Hallo, ihr Leser da draußen :o)
Ich begrüße Euch zu Kapitel zwei und freue mich auf Eure Reviews.
Soundtrack zu diesem Kapitel:
Ludwig van Beethoven, Sinfonie Nr. 6 in F-Dur, Opus 68, „Pastorale", Vierter Satz: Gewitter, und fünfter: Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm.
Disclaimer: Siehe Kapitel 1.
2. PASTORALE
Ich brauchte ungefähr bis Mittwoch Mittag, dann hatte ich voll umfänglich begriffen, welchen Ruf Snape an dieser Schule genoss, und dass er ihm nicht umsonst anhaftete. Dienstag Nachmittag brach eine Schülerin in meinem Kurs zusammen, als sie entdeckte, dass der Lehrer, dem sie glücklich entkommen zu sein meinte, Mittwoch Morgen in Verteidigung auf sie warten würde. Mittwoch Mittag, bei meinem ersten erfolgreichen Besuch im Lehrerzimmer (ich verlief mich nach wie vor in diesem Gebäude), wurde ich dann gleich Zeuge einer erregten Diskussion unter meinen Kollegen über Verwendungszweck und Einsatz eines Boggarts und dass, wenn er erst einmal in Form eines Vampirs auf der Brust seines Opfers saß, der Lernprozess des Ridikkulus-Zaubers doch wohl kaum mehr sinnvoll zu Ende gebracht werden könnte.
Szenen wie diese führten nicht dazu, dass ich mich in meinem Keller wohler fühlte. Ich nahm meine Arbeit, wann immer es ging, mit hinauf in mein Zimmer. Ich stapelte Bücher auf dem Nachttischchen, hängte Trockenkräuter ins Fenster und brachte mir nach und nach alle beweglichen Gegenstände wie Mörser und Getreidemühle mit hinauf, wo ich mir im Badezimmer eine Art Privatlabor einrichtete. Ich fand es nicht besonders mutig von mir, das zu tun, ich hätte vielmehr meinen Platz da unten behaupten müssen, aber allein bei dem Gedanken, diesem Mann gegenüber irgend etwas behaupten zu müssen, bekam ich einen veritablen Kloß im Hals und verschob das Projekt. Ich hatte auch so genug Stress. Ich hatte einige Jahre nicht unterrichtet und musste erst wieder meinen Rhythmus finden, Lehrpläne studieren, Unterricht vorbereiten, zusehen, woher ich meine Zutaten bekam, mich im Schloss zurecht finden, die Kollegen kennen lernen und und und. Meinen Platz würde ich später einmal behaupten, wenn ich die nötige Zeit hatte.
Leider nur wurde mein Platz da unten immer spärlicher. Ich wartete darauf, dass Snape mal ein paar Unterlagen aus meinem (seinem?) Arbeitsraum entfernte, aber an dem Tag, als ich zwischen zwei Stunden hinein kam und fest stellte, dass jemand eine säuberliche Buchreihe über die Dunklen Künste auf dem Schreibtisch errichtet hatte (den Bücherstapel, der diesem Umbau hatte weichen müssen, fand ich im Papierkorb), begann mein Glaube zu schwinden. Allmählich etablierten wir eine Art Stellungskrieg um den Schreibtisch. Ich ließ ein paar Notizen auf dem Tisch liegen, als Duftmarke sozusagen, er legte seine drüber, ich nahm seine, ordnete sie zu einem Stapel, stopfte sie hinten ins Regal und fand ein paar Stunden später meine strategisch im Zimmer verteilten Unterlagen bei mir oben vor meiner Tür und den Schreibtisch sauber okkupiert von einem Klassensatz Aufsätze zum Thema „Intelligenz und ihr Einfluss auf die Bekämpfung eines Boggarts". Wir begegneten uns kaum in diesen ersten Tagen. Ich hatte schnell die Zeiten raus, in denen er kam, um in seinem Kessel zu rühren, dessen Inhalt mittlerweile tiefschwarz war, und verdrückte mich, bis er wieder weg war. Dem gemeinsamen Abendessen des Kollegiums, zu dem sogar der Direktor erschien, blieb Snape fern. Den Gesprächen der Kollegen entnahm ich, dass er wohl nicht eben als Gesellschaftstier verschrien war, er aber seit Schuljahresbeginn eine selbst für ihn ungewöhnliche Zurückgezogenheit an den Tag legte. Man machte sich Sorgen. Das fand ich nett. Es war mehr, als solch ein arroganter Luftverschmutzer verdient hatte.
