es überrascht mich, dass die Sonne es vermag, selbst zu dieser trostlosen Jahreszeit so viel Wärme und Freundlichkeit zu spenden." sagte Aragorn, als er bemerkte, dass Legolas in den Stall getreten war. Seinen Blick hatte er jedoch, auch während er sprach, nicht von seinem Pferd abgewandt.
„In der Tat, mein Freund, ein schöner Tag." antwortete Legolas etwas perplex und lehnte sich nun gegen einen der Holzbalken der Pferdebox. Er staunte immer wieder darüber, über welche Fähigkeit Aragorn verfügten. Selbst jene Dinge, die jeder andere Sterbliche nicht mehr wahrnahm, wie die leisen Schritte eines Elben, blieben für ihn nicht unbemerkt.
„Ich versuche diesen Tag genießen, solange noch keine Regenwolken aufgezogen sind. Nach diesem grässlichen Sturm, von letzter Nacht, wird es nicht lange dauern, bis wieder ein Unwetter aufziehen wird, das ist in dieser Jahreszeit keine Seltenheit. Die Pferde müssen noch bewegt werden. Sie sind ganz unruhig. Wieso also Vergnügen nicht mit etwas Nützlichem verbinden?"
Legolas nickte verstehend. Als Aragorn das Pferd fertig gesattelt hatte, drehte er sich zu ihm um und sah ihn bestimmend an. „Würdest du mich begleiten?"
Der Elb schien kurze Zeit zu überlegen. Aragorn kam es fast so vor, als ob seine Frage, seine Einladung dem Elben Unbehagen bereiten würde. Das war nicht seine Absicht und doch drängte es ihm danach, dass Legolas ihn begleiten musste. Er hatte mit dem Elben viel zu besprechen, viele offene Fragen zu klären, wenn erst der richtige Zeitpunkt gekommen war und er hoffte, er würde bald kommen. Er musste wissen, was seinen Freund bedrückte.
„Natürlich, wenn es dir nichts ausmacht solange zu warten, bis ich mein Pferd gesattelt habe." antwortete der Prinz nach einigen Augeblicken etwas stockend.
Aragorn strich seinem Hengst sanft über die Nüstern und führte ihn aus der Box. Als er neben Legolas war hielt er kurz inne und griff mit seiner Hand die Schulter seines Freundes. „Nimm dir ruhig Zeit, ich werde solange draußen auf dich warten."
Erneut nickte der Elb stumm.
Als Estel schließlich draußen im Hof angekommen war atmete er hörbar tief aus. Diese Spannung, die vorhin zwischen ihm und Legolas geherrscht hatte, war ihm bis dahin in dieser Form fremd gewesen. Was war es bloß, dass die sonst so strahlende Aura des Elben in solch gravierender Form zu verändern schien, dass selbst er es wahrnehmen konnte? Welchen Grund gab es dafür? Selbst jetzt hatte er noch ein komisches Gefühl in der Magengegend. Ein Gefühl, welches er nicht deuten konnte. Es waren nicht die Geräusche gewesen, die Legolas bei dem Betreten des Stalles verraten hatten, zumindest nicht dieses Mal, sonder vielmehr diese komische Empfindung, welches Aragorn von der einen auf die andere Sekunde verspürt hatte. Ein Gefühl, das er in den letzten Tagen oft in seiner Anwesenheit gehabt hatte.
Nichts schien ihm im Moment so, wie es früher zwischen ihnen beiden gewesen war. Aragorn hatte sich auch schon mit der Frage konfrontiert, ob es vielleicht sogar an ihm liegen würde? Spürte Legolas, dass er stetig von diesen Alpträumen heimgesucht wurde und Probleme damit hatte, sich zu konzentrieren? Wohl kaum ... Er wollte nicht die Fähigkeiten eines Waldelben, wie es sein Freund einer war, missen, glaubte aber dennoch nicht daran, das dies der Grund dafür sein könnte.
Welch Unheil war es, das hier sein Unwesen trieb? Etwas bedrückte Legolas sosehr, dass er es nicht vermochte zu verbergen.
Erst jetzt wurde Aragorn aus seinen Gedanken gerissen, als er bemerkte, dass Legolas auf seinem Schimmel aus dem Stall geritten kam. Er schwang sich ebenfalls auf sein Pferd und trieb es an. Dichtgefolgt von dem Elben ritt er durch das große Tor auf die weite Ebene hinaus.
Nach eine Weile zügelte Aragorn das Tempo seine Pferdes jedoch wieder und ermöglichte Legolas so, zu ihn auf zu schließen.
„Du scheinst von Eile getrieben zu sein, mein Freund." bemerkte dieser, als er neben ihm her ritt. Der Mensch blickte ihn an. „Nicht Eile, sondern vielmehr das Vergnügen." sagte er herausfordernd und trieb sein Pferd erneut an. Diesmal lies es Legolas jedoch nicht auf sich beruhen und schon bald galoppierten beide auf gleicher Höhe.
Einige Zeit später erreichen sie einen kleinen Bach. Um den Pferden etwas Pause zu gönnen, entschlossen sie sich, eine kurze Rast einzulegen.
„Ein klares Unentschieden." Legolas sprang schmunzelnd von seinem Pferd und führte es zu dem klaren Nass.
Aragorn setzte sich am Ufer des Baches ins Gras und schloss die Augen. Er genoss es, die wärmenden Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht zu spüren. Um diese Jahreszeit waren die Temperaturen auch tagsüber nicht besonders warm.
Auch Legolas setzte sich zu ihm und beobachtete die Umgebung.
