Hallöle, endlich mal wieder ein neues Kapitel ;-)
Danke an alle, die mir geschrieben habe und mich damit gezwungen haben endlich an dieser Geschichte weiter zu schreiben. Wurde höchste Zeit.
Ich hoffe das Kapitel gefällt euch. Das nächste Mal geht es nach Helms Klamm (brrrrr)
Einen ganz dicken Knuddler für meine superliebe Beta-Leserin Lithiun von Düsterwald. Danke, danke, danke für das superschnelle Korrekturlesen und für die Verbesserungen, die meiner Geschichte die richtige Würze gegeben haben ;-)
Hi Merenil: Wow meine Totenklage (so heißt das Ding) willst du übernehmen. Ich fühle mich geehrt. Klar darfst du! Ich dachte eigentlich nicht, dass sie so gut geworden ist... eigentlich ist sie nur aus einer Laune der Traurigkeit heraus entstanden, so durch Zufall...
10. Verbannung
Gesenkten Hauptes kam Suriel in die Unterkunft zurück. Sie war nicht einmal traurig, sie war einfach nur leer. Irgendetwas war in ihr abgestorben, als man ihr die Todesnachricht überbrachte. Sie hatte noch gehofft, noch bis zum letzten Augenblick gehofft...
„Suriel, pack deine Sachen, wir reiten, sofort!"Folcras Stimme klang ernst.
„Was?"Suriel hatte ihr gar nicht richtig zugehört. Mit ihren Gedanken war sie noch immer ganz woanders, sein Lächeln, seine Augen, seine Stimme hatte alle anderen Schatten überdeckt. Sein Tod hatte den anderen Schrecken ihre Kraft genommen.
„Suriel, hörst du: Pack deine Sachen!"Folcra berührte sie sacht an der Schulter, „wir müssen!"
Suriel hob den Kopf und blickte Folcra an. Folcras Stirn lag in runzeligen Falten und Sorge lag in ihrem Blick.
„Was ist passiert?" Suriel Mund war trocken.
„Der König hat Eomer gebannt, bleibt er noch länger hier, ist er des Todes."
„Eomer? Aber wieso?"
„Ich weiß es nicht, keiner weiß es... außer Grima!"Die letzten Worte sprach Folcra abfällig. „Jedenfalls haben wir beschlossen mit ihm zu reiten, also pack deine Sachen und komm."
„Ich kann nicht", Suriels Stimme war belegt.
„Was?"
„Ich kann nicht von hier fort!"
„Suriel ich verstehe dich nicht. Was soll das heißen du kannst nicht von hier fort?"
Suriel schluckte schwer. „Theodred", sagte sie monoton. Sie blickte Folcra nicht mehr an, starrte stattdessen auf ihre Füße.
„Suriel... er ist tot."
Das Mädchen blickte auf, Tränen standen erneut in ihren Augen. „Das weiß ich selbst... das... das weiß ich... und ich konnte nicht einmal... ich kann ihn doch nicht alleine lassen... dort... dort wo er jetzt ist."
Folcra schüttelte den Kopf. Dann legte sie Suriel eine Hand auf die Schulter. „Die Toten sind nicht mehr unsere Sache. Ich weiß, dass es schmerzt, aber du musst ihn loslassen. Ich kannte Theodred länger als du und glaub mir, er hatte keine Angst zu sterben. Er ist jetzt bei seinen Ahnen!"
„Er ist tot, das ist alles was zählt."
„Willst du, dass seine Seele keine Ruhe findet, wegen dir. Man sagt, der einzige Grund für einen Menschen als Geist zurück zu kehren, ist das gebrochene Herz einer Geliebten... willst du ihm das letzte Glück nehmen, das ihm verblieben ist? Willst du seine Totenruhe stören?"
Suriel schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht was ich machen soll."
„Du wirst deinen Weg gehen, auch ohne ihn. Im Moment mag dir das nicht so scheinen, aber auch dein Herz kann wieder heilen", Folcra lächelte und strich ihr durchs Haar, „und nun komm, andere Aufgaben warten auf uns."
