Teil 1 – Eine Nachricht aus der Vergangenheit
Severus starrte das Paket nachdenklich an. Es war nur sein Name darauf geschrieben. Mit einer ordentlichen, kursiven Handschrift, die ihm seltsam vertraut erschien.
Wo hatte er sie nur gesehen? Er kannte den Absender? 16 Jahre Verspätung? Freund?
Fragen über Fragen.
Fragen, die er nur beantwortet bekommen würde, wenn er das Paket öffnen würde.
Mit einem ergebenen Seufzen riss er das braune Packpapier herunter und hielt inne.
Vor ihm offenbarte sich eine kleine Schmuckschatulle aus Silber mit eingearbeiteten feingliedrigen Gravuren.
Er kannte diese Schatulle. Es war sein Geburtstagsgeschenk für Sie gewesen – damals vor so unendlich langer Zeit.
Mit zitternden Händen klappte er den Deckel hoch und betrachtete den Inhalt.
Ein Brief und ein Foto – das war alles.
Langsam griff er nach dem Bild.
Es zeigte eine junge, hübsche Frau mit langem kastanienbraunen Haaren und leuchtenden grünen Augen, die lächelnd einen Säugling in ihren Armen hielt.
Ein Säugling mit ebenso grünen Augen und einem scheinbar jetzt schon unbezähmbaren schwarzen Haarschopf.
Ihm war, als hätte ihm ein Riese mit seiner Faust in den Magen geschlagen. Es konnte sich hierbei nur um einen üblen Streich handeln! Soviel Grausamkeit traute er Ihr einfach nicht zu. Ihn mit dem Kind seines Feindes zu quälen!
Zögernd griff er nach dem Brief.
Auch dieser war – wie auch sein Name auf dem Packpapier – mit ihrer so wundervollen Schrift geschrieben.
Severus,
ich spreche dich nicht mit den Namen an, die wir uns in unseren gemeinsamen Stunden gegeben haben. Das wäre dir gegenüber unfair.
Ich habe diesen Brief verzaubert. Nur du kannst ihn lesen. Aber du kannst auch bestimmen, wer ihn lesen darf!
Auch habe ich ihn mit einer Verzögerung belegt. Du erhältst ihn erst an deinem 36. Geburtstag – welcher heute sein wird, wenn du diesen Brief gerade liest!
Gratulation übrigens!
Lass mich dir eines versichern, ich liebe dich noch immer, auch wenn ich eine verheiratete Frau bin.
Immer wieder stelle ich mir vor, dass du an seiner Stelle mit mir vor den Altar getreten wärst. Und doch weiß ich, dass dies ein unmöglicher Traum ist. Ein Traum, dessen Wirklichwerden unser beider Herkunft uns versagt.
Du ein Zauberer reinsten Blutes und ich eine muggelgeborene Hexe.
Du, der sich in gefährlichen Kreisen bewegt. Ich danke dir, dass du mir damals alles gesagt hast – auch, warum du dich Ihm angeschlossen hast.
Ich hasse dafür Dumbledore. Für alles, was er dir und dadurch auch mir angetan hat. Warum konnte er niemand anderes finden! Warum nur nicht!
Manchmal glaube ich, dass wir alle nur seine Schachfiguren in Seinem Spiel gegen Voldemort sind. In seinem Kampf gegen Grindelwald war es wohl auch nicht anders. Jedenfalls sagen das einige hinter vorgehaltener Hand.
Du hast dich sicherlich gefragt, warum ich dies hier – das wir – enden ließ. Bitte, glaube mir, dass ich dich nicht verletzen wollte! Aber es war wirklich sicherer – vor allem für dich. Ich habe doch gesehen, wie es dich aufgefressen hat, nach unseren Treffen nicht bei mir bleiben zu können oder dass ich gehen musste.
Es hat dich aufgefressen, sehen zu müssen wie James mich umarmt. Glaube mir, ich weiß es! Mich hat es ebenfalls zerstört.
Nacht für Nacht habe ich mich nach dir gesehnt!
Und dann geschah etwas nicht Geplantes!
Severus, ich habe dir nichts davon erzählt, weil ich wusste, dass du dann in Todesgefahr geschwebt hättest. Und nicht nur wegen deiner „Freunde"! James hätte dich ebenfalls umgebracht.
Unsere Treffen sind nicht ohne Folgen geblieben.
Ich wurde schwanger und gebar deinen Sohn.
Er ist jetzt knapp 1 Jahr alt und kommt, was seine Wutanfälle anbelangt, nach dir!
James sieht dies zum Glück nicht. Ich werde es Harry aber sagen. Ich werde ihm sagen, dass nicht mein Mann, sondern mein Liebster sein Vater ist!
Sein Name ist Harry. Bitte, sei gut zu ihm. Er wird dich sicher noch brauchen! Und Severus, kümmere dich um ihn, wenn mir etwas zustoßen sollte. Erzähle ihm von uns!
In ewiger Liebe,
Lily
Kraftlos lies Severus den Brief aus den Händen fallen. Langsam glitt er von seinem Stuhl. Er ließ den Kopf auf den kalten Steinboden sinken und begann etwas, was er seit ihrem Tod nicht mehr getan hatte: er weinte!
