Ein plötzliches Pieken in Harrys Ohr ließ den Jungen wieder aufwachen. Als er erneut den leichten Schmerz im Ohr spürte, drehte er vorsichtig den Kopf zu Seite "Hedwig, was machst du" Die Schleiereule schuhute sanft und hüpfte zum Bettende. Harry stemmte sich hoch und sah seiner Eule nach. Sie schien irgendwie sonderbar zufrieden. Und schon bald entdeckte Harry den Grund. Der Eulenkuchen stand auf seinem Tisch vor dem Fenster. Das Papier in dem der Kuchen offensichtlich verpackt war, war aufgepickt worden. Hedwig saß nun daneben zerrte weiter an einem Papierfetzen. Harry schmunzelte und schüttelte den Kopf.
"Wer sagt denn, dass der Kuchen für dich war" Hedwig bedachte Harry mit einem Blick, der in etwa sagte "Selber schuld, wenn du ihn hier abstellst." Harry rutschte aus seinem Bett, ging zu seiner Eule hinüber, strich ihr durchs Gefieder und befreite den Rest des Kuchens von den Papierfetzen. Hedwig hatte dem Kuchen schon ein großes Loch verpasst. "Ich vermute mal, er hat dir geschmeckt" Die Eule gurrte zur Bestätigung. Harry war erleichtert, dass wenigstens seine Eule ihm verziehen hatte. Er stand in der Tat in letzter Zeit ziemlich neben sich. Es war so viel passiert, es gab soviel zu verarbeiten. Da war es schwierig, sich auch noch um seine Freunde zu kümmern. Er freute sich noch immer, dass er mit Sirius gesprochen hatte. Es tat so gut seine Stimme zu hören. Und vielleicht war es wirklich besser seine Adoption geheim zu halten. Es würde ihm eine Menge komische Blicke ersparen.
Harry atmete tief durch, als er erneut das Gefühl hatte, sich bei Severus entschuldigen zu müssen. ‚Der Mann hat es sicher nicht einfach mit mir' dachte sich Harry, während er den Weg Richtung Küche einschlug. Doch in der Küche war niemand zu finden. Außer die Papierschnipseln, die einmal Harrys UTZ-Kursliste darstellten. ‚Oh nein' dachte Harry und hob die Papierfetzen auf. Er legte sich wie ein Puzzle auf den Tisch. Dann holte er seinen Zauberstab heraus, denn er seit heute morgen wieder bei sich trug, und sprach „Reparo" Er spürte anfangs nur das Kribbeln, das er schon am Vortag spürte, doch dann endlich, als hätte jemand eine Schleuse aufgemacht, kam es ihm so vor, als würde Energie von seinem Körper in die Hand mit dem Zauberstab fließen und dort gebündelt werden. Die Kursliste leuchtete kurz auf und fügte sich dann wie von Geisterhand wieder zusammen. Harry war froh, dass er wieder zaubern konnte. Doch dann machte er sich wieder auf die Suche nach seinem Adoptivvater.
Also ging Harry weiter in den Keller. Vorsichtig klopfte er an die Tür mit der Aufschrift „Labor" Doch es war nichts zu hören. Harry stutzte. Er war sich sicher, dass Severus hier unten sein würde. Verwundert öffnete er die Tür, um sich zu überzeugen, ob Severus wirklich nicht hier war. Doch dann wich er erschrocken zurück.
Das Labor sah aus, als ob ein Blitz eingeschlagen hätte. Die Regale standen schief. Tränke und Tinkturen in Gläsern oder Phiolen lagen am Boden zerstreut. Teils ganz, teils zerbrochen. Ein komischer Gestank hatte sich ausgebreitet von dem Gemisch der Flüssigkeiten. Doch von Severus war nichts zu sehen. Vielleicht lag er hinter dem Schreibtisch? Harry packte die Panik.