Suriel nickte. Folcra hatte Recht. Sie sollte Theodred ruhen lassen. Sie hatte ihn ja kaum gekannt, aber ihr Herz brannte so, jeder Atemzug schmerzte, jeder Schritt, jede Bewegung schien zu schmerzen ohne ihn. Was war körperlicher Schmerz gegen diesen Seelenschmerz, dieses Feuer, das sie zu verzehren drohte. Sie musste weiter leben, sie musste es überwinden, sie konnte nicht bei jedem Leid, das ihr zustieß verzweifeln. Wenn es ihr Schicksal war, dass ihr jedes Glück genommen wurde... diesem Schicksal würde sie trotzen, ihm würde sie sich nicht ergeben, niemals.
Suriel kniff die Lippen zusammen und wischte sich die Tränen fort, während sie ihre Sachen packte. Sie wollte keine Tränenmaid sein, nie wieder. Sie wollte nie wieder weinen! Nie wieder traurig sein!
Sie stopfte alle Sachen die sie besaß in die Satteltaschen, dann schnürte sie ihren Harnisch fester und gürtete sich mit einem Schwert. Mit diesem Schwert hatte sie...
„Theodred...!"
Der Gedanke schoss wie ein Blitz durch ihren Kopf. Mit diesem Schwert hatte sie Theodreds Leben gerettet. Warum war sie nicht da gewesen? Warum hatte sie nicht an seiner Seite gekämpft, dort am Fluss? Warum war sie DA nicht da gewesen? Warum hatte sie nur so versagt.
Suriel hatte alle Mühe diese Gedanken beiseite zu schieben. „Ich werde nicht verzweifeln... Theodred... ich werde nicht... ich habe es dir versprochen", versuchte sie sich einzureden.
Sie lud die Satteltasche auf das Pferd, zurrte den Sattel fest und setzte ihren Helm auf. Sie war bereit zu reiten.
Vielleicht würde sie in der Wildnis mehr Ruhe finden, als hier, wo sie alles an Theodred erinnerte, wo sie ihn förmlich einatmen konnte. Der König war nicht da gewesen, er hatte nicht einmal an seinem Grab gestanden und getrauert. Wie konnte ein Mann so grausam sein? Theodred musste ein kaltherziger Herrscher sein, wenn ihm sein Sohn so wenig bedeutete und wenn er seinen einzigen Erben, der ihm jetzt noch verblieben war, verstieß. Arme Eowyn... sie musste nun an der Seite dieses Scheusals alleine zurück bleiben.
Suriel mochte Eowyn, sie war wohl die einzige, die ihren Schmerz verstand, Theodred war wie ein Bruder für sie gewesen und Suriel hatte sie weinen sehen. Allein hatte sie dagestanden und geweint, genauso allein, wie Suriel sich fühlte.
Wer kannte schon dieses Gefühl? Diese Trauer?
Suriel stieg in den Sattel.
Nein, sie durfte sich diesen Gefühlen nicht länger hingeben. Sie würde sich dem Schmerz nicht länger ergeben.
SIE hatten ihn getötet und SIE würden dafür büßen.
IHR Blut würde Rohans Erde tränken, bis keiner mehr von ihnen übrig war, oder Suriel selbst tot im Staub lag... KEINER würde ihrem Schwert entgehen!
Das Schwert glänzte silbern im Mondlicht, als es wie ein Blitz herab fuhr und dem Ork den Schädel spaltete. Triumphierend schrie Suriel auf und hieb erneut zu. Erschrocken sprangen die Orks zur Seite.
„FÜR ROHAN!"Suriel ritt den Ork einfach nieder, dann wendete sie Elwing und durchstach einem heranstürmenden Ork die Brust.
Es war eine Erleichterung. Sie würden es spüren, sie sollten leiden, sie sollten den Moment der Angst fühlen, den Moment des Schmerzes, bevor sie starben, falls diese Kreaturen dazu überhaupt fähig waren.
Die Schreie der Orks verstummten.
„SIEG", Eomer riss sein Schwert in die Höhe. Sie hatten das Rudel Orks vernichtet, keiner von ihnen war noch am Leben, und diejenigen, die in den Fangorn geflüchtet waren, falls das überhaupt einem gelungen war, würden den Wald nicht mehr lebendig verlassen.
„Werft sie auf einen Haufen und verbrennt sie. Tilgt ihre Spuren in Rohan!"Eomers Befahl gellte durch die Nacht.
