7. In Edoras Hallen

Als Suriel erwachte blickte sie in die sanften Augen Theodreds. Es war Nacht geworden und nur noch vereinzelt war Kampflärm zu hören. Um sie herum stöhnten die Verwundeten. Suriel wollte aufstehen, aber Theodred drückte sie sanft wieder hinab. Ihre Schulter schmerzte und Suriel erinnerte sich an ihren schmerzhaften Sturz vom Pferd. Doch wo waren die anderen? Folcra, Morwen?

„Wo sind Folcred und Mordred?"flüsterte sie Theodred leise ins Ohr.

Theodred lächelte. „Ich schickte sie fort, Herrin."

Suriel richtete sich ruckartig auf. Doch gleich darauf ließ sie sich wieder zurück auf das weiche Lager gleiten. Ein stechender Schmerz schoss von ihrer Schulter aus durch ihren Körper.

„Woher...?"flüsterte sie entsetzt und Tränen traten Suriel in die Augen. Jetzt war alles verloren. Theoderd war nett und höflich, doch er war ein Mann, er würde es nicht verstehen. Sie war verloren, verloren, verloren... der Gedanke hämmerte schmerzhaft in ihrem Kopf.

„Verzeiht mir, Herrin. Ich wollte Eure alte Wunde versorgen und dabei... verzeiht, es war nicht schicklich, dass ich... nun wie soll ich sagen... Euch mit halb entblöstem Oberkörper sah..."

Suriel sah an sich herab. Sie trug nur noch ihr leinenes Hemd und darunter konnte sie einen frischen Verband hervor schimmern sehen. Suriel nickte bloß.

„Herrin... was tut Ihr hier?"

Suriel antworte nicht.

„Euer Geheimnis, ich verstehe."Suriel konnte sehen, dass er ein wenig gekränkt war.

„Eine Frau sollte nicht hier sein... auch wenn ihr so tapfer gekämpft habt wie ein Mann."

Suriel richtet sich leicht auf. Mit Tränen in den Augen sah sie Theodred an. „Schickt mich nicht von hier fort, Herr. Bitte..." Suriel ergriff Theodreds Hand und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Noch ist Eure Identität unentdeckt, Herrin. Doch was wollt Ihr hier? Den Tod suchen?"

Suriel schüttelte den Kopf. „Nein, nein... dem Tod bin ich entflohen... hierher... zurückkehren hieße für mich dem Tod in die Arme laufen."

„Wenn das so ist", Theodred nickte gedankenverloren, „Ihr hab mir das Leben gerettet. Da kann ich Euch diesen Wunsch schlecht ausschlagen."

Suriel liefen die Tränen die Wangen herab. „Und Ihr habt mein leben gerettet, Herr. Schon zum zweiten Male an diesem Tag."

„Allerdings habe ich drei Bedingungen."

Suriel sah Theodred aus ihren großen traurigen Augen an. Dann nickte sie zaghaft. Was konnte er von ihr verlangen? Sie würde fast alles tun, um nicht zurück zu müssen, fast alles... nur... nur berühren durfte er sie nicht. Nie wieder sollte ein Mann sie anfassen.

Theodred lächelte. „Gut."Ein Funkeln ging durch seine Augen, dass ihn für einen Moment kindlich und schelmenhaft aussehen ließ. „Als erstes verratet Ihr mir euren richtigen Namen, Turin."

„Man nennt mich Suriel."

„Ein Elbenname?" Theodred zog eine Augenbraue hoch, „er klingt recht hübsch. Nun als zweites: Ihr werdet an meiner Seite reiten."

„Aber warum dies, Herr?"

Theodred lachte. „Ich werde eine Frau wie Euch doch nicht unbeaufsichtigt in einer Horde wilder Männer reiten lassen... im Ernst, ich werde Euch helfen Eure Tarnung zu wahren."

Suriel lächelte dankbar. Sie konnte ihr Glück nicht fassen. War ihr Leidensweg nun endlich vorbei? Der Sohn des Königs als ihr Beschützer, davon hatte sie nicht einmal zu träumen gewagt.

„Und meine dritte Bedingung ist, dass Ihr mich auf das Willkommensfest in Edoras begleitet – als Frau."

