Erik
Als
die Kutsche mit einem Ruckeln zum Stehen kam besann sie sich,
dass sie
noch immer auf der Flucht waren und Raoul sicherlich
inzwischen ihre Verfolgung
aufgenommen hatte.
"Wir
müssen aussteigen, mon coeur!" holte Christine ihn
sanft aus seinen Gedanken.
Für einen kurzen Moment sah
sie Schmerz über seine Züge huschen als er
sich
erhob.
Erik half ihr beim Aussteigen, bezahlte dann
den Kutscher und wies in an
weiter zu fahren soweit ihn das
restliche Geld bringen würde.
Wenn sie Glück hatten
würde das dichte Schneetreiben ihre Fußspuren
bedeckt
haben bevor einer ihrer Verfolger hier
auftauchte.
Christine wartete bereits an der Gittertür
zum Unterbau der Oper auf ihn.
Mit geschickten Fingern schl0ß
er auf und sie traten eilig ein.
Sofort umfing sie
Finsternis und ziellos tastete Christine in der Dunkelheit
nach
Eriks Hand der sie sogleich ergriff und sie langsam mit
sich zog.
Nach weiteren Fünfzehn Minuten hatten sie den
See erreicht und Erik ruderte
sie ans andere Ufer.
Außer
seiner aschfahlen Gesichtsfarbe verriet nichts die Schmerzen die
er
zweifellos haben musste.
Wiedereinmal wunderte sich
Christine darüber wie gut er in der Dunkelheit
sehen
konnte in der sie sich doch recht hilflos fühlte.
Der
Bug des kleinen Bootes kratze über Stein und kündigte
so an dass sie ihr
Ziel erreicht hatten.
Nichts an der
dunklen Steinmauer, vor der sie nun standen, kündete davon
dass
dahinter eine voll eingerichtete Wohnung lag.
Erik
betätigte den geheimen Mechanismus und fast geräuschlos
glitt die Wand
zur Seite und sie traten, Christine voran,
ein.
Da sich ihre Augen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt
hatten entdeckte sie
ein Päckchen Streichhölzer auf
dem Tischchen zu ihrer Linken und sofort begann sie
einige
der Kerzen in den unzähligen Halten zu entzünden die
sich in Eriks
Salon befanden.
Erik sank in einen der Sessel der
ihm am nächsten stand.
Helle Punkte hatten begonnen
vor seinen Augen zu tanzen und seine Knie
zitterten
eicht.
Als Christine der Meinung war dass es nun hell
genug im Raum war ging sie zu
ihm.
"Als erstes
müssen wir jetzt einmal die Blutung an deinem Arm stoppen.
Denn deinem männlichen Stolze würde es sicher nicht zusagen
hier, vor mir, Ohnmächtig werden, oder?"
Ein
Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Wie recht sie
hatte.
"Du musst mir nur sagen was ich zu tun
habe!"
Auffordernd sah sie ihn an.
"Ich denke
das werde ich auch alleine schaffen. Danke! Allerdings wäre
ich dir sehr dankbar wenn du mir etwas heißes Wasser nach
oben bringen könntest!"
„Was
immer du willst!" antwortete sie ihm.
Während Christine ihm
den Rücken zuwandte und ich Richtung Küche
davon ging
kam er schwankend zum Stehen. Er bewahrte
alles Verbandszeug und die
Antiseptischen Salben in seinem
Schlafzimmer auf und musste, um dorthin zu
gelangen, eine Treppe
überwinden.
Als er sich nun an den Aufstieg machte, den er
ansonsten ohne Probleme
bewältigte, merkte er wie schwer
der mangelnde Schlaf und die wenige Nahrung
die er zu sich
genommen hatte auf ihm lasteten.
Schweißperlen waren
ihm auf die Stirn getreten als er sich endlich auf die
Kante
seines Bettes sinken ließ.
Mit dem rechten Arm
streifte er sich den Umhang von den Schultern um das Ausmaß
des
Schadens begutachten zu können.
Sein linker Arm war
mittlerweile taub geworden, aber dennoch ließ er sich
bewegen.
Wenn auch unter Schmerzen.
Das weiße Hemd hatte sich
mit seinem Blut vollgesogen. Es war an der Stelle an den
ihn
die Kugel gestreift hatte zerfetzt und bot einen beunruhigenden
Anblick.
Im nächsten Augenblick öffnete sich auch schon
die Tür zu seinem Schlafzimmer
und Christine trat mit einer
Schüssel und einigen Handtüchern ein.
Als ihr Blick
seinen Arm streifte weiteten sich ihre Augen und sie beeilte
sie
die Schüssel zu seinem Nachttisch zu balancieren und
darauf abzustellen.
"Du sagtest doch es wäre nicht so
schlimm!" Sagte sie vorwurfsvoll.
