Harry wollte gerade zur Bibliothek laufen, um Hermine das Buch zu geben, als sein Blick in den großen Speisesaal fiel. Eine einsame Gestalt stand da vor dem Fenster. Harry konnte nicht gleich erkennen wer es war, da derjenige mit dem Rücken zu ihm stand. Der Junge wollte schon fast weiterlaufen, als ihm der lange Bart auffiel, der ihm durch aus bekannt vor kam.

„Professor Dumbledore?" fragte Harry unsicher und trat nun ebenfalls in den Speisesaal. Der alte Mann drehte sich zu den Jungen um. Harry erschrak, als er feststellte, wie alt Dumbledore in diesen Augenblick wirkte. Jeglicher Stolz war verschwunden und hatten einer Art Müdigkeit Platz gemacht.

„Hallo Harry!" begrüßte Dumbledor den Eintretenden. „Was machen sie hier?" fragte Harry verwundert. „Um ehrlich zu sein, habe ich wohl die Zeit vergessen. Ich habe vorhin mit Severus gesprochen und dann über das eine oder andere nachgedacht."

„Vorhin? Aber ich war mit Sev jetzt drei Stunden Okklumetik üben?" nun verstand Harry gar nichts mehr. „Ich sagte ja, ich habe die Zeit verloren," sagte Dumbledor und lächelte schwach. „Sev... hat er...?" fragte Harry nun vorsichtig, nachdem ihm langsam ein Licht aufging. „Ja, Harry, das hat er. Und ich wundere mich, dass du mit mir noch sprichst."

Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in Harrys Magen aus. Es gab ihm einen Stich Dumbeldore so zu sehen. Alt und schwach, das durfte Dumbledore einfach nicht sein. Er war doch der stolze Schulleiter von Hogwarts. Allen Dingen erhaben, immer allen einen Schritt voraus. Harry gefiel das Bild vor ihm überhaupt nicht.

„Professor, sie konnten es doch nicht wissen. Onkel Vernon ist noch nie so ausgetickt, wie diesen Sommer. Niemand konnte das vorhersehen!" Dumbeldor seufzte, „Nein, vorhersehen konnte ich es nicht. Aber ich hatte schon lange vorher ein ungutes Gefühl. Ich habe nicht gewusst, woher es kam und daher bin ich dem nicht nachgegangen."

„Woher hätten sie es wissen sollen. Ich habe niemanden darüber erzählt."

„Ja, doch auch das war wohl meine Schuld, oder?" Dumbeldore blickte Harry nun über seinen Brillenrand an. Eine Geste die Harry zwar vertraut war, aber etwas war doch anders. Etwas fehlte; Die Augen des Direktor blitzen nicht auf.

„Mag sein" murmelte Harry. Er fühlte sich ein wenig hin und her gerissen von seinen Gefühlen. Bis vor kurzem hatte er einen Groll gegen diesen alten Mann. Aber nun war dieser so anders. Und Harry gefiel der Gedanken nicht, dass er wahrscheinlich die Ursache war.

„Harry auch wenn es dir nicht bewusst ist, aber ich habe durch mein Fehlverhalten mehr angerichtet, als du dir vorstellen kannst. Die Prophezeiung besagte, dass der eine, eine Macht besitzen würde, die der andere nicht kennt. Du wirst in absehbarer Zeit selber bemerkten, dass deine Macht sich verändert und größer wird. Aber inwieweit du sie nutzen kannst, weiß ich nicht. Denn durch den Vorfall bei den Dursleys und auch durch Sirius Tod hast du viel Schreckliches erleben müssen. Es haben sich in deinen Herzen viele negative Gefühle ausgebreitet. Zorn, Hass, Wut, Verzweiflung dies alles sind Gefühle, die sich auch negativ, auf deine Macht auswirken. ...

...Severus hat erzählt, dass du Zauberstablose Magie angewandt hast?"

„Ja, einmal bei den Weasleys" antwortete Harry ein wenig verwundert. „Aber in dem Moment war ich auch ziemlich verzweifelt und wütend."

„Ich weiß. Du hast bis jetzt oft Zauberstablose Magie in verzweifelten Situationen bewirkt. Deine Tante Magda ist ja nur ein Beispiel von vielen. Aber irgendwo in deinen Herzen war wohl auch ein positives Gefühl. Ich vermute, bei deiner Tante war es der Schutz deiner Eltern. Du hattest in deinem Handeln nicht daran gedacht, deiner Tante etwas anzutun, sondern daran, die Ehre deiner Eltern zu schützen. Da deine Mutter für dich gestorben ist, kann dadurch schon sehr große Magie freigesetzt werden." erklärte der Schulleiter.

„Aber welches positive Gefühl soll dahinter gesteckt sein, als ich Hermine einen Polster hinter geschmissen habe?" Harry sah Dumbeldore neugierig an.

„Dazu müsste man wissen, was dir alles durch den Kopf gegangen ist!"

