Der Vormittag verging mit Packen. Angeblich wollte Dumbledore, dass sie bis zum Schulanfang alle beim Ordensstützpunkt blieben. Zu Mittagszeit trafen sie dann alle per Kamin in Snape Manor ein. Staunend sahen sich Ron, Hermine und Ginny um. Das Haus war sehr nobel eingerichtet und keiner der drei hätte erwartet, dass ein Haus der Familie Snape so ausschauen könnte. Severus hatte inzwischen den Speisesaal hergerichtet, sodass nicht alle in der Küche essen mussten. Harry bezog das Zimmer, das er schon immer hatte. Die anderen bekamen alle ein eigenes. Räume gab es in dem Haus ja genug. Zum zweiten Stock hinauf war jedoch eine Absperrung angebracht. Harry fragte sich, was da oben wohl war, dass Severus es vor allen verbergen wollte. Soviel er aus dem Gespräch mit Severus Mutter heraus bekommen hatte, schien Snape in seiner Familie etwas heraus gefallen zu sein. Ähnlich wie Sirius, dachte Harry plötzlich. Vielleicht waren in dem oberen Stock Zimmer die voll mit schwarzer Magie waren?
„Wie lange willst du noch hier stehen?", fragte Hermine, als sie ihre Sachen in ihrem Zimmer verstaut hatte und am Weg in den Speisesaal Harry beobachtete, wie er die Stufen zum zweiten Stock anstarrte. „Was… oh… ich hab mich nur gefragt, was da oben wohl ist." – „Wir sind hier im Haus der Snapes, was denkst du wohl was dort oben ist?" kam nun Rons Antwort, der ebenfalls wieder aus seinem Zimmer kam. „Ron! Ich wäre an deiner Stelle vorsichtig, was du hier sagts. Vergiss nicht das Professor Snape unser Lehrer ist!" mahnte ihn Hermine. „Bist du dir sicher? Ich hab in Zaubertränke ein ‚Annehmbar' und ich wurde trotzdem zum UZT-Kurs zugelassen. Snape hat doch gesagt, dass er nur Leute mit ‚Ohnegleichen' nimmt." – „Vielleicht hat Dumbledore auf ihn eingeredet." überlegte Hermine. „Oder es blieb ihm nicht anderes über, als alle bis zu einem A zu nehmen, weil keiner ein O geschafft hat. So wie der seinen Unterreicht führt," überlegte nun Ron weiter. Harry musste schmunzeln. Seine Freunde hatte offensichtlich noch keine Ahnung von der neuen Lehreraufteilung. „Hast du Zaubertränke jetzt eigentlich genommen?", fragte Harry interessiert. „Na ja… ich habs genommen, weil man es doch brauch, wenn man Auror werden will, aber ich weiß nicht, ob das klug war. Ich meine, Snape wird sicher darauf herum hacken, wie schlecht wir alle sind." antwortete Ron und dann fragte er seinen Freund „Was hast du eigentlich in Zaubertränke?" – „Ein E, keine Ahnung wie ich das hingekriegt habe," gestand Harry. „Ein E? Oh, Harry das ist großartig!" meinte nun Hermine.
„Wollt ihr hier etwa Wurzeln schlagen? Wir warten nur noch auf Euch. Wir haben doch gesagt, kommt gleich wieder herunter!" kam nun Mrs. Weasley Stimme erzürnt. „Wir sind ja schon am Weg, Mum!" – „Das sehe ich!" zischte Molly. Eiligen Schrittes folgen die drei Rons Mutter in den Speisesaal, wo in der Tat schon einige saßen und nur mehr auf sie wartete. Sogar Professor Dumbledore war anwesend. Er hat an einem der Köpfe des Tisches Platz genommen, während Severus ihm genau gegenüber saß. Und die einzigen drei Plätze, die noch frei waren, befanden sich am dem Ende des Tisches, an dem Severus saß. Harry nahm ohne zu zögern direkt neben ihm Platz. Severus warf ihn einen Blick zu, den er nicht zu deuten vermochte. Womöglich dachte Sev, dass Harry seine Freunde schon eingeweiht hatte darüber, dass er Harrys Adoptivvater sei. Ron hingegen sah ein wenig entsetzt aus und nahm jenen Platz der am weitesten von dem verhassten Professor entfernt war ein. Also setzte sich Hermine in die Mitte der beiden Jungs. Auch sie war ein wenig nervös.
