Teil 2 - Erkenntnis
So fand ihn Albus Dumbledore, Direktor von Hogwarts.
„Severus, mein Junge. Was ist mit dir?"
Severus sah seinen Vorgesetzten mit tränengefüllten Augen an.
„Albus!"
auch wenn dies der Mann war, den Lily gehasst hatte, wie sie ihm gerade versichert hatte, so war dieser Mann doch auch trotz allem sein Freund und Vertrauter – und ein Vaterersatz!
„Oh, Albus!" Severus barg sein tränennasses Gesicht in den Umhang des älteren Zauberers.
„Ich nehme an, du hast nach all diesen Jahren Lilys Brief bekommen?"
„Woher…"
„Sie hat es mir gesagt – zwei Tage bevor … Bevor es geschah! Das sie dir einen Brief schreiben würde. Mehr aber weiß auch ich nicht." Albus sah den jungen Mann nachdenklich an.
„Hat ihr Brief etwas mit Harry zu tun?"
Severus nickte stumm. Er wischte sich mit einem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht und gab Dumbledore den Brief.
„Lies selbst!"
Kraftlos ließ Albus den Brief – Lilys Vermächtnis – in seinen Schoß sinken.
„Das ändert alles, Severus!" Seine Stimme war ein kraftloses Flüstern.
„Du musst den Jungen zu dir holen. Die Dursleys bieten ihm keinen Schutz mehr, keinen richtigen jedenfalls. Die Bindung des Blutes ist zu dir nun stärker als die zu seiner Tante. Und außerdem …" Albus verstummte.
„Was außerdem?"
„Arabella hat mir verstörende Nachrichten überbracht. Nachrichten, dass der Junge dort misshandelt wird von seinen Verwandten. Dass er wie ein Hauself behandelt wird. Dass er geschlagen wird und dass er nicht ausreichend zu essen bekommt. Sieh dir das bitte an. Ja, mein Junge?"
Severus nickte stumm. Er versuchte immer noch die Tatsache zu verarbeiten, dass seine Lily und er ein Kind gezeugt hatten. Sein Kind. Seinen Sohn!
„Langsam erhob er sich und strich seine Lehrerrobe glatt.
„In Ordnung, Albus. Ich werde mir das anschauen und den Jungen dort wegholen. Aber eines weiß ich jetzt schon … Es wird für uns alle nicht einfach werden. Er hasst mich – und ich hab ihn ebenfalls gehasst! Ich dachte doch all die Jahre, dass er ein Potter sei, Albus!"
„Severus, manchmal muss man seinen Groll überwinden und lernen zu vergessen und zu verzeihen. Ich habe damals einen Fehler begangen, ebenso wie Sirius. Auch James und Remus waren nicht unschuldig. James, weil er dich zusammen mit Sirius immer wieder provoziert hat und Remus, weil er nie eingegriffen hat – wie auch ich. Aber auch du selbst! Du hast dich provozieren lassen!"
Severus senkte den Kopf.
„Du hast ja Recht, Albus!"
Dieser legte Severus eine Hand auf die Schulter.
„Versuch es zumindest, ja? Und noch etwas, Severus! Du warst in seinem Alter genauso!"
Severus' Kopf ruckte hoch. Entsetzt schaute er dem alten Zauberer ins Gesicht.
„Albus, das ist nicht wahr!"
Dieser funkelte ihn aus hinter seiner Brille liegenden Augen nur verschmitzt an.
„Wenn du meinst, mein Junge! Wenn du meinst!"
Harry Potter, seines Zeichens zukünftiger Retter der Zaubererwelt, kniete im Garten seiner Verwandten und jätete das Unkraut. Bei sengender Sonne und knapp 38°C im Schatten war dies kein Zuckerschlecken – vor allem nicht, da es in diesem Garten keinen oder so gut wie keinen Schatten gab.
Erschöpft wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht und ließ sich kurz auf seine Beine nieder.
„Mach gefälligst weiter, du Faulpelz! Dein Essen musst du dir verdienen!"
Vernon Dursley fauchte seinen Neffen an, während er im Schatten eines Sonnenschirmes neben dem neuen Pool lag und genüsslich ein eiskaltes Bier trank.
„Immer nur macht dieser Junge Ärger!"
Harry warf ihm verstohlen einen wütenden Blick zu. Wenigstens war es seinem Onkel heute zu warm als dass er ihn mit dem Gürtel belohnte wie er es sonst zu tun pflegte, wenn Harry sich mal eine kurze Atempause gönnte.
Die Arbeit im Garten ging nur langsam voran. Es war einfach zu heiß und der Umstand, dass er sich keine Erfrischung nehmen durfte, erleichterte es Harry nicht gerade. Vor seinem Blick verschwamm immer wieder alles und sein Kopf dröhnte nur so.