Er wollte gerade den Raum betreten, als plötzlich wie aus dem Nichts ein Hand auf seine Schulter sauste und ihn mit einem gewaltigen Ruck vom Labor weg zerrte. „Geh, da nicht rein!" hörte er eine zischende Stimme. Harry musste sich erst von seinem Schreck erholen, ehe er ein wenig erleichtert zu Severus hoch sah und fragte „Was ist passiert?" Doch Severus antwortete nicht. Sein Gesicht war eisern. Unsicher sah Harry zu wie, sein Adoptivvater die Tür zum Labor wieder schloss und dann eiligen Schrittes Harry aus dem Keller schob. „Sev!" protestierte der Junge, der wissen wollte was los war. „Du sollst vorläufig den Keller nicht mehr betreten, ist das klar?" fragte Severus und sah nun Harry ernst in die Augen. „Ja, ...aber..." Severus war an Harry vorbei in die Küche gegangen.
Harry brummte mürrisch. Dann folgte er Severus. „Willst du mir nicht sagen was passiert ist?" hackte Harry noch einmal nach. „Was soll schon passiert sein. Das Labor ist in die Luft gegangen." antwortete Severus genervt. „Ja, aber warum?" neugierig und ein wenig verwundert beobachtete Harry, wie Severus sich erschöpft auf einen der Sesseln fallen ließ und das Gesicht in seinen Händen vergrub. Dieses Verhalten kannte Harry von seinen ehemaligen Zaubertranklehrer nicht. Unsicher nahm Harry neben dem Mann Platz.
Es folgte eine schreckliche Stille, eher Harry Severus Stimme vernahm, die hinter dem verborgenen Gesicht hervor kam. „Harry, es tut mir Leid falls ich dir gestern das Gefühl gegeben habe, ich würde dich in Hogwarts wieder abweisen. Ich dachte, du würdest es verstehen, als ich meinte, wir müssen uns unauffällig verhalten. Ich möchte nicht, dass du das Gefühl hast gegen deinen Willen hier zu sein. Die Adoption ist noch nicht rechtskräftig. Du kannst jederzeit deine Entscheidung zurück nehmen."
Harry glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Hatte er mit seinen Gefühlsausbruch gestern, etwa Severus verletzt? ‚Ich hab mich dem Teufel verkauft' erinnerte sich Harry an seine eigenen Worte. Und nun gaben sie selbst ihm einen Stich. Es waren harte Worte gewesen, die er einfach unbedacht aussprach. „Sev, ich weiß auch nicht warum ich das gestern gesagt habe. Ich war wütend. Ja, ich hab geglaubt, du willst in Hogwarts da weiter machen, wo wir letztes Jahr aufgehört haben. Es ist für mich einfach nicht mehr denkbar. Aber ich habe erst durch Sirius begriffen, was du meinst. Und ich gebe dir Recht."
Severus sah nun verwirrt auf. „Sirius?" – „Ich habe letzte Nacht von ihm geträumt. Wir haben uns lange unterhalten. Auch über dich. Er hat gesagt, er ist erstaunt darüber, dass du das alles für mich machst." Severus zog eine Augenbraue hoch. „Und du bist sicher, dass du mit Sirius Black gesprochen hast? Ich meine, Black würde so was nie über mich sagen?" Harry grinste, „Ich hab mich auch gewundert, aber Sirius meinte, dass man, wenn man tot ist, alles aus einer anderen Perspektive sieht." – „Moment, halt. Mal langsam" Severus sah Harry nun ernst in die Augen „Black wusste im Traum, dass er tot ist?" Harry nickte. Severus runzelte die Stirn und musterte Harry nachdenklich. „Wieso? Was ist?" fragte Harry nun verwundert.
„Harry, das war kein Traum. Du hast Kontakt mit einem Toten aufgenommen. Und das ganz ohne der übliche sehr aufwendigen Zeremonie. Das kann nur ein Zauberer, der große magische Kraft besitzt." – „Und? Ist das schlecht?" fragte Harry unsicher. „Nein, aber du bist gerade mal 16 Jahre, es erstaunt mich nur. Offensichtlich hat Professor Dumbledore doch Recht." – „Recht womit?" bohrte Harry weiter. „Das deine Kräfte wachsen." Harry starrte Severus groß an. „Und was bedeutete das?" – „Dass du schleunigst lernen musst, dein Temperament zu beherrschen. Die Veränderungen, machen sich durch Gefühlsschwankungen bemerkbar. Und leider neigst du dazu deinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Das kann jedoch sehr gefährlich werden. Wenn ich an den Zwischenfall mit Mr. Malfoy denke, können wir noch von Glück reden, dass du ihn ‚nur' zusammengeschlagen hast. Hättest du deine Wut in einen Zauber gelegt... ich weiß nicht, was dann passiert wäre. Jedenfalls nichts Gutes." Harry schluckte. Es entstand erneut eine Pause.