„Nun, da wir alle anwesend sind, können wir nun endlich essen, aber zuvor möchte ich noch alle und vor allem euch drei" – Dumbledore blicke zu Ron, Harry und Hermine – „darauf hinweisen, dass Professor Snape niemanden im zweiten Stock des Hauses sehen möchte. Und seid versichert, dass er es raus findet, wenn jemand sich dort herum schleicht. Also dann, guten Appetit!" Harry wandte seinen Blick zu Severus. Dieser bedachte ihn mit einem strengen Blick. Doch als Harry genauer hin sah, bemerkte er, dass es um seine Mundwinkel leicht zuckte. Am liebsten hätte er zurück gelächelt, aber er besann sich eines besseren und ließ, dann seinen Blick den Tisch entlang schweifen. Tonks war da. Moody, Kingsley, Mrs. und Mr. Weasley, zwischen ihnen saß Ginny. Dann war da noch diese Helen, die Harry schon mal kennen gelernt hatte und noch ein paar die Harry bisher nur gesehen hatte. Aber einer ging Harry ab. Wo war Remus? In seinen Grübeleien vergaß er vollkommen sich was zu essen zu nehmen.
„Potter, sie sollten sich stärken bevor wir mit dem Training anfangen" meinte Severus schließlich und belud Harrys Teller mit Essen. „Danke, Sir!" nuschelte Harry dann sah er auf und fragte, „Wann fangen wir denn damit an?" – „Um drei Uhr. Am besten warten sie vor der Bibliothek. Dass ich erwarte, dass sie pünktlich sind, muss ich wohl nicht extra erwähnen." Harry schüttelte verneinend den Kopf. Jetzt war Severus eindeutig wieder in seiner Professor Snape Hülle. Die meisten am Tisch waren selber im Gespräch vertieft und haben die kurze Konversation zwischen Harry und Severus nicht mitbekommen. Doch Ron und Hermine wagten nicht zu sprechen. Unsicher äugten sie immer wieder zu Severus und zu Harry. Erleichtert das Mittagessen hinter sich gebracht zu haben, verschwanden Ron und Hermine in ihrer Zimmer. Und auch Harry hatte noch eine Stunde bis zu seinen Treffen mit Severus.
„Oh Mann, ich hoffe wir müssen nicht jedes Mal neben Snape sitzen. Da bleibt einem ja das Essen in der Kehle stecken," maulte Ron, als Harry sich zu ihm gesellte. „Ich fand, er hat sich doch ziemlich zurück gehalten. Außerdem ist es doch großzügig von ihm, sein Haus mit dem Orden zu teilen", meinte Harry. Worauf hin er einen ungläubigen Blick von Ron auffing. „Es ist seine bloße Anwesenheit. Dieser Hass, der aus seinen Augen blitzt. Ich mag den Typen einfach nicht." Harry zuckte mit dem Schultern, wenn er weiterhin Snape in Schutz nehmen würde, dann könne er Ron gleich die ganze Wahrheit sagen. Schließlich lenkte er von Thema ‚Snape' ab und fragte: „Wollen wir Schach spielen? In der Bibliothek steht ein verstaubtes Schachbrett. Mit dem hat wahrscheinlich schon ewig keiner mehr gespielt." Beim Wort „Schach" leuchteten Rons Augen auf. „Worauf warten wir noch?" fragte er und stand schon bei der Tür. Harry lachte und folgte seinem Freund.
Wenige Minuten später hatten Harry und Ron das verstaubte Schachbrett mit einem Schwenk des Zauberstabs gereinigt und das Tischchen, auf dem es stand in die Mitte zu der Couch gezogen. Harry hatte sich in Severus Lieblingslehnstuhl fallen gelassen und saß nun hoch konzentriert da und überlegte über seinen nächsten Zug.
Die Zeit verging schneller als gedacht und die Schachpartie war noch lange nicht zu Ende, als Severus seinen Kopf herein streckte und empört meinte: „Potter, hab ich nicht gesagt vor der Bibliothek?" Erschrocken sah Harry vom Spiel auf. Doch dann fiel sein Blick auf die Standuhr und er konterte: „Ich hab auch noch zwei Minuten!" Severus warf ihm darauf einen scheinbar vernichtenden Blick zu, der Harry früher wahrscheinlich Angst gemacht hätte. Doch nun grinste er nur und sagte dann zu Ron, „Wir spielen nachher weiter!" Ron, der Severus Blick lange nicht so cool aufgenommen hatte, war etwas blass geworden und nickte nur benommen.