„Buhh" Harry schnaufte, woher sollte er das jetzt denn noch wissen. „Ich war wütend auf mich, dass ich den anderen den Spaß verdorben hat. Ich hatte Angst, dass ich Hermine verletzen würde, wenn sie länger im Raum bleiben würde. Und ich hatte den Wunsch meine Wut am Polster loszuwerden, da dieser ohne hin nicht verletzt werden kann."

Dumbelor schmunzelte und ein wenig Leben kam in die müden Augen zurück. „Du hast also gewartet bis Hermine aus dem Raum ist, damit niemand verletzt werden kann. Das wäre doch ein Grund. Du schütz deine Mitmenschen, selbst wenn deine Gefühle Achterbahn fahren. Beachtlich!"

Harry verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht. Ich hab nicht das Gefühl, dass ich die Menschen schütze. Es ist eher umgekehrt, dass ich sie verletze. Und dabei rede ich nicht nur von den Menschen, die um mich herum meinetwegen sterben, wie meine Eltern, Cedric oder Sirius. Da ist noch viel mehr: Ich habe Hedwig im Stich gelassen, als ich von Ligusterweg abgehauen bin. Ich habe Malfoy zusammen geschlagen. Ich habe Ron verletzt, weil ich ihm nicht eher gesagt habe, wer mein Adotivvater ist. Ich mach ständig irgendwas, dass jemanden verletzt." Der Junge ließ den Kopf hängen. „Und ich habe sie verletzt, indem ich mich von ihnen abgewandt habe" fügte Harry mit einem Flüstern hinzu.

In Dumbeldores Augen begann es seltsam zu glitzern. Er griff nach Harrys Hand und zog den Jungen zu sich heran. Dann sah er Harry tief in die Augen: „Du hast mich nicht verletzt. Du füllst mich mit Stolz und Erfurcht. Du trägst deine Last und kannst dennoch den Kopf aufrecht halten. Du verzeihst, wo andere einem den Rücken kehren würden. Du trägt aufrichtige Liebe in dir und das ist eine sehr seltene Gabe, Harry. Sehr selten. Du bist was Besonderes, auch wenn du dir wünscht, es wäre nicht so."

Noch bevor Harry etwas darauf antworten konnte, befand er sich in einer Umarmung wieder. Dumbeldore hielt den Jungen fest, als ob er einen verlorenen Sohn wieder gefunden hätte. Und nun stiegen auch Harry Tränen in die Augen. Es war egal welche Fehler Dumbeldore gemacht hatte, er hatte auch viele gemacht und jeder verdient eine zweite Chance. Immerhin war der alter Mann mehr, als nur der Schuldirektor von Hogwarts. Er war für Harry wie ein Großvater.

„Es tut mir Leid!" flüsterte Harry und Dumbeldore flüsterte zurück „Nein, es tut mir Leid!"

Und damit lösten sich beide wieder von einander. Harry rannten Tränen übers Gesicht, doch er lächelte. Dumbeldore strich sie mit seiner Hand weg. „Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen musst!" sagte er und schenkte dem Jungen ebenfalls ein Lächeln. Ein breites, sanftes, beruhigendes Lächeln.

„Bleibst du zum Essen, Albus?" kam Tonks unerwartet in den Raum gestürzt. Doch dann stockte sie. „Oh, Entschuldigung ich ... komm wohl etwas Ungelegen."

„Ist schon in Ordnung. Harry und ich sind ... ähm... fertig," sagte Dumbeldore und das altbekannte Zwinkern in seinen Augen war wieder zurück. Harry sah es mit Wohlwollen und wieder holte dann, „Bleiben sie?"

Dumbeldore blickte über seinen Brillenrand und seine Augen blinkten vergnügt auf. „Möchtest du das?" Harry grinste und nickte heftig mit dem Kopf. Dann wandte sich Dumbeldore wieder zu Tonks „Ich denke, dann bleib ich noch zum Essen."

Auch Tonks fing an zu grinsen und verschwand im nächsten Augenblick wieder in der Küche.

„Oh, ich wollte das ja noch Hermine geben!", fiel Harry plötzlich ein und hielt das Buch hoch. „Na dann!" sagte Dumbeldore amüsiert, „Aber beeil dich, ich glaube, das Essen wird gleich gedeckt."

ooo

Harry lief in die Bibliothek und wie nicht anderes zu erwarten, saß Hermine auf der Couch und hatte ein Buch in ihren Händen. Allerdings war es zu und ihr Blick schweifte über die Regale, als wenn sie etwas suchen würde. „Hi Mine, ich hab was für dich!" platze Harry gleich heraus. Das Mädchen drehte sich verwundert um. „Harry, du siehst irgendwie anders aus", stellte Hermine mit einem Blick fest. „Irgendwie... glücklicher. Konntest du mit Ron sprechen?" fragte sie nun mit hoffnungsvoller Stimme.