Suriel stieg von ihrem Pferd. Angewidert hob sie einen Orkkopf hoch, der vom Körper abgetrennt war. Sie zu erschlagen war eine Sache. Es bereitete ihr Genugtuung. Sie hatte das Gefühl, ihnen dann das heim zu zahlen, was sie ihr angetan hatten. Jeder erschlagene Ork war ein Stück mehr in der Erfüllung ihrer Rache. Aber das hier? Es war eklig, widerlich... es drehte ihr den Magen um, die stinkenden Orkkadaver zu berühren. Warum mussten diese Kreaturen eigentlich schon lebendig so nach Verwesung stinken?
„Bah!"Morwen warf einen Arm weg, „ich hasse das, ich hasse das, ich hasse das!"
Suriel lächelte gequält. „Ich auch."
Nachdem sie alle Kadaver auf einen Haufen geworfen hatten, warfen sie ihre Fackeln hinein. Hell loderten die Flammen in der Nacht. Der Gestank nach Verwesung und Moder vermischte sich mit dem von verbranntem Fleisch.
Sie ritten fort, um erst sehr viel später zu rasten. Dort wo kein verbranntes Fleisch und kein schmutziges Orkblut mehr zu riechen war.
Ein kleiner Fluss plätscherte neben ihnen. Suriel wusch sich das Blut von Händen und Gesicht, dann setze sie sich ans Lagerfeuer, um die vom Wasser kalten Glieder zu wärmen. Sie schwieg. Die Stille quälte sie. Im Kampf hatte sie es vergessen, hatte den Schmerz verdrängt, der ihre Seele zerriss.
„Suriel?"Morwen setzte sich neben sie.
„Hm?"
„Du bist noch immer traurig, nicht wahr?"
„Was erwartest du? Er ist kaum tot und schon ist es, als hätte er nie gelebt. Niemand spricht seinen Namen aus, niemand... er ist einfach nicht mehr da."
„Sie sprechen ihn nicht aus, weil sie dann merken würden, wie sehr er ihnen fehlt. Sie dir Eomer an. Theodred war wie ein Bruder für ihn. Ich glaube auch er vermisst ihn schrecklich und er macht sich Vorwürfe, dass er ihm nicht geholfen hat, so wie du. Aber so ist es nun einmal. Die Menschen die wir lieben sterben."
Suriel sah Morwen an. Beide Frauen hatten Tränen in den Augen.
„Glaubst du an die Liebe, Morwen? Ich meine an die ewige, die niemals endende?"
„Ich habe daran geglaubt... aber ich habe sie verloren, Suriel. Er war ein Rohirrim und ich folgte ihm hier her. Aber er wurde von Orks niedergemetzelt. Ich war nicht einmal dabei als er starb. Sie haben ihn in der Ferne beerdigt, ich konnte mich nicht einmal verabschieden."
„Wie erträgst du es?"
„Anfangs ertrug ich es nur, weil ich hoffte, dass mich bald ein Schwert niederstrecken würde und ich ihm folgen könnte. Aber dann, die Zeit verging, dann ließ der brennende Schmerz nach und ich lebte noch immer. Die Monate vergingen und irgendwann fing ich an zu lachen, anfangs schämte ich mich, hatte das Gefühl ihn zu verraten, wenn ich nicht mein Leben in Trauer verbringe. Aber irgendwann habe ich es begriffen. Das Leben nimmt nun einmal nicht immer den Lauf, den wir uns wünschen, nur aufgeben dürfen wir deshalb noch lange nicht."
„Aber die Liebe?"
„Sie bleibt."
Morwen strich Suriel eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Ich kann das nicht, Morwen. Ich bin nicht so stark, wie ich es gerne wäre. Wenn ich kämpfe vergesse ich, aber danach, wird es immer nur noch schlimmer."
„Hast du Theodred so sehr geliebt?"
Morwens Augen schimmerten wie immer sanft und warm im Schein des Feuers.
„Ich weiß nicht... es war alles... ich weiß nicht ob ich lieben kann. Noch vor kurzer Zeit hätte ich dir etwas von der großen Liebe erzählt, die auf jeden Menschen wartet, von dem Zauber, den sie verbreitet. Ich habe daran geglaubt. Aber nun? Der erste Mann, der mir Nahe kam, der... ich wollte es nicht... verstehst du... ich sollte ihn heiraten... und ich bin fort gelaufen, weil ich es nicht ertragen habe. Und dann war dort Theodred und für einen Moment wagte ich zu glauben, dass der Traum, den ich immer geträumt habe, doch wahr werden kann. Und dann entriss mir der Tod jenen Mann. Wie soll ich nun noch glauben? Wie soll ich noch Hoffnung haben, wenn alles um uns nur noch der Tod ist?"