Suriel sah ihn aus großen Augen an. Sie verstand es nicht. Hatte Theodred sie tatsächlich dazu eingeladen ihn zu einer Feier am Hof zu begleiten? Suriel konnte ihr Glück nicht fassen. Wenn das ihr Vater erfuhr, er wäre so glücklich... Suriels Blick verdüsterte sich. Ihr Vater... Sie konnte ihre Gedanken nicht von ihm abwwenden. Die Liebe zu ihm war noch immer da, trotz der Enttäuschung, trotz des Schmerzes, trotz... trotz... Gareth. Suriel sah wieder sein fieses Grinsen vor sich und fast glaubte sie seinen heisernen, keuchenden Atem hinter sich spüren zu können... jemand berührte sie und Suriel zuckte zusammen und schluchzte kurz auf. Sie wusste nicht mehr wo sie war. In ihrem Kopf rasten die Bilder. Sie hätte sich nicht auf diese Gedanken einlassen sollen.

„Suriel, Niniel, Suriel, Niniel...!

Gareths Stimme dröhnte in ihrem Kopf. Wurde immer lauter.

Suriel zuckte zusammen, als erneut eine Hand sie berührte.

„Herrin, was ist mit Euch?"

Suriel blickte sich verstört um und entdeckte Theodred, der besorgt auf sie herab sah. Seine Hand lag noch immer auf ihrer Schulter. Mit einer heftigen Handbewegung schob Suriel sie fort.

„Ich... Ich war in Gedanken... nichts weiter... ich... was hattet Ihr mich gefragt?"

„Ob ihr mich begleitet, auf das Willkommenfest?"

Suriel nickte. Sie hatte noch immer keinen klaren Kopf. Warum waren diese Gedanken so plötzlich über sie gekommen, warum konnten sie sie nicht zufrieden lassen, diese Bilder? Suriel verstand es nicht, tat sie doch alles, um es zu vergessen.

Theodred lächelte, aber seine Augen blickten traurig. „Euch muss wahrhaft schlimmes zugestoßen sein", er schüttelte den Kopf, „ruht Euch aus, wir werden bald weiter reiten... sobald die Toten und Verwundeten ... aber ich will Euch damit nicht auch noch belasten. Versucht ein wenig zu schlafen."

Theodred stand auf und ging.

Suriel versuchte tatsächlich noch etwas Schlaf zu finden, doch es gelang ihr nicht. Zu viele Gedanken schossen durch ihren Kopf: Gareth, Theodred, Gareth... Freude wechselte zu Leid und wieder zurück.

Es war noch dunkel als sie weiter ritten. Sie kamen nur langsam voran, denn eine große Zahl der Reiter war verwundet und sie konnten nur hoffen, dass sie nicht erneut angegriffen wurden. Bisher waren nur kleine Gruppen marodierender Orks unterwegs. Aber sie wurden immer zahlreicher und bald würde ein Heer aufgestellt werden. Auch wenn Suriel nichts davon wusste, Sarumans Verrat nicht kannte, spürte sie doch den dunklen drohenden Schatten, der sich langsam auf Rohan zu bewegte. Sie spürte, dass sie am Ende der alten Zeit lebte. Viele würden sterben... doch sie wusste nicht wie viele und wusste nicht wie bald der Schmerz sie zerreißen würde, wie bald...

Es war nach Mittag, als sie endlich Edoras erreichten. Schon von weitem sah man die goldene Halle Meduseld erstrahlen. Es schien Suriel als sei sie vom Licht der Sonne bekränzt.

Suriel ritt, wieder als Mann getarnt, neben Theodred durch das Tor, die Menschen in den Straßen jubelten und riefen seinen und Eomers Namen, doch verstummten sie, als sie die zahlreichen Verwundeten erblickten. Theodred blickte sich um.

„Sucht ihr etwas Herr?"

„Meinen Vater, Turin. Er kam immer, um mich zu begrüßen, doch in letzter Zeit zieht er sich immer mehr zurück, lässt kaum noch einen zu sich, außer seinem Berater."Theodred spie die letzten Worte voll Verachtung aus. „Da ist er ja schon!"Seine Tonfall war grimmig.

