- Kapitel 4 -

Und immer die Ohren offen halten

Sobald Toireasa aus seiner Hörweite verschwunden war, änderte Tarsuinn seine Richtung. Statt weiter Richtung Ravenclaw-Turm zu gehen, schlich er zum Büro des Direktors und setzte sich vor die Tür. Professor Dumbledore war noch nicht hier – laut Tikki – und deshalb wartete er. Den Rucksack nahm er aber diesmal vor den Bauch. Tante Glenns Bündel zwickte unangenehm im Kreuz, wenn man damit an der Wand lehnte.

Tikki war schon recht müde und rollte sich auf seinem Schoß zusammen. Sie war auch recht mitgenommen von den Ereignissen heute im Zug, wahrscheinlich sogar noch mehr als er selbst. Tarsuinn wusste nur zu gut, welche schlechten Erinnerungen sie heimgesucht hatten. Er hatte diese seltsamen Laute der Trauer bisher nur einmal so gehört wie heute, als der Dementor das Abteil betrat. Tikki hatte wieder um ihre Jungen getrauert. Das zu hören, hatte ihn so wütend gemacht, dass er kurzzeitig seine Angst vergessen hatte. Eine Angst, die er nur zu gut aus seinen Träumen kannte.

Man hatte ihn – nein, nicht ihn, sondern den Narren – versucht mit einem Dementor gefügig zu machen. Tarsuinn erinnerte sich recht genau daran, wie ihm – nicht ihm, dem anderen! – dutzende Male die Lippen dieses Wesens nahe gekommen waren. Niemals war es zu dieser Berührung gekommen. Trotzdem hatte es dem Dementor offensichtlich große Befriedigung bereitet, im Namen der so genannten Pfleger, den hilflosen Mann zu quälen. Diese widerwärtigen Wesen liebten es, Menschen ihre Glücksgefühle zu nehmen und weder ein Gewissen, noch ein Intellekt schien sie zu führen. Tarsuinn konnte nicht verstehen, warum Professor Dumbledore sie hier duldete, auch wenn er, seiner Stimme nach, damit nicht wirklich einverstanden war.

Es dauerte sehr lange, ehe Tarsuinn die Schritte des Direktors den Gang entlang kommen hörte. Er weckte sanft Tikki und brachte sie dazu, in die Kapuze seines Umhanges zu wechseln. Dann stand er auf, damit ihn der Professor nicht ausversehen übersah und nahm schon mal den Rucksack ab.

Als Professor Dumbledore um die letzte Ecke kam, war sein nächster Schritt ein wenig langsamer, aber dann kam er weiter mit normaler Schrittlänge näher.

„Guten Abend, Tarsuinn", sagte der Professor. „Recht spät für einen Besuch, denkst du nicht?"

„Wenn Sie wünschen, komme ich morgen wieder", sagte Tarsuinn höflich, ohne auf den unterschwelligen Vorwurf einzugehen. Seine eigene Schlafenszeit war noch lange nicht heran.

„Nun, so alt bin ich auch noch nicht, als dass ich unbedingt vor Mitternacht ins Bett müsste", erklärte der Professor amüsiert. „Einen Tee, Tarsuinn?"

Er nickte.

„Dann komm", sagte Dumbledore.

Der Professor führte ihn die Treppe hinauf und durch den Vorraum in sein Büro. Dampfender Tee erwartete sie schon auf dem Schreibtisch.

„Nimm Platz", forderte Dumbledore ihn auf.

Tarsuinn folgte der Einladung, doch zuerst holte er Tante Glenns Bündel aus dem Rucksack und legte es vorsichtig auf den Schreibtisch.

„Für mich?", fragte der Direktor, füllte jedoch Tarsuinn zunächst die Tasse, statt zuzugreifen.

„Ich soll das Ihnen geben", entgegnete Tarsuinn vorsichtig. „Ich hab nicht nachgesehen, was es ist."

„Warum nicht?", forschte Dumbledore nach. Ihn schien Tarsuinn's Antwort viel mehr zu interessieren als das, was da auf dem Tisch lag.

„Es gehört mir nicht und ich wurde nur gebeten es Ihnen zu bringen."