Morwen blickte zu Boden.
Suriel zuckte zusammen, als sich ein Schatten über die beiden legte.
„Zwei traurige Gestalten in einsamer Nacht."Folcra setzte sich zu den beiden. „Ach Suriel, noch immer so voller Verzweiflung? Ich dachte du wärst wie deine Mutter, doch sie hätte solch eine Schwäche niemals zugelassen."
„Aber ich bin nicht meine Mutter, ich weiß ja nicht einmal wer sie war. Aber wenn ich eine Bürde für euch bin, werde ich gehen."Suriel war bereit aufzustehen. Folcra war immer freundlich, doch tiefere Gefühle konnte Suriel nie bei ihr entdecken. War sie so kalt?
„Suriel so habe ich das nicht gemeint. Ich weiß, dass du es nicht leicht hast. Es tut mir leid, wenn ich so grob war. Aber unter Kriegern wird man nun einmal so."Folcra lächelte und Suriels Wut schwand dahin. „Ihr beide solltet euch nicht in eurer Traurigkeit vergraben. Das tut euch beiden nicht gut."
„Ich weiß, Folcra", sagte Suriel, „aber lass mir wenigstens ein bisschen Zeit dazu, vielleicht... vielleicht wird es dann später einmal leichter."Suriel versuchte vernünftig zu klingen. Aber sie war nicht überzeugt von ihren Worten. Was konnte sie gegen diese Traurigkeit tun? Sie hätte sie gerne abgelegt, aber es ging nicht, sie konnte an nichts anderes denken, als an sein blasses Gesicht, an das letzte Lächeln, dass er ihr geschenkt hatte. Und war sie für einen Moment in der Lage, Theodreds Tod zu verdrängen, dann war dort Gareths Gesicht, Gareth der sie anstarrte, Gareth der sie angrinste, Gareth, der die Hände nach ihr ausstreckte. Und da sollte sie nicht traurig sein? Folcra hatte keine Ahnung. Morwen war ihre Seelenverwandte, Morwen wusste um den Schmerz. Aber Folcra? Sie mochte eine gute Heerführerin sein und sie mochte auch ein gutes Herz haben, aber was Suriel bewegte, konnte sie niemals verstehen. Sie waren einfach zu verschieden.
„Ihr solltet jetzt schlafen, alle beide. Wir werden schon bald weiter reiten und nicht vor dem nächsten Abend rasten."Folcra griff sich ihre Decke und wickelte sich in ihr ein, dann legte sie sich nah ans Feuer. „Schlaft."
Suriel nickte und sie und Morwen taten es Folcra gleich, wickelten sich in die Decken und legten sich ans Feuer. Schon bald war Folcras leises Schnarchen und Morwens gleichmäßiger Atem zu hören. Nur Suriel fand keinen Schlaf.
„Reiter von Rohan!"
Suriel blickte zurück. Wer war dieser seltsame Mann, der dort auf dem Stein stand und ihnen zuwinkte. Und was waren das für merkwürdige Gestalten, die ihn begleiteten?
Drohgebärden, dann Gespräche. Suriel konnte sie nicht verstehen, sie war zu weit entfernt. Was sprachen sie? Wer waren sie? Ein Mann von stattlicher Figur, schlank und groß gewachsen, langes braunes Haar, das ihm fast bis auf die Schulter wallte. Doch er sah müde aus. Schmutz hatte sich über seine markanten Gesichtszüge gelegt. Doch es war nicht dieser Mann, der sie faszinierte. Es waren seine Begleiter. Sie konnte nur erraten, dass es sich bei ihnen um einen Zwerg und einen Elben handelte. Der eine klein, dick, völlig außer Puste, rotes langes, völlig zerzaustes Haar, die Axt in der Hand. Seine Gesichtszüge grimmig. Der andere schlank, groß gewachsen. Er schien keine Müdigkeit zu kennen. Seine Augen strahlten Ruhe aus und in seinem hellblonden Haar spiegelte sich das Sonnenlicht. Ein Windhauch ließ es tanzen. Er war schön, fast zu schön. Anziehend. Suriel lächelte bei seinem Anblick. Jetzt endlich begriff sie die Legenden vom schönen und hohen Volk. Jetzt begriff sie warum ihre Sprache so schön und wohlklingend war. Sie war wie ihre Erschaffer: ein Zauber.