Sie stand direkt vor
ihm und sah auf ihn hinunter.
"Ist es auch nicht. Es
sieht meist schlimmer aus als es ist!" antwortete er
ohne
sie anzusehen und machte sich an den Knöpfen seines Hemdes
zu schaffen.
"Danke für das Wasser und die
Handtücher, ma vie, aber den Rest schaffe ich
nun auch
alleine."
Zwar war er übetglücklich daß sie
hier bei ihm war aber es war auch ein
seltsam beklemmendes Gefühl
sich hier in ihrer Gegenwart zu entkleiden.
Sein Oberkörper
trug Spuren seines bisherigen Lebens und manche davon
standen
denen seines Gesichts in nichts nach.
Christine jedoch
bewegte sich keinen Millimeter vom Fleck.
"Das sehe ich
aber anders, Erik. Denn mittlerweile kämpfst du seit
einer
geschlagenen Minute mit nur einem Knopf. Bis du die
übrigen überwunden hast wirst du verblutet sein!"
Sie
lächelte entschuldigend und dieses Lächeln ruhte warm auf
ihn und ließ ihm
das Blut ins Gesicht schießen
und sein Unbehagen in etwas anderes umschlagen.
"Laß
mich dir doch helfen!"
Sich nur mäßig wehrend
ließ er zu, daß sie seine Hand zur Seite schob
und
begann sein Hemd aufzuknöpfen und es ihm schließlich
über die Schultern
streifte.
Einen Augenblick lang
ruhte ihr Blick auf seinem Oberkörper so als nähme
sie
jede kleine Einzelheit in sich auf. Ihre Augen glänzten
verdächtig.
"Oh, Erik, ich hatte ja keine Ahnung!"
Ihre Stimme war kaum mehr als ein
Flüstern.
Doch
dieses Flüstern reichte aus um ein Begehren in ihm zu
entfesseln welches
er viel zu viele Jahre krampfhaft
unterdrückt hatte und das nun hervorzubrechen drohte. Ein
Kribbeln fegte durch seinen ganzen Körper als Christine nun
begann mit zärtlichen Fingern die Narben auf seinem
Oberkörper nachzufahren. Jede Einzelne als hätte sie
Angst auch nur eine kleine Stelle unberührt zu lassen. Der
Schmerz in seinem Arm verblasste und er wußte nicht ob er in
der Lage sein würde sein Verlangen noch lange zu zügeln.
Der unbändige Drang sie in seine Arme zu reißen und jeden
Zentimeter ihres Körpers zu erkunden und zu küssen
ergriff Besitz von ihm. Er konnte an nichts anderes mehr denken. Sie
war ihm gegenüber nun so unbefangen, wie er es niemals für
möglich gehalten hätte.
Die vornehme Zurückhaltung
die die Frauen ihrer Zeit immer an den Tag legten war
verschwunden
und einer Christine gewichen die keine Angst mehr vor den Leben
zu
haben schien.
Sie konnte das Verlangen in seinen Augen
sehen. Es loderte ihr wie schwarzes
Feuer entgegen und
verlieh ihr das Gefühl von vollendeter Weiblichkeit.
Sie sah
wie sehr er sie begehrte und diese Begehren stachelte auch
ihre eigene
Leidenschaft an. Sie wußte daß sie
mit dem Feuer spielte und doch ließ sie es
zu daß
er ihr die Pelzjacke, die sie noch immer trug, über die
schmalen Schultern
streifte und achtlos in die Ecke warf.
Heiße
Schauer jagten durch ihren Körper als seine leicht
zitternden Finger nun
an ihren nackten Armen entlang
strichen, weiterwanderten hinauf zu ihrem Hals und
ihrem
Nacken.
"Du bringst mich um den Verstand, Christine. Weißt
du das?" stieß er heiser
hervor.
Er war
aufgestanden und sah ihr von oben herab tief in die Augen und
sie selbst
wollte sich in den seinen verlieren.
Und doch
gewann die Sorge um seine Verletzung schließlich die
Oberhand über ihr
Verlangen und sanft drückte sie
ihn an den Schultern zurück auf die Kante des
Bettes.
Schwer atmend trat sie einen Schritt zurück. Seine Lider waren
halb
gesenkt und seine Augen dunkel vor
Leidenschaft.
"Zuerst müssen wir und darum
kümmern!" Sie zeigte auf seinen Arm und er
nickte
knapp.
Ihm den Rücken zudrehend nahm sie
eines der Handtücher und tränkte es mit dem
abgekochten,
heißen Wasser.
Dann setzte sie sich links neben ihn und
begann vorsichtig die Wunde zu säubern.
Ein zischendes
Geräusch entrang sich seiner Kehle und Christine zog ihre
Hand
zurück.