„Hat man dir verboten nachzuschauen?"

„Nein."

Tarsuinn nahm einen Schluck Tee. Er hatte nicht mit einer Fragestunde gerechnet.

„Von wem ist dieses Geschenk?", fragte Dumbledore inzwischen weiter.

„Ich weiß nicht, ob es ein Geschenk ist", wehrte Tarsuinn ab. „Ich sollte es Ihnen nur geben."

„Und von wem ist es dann?"

Tarsuinn schüttelte den Kopf. Tante Glenn hatte ihm zwar nicht verboten ihren Namen zu nennen, aber sicher war sie dazu einfach zu sehr in Eile gewesen. Schließlich hatte Malfoy sie in Verbindung mit dem Verschwinden von diesem Black gebracht. Dumbledore konnte das sicher nicht ignorieren, wenn Tarsuinn ihren Namen nannte.

„Wollen Sie nicht schauen, was es ist?", lenkte Tarsuinn ein wenig unbeholfen von der Frage ab.

Es raschelte leise.

„Oh, eine Bombe", sagte er einen Moment später entsetzt und Tarsuinn zuckte auf seinem Platz zusammen.

„Nur im übertragenen Sinn", lachte Dumbledore und Tarsuinn atmete auf.

„Das war gemein", beschwerte er sich.

„Nach den Schockmomenten, die du mir letztes Schuljahr verschafft hast, durfte ich auch einmal", freute sich der Professor und wirkte eher wie ein Lausbube von Weasleyformat, als ein Direktor der besten Zaubererschule. Tarsuinn fragte sich plötzlich, wie Professor Dumbledore so in seiner eigenen Schulzeit gewesen war. Schließlich legte er anscheinend eine große Nachsicht mit Unruhestiftern an den Tag und Tarsuinn hatte auch noch nie gehört, dass er jemandem Punkte abgezogen hatte.

„Scheint ein Teil einer Messerklinge zu sein", murmelte der Professor. „Vielleicht auch eines kurzen Schwertes."

Tarsuinn hatte da so eine genauere Vermutung.

„Kannst du etwas damit anfangen?", fragte Dumbledore. „Es scheint ein schwacher Zauber darauf zu liegen."

„Ich denke, Sie sollen darauf Acht geben", wich Tarsuinn einer direkten Antwort aus. „Es verstecken und einschließen."

„Das denkst du also", sagte Dumbledore nachdenklich. „Ein erstaunlicher Schluss, wenn man bedenkt, dass du nicht weißt, was das hier ist."

Jetzt weiß ich es vielleicht", gab Tarsuinn widerwillig zu.

„Und?", forschte der Professor nach. „Keine Sorge, ich möchte keinen Namen mehr wissen."

Tarsuinn überlegte angestrengt was er sagen sollte, doch dann erinnerte er sich daran, dass er ja Erwachsenen vertrauen sollte.

„Ich vermute, es ist ein Teil der Stillen Klinge", sagte er dann leise. „Lucius Malfoy und Gloria Kondagion wollen es und im Moment scheint es bei Euch sicher. Vorallem wenn niemand weiß, dass Sie es haben."

„Jemand muss sehr verzweifelt gewesen sein, um dir einen solch gefährlichen Gegenstand zu geben", sagte der Professor und in seiner Stimme lag die Bitte mehr zu erzählen. „Es gibt Leute, die für diese Klinge töten würden, Tarsuinn."

„Das hab ich mir schon gedacht", sagte er, um nicht als dumm dazustehen.

Einen langen Moment blieb der Professor still, dann stand er auf, ging zu einem Schrank, schloss diesen auf, dann wieder zu und kam zurück.

„Ich werde darauf achten", versprach der Professor danach überflüssigerweise. „Aber du musst mir sagen, wer außer dir, mir und deinem ominösen Auftraggeber noch davon weiß."

„Niemand", erklärte Tarsuinn. „Zumindest von meiner Seite aus."

„Das ist gut", meinte Dumbledore zur Antwort. „Ein Zitronenbonbon?"

Überrumpelt griff Tarsuinn zu und bereute es fast sofort, als ihm prickelnder und kribbelnder Schaum aus den Ohren quoll.