Fasziniert betrachtete Suriel die Szene. Müdigkeit und der Schrecken der Nacht waren für einen Moment vergessen. Sie begriff nicht, was dort geschah. Nein, sie waren nicht bedrohlich, schienen nicht feindlich zu sein, doch warum gab Eomer ihnen Pferde, die Pferde zweier gefallener Krieger? Warum ließ er sie einfach so ziehen? Wer waren diese Wesen, woher kamen sie und wohin zogen sie? Zu gerne hätte sie ihre Worte verstanden, aber sie waren zu weit weg. Eomer rief, seine Stimme war klar. Fast so durchdringend wie die Theodreds, doch nicht so warm und zärtlich, wie seine Stimme stets in ihren Ohren geklungen hatte.
Eomer gab den Befehl weiter zu reiten und sie gaben den Pferden die Sporen. Wehmütig warf Suriel einen Blick zurück. Wie gerne hätte sie einmal mit ihnen gesprochen. Wie gerne hätte sie den Elben betrachtet. Aber sie hatten keine Zeit. Schlachten warteten, so viele Schlachten. Müdigkeit und Erschöpfung, Kälte und Hunger sollten für sie nicht mehr zählen. Nur die Schlacht und der Tod sollten ihre Begleiter sein in den nächsten Tagen.
Suriel, Morwen und Folcra rückten näher an das Lagerfeuer. Der Zenit der Nacht war schon weit überschritten und noch immer hatten sie nicht geschlafen. Es war die Kälte, die sie wach hielt. Kälte und die Trostlosigkeit der letzten Tagen. Verbrannte Häuser, leer stehende Gehöfte, niedergetrampelte Felder, das war alles, was sie gesehen hatten.
Es war trostlos und leer. Die Orks hatten Rohan tiefe Wunden geschlagen. Sie kämpften, versuchten die Vernichtung zu stoppen. Doch sie hatten keine Chance. Wo sie einen Ork erschlugen, tauchten zwei Neue auf. Seit zwei Tagen häuften sich die Gerüchte über ein Heer von unbekannter Größe, das von Isengarth ausgezogen war. Viele brannten darauf ihm entgegen zu reiten, doch Eomer wollte nicht. War es sein männlicher Stolz, der ihn davon abhielt nach Edoras zu reiten? Oder wusste er etwas, das sie noch nicht wussten? Wollte er die Goldene Halle fallen sehen? Suriel verstand ihn nicht. Aber eigentlich wollte sie sich auch nicht den Kopf darüber zerbrechen. Sie wollte schlafen, doch die Kälte, die über den Boden kroch, ließ sie keine Ruhe finden.
Suriel starrte in die Nacht hinaus. Ein weißer Schein war am Horizont zu sehen. War das bereits der Schein des Morgens? Nein, der Morgen war noch zu weit entfernt, es musste etwas anderes sein, aber Suriel wusste nicht was. Es erschien ihr nicht bedrohlich obwohl es näher kam. Plötzlich hörte sie das Schlagen von Hufen und eine Stimme durchbrach die Nacht.
„Reiter von Rohan hört mich an. Eomer, Sohn Eomunds, Herr von Rohan, Helms Klamm verlangt nach euch, die Schlacht ruft nach euch!"
Sie sprangen vom Boden auf. Das ganze Lager war plötzlich in Bewegung, nur einer blieb völlig ruhig: Ein weißer Reiter, der langsamen in ihre Mitte ritt.
„Was willst du Zauberer?"fragte Eomer scharf. Er stand nicht weit von Suriel entfernt, so dass sie seine grimmigen Gesichtszüge sehen konnte.
Der weiße Reiter stieg von seinem Pferd ab und ging auf Eomer zu. „Euer Onkel ruft nach euch, voller Verzweiflung. Das Volk Rohans ist nach Helms Klamm geflohen. Ein Heer von Orks zieht heran mit nur einem Ziel: Rohan zu vernichten. Euer Onkel wird es nicht alleine schaffen, sie werden alle sterben, wenn wir sie nicht rechtzeitig erreichen."
„Mein Onkel ist von Sinnen."
„Ein böser Zauber lag über ihm, Sarumans Zauber, doch er ist gebrochen und euer Onkel hat sein altes Schwert ergriffen, um Rohan zu verteidigen. Er ruft nach euch."