„Ist sie nicht wundervoll, diese Ruhe?" begann der Mensch und versuchte so ein Gespräch in die Wege zu leiten.
„In der Tat", erwiderte der Elb, „Seither hat sich vieles zum Guten verändert. Vieles dank dir, Estel."
„Doch hätte ich nicht so viel erreichen können ohne die Hilfe meiner Freunde." Er öffnete seine Augen und sah zu Legolas. Der Elb erwiderte den Blick. Seine Lippen formten ein sanftes Lächeln.
„Hilfe beruht auf Gegenseitigkeit. Du hast vielen Menschen, Elben und anderen Völkern Mittelerdes geholfen und sie vor dem aller Schlimmsten bewahrt. Die Abenteuer, die ich mit den Gefärten erlebt habe, bleiben mir immer in Erinnerung. Ich habe viele neue Freunde gewonnen. Auch dich, dafür sind dir alle zutiefst dankbar."
Aragorn nickte und im gleichen Augenblick hörten sie ein lautes und lange anhaltendes Donnern. Beide horchten auf und blickten in die Richtung, aus der das Grollen gekommen war.
„Ein Unwetter zieht auf. Früher, als ich damit gerechnet hätte." Der König sah stirnrunzelnd zu dem Elben.
„Wir sollte umkehren. Es wird einigen Zeit dauern, bis wir wieder in der Weißen Stadt sind und das Unwetter hält direkt auf uns zu. Der Wind hat seine Richtung geändert, ich habe es vorhin schon bemerkt, hielt es aber nicht für bedeutungsvoll. Er trägt Blitz und Regen in unsere Richtung." sagte dieser und beobachtete dabei aufmerksam die dunklen Wolken am Horizont.
„Wenn wir schnell genug reiten, können wir es zurück in die schützenden Mauern Minas Tiriths schaffen."
Legolas nickte. „Wenn das Unwetter nur annähernd so zerstörerisch ist, wie das von letzter Nacht, dann wird es ein beschwerlicher Weg werden."
„Darum lass uns keine weiteren Minuten mehr verlieren." Aragorn schwang sich wieder auf sein Pferd. „Kommst du, mellon nîn?"
Der Elb ließ nicht lange auf sich warten und schon wenige Zeit später ritten sie los.
Der Weg zurück würde mindestens zwei Stunden dauern. Wie auch schon der Pfad, den sie gekommen waren, führte dieser größtenteils über weite Ebenen und vorbei an einer Schlucht, welche sie in einem größeren Bogen umreiten mussten. Jeder von ihnen beiden hoffte, dass sie diese Klamm erreichen würden, bevor das Unwetter über sie hereingezogen war.
Doch nicht lange dauerte es und hinter ihnen kam das Gewitter und der Regen trotz ihres Tempos immer näher und wenige Augenblicke später spürten sie die ersten Tropfen in ihrem Gesicht.
„Wir sind zu langsam!" rief Legolas, wurde jedoch von einem heftigen Donnerschlag übertönt.
Schon bald hatten die finsteren Wolken den ganzen Himmel bedeckt und kirschgroße Regentropfen prallten auf die Reiter und ihre Pferde nieder. Dadurch wurde ihre Sicht erheblich erschwert.
„Estel, wir müssen zusammenbleiben! Das Risiko, dass wir uns verlieren ist zu groß." Der Elb hielt seine Hand schützend über seine Augen und suchte den Augenkontakt mit Aragorn. Dieser nickte und konzentrierte sich dann wieder auf den Weg. Aus Tag war innerhalb weniger Momente Nacht geworden. Aragorn hatte Schwierigkeiten sich zu orientieren und auch Legolas musste sich konzentrieren, um nicht auf die falsche Route zu geraten.
Unaufhörlich schien der Regen zu strömen und innerhalb kürzester Zeit waren die beiden bis auf die Haut durchnässt. Mit jedem Blitz und dem darauffolgenden Donnerschlag wurden die Pferde unruhiger in ihrem Gang. Oftmals versuchte Legolas sein Pferd mit beruhigenden elbischen Worten zu sänftigen doch bei all den Geräuschen nahm dies nicht die gehoffte Wirkung an.
Während der ganzen Zeit drifteten Aragorns Gedanken immer wieder ab. Er sah diesen Jungen, sah Legolas bei seiner Ankunft in Minas Tirith...
Auch in diesem Augenblick war dies wieder der Fall. Dieses Mal wurde er aber schlagartig aus seinen Gedanken gerissen, als er einen warnenden Schrei hörte. Er konnte nicht verstehen, was Legolas ihm zugerufen hatte. Er blickte sich suchend nach dem Elben um, konnte ihn jedoch nirgends erkennen. Die Sicht war mittlerweile durch die Regenströme auf wenige Meter verringert worden.
Er verfluchte sich für seine Achtlosigkeit. Immer wieder wanderten Seine Augen suchend durch die graue Wand aus Regen, in der Hoffnung, er würde darin etwas entdecken.
„Legolas, wo bist du?" schrie er und zügelte das Tempo des Pferdes. Dieses verlangsamte seinen Gang und geriet auf dem nassen Untergrund ins Straucheln. Erst jetzt bemerkte Aragorn, dass er sich direkt auf die Schlucht zu bewegte. Er riss die Zügel des Pferdes herum. Im nächsten Moment konnte er sehen und auch spüren, wie die Erde unter den Beinen des Tieres nachließ und sie in die Tiefe gerissen wurden.
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tbc
Vielen Dank für eure Reviews. In den nächsten Teilen werdet ihr wieder mehr über den kleinen Jungen erfahren...