Was mich mehr interessierte als der Grund für Snapes Menschenscheu, war der Inhalt des Kessels, der ohne Unterbrechung über dem Feuer geblieben war. Er hatte die dicke schwarze Masse mit etwas aufgefüllt, das ich für Quecksilberlösung hielt, und kam in der Folge öfter zum Rühren. Es ist immer schwer, einen Trank zu beurteilen, bevor er sein Endstadium erreicht hat, aber ich versuchte es trotzdem. Ich verbrachte einen Abend in der Bibliothek mit einigen tonnenschweren Nachschlagewerken. Ich nahm nicht an, dass die endgültige Farbe des Trankes heller als geronnenes Blut sein würde. Ich schlug nach, verglich Listen und durchforstete Rezepte, und kurz vor Mitternacht kam ich zu einem sehr seltsamen Ergebnis. Eine nicht unerhebliche Fehlerquote in Rechnung stellend, konnte das Zeug in dem Kessel entweder ein sehr potentes Haarwuchsmittel sein, oder…
Wolfsbann.
Das eine war so unwahrscheinlich wie das andere. Die meisten Zauberer lebten lieber mit einer Glatze, als sich das aufwendige Verfahren der Herstellung anzutun, und Werwölfe waren grausame, gefährliche Kreaturen, die Dumbledore wohl kaum in seinen Mauern dulden würde. Außerdem waren sie selten. Ich hatte noch nie einen Wolfsbann gesehen und kannte niemanden, der je einen zubereitet hätte. Es fiel mir schwer, aber ich musste warten, bis der Trank fertig war, bevor ich wieder ein fachkundiges Urteil abgeben konnte.
In der spärlichen Zeit, die mir blieb, mich mit außerunterrichtlichen Dingen zu beschäftigen, fand ich die ganze Angelegenheit zwischen Snape und mir lächerlich. Ich hatte mir das Verteidigungs-Klassenzimmer angesehen, ich hatte eine Methode entwickelt, mich von Portrait zu Portrait durchs Schloss zu fragen, die mich recht zuverlässig zum Ziel brachte. Das Verteidigungs-Klassenzimmer war im Hauptbau, zweiter Stock, ein wunderschöner Blick über den See, ich hätte etwas darum gegeben, in diesem Zimmer unterrichten zu dürfen. Der Arbeitsraum daneben war sozusagen jungfräulich, eine dünne Staubschicht auf der Tischplatte verriet, dass seit dem letzten Sommer hier niemand gearbeitet hatte.
Professor McGonagall fragte mich regelmäßig nach meinem Befinden, und ob ich etwas benötigte, und ich war mehrmals kurz davor, ihr mein Leid zu klagen, aber ich schluckte es hinunter. Ich würde garantiert nicht zur stellvertretenden Direktorin petzen gehen wie eine Erstklässlerin.
Donnerstag abend fasste ich mir dann ein Herz und machte mich auf den Weg in den Kerker, wie ich den Keller bei mir nannte. Wir waren beide erwachsene Menschen. Vernünftige erwachsene Menschen. Es musste doch möglich sein, sich zu einigen.
Er schien nicht mit Besuch gerechnet zu haben. Schon auf der Treppe konnte ich die Musik hören, erst verzerrt und erstickt durch Echo und dickes Gestein, dann deutlicher, es war Beethoven, die Pastorale, irgendwie machte mir das Mut. Als ich unten ankam, spülte die Musik in Orchesterlautstärke über mich hinweg. Die Tür zu meiner Rechten stand offen, Licht drang auf den dunklen Gang. Ich näherte mich der Tür, die ich die Woche über gemieden hatte wie die Pest, strich mit plötzlich feuchten Händen meine Robe glatt und spähte ums Eck.
Dafür, dass es ein fensterloser Raum war, hatte er es gar nicht so unbequem. Es war sein Wohnraum, in den ich da einen Blick warf, und die hässlichen groben Steinwände waren bedeckt von Bücherregalen, die sich bis hinauf unter die Decke zogen. Immerbrennende Fackeln warfen ein neutrales weißes Licht, in dem es sich ohne Anstrengung lesen ließ. Ein niedriges Feuer flackerte im Kamin, vor dem ein alter knautschiger Ledersessel stand. Teppiche bedeckten den Fußboden und ließen mich weich auftreten, als ich einen schüchternen Schritt hinein machte. Ich drehte mich um mich selbst. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich fühlte mich wie vor meinem ersten Boggart.
„Hallo?" sagte ich leise, was eine unsinnige Aktion war, denn meine Stimme wurde vollständig von der Musik geschluckt. „Professor Snape?"
Das satte Streicherthema des dritten Satzes war meine einzige Antwort. Ich lauschte dem fröhlich hüpfenden Fagott-Thema, das die Streicher ablöste, und versuchte, eine Entscheidung zu treffen.