„Reinigt auch die Ohren", verkündete Dumbledore lachend und reichte ihm ein Tuch zum abtupfen. „Ein Stück Schokoladenkuchen?"

Wieder griff Tarsuinn ohne nachzudenken zu, aber diesmal schmeckte es einfach nur gut. Eigentlich war ja schon alles gesagt, aber ihm brannte noch etwas auf der Seele. Er wusste nur nicht, wie er fragen sollte.

Professor Dumbledore hatte da weniger Hemmungen.

„Professor Lupin erzählte mir von ein paar zerstörten Scheiben", sagte der alte Mann sanft. „Da musste ich sofort an jemand Bestimmten denken."

„Das ist aber ein Vorurteil", fand Tarsuinn.

„Nicht wenn es stimmt."

Tarsuinn verzog unangenehm berührt den Mund.

„Es stimmt", gab er kleinlaut zu.

„Ich muss sagen, ich habe mit Schlimmerem gerechnet, als ich von der Durchsuchung hörte", beruhigte ihn der Professor. „Eher war ich erstaunt, wie gut es manche Schüler verkraftet haben."

Das, fand Tarsuinn, war aber nicht genug.

„Warum schicken Sie die Dementoren nicht einfach weg", fragte er. „Man sagt doch, Sie wären der mächtigste lebende Zauberer!"

„Ja, das behaupten einige", amüsierte sich Dumbledore. „Aber anscheinend stimmt es nicht."

„Haben Sie es denn nicht mal probiert?"

„Oh doch, Tarsuinn, das hab ich. Aber warst du nicht derjenige, der mit vorhielt, dass Macht korrumpiert?"

„Ja", gestand er ein.

„Nun, ich habe die Macht vor langer Zeit abgelehnt, die mich heute dazu befähigt hätte, die Dementoren abzuhalten."

„Was wären Sie dann?"

„Zaubereiminister natürlich."

„Wären Sie dann trotzdem hier Direktor?"

„Nein."

Tarsuinn dachte einen Moment lang nach, dann sagte er überzeugt:

„Ich bin froh, dass Sie nicht Zaubereiminister sind."

Ohne Dumbledore als Direktor wäre Tarsuinn nicht mehr hier und Rica tot, davon war er inzwischen überzeugt. Er hatte inzwischen oft genug Zauberer und Hexen über Muggel reden hören und das war selten nett. Obwohl, wenn dann Professor Flitwick das Sagen gehabt hätte…

„Dem kann ich nur zustimmen", stimmte der Professor zu. „Noch ein Bonbon?"

„Klar doch!", entgegnete Tarsuinn. Er war gerade in der Stimmung dazu. „Haben Sie auch eines für die Nase?"

Wenig später war auch seine Nase zitronenfrisch und sauber. Tarsuinn machte sicher ein furchtbares Gesicht dabei. Es war, als müsse man niesen und könne nicht, nur zehnmal stärker.

„Tust du mir morgen den Gefallen und gehst nach dem Unterricht zu Madame Pomfrey?", erkundigte sich Professor Dumbledore, nachdem das Nasenkribbeln etwas abgeklungen war.

„Mir geht es doch gut", sagte Tarsuinn, über das Anliegen verwirrt.

„Obwohl ich dir nicht glaube, ist das nicht der Grund", erklärte Professor Dumbledore ernst. „Eigentlich wollte es dir Professor Flitwick nach dem Festessen sagen, aber du warst da schon verschwunden. Schon am Wochenende wird ein Geistheiler aus St Mungos kommen und Madame Pomfrey würde gern eine unabhängige Voruntersuchung machen. Vorallem, da sie einen negativen Einfluss durch die Dementoren befürchtet."

Tarsuinn murmelte ein nichts Sagendes: „Mmh."

„Sie meint es nur gut", drängte der Professor ein wenig nach einer definitiveren Aussage.

„Wenn Sie und Madame Pomfrey es so wünschen", gab Tarsuinn nach.

„Gut", murmelte der Professor. „Auch wenn ich mir wünschen würde, dass du aus eigener Überzeugung zu ihr gehst. Ich bin mir auch sicher, die Nähe der Dementoren bekommt dir nicht gut, nicht wahr?"