Suriel beobachtete den Mann, der auf sie zukam. Er ging gebeugt und sein Rücken war krumm. Doch er hatte einen stolzen Gang. Er war in schwarze Fälle gekleidet und sein langes schwarzes und fettiges Haar fiel ihm über die Schultern.

„Seid willkommen, Herr!"Seine Stimme war unfreundlich und kalt. Suriel betrachtete ihn aus der Nähe. Sein Gesicht war bleich und verhärmt. Er sah aus, als hätte er nie in seinem Leben gelacht. Die Lippen hatten eine leicht blaue Farbe, so als wäre er ständig von Kälte umgeben. Doch das erschreckenste waren seine Augen. Sie waren fast farblos und seltsam leer, so als wäre dahinter keine Seele verborgen, sondern irgendetwas anderes. Suriel hatte nicht das Bedürfnis diesen Mann näher kennen zu lernen, vor allem, weil etwas an ihm sie an jenen Mann erinnerte, der... es war die gleiche abstoßende Kälte.

„Wo ist mein Vater, Grima?" Theodred war unfreundlich und Suriel war erleichtert, dass er den Mann scheinbar genauso wenig mochte wie sie.

„Aber warum so wüst, holder Herr? Eurem Vater geht es schlecht... er ist krank."

„Halt den Mund, Grima!"Dieses Mal war es Eomer der so sprach. Sein Pferd tänzelte und Suriel sah, dass er sich kaum noch beherrschen konnte.

„EOMER... THEODRED!"Sie kam den Weg hinunter gerannt. Ihr leichtes weißes Kleid wehte im Wind, das lange blonde Haar flatterte vor Aufregung und auf ihrem Gesicht lag das liebreizenste Lächeln, dass Suriel je gesehen hatte. Sie sah aus, wie Suriel sich die Elben vorstellt: zierlich und schön... unendlich schön.

Eomer und Theodred lachten auf und winkten. Suriels Blick fiel auf Grima, sie folgte ihm mit den Augen, bemerkte jede kleinste Regung seines Körpers. Sie zuckte zusammen, wie Grima jene Herrin ansah... sie kannte diesen Blick und er trieb ihr die Angst in die Glieder. Mit dem gleichen Blick hatte Gareth sie angesehen, bevor... Suriel schüttelte sich bei dem Gedanken daran. Nein, sie durfte diesen Gedanken jetzt nicht nachhängen.

Theodred hatte sich verabschiedet und Suriel war mit Morwen und Folcra in die Unterkünfte geritten. Suriel hatte es nicht bemerkt, aber es waren viele Frauen. Sie hatten eine ganze Unterkunft für sich, es waren bestimmt 30 Kriegrinnen, die sich dort versammelten. Sie hatten nicht lange Zeit, sie konnten nur ihr Gepäck ablegen, dann mussten sie in eine der Hallen gehen. Sie wollten feiern. Aber fröhlich war eigentlich keiner. Sie konnten nicht einmal in der großen goldenen Halle das Königs feiern, angeblich hatte es der König verboten, weil seine Gesundheit so angegriffen war. Doch Theoderd hatte nur verächtlich ausgespuckt. „Grima", sagte er voller Abscheu.

Die Halle war schon voll, als sie ankamen. Sie hatten ihre Rüstungen abgelegt und trugen nur ein weites Hemd. Diejenigen der Frauen, die nicht so eine knabenhaft Figur hatten, wie Suriel hatten sich ihre Brüste mit Binden eng umwickelt, so dass sie sich nicht unter dem Hemd abzeichneten.

Das Fest hatte gerade erst begonnen und schon roch es überall nach dem säuerlichen Gebräu, das die Männer tranken. Suriel mochte kein Bier, aber Folcra hatte ihr schon erklärt, dass es dazu gehörte. Es waren viele Frauen anwesend: Dienstmägde, Ehefrauen, junge Mädchen, die ihren Bräutigam suchten und... Huren! Suriel sah es an ihrer Kleidung. Sie war noch nie welchen begegnet, aber diese trugen viel zu enge Kleider, hatten sich mit Pflanzenfarbe Wangen und Lippen gefärbt und bei jedem ihrer Schritte bebte ihre Hüfte. Schlug einer der Männer ihnen mit der Hand aufs Hinterteil quietschten sie vor Vergnügen und lachten. Suriel wandte sich angeekelt ab. Wie konnte man nur? Sie begriff es nicht.