"Entschuldige bitte!" Als er sich
wieder ein wenig entspannt hatte setzte sie
ihre Arbeit
fort, dann bat er sie aus der obersten Schublade seiner
Kommode
Binden und eine der Salben zu holen.
Die Wunde
hatte inzwischen aufgehört zu bluten und Christines Sorge legte
sich
nachdem sie sie so sorgfältig wie möglich
verbunden hatte.
Zufrieden betrachtete sie ihr Werk.
Ihr
Kleid hatte schon auf der Kutschfahrt, in Eriks Arm, gelitten
und nun zierten
rote Flecken den weißen Stoff an allen
möglichen Stellen.
Es störte sie nicht. Sie badete in
dem Gefühl wieder zu sich selbst gefunden zu haben und es
war wie ein Gefühl des Heimkommens gewesen als sich die
Mauer zur Wohnung am See vor ihr geöffnet hatte.
Warum
bloß war ihr das vorher nicht klar geworden und warum war
sie nicht in der
Lage gewesen über ihren eigenen Schatten zu
springen.
Die Schuldgefühle Raoul gegenüber hatten ihren
Verstand gelähmt und sie zum
Nichtstun verurteilt.
Aber
jetzt war sie wieder hier und der Mann vor ihr brauchte sie wie
die Luft
zum atmen. Sie liebte das Gefühl gebraucht und
begehrt zu werden, da es in diesem Fall auf Gegenseitigkeit beruhte.
Dieses Gefühl hätte Raoul ihr niemals geben
können.
Es würde sicher nicht leicht werden mit Eriks
ungestümem Wesen zu leben und sie
wußte nicht ob
es funktionieren würde, aber sie wußte daß sie es
um jeden Preis
in der Welt versuchen wollte.
"Ich bringe
das hier nur schnell nach unten! Dann bin ich sofort wieder bei
dir."
Und schon wandte sie sich zum Gehen als er sie am
Arm zurückhielt.
"Velass mich nicht wieder, bitte!"
Ein flehentlicher Ausdruck war in seine
Augen getreten.
Es
zerriss ihr fast daß Herz ihn so ängstlich zu sehen,
doch als ein
schelmisches Lächeln um seine Mundwinkel
herum erschien erkannte sie, daß dies
nicht ganz so ernst
gemeint gewesen war wie sie gedacht hatte.
"Du alter
Ganove. Was glaubst du denn daß ich hier tue? Dein Leben
retten, dich
nach Hause bringen und dich versorgen nur um
kurz darauf wieder aus deinem
Leben zu verschwinden und zu
riskieren dass du dir etwas antust. Du hast ja wirklich eine hohe
Meinung von mir!" Gespielt ärgerlich stemmte sie einen Arm
in die Hüfte.
"Nun ja, mon amour. Du mußt
zugeben dass mir bei unseren bisherigen
Zusammentreffen immer nur
kurzes Glück vergönnt gewesen war." Antwortete er
nachdenklich
Darauf
konnte sie nichts erwidern, denn sie wußte wie recht er
hatte.
Immer wieder hatte sie sich von ihm abgewandt und ihn in
seiner Einsamkeit
zurückgelassen.
"Ich komme
gleich zurück. Versprochen!" Damit trat sie durch die
Tür.
Er
nutzte die Zeit in der er alleine in seinem Schlafzimmer war um seine
Begierde wieder ein wenig zu zügeln.
Alles in ihm
drängte hin zu ihr, so wie es schon immer gewesen war. Und
er
wußte, würde sie ihn abermals so frei und
ungezwungen berühren, würde er nicht
mehr an sich
halten können.
Er wollte sie! Mit jeder Faser seines
Körpers sehnte sich danach ihre Haut zu
schmecken, ihre
Lippen zu kosten, ihren schlanken Körper zu erkunden
und
sein Gesicht tief in ihrem Haar zu vergraben. Auch wenn
er noch heute Morgen mit
seinem Leben abgeschlossen hatte,
so banden in doch diese allzu menschlichen
Regungen
fest daran.
Noch immer konnte er nicht richtig begreifen dass
sie freiwillig mit ihm
hierher gekommen war und ihn so
zärtlich umsorgt hatte. Doch er beschloss seinem
Glück
nicht länger zu misstrauen, auch wenn ihn dies einige
Überwindung kostete.
Schließlich hatte sie ihr
eigenes Leben riskiert um seines zu schützen.
Und dann
waren da ja noch die Briefe, die er wie einen gut gehüteten
Schatz in
seiner Nachttischschublade aufbewahrte. Konnte er ihren
Inhalt nun doch für
bare Münze nehmen?
Er befürchtete
jedoch, daß sich Christine durch die Ereignisse dieses
Tages zu
Dingen hinreißen lassen würde, die sie
am nächsten Tag bitter bereute.