„Sie haben die Einhörner vertrieben", murmelte Tarsuinn leise. Es war das, was er auch schon Toireasa gesagt hatte. Aber weder Dumbledore noch seiner Freundin hatte er gesagt, dass das Lied der Einhörner für ihn der Hauptgrund dafür war, in Hogwarts zur Schule zu gehen.

„Du wirst sie nicht suchen gehen!", unterbrach Dumbledore seine Gedanken.

Daran hatte er ja noch gar nicht gedacht. Eigentlich eine gute Idee vom Professor. Leider ahnte Tarsuinn, dass er ohne ein Versprechen nicht aus dem Büro kommen würde.

„Ich werd sie nicht suchen", versprach er.

„Du wirst nicht in den Verbotenen Wald gehen", korrigierte der Professor fest.

„Ja, Professor", versprach Tarsuinn, da ihm nichts anderes übrig blieb.

„Fein", fand der Professor „Dann denke ich, ist es an der Zeit für dich ins Bett zu gehen."

Doch Tarsuinn rührte sich nicht. Er nahm einen Schluck Tee und suchte dann erneut nach den richtigen Worten, schließlich wollte er nicht vorwurfsvoll klingen.

„Du hast noch etwas auf dem Herzen?", erkundigte sich der Professor.

Wahrscheinlich wollte er damit helfen, aber Tarsuinn's Gedankenplan warf er damit völlig über den Haufen.

„Ich frage mich eigentlich, warum Aidan hier ist und seine Eltern nicht im Gefängnis", sagte Tarsuinn und ein wenig Zorn schlich sich in seine Stimme.

Damit schien er Professor Dumbledore nicht auf dem falschen Fuß erwischt zu haben und trotzdem spürte er, wie dieser seine nächsten Worte sehr sorgfältig wählte.

„Sie werden nicht eingesperrt werden", sagte der Professor leise.

„Warum?", fragte Tarsuinn umso lauter.

„Weil das, was dir und deiner Schwester passiert ist, so unbekannt ist, dass es kein Gesetz dagegen gibt", erklärte Dumbledore traurig.

„Das sollte aber nicht nötig sein", fluchte Tarsuinn bösartig. „Das bei Rica kann man doch einfach geplanten Mord nennen und ab dafür…"

„Zu den Dementoren?", fragte Dumbledore dazwischen, was Tarsuinn den Wind aus den Segeln nahm. Er bezweifelte, dass seine Schwester das gut heißen würde.

„Nein", sagte Tarsuinn deutlich ruhiger. „Aber sie hätten Strafe verdient!"

„Den Tod?"

Was sollte diese blöde Frage. Sie waren hier doch nicht in China.

„Niemand ist gestorben", schüttelte Tarsuinn energisch den Kopf. „Sie haben Strafe verdient!"

„Das bestreite ich gar nicht", beschwichtigte Professor Dumbledore. „Aber…"

„Warum gibt es immer ein aber?!", murmelte Tarsuinn frustriert.

„…ich muss dich bitten, die Sache auf sich beruhen zulassen. Vorerst."

„Was?", fauchte Tarsuinn. Er konnte nicht glauben, was er da hörte. Trotzdem verkniff er sich, was auch immer er gerade sagen wollte. Stattdessen stand er vom Stuhl auf und begann durch den Raum zu wandern. Der Professor gab ihm die Zeit, die er brauchte.

„Erklären Sie mir bitte warum!", sagte er dann tief durchatmend.

„Nun – weil ich diesen Sommer in Indien verbracht habe", erklärte der Professor nachsichtig. „Ich habe wahrscheinlich das Sanatorium gefunden, in dem man euch eingesperrt hatte und mich umgesehen. Dann habe ich mich mit der dortigen Regierung in Verbindung gesetzt und erfahren müssen, dass man dort von diesem Ort weiß, man es toleriert und es nicht verboten ist. Im Gegenteil – es ist in der magischen Welt dort erlaubt, Muggeln ihre Gesundheit und Fähigkeiten zu nehmen. Es ist zwar nicht allgemein bekannt, aber die so genannte Elite da, nutzt diese Möglichkeit sehr rege. Man hat mir recht deutlich nahe gelegt mich zu verziehen. Unerwartet deutlich! War ich gar nicht mehr gewohnt."