Harry stand auf und kam auf Severus zu. Dieser meinte schließlich: „Übringens ist das mein Stuhl!" – „Ich weiß. Er ist sehr bequem!" sagte Harry amüsiert. Dann warf er noch einen letzten Blick zu Ron, ehe er die Bibliothek verließ. Dieser saß noch immer blass da und warf Harry einen mitleidigen Blick zu.
Harry musste grinsen. Ron bekam wirklich gar nichts mit, was zwischen Harry und Severus ablief. Allerdings gab sich Harry auch alle Mühe mit seinem Adoptivvater mithalten zu können. Er hatte keine Ahnung wie lange er seinen Freunden auf der Nase herum tanzen würde, aber er war sich sicher, irgendwann einen Lachkrampf zu kriegen und dann würde ohne hin alles auffliegen.
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Severus führte Harry Richtung Eingangshalle und blieb vor einem großen Spiegel, der bis zum Boden reichte, stehen. Der Junge blickte auf und sah Severus neugierig an. „Schwarzer Phönix" sprach nun der ältere und der Spiegel schwang auf. Noch während Harry vor Staunen die Kinnlade herunter klappte, schob Severus den Jungen durch den entstandenen Durchgang und die Tür schloss sich wieder. „Wow!" entfuhr es Harry. Unzählige Bücherregale bauten sich an den Wänden auf und in der Mitte gab es ein Art Podest auf dem ein dunkler großer Holzschreibtisch stand.
„Das ist der Arbeitsraum der Snapes!" erklärte Severus knapp. „Wieso heißt es nicht Bibliothek? Hier gibt es doch weit aus mehr Bücher, als in dem Wohnzimmer," fragte Harry verwirrt. „Es war eine Eigenheit der Snapes Bücher und anderes Wissen, das sie besaßen, geheim zu halten. Die Bücher, die in der Bibliothek stehen, sind ohne Bedenken und können von jedem gelesen werden. Hier unten jedoch gibt es eine Sammlung von Wissen und Bücher, die besser nicht ein jeder weiß." Harry drehte sich staunen im Kreis und ließ seinen Blick umher wandern.
Severus hatte sich inzwischen zum Schreibtisch gesetzt und wartete eine Weile. Dann jedoch lenkte er die Aufmerksamkeit des Jungen wieder auf sich. „Du hast dich also nun doch entschlossen deinen Freunden nichts zu erzählen?" Harry ließ seinen Blick noch weiter schweifen während er antwortete, „Ja. Vielleicht ist es doch ganz witzig!"
Nachdem Severus nicht gleich darauf antwortete, wandte sich Harry nun doch zu ihm. „Es mag Anfangs vielleicht lustig sein. Aber das ist nicht immer so. Dieser Weg kann Segen und Fluch zugleich sein. Und ich weiß ehrlich nicht, was ich dir diesbezüglich raten soll. Immerhin sind es deine Freunde. Aber wie weit du ihnen Vertrauen kannst, musst du selber abschätzen." – „Ich werde es ihnen sagen. Aber jetzt noch nicht!" Severus nickte leicht.
„Nun gut, dann kommen wir zum eigentlichen Grund unseres Zusammentreffens. Okklumentik. Was weißt du noch darüber?" fragte Severus. Harrys Magen krampfte sich ein wenig zusammen. Severus war nun wieder ernst geworden. „Na ja, mit Okklumentik kann man seinen Geist verschließen und vor einem Eindringen von Außen schützen." – „Sehr schön! Fünf Punkte für Gryffindor!" sagte Severus mit einem Grinsen, doch dann fuhr er fort: „Und wie schützt man seinem Geist?" – „In dem man sich von all seinen Gedanken löst?" fragte Harry unsicher. „Und wie löst man sich von seinen Gedanken?" bohrte Severus weiter. „Das hast du mir nie gesagt" meinte nun Harry ein wenig gereizt. Severus zog eine Augenbraue hoch. „Dann sag ich es dir jetzt!" meinte er gelassen.
„Nun, du musst dir einen Art Raum vorstellen in dem sich deine Gedanken befinden. Und eine Tür oder ein Fenster, durch die man sie betrachten kann. Wenn du merkst, dass sich einer deiner Gedanken bemächtigt, dann musst du diesen Raum verschließen. Ob du ihn händisch schließt oder mit einem Zauber ist egal, du musst dir nur Vorstellen, dass du den Raum, in dem sich seine Gedanken und Erinnerungen befinden, absicherst.