Sehr gut. Er ist nicht da. Komm einfach ein andermal wieder, flüsterte mir die gleiche Stimme zu, die auch immer dafür gewesen war, den Boggart in der Garderobe sitzen zu lassen, bis er verschimmelte.
Quatsch, schalt ich mich selbst. Natürlich ist er da. Niemand geht weg und lässt die Musik laufen. Komm schon, das ist wie Zahnarzt. Irgendwann muss es mal sein. Jemand, der solche Musik mag, kann kein schlechter Mensch sein.
Aber was tun? Ich konnte schlecht auf diesem Fleck stehen bleiben, bis er irgendwann mal auftauchte, aber noch viel weniger konnte ich anfangen, in seinen Räumlichkeiten nach ihm zu suchen. Lieber hätte ich mich selbst mit dem Avada Kedavra belegt, als mich in seinem Schlafzimmer erwischen zu lassen.
Ich atmete tief durch und ließ die Schultern fallen. Das Fagott-Thema hüpfte um meine Füße wie eine spielende Katze. Die Normalität des Zimmers beruhigte mich ein wenig. Ich verzog über mich selbst den Mund. Was hatte ich erwartet? Ein kaltes, dunkles Gefängnis, rostige Ketten und mumifizierte Fledermäuse?
Ich kannte die Musik gut genug, um zu wissen, was kam. Ich hatte eine Vermutung. Die Minute wollte ich noch investieren.
Dunkles Grollen aus der Ecke der Celli und Kontrabässe, die Streicher zogen sich schüchtern zurück. Ein letztes leise zitterndes Tanzmotiv.
Dann der ultimative Donnerschlag.
Er kannte seinen Beethoven, das musste man ihm lassen. Mit dem Einbruch des Gewitters erschien er unter der Tür, seine Roben umwallten ihn wie ein übles Gebräu aus Gewitterwolken. Mit zwei langen Schritten erstürmte er den Raum, den Zauberstab auf mich gerichtet, als wollte er mich an Ort und Stelle zu einem hässlichen Aschefleck verdampfen, ich nahm wirklich an, er war kurz davor. Er hielt einen Sicherheitsabstand von mehreren Schritten, als er mich umkreiste, sein Zauberstab zeigte auf meine Kehle, seine Augen brannten. Mein Zauberstab rührte sich in seiner Halterung am Gürtel, vibrierte und zappelte und rotierte wie ein Elektroquirl. Ich sah, wie der Zauberstab in seiner Hand zitterte, er hatte ihn so fest gepackt, dass seine Fingerknöchel weiß hervor traten. Für einen Augenblick war ich mir gar nicht sicher, wer hier für wen der Boggart war.
Ich hob meine Hände und drehte mich mit ihm, um ihn nicht in den Rücken zu bekommen. Es war ein seltsamer Tanz, den wir vollführten, während sich um uns herum das orchestrale Gewitter entlud und uns Donnerschlag um Donnerschlag entgegen schleuderte.
Mit der freien Hand zeigte er zur Tür, seine Lippen formten ein „Raus". Ich schüttelte den Kopf. Ich hoffte auf die Ruhe nach dem Sturm, und ich hoffte wirklich, dass er sich nicht an einer Kollegin vergreifen würde. Dann kam der Regen, und er hörte auf, mich zu umkreisen. Wir standen und starrten uns über die Spitze seines Zauberstabes hinweg an. Dunkle Konzentration lag auf seinen Zügen, und seine Hand zitterte immer noch.
Dann, das erlösende Waldhorn. Das Gewitter war vorbei gezogen. Ich lebte noch, stand in Snapes Wohnzimmer und hatte in meiner Angst meine Robe komplett durchgeschwitzt.
„Was wollen Sie" sagte er, und augenblicklich verminderte sich die Lautstärke der Musik, genau so weit, dass ich ihn verstehen konnte.
„Ich würde mich gerne mit Ihnen über diese Schreibtisch-Sache unterhalten" sagte ich, und meine Stimmeklang erstaunlich fest.
„Ich verstehe Sie nicht" sagte er mit einem maliziösen Lächeln. „Die Musik ist so laut." Tatsächlich hatte die Musik auf meine Stimme nicht reagiert. Ich sah mich um. Ich war wütend. In meiner Muggelwelt wäre ich zum CD-Player gestürmt und hätte den Stecker aus der Wand gerissen, aber in der Welt der Zauberei sind die Dinge selten so einfach. Ich konnte nicht mal feststellen, woher die Musik überhaupt kam.
