8.
Sensai stand auf und blickte auf seinen ehemaligen Schüler herab.
„Kommt, Sess- chan!", forderte er ihn auf. Er hatte sich bewusst entschlossen, den Lord bei seinem Spitznamen aus Welpentagen zu nennen.
Statt aufzustehen, knurrte Sesshoumaru jedoch nur ein „warum?".
Den Namen Sess- chan zu hören, schmerzte. Seine Mutter hatte ihn stets so genannt und er hatte Sensai an seinem ersten Tag gebeten, ihn so zu nennen. Doch als seine Mutter tot war, wollte er diesen Namen nicht mehr hören.
„Etwas Kata wird euch gut tun. Wenn ihr stets nur auf eurem Bett liegt, werdet ihr nie die Antworten finden, die ihr sucht. Das Kata wird euch helfen, Sess- chan."
Widerwillig erhob sich Sesshoumaru. Er wusste, es würde nichts bringen, sich zu weigern. Es hatte schon früher nicht funktioniert. Warum also sollte es heute funktionieren?
Auf Kashikois dünnen Lippen bildete sich ein keines Lächeln.
Sesshoumaru entschied sich, wieder seine übliche Kleidung anzuziehen und folgte Kashikoi anschließend in den Schlossgarten. Überall wuchsen seltene Gewächse, Blumen blühten in den schönsten Farben, immer wieder durchzogen Bäche den Garten.
Die beiden überquerten mittels einer Bambusbrücke einen der größeren Bäche und gelangten schließlich zu einer Art Halblichtung.
Kashikoi setzte sich in das Gras und nahm eine Meditationsstellung ein. Er gab dem Lord zu verstehen, es ihm gleich zu tun.
Sesshoumaru wusste, was nun kommen würde. Zuerst würden sie stundenlang meditieren und danach nocheinmal ebenso lang Kata ausführen.
Früher hatte er das Meditieren gehasst. Er hatte es gehasst, so lange nichts tuend herumzusitzen. Mehr als einmal war er damals zu dem Entschluss gekommen, man könnte in derselben Zeit auch schlafen. Dabei bewegte man sich schließlich auch so gut wie nicht und tun tat man auch nichts. Zumindest dachte er es damals. Heute zog er es vor zu meditieren, anstatt zu schlafen. Es half ihm, sein Youki besser zu kontrollieren.
Mehr als zwei Stunden saßen die beiden Hundedämonen bewegungslos da. Es war kaum zu sehen, dass sich ihre Oberkörper hoben und senkten.
Doch schließlich schlug Sensai die goldenen Augen auf und stand auf. Obwohl er sich in einem tranceartigen Zustand befunden hatte, hatte Sesshoumaru dies mitbekommen und schloss nun ebenfalls seine Meditation ab. Als auch er die Augen aufschlug, fühlte er sich um einiges befreiter. Die Antworten auf seine Fragen waren nicht mehr weit entfernt. Das konnte er spüren.
Als Nächstes kam das Kata. Es ähnelte dem, dass Menschen beim Karate ausführten, aber es gab auch einige Unterschiede. Der gravierendste war wohl, dass bei diesem Kata das Youki eines Dämons mit einbezogen wurde. Wenn man es richtig ausführte, so öffnete sich der Geist vollkommen …
Allerdings war sich Sesshoumaru jetzt in diesem Moment nicht mehr sicher, ob er das Kata wirklich machen wollte. Er hatte es seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr ausgeführt. Zumindest nicht so, dass sich sein Geist öffnen würde. Aber nun, da Sensai da war, würde er es nicht absichtlich falsch machen können.
„Ich will nicht mehr mit meinen verdrängten Erinnerungen konfrontiert werden. Es hat lange gedauert, bis ich sie dort hatte, wo sie nun sind …"
„Worauf wartet ihr, Sess- chan? Wollt ihr Wurzeln schlagen oder den Himmel hypnotisieren?"
Ein leises Knurren war zu hören, doch Kashikoi ignorierte es. Irgendwann hatte er aufgehört, zu zählen, wie oft ihn der junge Lord schon warnend angeknurrt hatte. Der alte Hundedämon wusste, dass Sesshoumaru Respekt vor ihm hatte. Schon alleine deswegen würde er ihn nicht angreifen.
Widerwillig stellte sich der Daiyoukai neben seinen Lehrer und begann langsam die Bewegungen auszuführen, die ihm Sensai vormachte.
Jemand, der nicht wusste, was die beiden dort taten, konnte glauben, sie würden in Zeitlupe gegen einen unsichtbaren Gegner kämpfen.
Als sie bereits seit über einer Stunde die Bewegungen machten, begann Kashikoi eine telepathische Verbindung zu Sesshoumaru aufzubauen. Eine sehr seltene Fähigkeit bei Hundedämonen. Die Meisten besaßen nur eine niedrige Stufe dieser Kraft. Auch besser bekannt als ein gut ausgeprägter Instinkt.
„Es ist schwierig. Er hat seine Gefühle wirklich abgeschottet."
Kashikoi fragte sich auf einmal, warum er eigentlich all diese Mauern durchbrechen wollte. Eigentlich hatte ihn Jaken ja nur gebeten, herauszufinden, was mit dem Lord war.
„Man muss alles als Ganzes sehen …"
Er war sich ziemlich sicher, dass er nur dann etwas vom Lord erfahren würde, wenn er sich von hinten nach vorne arbeiten würde.