„Seid ihr Turin?"

Suriel drehte sich schwungvoll herum und blickte in zwei sternenklare blaue Augen. Eowyn lächelte.

„Äh, ja... ja das bin ich."

„Theodred schickt mich. Kommt!"Sie ergriff seine Hand und zog ihn davon.

Hinter sich hörte sie das Gebrüll der bereits angetrunkenen Männer. „Nimm sie dir, Kleiner!"schrie einer und die anderen brachen in schallendes Gelächter aus.

Eowyn zog sie aus einer Tür hinaus. „Beachtet sie gar nicht, Suriel." Suriel blickte Eowyn erstaunt an. „Woher...?"

Eowyn lächelte. „Ich sagte doch bereits, dass mich Theodred schickte. Er sagte ihr hättet noch ein Versprechen zu erfüllen und dabei werde ich euch nun helfen."

Jetzt lächelte auch Suriel. „Danke Herrin."

„Ich beneide euch. Wie gerne würde ich wie ihr reiten und kämpfen, aber stattdessen muss ich hier über meinen alten Onkel wachen und die Blicke seines... Beraters... ertragen."Eowyn schritt voran, während sie sprach. Sie führte Suriel, die auf dem ganzen Weg kaum ein Wort sprach in ihre eigenen Gemächer. Suriel spürte etwas ganz deutlich: es war eine Seelenverwandtschaft. In Eowyn brannte das gleiche Feuer, dass auch sie immer vorangetrieben hatte.

„Ich danke euch Herrin von Rohan", sagte sie zum Abschied, als sie längst wieder an der Tür zur Halle angelangt waren, „wenn ich jemals etwas für Euch tun kann..."

Eowyn lächelte und nickte. Dann wandte sie sich zum gehen.

„Der Wind dir weht durch die Haare, reitest du die Wiesen entlang und die Blätter singen dir ein Lied, reitest du im Schatten des Waldes", flüsterte Suriel.

Eowyn drehte sich noch einmal um und lächelte traurig. „Ich weiß ..." Dann ging sie.

Suriel betrat die Halle, durch die gleiche Tür, durch die sie sie verlassen hatte. Nur dieses Mal war sie wirklich Suriel und nicht Turin, der Krieger aus dem Heer Rohans.

Theodred stand umgeben von einigen Kriegern in der Mitte der Halle. Er blickte sich um. Wo mochte sie sein. Würde sie ihr versprechen erfüllen. Theodred zweifelte. Was hatte er für ein Recht sie darum zu bitten, er kannte sie nicht, kannte ihr Schicksal nicht. Aber es war traurig. Das hatte er in ihren Augen gesehen, sie waren von einem Licht erfüllt, dass nur Tränen zaubern konnten. Und dann sah er sie und all sein Zweifel fiel von ihm ab.

Suriel trug ein dunkelgrünes eng anliegendes Kleid aus einem edlen Stoff. Die Ärmel waren weit und reichten fast bis zum Boden herab. Um ihre Hüfte war ein schmaler goldener Gürtel geschlungen und ihr kurzes Haar wurde von einem Hauchdünnen Schleier bedeckt. Der Halsauschnitt des Kleides war genau wie die Kanten der Ärmel mit winzigen goldenen Blumen bestickt.

Theodred lächelte, als er sie erblickte. Sie war schön, warum hatte er dies nicht vorher gesehen? Sie schritt langsam auf ihn zu, ihre Augen funkelten im Schein der Fackeln und dieses Mal nicht vor Tränen, sondern vor Glück. Theodred löste sich aus dem Kreis seiner Begleiter und kam auf sie zu. Suriel spürte, wie sich auch die Blicke der anderen auf sie richteten. Wer war diese Frau, die die Aufmerksamkeit des Königssohnes auf sich zog? Niemand kannte sie, niemand hatte sie zuvor gesehen. Morwen stieß Folcra an und zeigte auf Suriel und Folcra lächelte. Beide lachten und vergaßen für einen Moment, dass dieses Mädchen morgen wieder Krieger sein würde.

Theodred stand nun direkt vor ihr. „Ich kann es gar nicht glauben", sagte er und lächelte, so dass Suriels Knie ganz weich wurden.

„Was glaubt ihr nicht, Herr?"