„Machen Sie sie leiser" sagte ich. Er sah mich an und hatte immer noch dieses abscheuliche Lächeln. Ich versuchte es selbst. Ich nahm meinen wild rotierenden Zauberstab aus seiner Schlinge, und dann musste ich sehr schnell sein, denn er versuchte förmlich, mir aus der Hand zu springen. Ich brauchte meine ganze Kraft, um ihn zu halten, er zuckte wild und zeigte hinüber zu Snape. Ich packte meinen Zauberstab mit beiden Händen und rief „Silencio", aber nichts passierte.
Mein Gegenüber betrachtete einigermaßen interessiert, was ich da mit meinem Stab veranstaltete. Schließlich fing ich ihn ein und drückte ihn mit beiden Händen gegen meine Brust, wo er zappelte und rotierte, sich aber nicht befreien konnte. Ich war völlig perplex. Seit er sich auf meiner Ausgabe von Advanced Potions so seltsam benommen hatte, hatte ich nicht mehr darüber nachgedacht. Mein Stab hatte schon so einiges mitgemacht und begann allmählich, seine Launen zu entwickeln, und ich hatte den Zwischenfall als eine solche abgehakt. Offenbar eine Fehleinschätzung, denn dies hier ging weit über eine Laune hinaus.
„Haben Sie ein Problem?" fragte Snape mit seidiger Stimme, die die Musik problemlos übertönte.
„Ja" sagte ich wütend. „mit Ihnen!" Im Leben nicht hätte ich zugegeben, das das Verhalten meines Stabes ein Problem für mich darstellte.
„Dann erklären Sie mir bitte, warum Sie ungefragt und ungebeten in meinen persönlichen Räumen auftauchen" sagte er.
„Die Schreibtisch-Sache" erinnerte ich ihn. „Wir müssen da mal etwas klären."
„Ich weiß nicht, was Sie meinen" sagte er eisig, während um uns ein inniges, zärtliches Walzermotiv seinen Anfang nahm.
„Sie wissen das ganz genau" schrie ich ihn an. „Das ist Mobbing! Sie wollen mich los werden, und ich verstehe nicht mal warum! Wollen Sie Ihren alten Posten zurück? Glauben Sie, ich hätte Sie vertrieben? Der Direktor versicherte mir, Sie wären glücklich mit Ihrem neuen Posten, aber Sie haben ja nicht mal Ihr neues Arbeitszimmer eingerichtet! Habe ich Ihnen irgendeinen Grund gegeben, so mit mir umzugehen? Wie soll ich denn da erfolgreich arbeiten?"
„Ich" sagte er, ohne seinen Zauberstab von meiner Kehle zu nehmen, „bin Severus Snape. Ich brauche keine Gründe."
„Sollten Sie sich jemals fragen, warum man Sie in diesem kalten, dunklen und sehr einsamen Teil des Schlosses verstaut hat, kommen Sie zu mir, ich sag's Ihnen" fauchte ich ihn an, packte meinen Zauberstab fester, der unbedingt zu ihm zurück wollte, und stürmte an ihm vorbei zur Tür hinaus. Das Walzermotiv verfolgte mich, und ich rannte die Treppe hinauf, bis ich es nicht mehr hörte.
Freitag Mittag überspannte er den Bogen. Die zweite Hälfte der fünften Klasse (Ravenclaws und Hufflepuffs) rührten gerade in ihren Kesseln und verglichen das Ergebnis ihrer Bemühungen mit den Farbkarten, die ich als Hilfestellung ausgeteilt hatte (aquamarin zeigte einen tauglichen Luftikus-Trank an, türkis eine unbrauchbare Brühe), wir waren alle reif fürs Wochenende, als plötzlich die Tür aufflog und Mister Gewitterwolke höchstpersönlich herein geweht kam. Justin Fletcher links von mir, dessen Trank soeben noch ein klares Aquamarin gezeigt hatte, begann zu zittern und versenkte den gesamten Inhalt seines Rotkehlchentränenextraktes in seinem Kessel. Es puffte, und der Trank gerann zu einer hässlichen spinatgrünen Masse.
„Tag, Herr Kollege" sagte ich gefasst. Es war ja klar gewesen, dass man sich wieder begegnen würde. Allerdings hätte ich mir gewünscht, es geschähe nicht unter der gespannten Aufmerksamkeit von einem Dutzend Fünftklässlern.
Er würdigte mich keines Blickes, trat an seinen Kessel, senkte den Schutzzauber und inspizierte den Inhalt. Das geschäftige Klappern und die gedämpften Gespräche, die sonst eine Praxisstunde begleiteten, erstarben vollständig. Ich meinte, sogar die Kessel hätten das Blubbern eingestellt.
Snape warf eine Prise von irgendetwas aus einem kleinen schwarzen Beutel in den Kessel. Es zischte laut, einige Schüler fuhren zusammen. Ich hoffte, dass jetzt etwas schief gegangen sei, aber zu meinem Bedauern zeigte sich Snape recht zufrieden. Er nahm einen kleinen kupfernen Eimer aus einem Regal, prüfte ihn kurz und drückte ihn Paula Abbott in die Hand, die wie vom Donner gerührt stand.