Dumbledore schien sich darüber ein wenig zu amüsieren. Tarsuinn konnte darüber nicht lächeln.

„Aber warum soll ich stillhalten?", sagte er. „Ich…"

„Lass einen alten Mann doch auch mal Luft holen, Tarsuinn", fuhr ausnahmsweise mal der Professor ihm über den Mund.

„Entschuldigung, Sir", murmelte Tarsuinn. Weit entfernt von Ryu-san hatte er einige schlechte Angewohnheiten in Sachen Höflichkeit gegenüber Älteren entwickelt. Die machten es aber einem nicht immer leicht.

„Tarsuinn, weißt du wer im Sommer seinen Urlaub in Indien verbracht hat?", fragte der Professor ernst.

„Ich ahne es."

„Ahnst du auch was passiert, wenn bekannt wird, was da in Indien passiert?"

„Die Davians bekommen wenigstens verbal was auf die Mütze?"

„Denke weiter, Tarsuinn", drängte der Professor und stand plötzlich direkt vor ihm. „Schau hinter die Dinge."

Angestrengt folgte er der Aufforderung. Seine Gedanken überschlugen sich. Lange Zeit weigerte er sich, wie der Verantwortliche für die Sache in Indien zu denken, aber dann gab er doch seinen inneren Widerstand auf.

„Es wäre für viele sehr verführerisch", sagte er dann leise.

Dumbledore erwartete mehr.

„Wenn es bekannt wird bevor ein Gesetz – ein wasserdichtes Gesetz – existiert, dann…"

Die Schlussfolgerung ließ ihm den Atem stocken.

„Bloß Muggel", hauchte er und wiederholte einige aufgeschnappte Worte. „Dumme, wertlose, Weltzerstörende Muggel."

Noch immer stand Dumbledore nur still vor ihm. Eine lange Minute.

„Das ist nicht nur ein Problem für England", sagte der Professor, nachdem Tarsuinn nichts einfiel. „Es gibt Länder mit besseren Regierungen, aber auch viele mit schlechteren."

„Ich seh es ja ein", meinte Tarsuinn darauf. „Aber das kann doch nicht so lange dauern."

„Und ob das lange dauern wird", plötzlich hörte sich Dumbledore etwas müde an. „Wir können nicht einfach ein Gesetz vorlegen. Man muss dem auch zustimmen, ohne dass die Zauberer und Hexen erkennen, was sie da absegnen. In manchen Ländern muss man sogar die Teilstücke in andere Gesetze verpacken. Es ist kompliziert und langwierig."

„Aber dann bleibt ihnen immer viel Zeit um noch weitere…"

„So leid es mir tut", unterbrach ihn Professor Dumbledore erneut. „Aber lieber ein paar Monate lang einige wenige, als ein paar Wochen sehr, sehr viele!"

„Das ist ziemlich hart!", flüsterte Tarsuinn.

„Nenn mir eine bessere Möglichkeit und ich werde sie ergreifen", sagte Dumbledore traurig. „Glaub mir, wir suchen sie seit zwei Wochen."

Tarsuinn konnte nur den Kopf schütteln.

„Ich werde den Mund halten", versprach er dann leise. „Bis mir eine bessere Lösung einfällt."

„Nicht mehr erwarte ich von dir", war der Professor zufrieden. „Und jetzt ins Bett mit dir, sonst hängt mich Professor Flitwick an den Flaggenmast."

„Das würde ich gern sehen, Sir!", konnte Tarsuinn es sich nicht verkneifen und handelte sich damit ein weiteres Bonbon ein.

Wenig später wanderte Tarsuinn allein mit Tikki durch die Gänge des Schlosses. Er nahm sich Zeit dafür, auch wenn ihn einige der Bilder leise ausschimpften, da er zu dieser späten Zeit nichts mehr in den Gängen des Schlosses zu suchen hätte.

Er hatte schon fast den heimatlichen Turm der Ravenclaws erreicht, als er etwas aus einem Seitengang hörte und vorallem roch.

Neugierig schlich er näher.