„Wichtig bei unseren ersten Übungen ist, dass du lernst diese Tür oder das Fenster zu sehen. Du musst quasi lernen zu erkennen, wie dein Inneres hier oben (Severus tippt sich an die Schläfe) aussieht. Dazu werden wir eine gemeinsame Meditation durchführen, in der ich dich führe. Es ist eine Art der Legilimentik. Jedoch breche ich nicht einfach in deinen Kopf ein, sondern verbinde mich mit dir auf einer höheren geistigen Ebene."
Harry starrte Severus ein wenig ungläubig an. Er konnte sich nicht vorstellen was sein Adotivvater meinte. Doch der ältere ignorierte diesen Blick und meinte weiter. „Am besten legst du dich dazu hier rauf!" Er klopfte mit der Handfläche leicht auf den Tisch. Harry sah skeptisch vom Tisch zu Severus auf. „Harry, es macht nur Sinn, wenn du mir vertraust," sagte nun Severus ernst. „J… ja! Ok." stammelte der Junge und machte ein paar Schritte auf den Tisch zu. Nach einigen zögernd tat Harry wie ihm geheißen und er legte sich auf den großen Tisch. Severus lächelte ihm aufmunternd zu ehe er die Fenster mit einem Schipp mit den Fingern verdunkelte.
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Harrys Pulsfrequenz war wieder angestiegen. Er konnte Severus nur mehr als dunkle Gestalt neben sich er kennen. Das bisschen Licht, dass durch die Jalousie kam, fiel auf die Bücher und ließen diese eigenartig aufblitzen. Doch dann schob sich Severus Hand vor Harrys Augen und nahm ihm jegliche Sicht. „Schließ die Augen und versuche ruhig und gleichmäßig zu atmen!" hörte er die leise Stimme seines Adotivvaters.
Harry schloss seine Augen und bemerkte, wie er nun versuchte den Raum zu erfühlen. Er wusste irgendwo rechts neben ihm war Severus, aber jetzt wo er ihn nicht mehr sehen konnte, konzentrierte er sich auf all seine anderen Sinnesorgane. Es machte ihn unruhig, nichts zu sehen.
Doch dann legte sich eine Hand von Severus auf seinen Brustkörper und die andere auf seine Stirn. Nun wo Harry wieder sicher sein konnte, dass Severus noch da war, beruhigte er sich auch schnell wieder. Eine Weile geschah gar nichts. Die Handflächen von Severus begannen merkwürdig zu glühen und es war, als ob eine Energie durch sie in Harrys Körper fließen würde. Eine angenehme Wärme hüllte Harry komplett ein und seine Atmung wurde immer langsamer und ruhiger.
„Harry?" fragte Severus leise. „Ja?" kam ebenso leise die Antwort. „Stell dir nun vor du gehst eine Treppe hinab. Und mit jeder Stufe dringst du mehr in dich ein. Wenn die Stufen enden, landest du auf einer Ebene. Sag mir was du siehst." Es dauerte eine Weile. Harry hatte die Stiege klar vor sich und er stieg sie langsam hinunter. Doch wie lange war die Treppe? Er konnte es noch nicht sehen. Aber schließlich endete sie und er stand auf einer Ebene. Eine grüne Wiese, die nahe eines blitzblauen Sees lag. Auf der Wiese selbst standen bunte Blumen und ein paar Bäume.
Harry erzählte was er sah und dann hörte er Severus Stimme: „Und jetzt stell dir vor, wie ich neben dir erscheine. Harry konzentrierte sich und es dauerte nicht lange erschien tatsächlich Severus neben ihm. „War nicht so schwer oder?", fragte dieser mit einem Augenzwinkern. Harry fehlten die Worte, daher schüttelte er nur benommen den Kopf.
Severus sah sich um. „Erinnert mich an Hogwarts, die Wiese, der See… sieht den Hogwartsgründen doch sehr ähnlich." – „Ist das schlecht?" fragte Harry. „Nein, nein. Das ist eben die Landschaft deiner Seele. Beeindrucken ist diese Farbenpracht. Ich wette vor zwei Wochen hat es hier noch ganz anderes ausgesehen," stellte Severus fest. „Anders, in wie fern?" – „Na ja überleg mal, wie du dich gefühlt hast, als ich dich aus dieser Muggelkneipe geholt habe." – „Du meinst die Disco? Hmm… da war hier gerade Winter. Der See war wahrscheinlich zugefroren und die Wiesen voller Schnee und Eis," grübelte Harry. „So hast du dich jedenfalls nach außen gezeigt. Kalt und Abweisend," bestätigte Severus mit einem Nicken des Kopfes. „Sev… was machen wir jetzt?" – „Jetzt begeben wir uns auf die Reise in deinen Kopf!" Der Junge blickte ein wenig überfordert drein. „Aber wie?"