„Wasser" sagte er. „Siebenunddreißig Grad."
„Momentchen" sagte ich. „Miss Abbott hat ihren eigenen Kessel, den sie betreuen muss. Holen Sie sich Ihr Wasser bitte selbst."
Er sah auf, sein Kopf ging in meine Richtung, als hätte er soeben erst meine Anwesenheit bemerkt. Seine Augen waren schmale Schlitze.
„Gestatten Sie sich keine weitere Einmischung" sagte er mit einer Kälte, die geeignet war, eine Eisschicht über einen Kessel mit glühender Lava zu legen.
„Eimer" sagte ich zu Miss Abbott, die ich aus ihrer Starre erlösen wollte, und streckte die Hand aus. Zitternd reichte sie mir den Eimer rüber, und ich hielt ihn Snape entgegen.
„Bitteschön" sagte ich. „Ich nehme an, Sie kennen sich hier unten hinreichend aus, um sich selbst zu organisieren, was Sie brauchen."
Ein Atmen ging durch die Klasse. Einige schlugen die Hand vor den Mund. Ihren Gesichtern entnahm ich die Überzeugung, sogleich Zeugen meines sofortigen Todes zu werden.
„Hören Sie sich noch ein paar Geschichten über mich an" sagte er gefährlich leise, „damit Sie abzuschätzen lernen, wozu ich fähig bin, wenn man mich reizt."
Ich hielt ihm immer noch den Eimer hin. „Sie holen jetzt besser Ihr Wasser" sagte ich, „bevor Ihnen Ihre Nudelsuppe anbrennt, oder was immer das werden soll."
Ich sprach es noch, als ich schon wusste, dass ich zu weit gegangen war. Ich wich zurück, als er auf mich zu kam. Ein erschrecktes Aufkeuchen ging durch die Klasse.
„Sie… Sie…" sagte er. Er scheuchte mich vor sich her, und ich stolperte rückwärts die Stufen des Lehrerpodestes hinauf…
„…ungezogene…"
… ich bekam den Zipfel meiner Robe zwischen die Füße und setzte mich unsanft und völlig unfreiwillig auf die oberste Stufe. Sein Zauberstab war plötzlich von nirgendwoher in seiner Hand erschienen, er umklammerte ihn mit aller Kraft, seine Hand zitterte.
„… inkompetente…"
Ich hob meine Hand, um ihn abzuwehren, aber es war nur der kupferne Eimer darin. Mein Zauberstab in seiner Halterung rotierte am Rande der Materialbelastung.
„… kleine…"
Ich bekam es wirklich mit der Angst zu tun. Mein Gehirn war leer. Expelli…? Stupe…? Defilli…?
„…IMPEDI…"
Ich tat das einzige, was mir einfiel. Ich entließ meinen Zauberstab aus seinen Fesseln.
Wie ein Geschoss raste er auf Snape zu, dessen Zauberstab ihm fast gleichzeitig aus der Hand gerissen wurde. Beide Stäbe trafen sich mitten in der Luft, prallten mit einem hölzernen Knall aufeinander und gingen zu Boden.
Snape starrte hinunter auf den Boden. Seine Miene war versteinert. Ich rappelte mich aus meiner unrühmlichen Haltung auf und folgte seinem Blick. Es war sehr still.
„Was ist passiert?" flüsterte Ernie MacMillan aus der hintersten Reihe.
„Ich habe keine Ahnung" sagte ich heiser.
Da lagen unsere beiden Zauberstäbe auf dem Boden, innig, fast schon unanständig umeinander verschlungen wie zwei Spiralnudeln, die sich beim Kochen ineinander gedreht hatten. Das flache, löffelförmige Ende des meinen schmiegte sich zärtlich um den glatten, runden Knauf des anderen. Ihre beiden Spitzen hatten sie aneinander gelegt wie nachdenkliche Fingerspitzen. Ein winziges Leuchten lief die Spirale entlang und versickerte im Steinboden.
Snapes Hand näherte sich vorsichtig dem Doppelstab, der da lag, als wären es nie zwei einzelne gewesen. Seine Hand zuckte zurück, aber es geschah nichts. Vorsichtig tippte er den Doppelstab mit den Fingern an, dann nahm er ihn hoch und rauschte an mir vorbei, hinüber in den Arbeitsraum.
Die Klasse tuschelte.
Ich räusperte mich. „Der Unterricht ist für heute beendet" sagte ich. „Löscht bitte die Feuer unter euren Kesseln. Ich werde von den gelungenen Tränken etwas abfüllen, was wir dann in der nächsten Stunde ausprobieren können."