„Sev?" Harrys Stimme klang etwas heißer. „Hmm?", brummte der Angesprochene zurück. „Meinst du Voldemort wusste das? Hat er mir deswegen die Alpträume geschickt, um mich von der Zaubererei abzubringen? Ich meine, wenn meine Kräfte größer werden, ich sie aber nicht benütze, dann lerne ich auch nicht damit umzugehen." – „Wäre schon möglich. Wann hat das mit den Alpträumen denn angefangen? Bis du deswegen von der Dursleys abgehauen?"
Severus schenkte Harry nun einen neugierigen Blick. Harrys Miene verfinsterte sich augenblicklich, als er an die grauenvollen Wochen zurück dachte. Langsam nickte er. „Ich habe einfach nicht mehr gewusst was ich machen soll. Jedes Mal wenn ich diese Alpträume gehabt habe, hat mein Onkel mit mir geschrieen. Aber ich konnte die Träume nicht abstellen. Sie kamen immer öfter. In der Früh nach so einem Traum, war ich vollkommen erschlagen. Mir hat alles wehgetan. Wie ein Muskelkater der nicht mehr weggehen wollte. Dazu kam, dass die Dursleys meinten, ich müsse was tun, dafür, dass ich bei ihnen wohnen darf. Ich war jedoch zu müde zum Arbeiten. Und meine Hand... diese Krämpfe... sie kamen ständig und mir ist immer was runter gefallen. Dann wurde ich zur Strafe eingesperrt. Irgendwann ging es dann nicht mehr. Ich hab mich fort geschlichen in der Nacht. Und da hab ich dann Mark getroffen. Er hat gemeint er habe ähnliche Probleme wie ich und mir zum ersten Mal dieses weiße Pulver angeboten. Er hat mir gezeigt, was man damit macht. Beim ersten Mal hat's mich beinahe umgehauen. Aber später stellte es sich als hilfreich heraus. Die Alpträume haben aufgehört. Ich hab mich immer öfter nächtlich weggeschlichen und irgendwann hat mich Mark dann gefragt, warum ich nicht endgültig abhaue. Na ja... das hab ich dann auch gemacht. Mark hat mich in seiner Clique aufgenommen. Wir haben ständig irgendein Zeug ausprobiert. Mehr als einmal wurde mir speiübel davon. Aber irgendwie warst dann doch gut. Ich wollte nicht mehr darauf verzichten."
Severus hörte schweigend zu und schüttelte ungläubig den Kopf. „Woher hattest du das Geld dafür?" – „War einen Tag und London und hab's in Gringotts umgetauscht." – „Auf die Idee, jemanden von uns zu kontaktieren, bist du nicht gekommen?" – „Doch, aber ich wollte nicht. Ich war sauer, weil Professor Dumbledore mich jedes Jahr zu den Dursleys zurück schickt. Ich... hasse sie." Severus versank grübelnd in Gedanken. Doch dann sah er wieder zu Harry. „Es tut mir Leid. Ich wusste nicht, dass die Dursleys so schlimm sind. Oder... ich wollte es nicht wissen. Ich hätte Lilys Versprechen früher einlösen müssen." – „Meinst du denn, dass wir zwei eine leichtere Zeit gehabt hätten?" – „Ich weiß nicht. Aber wenn es in Zukunft klappen soll, wird wohl jeder von uns einen Teil dazu beitragen müssen." Harry nickte und begann zu lächeln.
Nach einer weiteren Schweigeminute fragte Harry: „Sagst du mir jetzt was mit deinem Labor passiert ist?" Severus sah Harry gequält an. Es war offensichtlich, dass es ihm unangenehm war. Doch Harry blickte gespannt zu seinem Adoptivvater. „Sieh mich nicht so an!" beschwerte sich Severus, der schon wieder Lily durch Harrys Augen blitzen sah. Doch Harry war unnachgiebig.