„Er hat uns verstoßen."
„In seinem Schmerz tat er, was ihm eingeflüstert wurde. Doch nun bereut er. Er ruft euch zur Hilfe, Eomer. Er ruft nach seinem Nachfolger. Ihr habt Rohan immer mit eurem Leben verteidigt. Kommt nun. Reitet, wie ihr es immer getan habt. Reitet für Rohan."
Eomer hielt für einen Moment inne, dann wandte er sich um und blickte in die Schar seiner Krieger. „Wir reiten im Morgengrauen, ruht euch noch ein wenig aus. Die Schlacht wartet. FÜR ROHAN!"Eomer riss sein Schwert aus der Scheide und riss es in die Höhe. Der fahle Schein der Lagerfeuer spiegelte sich in der Klinge.
„FÜR ROHAN!" Die Menge brüllte, die Waffen klapperte. Erst nach einer Zeit verstummten sie und setzten sich an die Feuer zurück.
Suriel starrte in die Flammen. Es war also soweit: Die letzte große Schlacht, das letzte Aufbegehren und der TOD.
„Suriel?"Folcra legte ihr eine Hand auf den Rücken. „Ich weiß woran du denkst. Du willst den Tod suchen in dieser Schlacht, aber das darfst du nicht tun. Niemals. Du musst am Leben bleiben, selbst wenn wir anderen sterben."
„Wisst Ihr, was Ihr verlangt?"Es war alles was sie sich ersehnte, sie sah nichts anderes mehr, schon lange nicht mehr.
Folcra setzte sich neben sie. „Ich nahm dich mit, ich gab dir eine Chance, wie deine Mutter es einst mit mir getan hatte. Sie war meine Lehrerin, wie ich deine. Einer von uns muss am Leben bleiben, um es fort zu führen. Die Kriegerinnen müssen weiter leben und du musst sie führen."
„Aber du, du bist doch da."Entgeistert sah Suriel zu der Frau auf.
„Ich glaube nicht, Suriel. Ich weiß nicht warum, aber ich glaube nicht, dass ich diese Schlacht überstehen werde... Du musst es mir versprechen. Du musst sie führen."
„Ich kann nicht, wenn du stirbst..."
„Du musst es mir versprechen."
Suriel starrte sie an. Wusste Folcra, was sie dort verlangte. Suriel fühlte sich nicht stark genug, in ihrer Seele brannte es und der Schmerz brachte sie fast um den Verstand. Theodred war Tod, die Welt am Abgrund. Sie konnte nicht, sie konnte einfach nicht. Sie war nicht so stark.
„Suriel, deine Mutter war eine Numenor, eine starke Frau... aber sie war es nicht immer und ich war nicht immer so, wie ich es jetzt bin. Wir alle haben eine Prüfung zu bestehen und deine Suriel, ist noch lange nicht zu Ende. Auch du wirst deine Stärke finden. Versprich mir, dass du sie führen wirst..."
Suriel schüttelte den Kopf. Ahnte Folcra, was sie dort von ihr verlangte? Ahnte sie, welche Bürde sie ihr auferlegte? Nein. NEIN! Sie konnte es nicht länger ertragen. Die Finsternis war überall und sie schien sie zu zerfressen. Immer mehr. In kleinen Stücken nur, aber sie spürte es. Die Finsternis kam ihrem Herzen immer näher. Näher und näher je länger sie all den Schrecken erduldete, je länger sie ihr Schwert in der Schlacht schwang. Niniel war gestorben und Suriel würde es auch, wenn nicht... wenn nicht...
„Du solltest tun, was sie von dir verlangt, mein Kind. Folcra ist eine schlaue Frau... sie weiß sehr wohl, welche Bürde sie dir auferlegt."
Suriel zuckte zusammen, als sie die Stimme hinter sich vernahm. Langsam setzte sich der alte Mann mit dem langen weißen Bart neben sie. Folcra lächelte. Warm und herzlich, als kannte sie diesen Mann.
„Mein Name ist Gandalf ... zumindest einer meiner Namen. Theoden nannte mich Sturmkrähe, die Elben nennen mich Mithrandir... und du, mein Kind? Wie ist dein Name?"