Ich beaufsichtigte die Klasse, wie sie zusammen packte, während ich vergeblich versuchte zu begreifen.
Wir hatten ein Problem. So viel war klar. Aber welcher Art es war, wie groß und wie aufwendig zu beheben, wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass ich kein Problem haben wollte, und wenn schon, dann zumindest nicht mit ihm.
Ich wartete, bis der letzte Schüler aus dem Raum verschwunden war. Ich warf einen Blick auf Snapes Kessel, dessen Inhalt ungeschützt und unbeaufsichtigt vor sich hin brodelte. Ich beugte mich vorsichtig darüber und wedelte mir Geruch zu.
Fichtennadeln, Majoran und etwas Scharfes, Strenges, das an ein ungeputztes Katzenklo erinnerte.
Wolfsbann. Ich werd verrückt.
Wolfsbann, der kurz vor dem Anbrennen war. Ich hing den Kessel höher, suchte den Kupfereimer, füllte ihn mit Wasser und erwärmte es über den Resten des benachbarten Feuers, bis es ungefähr Körpertemperatur hatte. Ich wusste nicht genau, warum ich das tat, ich fand es einfach schade drum, etwas anbrennen zu lassen. Ich schüttete das Wasser zu der dunklen Flüssigkeit im Eimer, es zischte und rauchte, ich beeilte mich zu rühren. Ich versuchte zu vergessen, dass es Snapes Wolfsbann war, in dem ich da herum panschte, ich tat so, als sei es eine beliebige Mehlschwitze, in die ich Milch rührte, zügig und vorsichtig, um Klumpen zu verhindern.
Ich verbrauchte das Wasser aus dem Eimer, bis ich das Gefühl hatte, es sei nun genug. Träge bewegte sich die bläulich schillernde Masse im Kessel. Ich ließ den Kessel wieder tiefer über die Kohlen. Dann ging ich nach Snape und meinem Zauberstab sehen.
Er saß hinter meinem (seinem?) Schreibtisch. Vor ihm auf einer meiner nachlässig zusammengehefteten Rezeptsammlungen lag mein (unser?) Stab. Er hatte den Kopf in beide Hände gestützt und starrte darauf hinunter, ich hätte schwören können, ebenso ratlos wie ich. Sein Kopf fuhr in die Höhe, als er mich herein kommen hörte.
„Miss Liguster" sagte er. „Und, haben Sie etwas zu unserem Problem beizutragen?"
„Nennen Sie mich nicht so" sagte ich. „Ich bin nicht eine von Ihren Schülerinnen."
„Offensichtlich nicht" sagte er. „Denn wenn Sie auch nur irgend etwas von mir gelernt hätten, dann wäre es gewesen, sich ein wenig klüger zu verhalten."
„So lange Sie sich noch die Zeit für Gemeinheiten nehmen, kann's nicht so dringend sein" sagte ich, ich wurde schon wieder wütend. Ich zog mir den Besucherstuhl heran und setzte mich ihm gegenüber.
„Was, zum Teufel, haben Sie sich dabei gedacht?" fauchte er mich an und deutete mit seinem blassen Zeigefinger auf den Doppelstab.
„Gar nichts" sagte ich. „Es war ein Unfall. Gewissermaßen."
„Unsinn!" schnauzte er mich an. „Ich habe gesehen, wie Sie die Schlaufe lösten!"
„Aber ich konnte doch nicht wissen, was passieren würde!"
„Aber Ihren Kopf benutzen Sie doch auch gelegentlich zum Denken?"
„Jetzt tun Sie nicht so" sagte ich. „Sie haben es doch ebenso wenig gewusst."
„Ich hatte einen Verdacht."
Das verwunderte mich nun doch. „Woher…?"
„Merlin!" schrie er und warf die Hände in die Luft. „Ich bin umgeben von Idioten! Meinen Sie denn wirklich, das Verhalten Ihres Stabes sei ein Einzelphänomen gewesen? Natürlich nicht! Sie wurden beide zueinander gezogen wie Magneten! So etwas beruht immer auf Gegenseitigkeit!"
„Vielleicht schau ich wirklich mal bei Madam Pomfrey rein und lass mir was für meine Ohren geben" sagte ich. „Wollkraut, zum Beispiel. Zum Verstopfen. Damit ich Ihren Umgangston besser aushalte."
Er gab das Fauchen von sich, das ich nun schon kannte, sprang auf und begann, zwischen Schreibtisch und Schrank hin und her zu gehen, drei Schritte hin, Drehung, drei Schritte her, seine Roben raschelten um seine Füße, er machte mich wahnsinnig.