„Streng genommen sind wir ja schon da, aber im Moment sehen wir dein Seelenbild. Versuche dir nun das innere deines Kopfes vorzustellen. Diesen Raum, in dem sich die Gedanken befinden." Harry sah Severus immer noch zweifelnd an. „Wie sieht der aus?" – „Das weiß ich nicht. So wie du möchtest. Mach dir nicht so viele Sorgen. Das Bild kommt von alleine. Entspann dich, einfach!" Severus hat nun seine Hände auf Harrys Schultern gelegt und der Junge versuchte sich, so gut es geht zu entspannen. ‚Einen Raum. Was für ein Raum? Wie siehst du aus? Zeig es mir' murmelte Harry in Gedanken vor sich her.
Die Szenerie vor seinen Augen wechselte und er fand sich in einer riesigen Halle wieder. Fensterlose Wände die mehrere Meter hoch waren, voll mit Regalen, in denen sich silberblaue Kugeln befanden. Harry drehte sich zu Severus um, der mit staunenden Blick die Regale empor sah. „Unfassbar!" murmelte er vor sich her. „Ich hatte keine Ahnung, wie groß dieser Raum ist. Du bist erst sechzehn. Wie kann man da schon so viele Erinnerungen haben?" – „Ich habe eben schon viel erlebt," gab Harry zur Antwort.
„Nun gut. Kommen wir zu deiner nächsten Übung. Praktischer Weise hat dein Raum nur eine Tür. Demnach sollte es dir leicht fallen diese zu schließen. Durch die Meditation bin ich diesmal schon eingetreten. Ansonsten muss ich erst durch diese Tür um zu deinen Gedankenpool zu kommen. Im Moment habe ich leichtes Spiel mir deine Gedanken anzusehen, ich bräuchte nur eine von ihnen antippen und wir sehen beide, was du erlebt hast. Wenn man von außen agiert ist es eher ein Suchen. Nie darf es so weit kommen, dass irgendwer leibhaftig in diesem Raum steht, so wie ich es jetzt tue. Denn dann hast du es schwer, diesen jemanden zu verbannen. Ich bin hier, weil du mich dazu quasi eingeladen hast. Weil ich dich gebeten habe mich einzulassen. Aber dass darfst du nie jemanden gestatten, dem du nicht vertraust."
„Wenn jemand in meine Gedanken einbricht. Wo bin ich dann? Ich meine, stehe ich in dem Raum und sehe wenn da wer draußen ist?" – „Nun ja... das wäre das Ziel dieser Übungen. Wenn sich einer in deinen Kopf einschleicht, dann tippt er ziellos Erinnerungen an, solange, bis er gefunden hat, wonach er sucht. Das geht alles in Bruchteilen von Sekunden und du wirst von einer Erinnerung in die andere geschleudert. Du musst versuchen dich auf diesen Raum zu konzentrieren. Denn nur dann hast du die Chance die Türe zu schließen."
„Das hört sich ziemlich schwierig an", gestand Harry. „Niemand hat gesagt, dass Okklumentik leicht ist" bestätigte Severus. „Nun... da du mich ja so großzügig eingeladen hast, wollen wir mal sehen, was ich mir anschaue." – „Was?", rief Harry entsetzt, „Du willst doch nicht..." – „Es liegt an dir mich abzuhalten!" meinte Severus mit einen fiesen Grinsen und begab sich auf eine Seite des Regals. Er berührte eine der Kugeln und mit einem Augenzwinkern änderte sich die Szenerie.