„Dass diese wunderschöne Frau, die nun vor mir steht, die gleiche ist, die gestern noch mit Orkblut besudelt vor mir stand."

Suriel lachte. „Stand ist wohl nicht der richtige Ausdruck, Herr. Es ist wohl besser: lag!"

Theodred lachte und seine Augen begannen dabei noch mehr zu funkeln. Das Feuer zeichnete einen hellen Schimmer in sein dunkles Haar. Suriel konnte den Blick nicht von ihm abwenden. War dies Liebe? Dieses Gefühl, dass ihr Herz mal schneller schlagen ließ, mal zum Stillstand brachte? Suriel hatte begonnen sich vor Männern zu fürchten, seit dem Abend mit Gareth. Es war noch nicht lange her und ihre Scheu war groß, aber bei Theodred war es anders. Sein Lächeln, seine freundlichen Augen, jede seiner Gesten... nein ihn konnte sie nicht fürchten.

„Kommt!"Theodred ergriff ihre Hand. Sie hatte sich davor gefürchtet. Sie wollte nicht berührt werden. Kurz zuckte sei zusammen und wollte ihre Hand fort ziehen, doch Theodred hielt sie mit sanftem Druck fest. Seine Hand war warm, ein wenig rau vom Reiten und Kämpfen aber zärtlich, nicht hart und kühl wie Gareths Hände gewesen waren. Suriel sog das Gefühl seiner Berührung in sich ein. Es war nicht unangenehm, ganz im Gegenteil seine Nähe tat ihr gut und sie lächelte. Langsam entspannte sie sich und folgte ihm.

Sie spürte die Blicke der anderen, sie ließen sie nicht aus den Augen und ihrem Getuschel entnahm sie, dass sie vor Neugier fast platzten. Theodred führte sie in eine ruhige Ecke, wo auch Eowyn und Eomer saßen. Eowyn lächelte und dabei nahmen ihre Augen den gleichen Glanz an, wie die Theodreds.

In der restlichen Hall wurde es lauter. Viel Alkohol floß und irgendwann holte jemand Instrumente und spielte Musik. Rohans Tänze waren wild, wie die raue Natur in der sie lebten. In flinken Bewegungen wirbelten die Tänze durch den Saal. Suriel beobachtete sie und lachte. Sie hatte immer nur in sehr kleinem Kreis bei einer Feier im Haus ihres Vaters getanzt. Dies war etwas anderes. Theodred reichte ihr einen Becher und sie trank, anschließend trank Theodred aus dem gleichen Becher. Ihre Hand ließ er dabei nicht los. Suriel lief rot. Man teilte sich einen Becher nicht mit irgendeinem Menschen, es bedeutete innige Freundschaft, oder... Nein soweit wagte Suriel nicht zu denken, wagte nicht zu hoffen, dass er, der Sohn des Königs, ähnliche Gefühle empfinden konnte, wie sie es tat. Sie durfte darauf nicht hoffen... und doch tat sie es.

Irgendwann zog er sie auf die Tanzfläche und sie sausten Wild durch die Halle. Aber Theodred blieb stets in ihrer Nähe und achtete darauf, dass keiner der Reiter ihr zu Nahe kam. Und Suriel fühlte sich sicher solange er bei ihr war. Suriel lachte und sprang. Theodred wirbelte sie herum. Sie war glücklich und ihr Herz war frei, frei von Qual, von Leid, frei von der Erinnerung. Ihre helle Haut glühte rot im Feuerschein und in ihren Augen spiegelten sich die tanzenden Paare und ihr Lachen vereinigte sich mit dem Theodreds, bis sie schließlich voll Erschöpfung auf eine Bank sackte. Theodred wollte sie wieder hoch ziehen, doch Suriel schüttelte den kopf. Sie war tatsächlich erschöpft und von der Bewegung hatte ihre Schulter wieder angefangen zu brennen. Suriel bat Theodred nun gehen zu dürfen.

„So schnell wollt ihr mich verlassen?"

„Ich verlasse euch nicht, ich gehe bloß schlafen."

„Dann lasst mich Euch wenigstens ein Stück begleiten. Die Männer haben viel getrunken..."

Suriel nickte dankbar. „Wohin soll ich damit?" Sie deutete auf Eowyns Kleid.