„Setzen Sie sich!" fuhr ich ihn in meinem besten Lehrerton an.
„Was?"
„Setzen. Sie. Sich." sagte ich und deutete auf den Stuhl. „Sie hindern mich am Nachdenken."
Er blieb zumindest stehen. Er konnte sich wohl nicht erinnern, wann dieser Satz zuletzt aus einem anderen als seinem eigenen Mund gekommen war. Das gab mir die Zeit, meinen Kopf zu benutzen, wie er es empfohlen hatte. Mir fiel das Zittern seiner Hand ein und das krampfhafte Umklammern seines Stabes, als wir uns die Pastorale angehört hatten. Vielleicht war es tatsächlich weniger die Tötungsabsicht als eher blanke Not gewesen. Es passte zusammen, und das auch:
„Deshalb waren Sie nicht beim Essen" sagte ich. „Ihr Stab hat ebenfalls rotiert, und sie wollten ihn nicht in meine Nähe bringen."
„Na, sehen Sie" sagte er. „Klappt doch mit dem Nachdenken. Ich wollte nur, es wäre Ihnen früher eingefallen."
„Und selbst wenn" sagte ich. „Ich war in Panik. Ich wollte mich nicht verhexen lassen."
„Ich hatte nicht vor, Sie zu verhexen" sagte er, eine Spur Erstaunen in der Stimme.
„Na, doch" sagte ich. „Der Impedimentus. Da hatte ich nun wirklich keine Lust drauf."
Er tat etwas, das mich maßlos erschreckte: Er lachte.
„Ich war dabei, Sie als impertinent zu bezeichnen, als Sie mich unterbrachen" sagte er. „Impertinent. Frei übersetzt so viel wie penetrant. Aufsässig. Entnervend."
„Oh" sagte ich.
„Ja, oh" sagte er.
Er setzte sich mir gegenüber, fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und starrte hinunter auf den Doppelstab, als könne allein die Kraft seines Willens das Holz auseinander zwingen.
„Ob man damit noch zaubern kann?" fragte ich nach einer langen, schweigenden Weile.
Er legte eine Hand auf das Holz und murmelte „Lumos". Die Doppelspitze leuchtete kurz und schwach auf, wie ein Teelicht, bevor es verlischt.
„Warten Sie" sagte ich, ich hatte eine Idee. Ich legte meine Hand auf die seine, doch bevor ich über „Lu…" hinaus war, riss er seine Hand weg, als hätte er sich verbrannt.
„Fassen. Sie. Mich. Nicht. An." knirschte er zwischen den Zähnen hervor.
„Was denn?" sagte ich verwirrt. „Ich dachte ja nur. Es braucht wahrscheinlich uns beide. Es sind ja auch unsere beiden Zauberstäbe."
„Möglich" knirschte er. „Deshalb müssen Sie mich trotzdem nicht anfassen." Er nahm das dicke Ende des Doppelstabes und drehte ihn mir zu, so dass ich das dünne Ende greifen konnte.
„Sie haben doch wirklich ein bisschen viel Zeit in diesem dunklen Keller verbracht" sagte ich kopfschüttelnd und fasste das dünne Ende. „Lumos."
Gleißendes Licht drang zwischen meinen Fingern hervor.
„Ich will diesen" sagt ein kleiner Junge mit riesigen schwarzen Augen, wilde Entschlossenheit in dem blassen Gesichtchen, und klammert sich an den Stab, als hinge sein Leben davon ab.
„Das ist eine… sehr ungewöhnliche Wahl" sagt eine sanfte Männerstimme im Hintergrund, und eine Frauenstimme seufzt.
„Ich weiß nicht, Sev" sagt sie. „Mir wäre dieser hier lieber. Birnenholz und Pegasusfeder… das hat was Fröhliches."
„Nein" sagt der kleine Junge finster. „Ich will diesen."
Das Licht verlosch.
„Oha" sagte ich verwirrt.
„Eine Erkenntnis von rein wissenschaftlichem Interesse" sagte der Mann mir gegenüber, den ich gerade anstarrte, als sei ich nicht von dieser Welt. „Ich werde mich wohl kaum zu jedem Zauber, den ich spreche, in Ihre Nähe begeben. Was ist los mit Ihnen? Was starren Sie so?"
„Nichts" sagte ich. „Ich… stehe wohl noch unter Schock."
„Dann fassen Sie sich" sagte er ungeduldig. „Wir haben Schritte zu unternehmen."
Seine Bewegung fror ein, dann schoss er in die Höhe, als hätte jemand seinen Sessel verhext, kam hinter dem Schreibtisch hervor und stürzte zur Tür.
„Keine Sorge" sagte ich. „Ich hab Wasser nachgeschüttet."