Nach weiteren zwei Stunden der Schinderei konnte Harry einfach nicht mehr. Er tat das, was jeder in seiner Situation getan hätte: er verlor das Bewusstsein.
Nur langsam klärte sich der dicke Nebel, der seinen Geist zu umgeben schien. Harry stöhnte leise und versuchte, sich aufzusetzen. Stellte dabei aber fest, dass er wieder in ein weiches Kissen zurück gedrückt wurde.
„Nun gut. Noch 5 Minuten ja?" murmelte er und lehnte sich langsam wieder zurück gegen das Kissen.
„Was haben sie mit ihm gemacht, Mr. Dursley? Und ich will keine Ausreden, der Junge würde das ab und zu haben. Das läge in seinen Genen und all so einen Scheiß!"
Harry vernahm eine vertraute Stimme neben der von Onkel Vernon. Woher nur kannte er sie?
„Ich kenne seine Eltern – ich habe sie sehr gut gekannt! Also? Ich höre!"
Er hörte seinen Onkel belangloses Zeug brabbeln und die andere Stimme wurde immer leiser, ruhiger – und wie Harry mit einem Mal begriff – dadurch immer gefährlicher und drohender. Es war niemand Geringeres als Professor Snape, der da im Haus seiner Verwandten stand und sich mit seinem Onkel über seine Gesundheit stritt!
Das konnte doch nicht wahr sein!
„Unsinn! Soll ich ihnen sagen, was hier wirklich geschehen ist? Ah, Petunia! Schön, dich nach all den Jahren auch einmal wieder zu sehen!"
Harry vernahm einen erstickten Schrei seiner Tante und danach einen dumpfen Schlag.
Er hob mühsam den Kopf und schaute in die Richtung des Geräusches.
Dort lag seine Tante ohnmächtig auf dem Boden, sein Onkel stand zitternd in eine Ecke gedrängt Professor Snape gegenüber, der ihn allein mit seinem Auftreten in Schach hielt!
Severus bemerkte aus dem Augenwinkel eine Bewegung.
„Harry, würdest liebenswürdigerweise du deinem ‚netten' Onkel einmal sagen, wer ich bin?"
Er hatte mit einem Mal das Gefühl in einem schlechten Film zu sein. Hatte ihn Snape gerade in einem netten Plauderton um einen Gefallen gebeten?
„Wird's bald, Potter?" Der knurrende Ton war schon eher Snape und Harry beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen.
„Onkel Vernon, das ist Professor Snape. Er unterrichtet in Hogwarts Zaubertränke. Darüber ist er ein Anhänger von Voldemort und Mitglied in dessen illustren Verein der Todesser. Ach ja, der Name ist Programm! Ich würde ihn nicht reizen!" Harry konnte aus irgendeinem Grund nicht widerstehen. Er musste es Onkel Vernon so richtig unter die Nase reiben, wen dieser da vor sich hatte.
„Severus?" Tante Petunia kam wieder zu sich.
„In voller Person, Petunia!"
„Wieso? Warum?"
„Wieso ich hier bin oder warum erst jetzt?"
„Beides?"
„Du wusstest es, oder, Petunia?"
Sie nickte.
„Ich habe all die Jahre diesen Tag herbei gesehnt. Den Tag, an dem wir diesen Jungen endlich loswerden! Der Tag, an dem er endlich bei seinesgleichen bleibt!"
„Äh, Tante Petunia. Ich muss aber leider zu euch kommen. Die Blutsbande zwingen mich…"
„Nicht, wenn noch ein Mitglied deiner Familie woanders lebt, Harry! Daher wirst du jetzt mit ihm dorthin verschwinden und uns in Ruhe lassen!"
„Ein Mitglied meiner Familie? Aber die sind alle tot! Ihr seit meine einzige Verwandten!"
Severus seufzte.
„Das ist nicht ganz richtig. Es gibt da jemanden, der erst seit kurzem von seiner Blutsverwandtschaft zu dir weiß."
Harry starrte ihn ungläubig an.
„Dieser Jemand wird ab sofort für dich sorgen. Dumbledore weiß Bescheid und ist hocherfreut über diese Wendung. Er meint, es sei eine hervorragende Gelegenheit, alten Groll zu begraben."
„Alten Groll?"
„Harry, dein Vater lebt!"
„Das ist nicht wahr. Er ist tot! Er starb damals!"
Severus schüttelte den Kopf.
„Ich spreche nicht von James Potter, Harry!"
Harry sah seine Tante flehend an.
„Tante, stimmt das? Weißt du mehr?"
Diese starrte den Jungen jedoch nur mit zusammen gekniffenen Lippen voller Verachtung an.
„Professor? Von wem ist hier die Rede? Ist es Remus?"
Severus schüttelte auch dieses Mal den Kopf und lächelte leicht.
„Nein, auch wenn die Vorstellung für dich eine schöne Wendung bedeutet hätte. Nein, die Rede ist von mir…"