„Noch ist niemand in den Unterkünften. Kleidet Euch um sobald ihr dort seit, LadyEowyn wird morgen einen Diener schicken."

Suriel nickte. Dann drehte sie sich um und erblickte sogleich was sie suchte. Eowyn stand unweit von ihr entfernt neben ihrem Bruder. Suriel ging zu ihr.

„Ich danke Euch Herrin."

„Dankt mir nicht, Suriel... Euer Glück zu sehen reicht mir... Theodred glücklich zu sehen reicht mir."

Suriel senkte beschämt den Kopf.

Eowyn beugte sich leicht vor und flüsterte. „Er mag Euch."Suriel lief rot an und beeilte sich fort zu kommen, bevor die Herrin von Rohen ihre Vermutungen noch laut äußerte.

Die Nacht war angenehm kühl. Ein leichter Wolkenschleier bedeckte den Himmel und kein Stern war zu sehen, nur ab und zu glänzte das Licht des Mondes zwischen den Wolkenfetzen hervor.

Theodred und Suriel gingen schweigend nebeneinander her. Theodred hatte wieder Suriels Hand ergriffen. Vor den Unterkünften blieben sie stehen.

„Kann ich Euch dort allein lassen? Ich habe kein gutes Gefül dabei... Eowyn würde Euch bestimmt bei sich beherbergen."

„Was sollen die Reiter denken, wenn ich plötzlich einfach fort bin?"

„Ihr seid eine Frau und der Gedanke Euch hier zurück zu lassen, gefällt mir nicht."Echte Sorge schwang in seiner Stimme mit.

„Ich komme schon zurecht."

„Suriel... ich bitte Euch."

Suriel dachte nach. Er würde sie hier nicht zurück lassen, aber mit ihm gehen wollte sie auch nicht. Sie gehörte hier her. Sie hatte doch endlich gefunden was sie suchte: Freunde, Freiheit... sie wollte das nicht aufgeben, nicht für einen Traum. Sie und der Sohn des Königs, das konnte nicht sein... es war nicht möglich. Sie musste ihm sagen, dass es jemanden gab, der auf sie aufpasste, sonst würde er sie nie gehen lassen und sie vertraute ihm, dass es nicht verraten würde.

„Ich bin nicht alleine, Herr."

„Was wollt Ihr damit sagen, Suriel?"

„Es gibt jemanden, der auf mich aufpasst."

Theodreds Blick begann sich zu trüben und er sah sie enttäuscht an. „So gibt es schon einen Mann in Eurem Leben... Wie konnte ich nur glauben...!" Er wandte sich zum gehen.

„Theodred!"Suriel hielt ihn am Arm fest. Sie wusste nicht, woher sie den Mut nahm, aber sie konnte ihn jetzt nicht gehen lassen. „Theodred, es gibt keinen anderen Mann... ich... versprecht, dass ihr es nicht verratet."

Theodred sah sie fragend an. Er begriff nicht worauf sie hinaus wollte.

„Ich... ich bin nicht die einzige Frau hier." Suriel kniff die Lippen zusammen. Jetzt war es aus, wie hatte sie so dumm sein können, das zu verraten... sie würden sie hassen.

Theodred zog die Augenbrauen hoch und Suriels Furch wuchs. „Nicht die Einzige...?" Suriel blickte zu Boden. Warum hatte sie das getan. Er würde sie alle, sie wusste nicht was er tun würde, aber es würde schrecklich sein. Sie war eine Verräterin. Doch Theodred tat etwas ganz anderes: Er begann zu lachen. „Das sind ganz neue Einsichten...!"lachte er und erleichtert blickte Suriel auf.

„Ihr werdet es doch nicht verraten?"Zweifel war in Suriels Stimme.

„Nicht? Naja, da ich Euch kaum dazu bewegen kann mit mir zu kommen... so seit ihr wenigstens sicher."

Suriel lächelte dankbar.

Theodred kam näher.