Falls möglich, erschreckte ihn das noch mehr.
„Sie haben…" sagte er, ein leichtes Zittern in der Stimme und sah zwischen mir und dem Unterrichtsraum hin und her. Der Kessel siegte. Er verschwand durch die Tür und kam kurz darauf mit versteinerter Miene zurück.
„Ich bin nicht ganz so dämlich" sagte ich, als er mit verschränkten Armen neben mir Aufstellung nahm. „Immerhin hat der Direktor mich nicht als Tränkemeisterin eingestellt, weil ich guten Pudding kochen kann. Ich versteh' schon auch was von meinem Fach."
„Rühren Sie nie wieder etwas von meinen Sachen an" sagte er.
„Ach kommen Sie!" fauchte ich und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Doppelstab. „Wie soll ich das denn machen? Seien Sie nicht kindisch! Und sagen Sie mal danke! Ihnen wird schon nicht gleich die Arroganz aus dem Gesicht fallen!"
„Wasser?"
„Nein. Kaffee. Natürlich Wasser, etwa körperwarm, etwa ein Eimer voll."
„Etwa!"
„Solche Angaben sind immer Cirka-Angaben. Es geht doch nur drum, dass es wieder ein paar Stunden über dem Feuer bleiben kann, ohne anzubrennen. Und die Temperatur bezieht sich nur darauf, dass es sich optimal mit dem Trank verbindet. Sagen Sie nicht, das hätten Sie nicht gewusst."
Er fixierte mich mit diesem Habicht-Blick, der allmählich seine Wirkung auf mich verlor.
„So lange Sie mit Cirka-Angaben operieren, bleiben Sie besser bei Pudding" sagte er.
„Verschieben wir die fachliche Diskussion" schlug ich vor. Die Gegenwart dieses Mannes erschöpfte mich. Ich wollte lieber noch etwas ausprobieren. Ich suchte zwei Kaffeekapseln aus den Taschen meiner Robe.
„Auch einen Kaffee?" fragte ich ihn, während er die Kapseln misstrauisch beäugte.
„Nein" sagte er.
„Dann leihen Sie mir wenigstens mal Ihre Hand" sagte ich. Wir umfassten den Doppelstab und ich richtete die Spitze auf eine der Kapseln.
„Coffea arabica, mit Milch und Zucker" sagte ich.
„Lass es bleiben!" faucht der kleine Junge mit den riesigen schwarzen Augen und beugt sich schützend über einen dickwandigen Kessel, in dem eine klare grüne Flüssigkeit blubbert.
„Spring am besten gleich rein" sagt eine spöttische Jungenstimme hinter ihm. „Das Zeug da drin ist eh zum Wegschütten. Auf ein bisschen mehr Dreck kommt's da nicht an."
Der Junge fährt herum und gibt damit seinen Kessel preis, eine Mischung aus Panik und Hass steht in seinem Gesicht, rote Flecken sind auf seinen Wangen erschienen. Der andere Junge kommt ins Blickfeld, er hat eine Brille auf der Nase und sieht aus, als hätte er seinen Spaß.
„Mein Trank ist perfekt" faucht er ihn an. „Besser, als deiner je werden kann, also kümmer' dich um deinen eigenen Mist!"
„Wo wir gerade von Mist sprechen" sagt ein dritter, er ist ausnehmend hübsch und schaut mit gespielter Sorge in den Kessel.
„Ich glaube, eine Mistbombe war doch die falsche Zutat" sagt der hübsche Junge sanft und holt mit dem Löffel etwas wie angebrannten Spinat aus dem Kessel.
„Hämatonostra!" schreit der Junge mit den schwarzen Augen ihn an, sein Stab ist wie aus dem Nichts in seine Hand geflogen. Der andere keucht auf, als ihm plötzlich Blut aus der Nase sprudelt und übers Kinn läuft.
„Dafür wirst du zahlen, Snivellus" sagt der Junge mit der Brille finster.
Ich zwinkerte. Vor mir stand ein blauer Keramikkrug, aus dem es dampfte. Ich nahm einen Schluck. Gewohnte Qualität, und ich gewann ein wenig Zeit, bis ich mich von meiner Überraschung erholte hatte. Ich wusste, ich durfte mir nichts anmerken lassen. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was er mit mir machen würde, aber ich gab mir gute Chancen, als Glasinhalt auf seinem Schrank zu landen.
Dann hatte ich eine mehr als beunruhigende Idee.
Wenn ich diese Dinge sah, während ich mit dem Doppelstab zauberte, was, wenn er…?
„Sie starren mich schon wieder an" sagte er.
„Entschuldigung" murmelte ich und lief knallrot an.
„Trinken Sie aus" sagte er. „Wir werden zu Olivander's gehen."