„Oh, das werden sie mögen", murmelte eine bösartige dünne Stimme. „Ja, die lieben Kinderlein werden das mögen."

Es war Peeves. Inzwischen kannte Tarsuinn die Stimme und vorsichtig linste er um die Ecke. Mit der Übung, die er mittlerweile besaß, entdeckte er problemlos einen hellen Fleck in seiner Wahrnehmung, der sogar eine gewisse menschenähnliche Form aufwies. Der Gestank nach altem Käse wurde nasenbetäubend.

Er tat so, als würde er Peeves nicht sehen.

„Oh man. Das stinkt hier aber", rümpfte er die Nase und spazierte an dem Poltergeist vorbei.

„Hehe – und wart mal ab, wie das morgen wird, wenn der Käse warm und zerlaufen ist. Du hässlicher Blindfisch", kicherte der Geist böse. Er schwebte vor Tarsuinn und begann hin und her zu hampeln.

„Das war bestimmt Peeves", murmelte Tarsuinn als wäre er allein und ging weiter. „Dieser kleine Aushilfsgeist und peinliche Entschuldigung für eine menschliche Seele. Na, da wird Filch sich sicher freuen."

Zu seiner Freude trafen seine Worte den Geist, der auch sofort anfing zu wettern und eine der unzähligen Rüstungen umzuwerfen. Tikki regte sich erschrocken in seiner Kapuze.

„Oh, er ist noch hier", tat Tarsuinn erschrocken und lief weg. Erst als er vor der Adlerstatue stand, fiel ihm auf, dass er das neue Passwort nicht kannte.

„Na Klasse!", fluchte er leise. Es war wohl zu spät, um Professor Flitwick noch wach anzutreffen und klopfen würde auch nichts bringen. Man sollte sich halt nicht absetzen und behaupten man würde schnell schlafen gehen, wenn man das Passwort noch nicht kannte.

Peeves kam, eine Schneise der Vernichtung ziehend, wieder näher.

„Hat Blindfisch das Passwort vergessen?", fragte er mit einer Stimme voll falschen Mitleids.

Tarsuinn ignorierte ihn. Solange Peeves nicht ahnte, dass Tarsuinn ihn sehen konnte, hatte der Poltergeist anscheinend immer noch zuviel Angst vor der Drohung exorziert zu werden.

„Ich frage mich, ob der Idiot Peeves begreift, dass er mit diesem Krach nur einen Lehrer oder Filch anlockt und dann wohl seine Falle auffliegt", sagte Tarsuinn.

Der Krach verstummte. Wieder schwebte die schemenhafte Gestalt auf Tarsuinn zu.

„Ich hasse dich!", fauchte Peeves. „Am liebsten würde ich dich in eine Toilette tunken."

Tarsuinn blickte durch ihn hindurch und sah damit eine weitere Gestalt, die gerade aus dem Adler herauskam.

„Buh!", rief die Graue Lady mit einem Hauch Todeskälte und hätte Tarsuinn sie nicht kommen sehen, er wäre zusammengezuckt. So hüpfte nur Peeves ein wenig zur Seite.

„Ach, die einsam Verstorbene", sagte er fies. „Hat sie nicht etwas in ihrem Buch zu lesen? Stehen doch so interessante Dinge darin. Wer braucht denn schon die Welt?"

„Du wirst die Finger von einen meiner Kinder lassen!", fuhr die Graue Lady ihn feindselig an. „Dies ist mein Turm! Du hast dich nach den Regeln fernzuhalten."

„Regeln!", kicherte der Poltergeist. „Die gelten vielleicht für die Schoßhündchen des Direktors."

„Nun, Peeves", sagte die Lady überlegen. „Ich an deiner Stelle, wäre da etwas vorsichtiger und würde niemanden verärgern, der ein Geistergefängnis herstellen könnte."

Peeves Schemen zitterte einen Moment, soweit Tarsuinn das sagen konnte ohne die Augen direkt auf den Geist zu richten.

„Du lügst doch", unterstellte der Poltergeist, seine Stimme zitterte jedoch.

„Habe ich jemals gelogen, Peeves?", entgegnete die Graue Lady und Tarsuinn stellte sich ein kleines Lächeln in ihrem Gesicht vor.