Harry wurde gerade von Dolores Umbrigde gequält, als sein Kopf plötzlich unsaft zur Seite geschleudert wurde. Für einen Moment war es dunkel doch nach und nach wurden die Konturen von Harrys Zimmer im Ligusterweg Nummer 4 klarer. Über dem Jungen hatte sich Onkel Vernon aufgebaut. Sein Gesicht war weiß vor Zorn. Etwas benommen griff sich Harry zu seiner Wange. Seine gesamte linke Gesichtshälfte spürte sich taub an von dem Schlag, den ihn sein Onkel verpasst hatte „Eins sag ich dir Junge!", begann dieser nun wütend, „wenn du nicht aufhörst, dich wie ein Irrer zu benehmen, dann sorge ich dafür, dass du in einer Geschlossenen Anstalt landest. Die ganze Nachbarschaft redet schon über uns. Es reicht langsam! Wenn du nicht ruhig schalfen kannst, dann schlaf eben gar nicht. Wehe, ich höre dich jemals wieder schreien!" Schnaubend stapfte Onkel Vernon aus dem Zimmer. Harry blieb am ganzen Leib zitternd zurück.
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Die Szenerie wechselte wieder in Dunkelheit. Es war seltsam still. Nur mühsam registrierte Harry seinen Körper wieder. Und langsam bemerkte er auch den leichten Druck auf seiner Stirn und seinem Oberkörper, der durch Severus Hände verursacht wurde. Er war wieder im Arbeitszimmer von Snape Manor. Nach ein paar weiteren Atemzügen öffnete er langsam die Augen.
Die Augen seines Adotivvaters ruhten auf ihn. Der Blick jedoch war undefinierbar. Vorsichtig ließ Severus den Jungen wieder los und Harry setzte sich auf. „Du hast gar nicht versucht mich davon abzuhalten, oder?" fragte Severus ernst. Harry blickte etwas verloren zu Boden. Dann schüttelte er verneinend den Kopf. „Warum nicht?" wollte sein Adoptivvater wissen. „Weil es so viel einfach war, dir zu zeigen, wie mein Onkel so ist", gestand Harry leise.
„Hat dich dein Onkel öfter geschlagen?" Harry zuckte mit den Schultern „Manchmal" Dann wurde es wieder still. Severus sah den Jungen grübelnd an. „Wann hat er dich geschlagen? Immer nach einem Alptraum, oder öfter? Hat er auch mit etwas anderem zugeschlagen, als mit seiner Hand?" Harry sah Severus nun unsicher in die Augen. Worauf wollte sein neuer Vater hinaus? „Hat er mit Gegenständen auf dich eingeschlagen?" wiederholte Severus hartnäckig und war nun sehr ernst. Doch Harry schwieg. Er wusste nicht wieso, aber eine plötzliche Angst befiel ihn. Vielleicht hätte er Severus doch die Erinnerung nicht zeigen sollen. Er hatte das ungute Gefühl, etwas verraten zu haben, dass er für immer in sich begraben wollte. Niemand sollte je davon erfahren.
Severus war die plötzliche Angst in den Augen des Jungen nicht entgangen. Auch er merkte, dass er an etwas gestoßen war, das Harry wehement zu verdrängen versuchte. Es wäre leichtes Spiel mit einem Legilimens-Spruch dahinter zu kommen, was es ist, aber das würde wohl das Vertrauen des Jungen in ihm zerstören. Er beschloss es vorläufig dabei zu belassen. Harry hatte sich plötzlich wieder sehr weit in sich zurück gezogen.
Schließlich meinte Severus: „Ich denke, für heute ist es genug. Wir werden morgen weiter machen. Inzwischen versuche dir Schutzzauber und ähnliches zu überlegen, wie du die Tür vor Eindringlingen sicher machen kannst. Je besser du deine Tür sicherst, umso schwerer hat es ein Legilimentor überhaupt einzudringen. Vor dem Schlafen gehen stellst du dir wieder deinen Raum vor und arbeitest daran Schutzzauber und Sicherheitsvorkehrungen anzubringen. Ich werden dann morgen prüfen wie weit du gekommen bist, ok?" Harry nickte nur benommen.
Gedanken verloren stapfte der Junge hinter Severus wieder aus dem Raum. In der Eingangshalle drehte sich Severus noch einmal zu Harry um. „Du weißt, dass du jederzeit mit mir reden kannst? Und wenn du eben nicht reden willst, dann werde ich dich auch nicht drängen." Harry nickte und sah dann zu Severus auf. Ein schwaches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. „Okklumentik ist im Moment sehr wichtig. Je schneller du es lernst um so eher können wir über andere Sachen reden. Zum Beispiel, was es mit den neuen Kräften zu tun hat. Woher sie kommen, und wie du mit ihnen umgehen kannst." – „Du meinst die Zauberstablose Magie?" fragte Harry und schien nun endlich wieder aus seiner Trance auf zu wachen „Unter anderen" gab Severus ausweichend zurück.