Suriel starrte Gandalf an. Mein Kind? Sie war schon lange kein Kind mehr, schon lange nicht mehr. Mit finsterem Blick blickte sie den alten Mann an. Was wollte er von ihr? Auch fordern? Wie Folcra. Alle forderten, doch niemand sah sie. Niemand sah Suriel hinter der Fassade des jungen Kriegers mit dem flinken Schwert.
„Deine Gedanken sind noch immer finster, Tochter der Winde", Gandalf sprach langsam und bedächtig, während er eine Pfeife aus seinem sack zog, sie mit feinem Tabak füllte und entzündete, „Theodred war ein tapferer Mann..."
Suriel zuckte erschrocken zusammen. „Woher... woher wisst ihr...?"
Gandalf lachte, dann sah er sie an. Es schien Suriel als würde der Blick des alten Mannes tief in ihr Herz gleiten, als sah er, was alle anderen nicht erkannten. „Den Augen eines alten Zauberers bleibt nichts verborgen", sprach er und lächelte. Und zum ersten Mal seit Langem hatte sie das Gefühl, dass Wärme wieder ihr vereistes Herz durchdrang.
Suriel lächelte vorsichtig zurück.
Folcra hatte die ganze Zeit nichts gesagt, nun sprach sie wieder. „Suriel, ich weiß, dass du dieses Thema nicht... Suriel, du musst es mir versprechen..."
Suriel blickte zu Boden. Sie konnte nicht, nicht mehr. Nichts sehnlicher wünschte sie sich, als dass mit dieser Schlacht für sie alles zu Ende sein würde.
„Suche nicht den Tod Suriel, deine Zeit ist noch nicht gekommen..."
Suriel blickte zu Gandalf auf, der Wind glitt durch sein weißes Haar und ließ seinen Bart lustig tanzen. Der Wind schien den Zauberer genauso zu lieben, wie Suriel den Wind liebte. Sie, die Tochter der Winde. Könnte er sie doch fort tragen.
Gandalf sprach sehr ruhig weiter. Suriel hatte nie zuvor jemanden mit so viel Ruhe sprechen hören, mit so viel Weisheit und Klarheit in der Stimme.
„... deine Zeit hier in Mittelerde ist noch nicht vorbei. Selbst wenn alle anderen den Tod finden, du nicht. Eine Aufgabe wartet noch auf dich, Tochter der Winde."
„Was... was... meint ihr damit..."
Gandalf nahm einen Zug aus seiner Pfeife und ließ einige Rauchringe durch die Luft tanzen. Dann lachte er wieder. „Ich weiß nicht", mit einem verschmitzten Grinsen sah er sie an und blinzelte ihr zu. Dann senkte er die Stimme, bis sie ganz geheimnisvoll klang, wie das Rauschen des Windes in den Blättern des Fangorn. „Ich weiß es nicht... aber man sollte den Worten eines alten Zauberers vertrauen..."Dann stand Gandalf ohne ein weiteres Wort zu sagen auf und ging.
Lange saßen Suriel und Folcra schweigend da, starrten ins Feuer, starrten zu Boden. Die Gedanken kreisten in Suriels Kopf: „Eine Aufgabe wartet noch auf dich."Welche, welche...? Was...? Suriel fand keine Ruhe, keinen Schlaf und Folcra wartete noch immer auf Suriels Antwort. Der Morgen begann langsam herauf zu dämmern und der Himmel färbte sich aschgrau. Es war kein schöner Morgen, keiner bei dem die Sonne alles in glühendes Rot tauchte und die Schatten der Nacht vertrieb. Dieses Mal blieben die Schatten, grau und trostlos schlichen sie durch die kalte Morgenluft. Kein Windhauch wehte, alles war still. Viel zu still. Der Tag schien zu warten, alles schien zu warten. Warten auf die letzte Schlacht Rohans.
„WIR REITEN!"Der Befehl Eomers hallte durch die Reihen.
Langsam stand Suriel auf, Folcra hatte sich noch immer nicht gerührt.
„Wenn du stirbst, Folcra", sagte Suriel ohne die Frau vor ihr anzusehen, die Stimme nur ein leises Flüstern, „wenn du stirbst... ich verspreche es dir... die Kriegerinnen werden fortbestehen ... und wenn ich die Letzte der Kinder Rohans bin."
Vorsichtig blickte sie auf. Folcra lächelte. Sie sagte nichts, doch in ihren Augen konnte Suriel lesen, was sie sagen wollte. Dort stand nichts, außer ein stummes „Danke".