Lästerlich fluchend schwebte Peeves davon. Tarsuinn wartete, bis er ihn weit weg sich an irgendetwas Gläsernem abreagieren hörte.

„Aber ich kann doch gar kein Geistergefängnis herstellen", flüsterte er der Lady zu.

„Ich hab ja auch nur behauptet, du könntest", kicherte sie. „Irgendwann mal, vielleicht. Aber zunächst mal – willkommen zurück in Ravenclaw, Tarsuinn McNamara."

„Es freut mich auch, Euch wieder zu sehen", entgegnete er höflich. „Wenn auch leider nicht in Eurer vollen Pracht."

„Du hast geübt", freute sich die Lady und ein leuchtendes Tentakel streckte sich ihm entgegen und berührte kurz seine Wange. Die vertraute Kälte fuhr über seine Haut.

„Ich wollte sie nicht nur zu Halloween sehen", entgegnete er ehrlich. „Etwas Schönes zu sehen allein ist…"

„Was?", fragte sie leise und eindringlich.

„…wie ein Rausch", flüsterte er.

„Du weißt wirklich, wie man einer Frau Komplimente macht", sagte sie freundlich. „Aber warum kommst du denn nicht in den Turm?"

„Ich weiß das Passwort noch nicht", erklärte Tarsuinn. „Fehlplanung meinerseits."

Aquila Oculus", flüsterte sie ihm ins Ohr. Er schauderte kurz aufgrund ihres kalten Atems.

„Unpassender ging wohl kaum", kicherte Tarsuinn und wiederholte die Worte für den Wächter, der auch umgehend den Weg frei gab.

Drin im Gemeinschaftsraum begrüßte ihn der leise, regelmäßige Atem einer Schläferin.

„Penelope?", fragte er flüsternd.

„Ja", antwortete die Graue Lady. „Unsere neue Schulsprecherin hat die Sache etwas zu ernst angehen lassen und sich übernommen."

„Wird sie morgen wieder stinkig auf mich sein?", fragte Tarsuinn leise.

„Nicht doch", flüsterte die Lady zurück. „Penelope denkt doch, du schläfst in deinem Extraraum. Sie hat nur versucht alles zu organisieren, zu erklären und so weiter."

„Kannst du mir zeigen, wo ich schlafen soll?", bat er flüsternd.

„Aber sicher. Komm!"

Sie führte ihn zu einer Treppe (eine Treppe, die im letzten Jahr noch nicht da gewesen war) und dann einige Stufen hinauf. Kein Weg ging rechts oder links ab. Am Ende der Stufen erwartete ihn eine stählerne Tür, die von selbst vor ihm nach innen aufschwang.

„Das ist Service", bemerkte er ironisch und tastete nach der Tür. Die war richtig dick und innen auch noch mit einem weichen Überzug versehen. Tarsuinn bezweifelte, dass irgendein Laut durch sie dringen konnte. Gut, wenn er im Schlaf Krach machte. Schlecht sollte ein Feuer ausbrechen.

„Lauschiges Plätzchen", kommentierte die Lady ironisch.

Tarsuinn konnte dem nicht wirklich ernsthaft zustimmen. Zwar hatte man ihm hier ein Fenster gegönnt, aber ansonsten war das Zimmer sehr klein und kahl. Einzig ein hohes Bett stand darin und sein gesamtes Gepäck war unter diesem verstaut.

„Komm mal her und drück auf diesen Stein", forderte ihn die Graue Lady auf. Er ging zu der Wand auf die sie deutete, drückte gegen einen leicht hervorstehenden Stein und sprang überrascht zurück, als schlammartiges Schmatzen ertönte. Das Bett bremste seinen Schwung und als er beinahe auf Tikki kippte, nahm er sie lieber aus der Kapuze und legte sie aufs Kopfkissen. Dann kümmerte er sich um das, was er mit dem Druck auf den Stein ausgelöst hatte. Seine Finger fuhren über einen Holztisch, der wie aus der Wand gewachsen schien, dazu ein Stuhl aus unheimlich glattem Material, eine Lampe (da war wohl wer sehr optimistisch) und ein Zauberradio. Rechts davon befanden sich ein kleiner Brenner für seinen Kupferkessel und ein hoher Stelltisch für die Vorbereitung der Trankzutaten. Tarsuinn verstand dies nicht wirklich, prinzipiell war es eigentlich verboten, außerhalb des Unterrichts oder des Zaubertränke-Clubs zu brauen.