„Schade ist nur, dass Ihr morgen wieder ein Mann für mich sein müsst." Er kam noch näher und Suriel beschlich ein ungutes Gefühl Er streckte die Hand nach ihr aus und strich ihr eine Haarsträhne, die unter dem Schleier hervor gerutscht war, beiseite. Es war eine sanfte Bewegung, trotzdem schloss sich Suriel Hals mit einem Schlag. Es war das gleiche Gefühl der Panik, dass sie ergriffen hatte, als Gareth ich Nahe kam. Theodred kam noch näher. Suriel konnte schon die Nähe seines Körpers spüren. Sie wollte fort, wollte ihn weg stoßen, aber wieder gehorchte ihr Körper ihr nicht. Sie stand einfach nur regungslos da und starrte ihn an. Merkte er es nicht? „GEH WEG!"schrie Suriel innerlich, doch kein Wort kam über ihre Lippen.

Und dann küsste er sie. Sie schmeckte seinen Kuss nicht, aber sie schmeckte etwas anderes: Kälte, Bitterkeit... Ekel stieg in ihr auf. Wieder konnte sie den alten Mann riechen.

Mit aller Kraft stieß sie ihn von sich. Noch einmal würde Gareth sie nicht anfassen. Keuchend wich sie zurück, bis sie mit dem Rücken an die hölzerne Wand stieß. Wieder fühlte sie sich in die Ecke gedrängt. Sie begann am ganzen Körper zu zittern. Ängstlich blickte sie um sich.

„Suriel!"Theodreds Stimme war ganz ruhig.

Suriel guckte ihn mit immer noch panischem Blick an. Wieder streckte er die Hand nach ihr aus und Suriel zuckte heftig zusammen. Theodred ergriff ihre Hand.

„Hab keine Angst... ich werde dir nichts tun."

Suriel zitterte noch immer.

Langsam kam Theodred näher.

„Bitte nicht... fasst mich nicht an... bitte", flehte Suriel.

„Hab keine Angst, Suriel. Ich werde dich nie wieder berühren, wenn du es nicht wünschst. Hab keine Angst vor mir. Ich werde dir nichts tun."

Suriel sah ihn skeptisch an. Er stand jetzt wieder ganz nah vor ihr und streckte wieder die Hand aus. Suriel versuchte sich noch ein Stück fort zu bewegen, aber die Wand war im Weg.

„Darf ich?"Theodred sah sie fragend an und zögerlich nickte Suriel. Erneut strich er ihr die Haarsträhne aus dem Gesicht, strich ihr dann über die Wange. Ganz leicht und sanft.

„Siehst du?"

Suriel schloss die Augen. Ganz langsam kam die Wärme in ihren Körper zurück und ihre Muskeln begannen sich zu entspannen. Nur mühsam konnte sie noch ihre Tränen zurück halten. Sie hatte sich lächerlich gemacht. Sie war so dumm. Und nun begannen ihre Tränen doch zu laufen.

Theodred zog Suriel vorsichtig zu sich heran. Sie wehrte sich nicht mehr, obwohl sie sich noch immer fürchtete. Doch er tat nichts weiter, als sie im Arm zu halten, so als wäre er ihr großer Bruder; der sie schützen wollte. Er hielt sie einfach fest, bis ihre Tränen versiegten.

„Wer hat dir nur so weh getan, schöne Suriel?"flüsterte Theodred, während er sie festhielt.

Suriel sah zu ihm auf. Ihre Tränen waren an seiner Brust versiegt. „Das ist jetzt nicht mehr wichtig... denn... denn du bist ja jetzt da."In ihre letzten Worte hatte sich ein fragender Tonfall geschlichen, denn noch immer konnte sie das alles nicht glauben.

„Ja ich bin da", lächelnd hauchte Theodred ihr einen Kuss auf die Stirn. Wieder schmiegte sich Suriel an Theodred. Ihre Scheu hatte sie verloren. Lange standen sie so da, schweigend, einfach aneinander gelehnt, bis Suriel vor Kälte zu zittern begann.

Theodred führte sie zum Eingang der Unterkunft und verabschiedete sich mit einem Lächeln, das Suriel die ganze Nacht nicht vergessen konnte. Zum Abschied drückte er ihre Hand. Dann ging er und Suriel wurde wieder zu Turin, doch zu einem Turin, der die nächsten Tage mit einem Lächeln und einem leicht vernebelten Blick durch die Welt lief. Und zu einem Turin, der ab und zu verschwand und wenn er wieder zurück kam sich noch seltsamer benahm.