„Also gut!" seufzte Severus, „ich hab mich gestern, nachdem ich den Eulenkuchen zu dir hoch gebracht habe – du hast ja schon geschlafen – weiter mit dem Antiwerwolftrank gemacht. Aber ich konnte mich nicht so recht konzentrieren. Ich musste ständig darüber nachdenken, was du gesagt hast. Du hättest dich dem Teufel verkauft. Ich wollte nicht, dass du so denkst. Aber... na ja... ich hatte noch nie ein Talent für Beziehungen gehabt. Und während ich mich eben geärgert hatte, hatte ich nicht aufgepasst, was ich in meinem Kessel zusammen mische. Und dann ist mir der Kessel um die Ohren geflogen."
Harry senkte betrübt den Kopf. „Also war es meine Schuld", flüsterte er, doch Severus konnte es noch hören. „Harry, hör auf mit den Schuldzuweisungen. Ich hätte mich eben mehr konzentrieren müssen, oder gar nicht erst zum Brauen anfangen dürfen." – „Aber es ist schon auffällig, dass allen in meiner Umgebung immer was passiert." meinte Harry ließ den Kopf hängen.
Severus blickte Harry an „Du hast seit 15 Jahren eine Last auf den Schultern, die dir keiner nehmen kann", begann er. „Aber wir, der Orden, deine Freunde, Albus, können versuchen dir so gut es geht den Weg zu ebnen. Da passiert nun mal das eine oder andere." Harry sah nun verwundert auf. Es war komisch diese Worte ausgerechnet von Severus zu hören. Wie oft hatte er Harry vorgeworfen, dass sich Harry absichtlich in den Vordergrund spielt? Und jetzt erzählt er, Harry könne nichts dafür. „Ich gebe nur Dumbledores Worte wieder!" fügte Severus schnell hinzu. Harry fing an zu schmunzeln. „Was?" fragte Severus verunsichert. Doch Harrys Grinsen wurde noch breiter, er stand auf und schlang dann seine Arme um seinen Adoptivvater. Severus versteifte sich im ersten Moment. Es war schon lange her, dass ihn jemand auf diese Weise umarmt hatte. Doch schließlich lockerte er sich wieder und erwiderte die Umarmung. Sachte drückte Harrys Körper an sich. ‚Wie nahe doch Liebe und Hass liegen', schoss ihn dabei unwillkürlich in den Kopf.
Um sich aus seiner ungewohnten Haltung wieder zu befreien, meinte Severus schließlich. „Wie ich sehe hast du die Kursliste wieder zusammen gefügt?" Harry löste sich langsam aus der Umarmung und sah zu dem Stück Papier. „Ja... ich denke meine Zauberblockade ist aufgehoben." – „Das ist gut! Aber falls du dennoch mal über deine Alpträume reden möchtest, du kannst jeder Zeit zu mir kommen." Harry schüttelte heftig den Kopf. „Ich will sie so schnell wie möglich vergessen. Sirius Tod ... ist zwar immer noch schwer zu akzeptieren... aber es wird schon leichter", seufzte Harry. „Und das andere?" bohrte Severus nach. Harry sah gequält zu Severus auf. „Darüber will ich nicht reden" – „Kann ich verstehen. Aber eins musst du mir noch versprechen" Severus fixierte Harry nun mit einem sehr strengen Blick. „Verwende keinen Unverzeihlichen Fluch mehr, solange du nichts über sie weißt." Harry schluckte, „Aber Moody hat uns..." – „Ich weiß, dass der falschen Moody sie euch vorgeführt hat. Aber wie du gemerkt hast, hat er bei dir nicht funktioniert und das ist auch gut so. Unverzeihliche Flüche sind UNVERZEIHLICH. Ich werde sie nächstes Jahr im Unterreicht besprechen und auch einiges über den Hintergrund und ihrer Wirkungsweise dazu erzählen. Dann wirst du verstehen, warum ich dir verbiete sie zu verwenden." Harry nickte „Ok. Ich verspreche es!"