Doch Harrys glücklicher Ausdruck verschwand augenblicklich. „Nein, noch nicht. Ich probiere es morgen noch mal."

„Und was hast du gemeint, als du sagtest du hast was für mich?" fragte Hermine um vom Thema ‚Ron' wieder abzulenken. „Hier. Das hat Sev mir gegeben! Er meinte bevor du die Bibliothek auf den Kopf stellst." Harry hielt dem Mädchen das Buch hin. Hermine klappte dem Mund auf. „Das ist ja... das ist... unglaublich, wo hat er denn das her?" stammelte sie mit großen Augen und nahm Harry das Buch vorsichtig ab. „Von wo er es hat, hat er mir nicht gesagt", meinte Harry und zuckte mit den Schultern.

„Ernest und Eric Slytherins, weiß du wer die waren?" fragte Hermine immer noch perplex.

„Ja, die Söhne Salazars!" antwortete Harry mit einen Grinsen. Doch Hermine schenkte dem kaum Beachtung. Zu sehr war sie von dem Buch in den Bann gezogen. Sie wollte es gerade aufschlagen als Harry meinte: „Ich würde noch nicht anfangen. Das Essen ist schon fertig."

Ein wenig enttäuscht strich Hermine über den Buchrücken. Doch dann sah sie zu Harry auf. „Ok, Ich bringe es hoch in meine Zimmer und gebe Ron Bescheid! Danke, Harry. Das ist genau das Buch, was ich gesucht habe."

„Bedanke dich nicht bei mir, bedanke dich bei Severus"

Hermine warf ihm noch einen verwunderten Blick zu und verschwand schließlich durch die Tür.

ooooo

Harry lag auf seinem Bett, hatte die Arme hinter seinem Kopf verschränkt und starrte an die Decke. Das Abendessen war einigermaßen gut gelaufen, wenn man davon absah, dass Ron Harry immer noch wie Luft behandelte. Dumbeldore hatte durch das Gespräch mit Harry langsam wieder in seine alte Form gefunden. Und Harry hatte dadurch das Gefühl, eine weiteres Stück seines alten Lebens zurück zu haben.

Die Sache mit Ron, war ihm allerdings noch ein Dorn im Auge. Sicher es war fies von ihm gewesen, seinen Freunden nicht gleich alles zu erzählen, sobald Severus ihm das Ok dazu gegeben hatte, aber wieso Ron sich nun so aufführte, konnte Harry auch nicht nachvollziehen. Wenn sie wenigstens streiten würden. Dann wäre alles heraußen und sie könnten sich wieder versöhnen. Aber dieses ‚wie Luft behandeln' war schlimmer als streiten. Denn Harry wusste, nicht was in Rons Kopf vor sich ging. Der Junge seufzte und drehte sich zur Seite.

Doch dann hörte er wie die Tür leise aufging. Hoffnungsvoll drehte sich Harry Richtung Tür, doch es war nicht der, den er erwartet hatte.

„Soll ich wieder gehen?" fragte Severus verwundert.

„Nein. Ich dachte nur... ich hatte gehofft, es wäre Ron."

Severus nickte: „Er ist ziemlich stur", stellte er fest. Harry grinste schief. „Das war er schon immer. Aber normalerweise streiten wir. Sehen uns ein paar Tage nicht an und dann ist wieder alles in Ordnung. Aber diesmal ist es anders. Wir streiten nicht. Er ignoriert mich einfach."

„Vielleicht ist es eine Art Rachezug. Er wusste den ganzen Sommer über nicht, was mit dir los war und nun lässt er dich im Dunklen tappen", versuchte Severus eine Erklärung zu finden.

„Meinst du?" fragte Harry und sah Severus groß an.

„Es ist zumindest nicht auszuschließen!"

Harry grübelte. Es könnte vielleicht tatsächlich so sein. Auf so eine Idee war er bisher jedenfalls nicht gekommen.

„Und? Soll ich meinen Teil des gestrigen Deals heute erfüllen?" holte Severus den Jungen wieder aus den Gedanken. Harry brauchte nicht lange zu überlegen. Er grinste und zog sein T-Shirt aus. Das Keramiktöpfchen stand noch vom Vortag auf dem Nachtkästchen.

Nun sah Harry wie Severus danach griff und es aufschraubte. Danach legte sich der Junge auf seinen Bauch und wartete. Auch wenn er wusste, dass Severus ihm nicht weh tat, so konnte er es nicht verhindern, bei der ersten Berührung zusammen zu zucken.

„Schschsch..." zischte Severus und begann so wie beim letzten mal, zuerst die Paste zu verteilen und dann langsam den Jungen zu massieren. Dieser war bei weiten nicht mehr so verspannt, wie letztes Mal. Aber von locker, konnte dennoch keine Rede sein. Dazu hatte der Junge wohl eine zu schwere Last zu tragen, dachte sich Severus schüttelte leicht den Kopf. ‚Und ich dachte immer, ich hätte es schwer gehabt im Leben'