„Das haben die Professoren für dich gemacht", erklärte die Graue Lady.

„Ich könnte ja sonst auf den Gedanken kommen, faul zu sein", nörgelte er, aber eigentlich nur, weil man dies als Schüler so machen musste. Heimlich war er begeistert von diesem Arbeitsplatz und der Mühe, die man sich für ihn gemacht hatte.

„Gibt es so etwas Tolles auch für die Hygiene?", fragte er die Lady.

„Natürlich", entgegnete diese. „Aber vorher solltest du den Platz aufräumen. Er ist nicht unzerbrechlich und man sagte mir, dein Schlaf wäre recht destruktiv. Einfach noch mal auf den Stein drücken."

Er räumte kurz auf.

„Du solltest übrigens nichts auf dem Tisch liegen lassen, wenn du ihn verschwinden lässt", ergänzte die Lady. „Wäre sonst schade um deine Hausaufgaben. Komm – hier drüben – der Stein für die sanitären Einrichtungen."

Er probierte auch das aus.

„Das ist hier wie in der Mir", grinste Tarsuinn. „Ich fühl mich wie ein Astronaut."

„Ist die Mir so etwas wie ein Gefängnis?", fragte die Lady erstaunt. „Und was ist ein Astronaut?"

Tarsuinn lachte laut auf und begann sich fürs Bett vorzubereiten. Dabei erzählte er der Lady von der Raumstation und von den Muggeln, die damit die Erde umkreisten. Sie hörte ihm sehr interessiert zu und schien durchaus gewillt, dort mal vorbeizuschauen.

Nach dem Duschen und Zähneputzen – warum gab es eigentlich keinen Zauber dafür – baute er Tikki noch eine Art weiche Höhle zwischen seinen Sachen unter dem Bett und bugsierte die schlaftrunkene Mungodame hinein. Erst dann legte er sich ins Bett und kuschelte sich an seinen Plüschbären (Luna's Geschenk zu Weihnachten). Selbst für ihn war es spät und dementsprechend müde war er auch.

„Gute Nacht, Lady", murmelte er und schloss die Augen. „Eventuell sollten sie jetzt lieber…"

Zu mehr kam er nicht mehr, bevor ihn der Schlaf übermannte. In seinen Träumen bekam er wieder Besuche von den Dementoren, doch ab und an hörte er auch ein unbekanntes, tiefes und beruhigendes Brummen.

Am nächsten Morgen war es schon zu spät, um noch vor dem Frühstück ein wenig Thai-Chi-Chuan, wie Rica versprochen, zu üben. Tarsuinn war einfach zu spät am morgen ins Bett gegangen. Diesmal bedauerte er dies sogar, denn ein wenig geistige Klarheit hätte ihm ganz gut getan. Ständig beschäftigte er sich mit den Fragen, die das Gespräch mit Professor Dumbledore aufgeworfen hatte. Keine leichte Kost für einen Zwölfjährigen.

Eine kleine Überprüfung seines neuen Schlafraumes förderte keine fühlbaren Schäden zutage und so machte er sich recht bald auf den Weg zum Frühstück, wobei er aber im Gemeinschaftsraum auf Winona wartete, um nicht allein nach unten zu gehen. Natürlich war er dank Tikki fast nie allein, aber inzwischen hatte er sich an so was wie menschliche Gesellschaft soweit gewöhnt, dass er sie manchmal vermisste.

„Morgen, Winona", grüßte er das Mädchen, das sich eben von hinten anschleichen wollte. Das Mädchen hatte diese schlechte Angewohnheit von Toireasa übernommen.

„Ich hab doch den Schleichzauber von Toireasa benutzt", beschwerte sie sich. „Woher weißt du es dann?"

Tarsuinn grinste sie an.

„Es gibt noch mehr Sinne", erklärte Tarsuinn schwammig.

„Du bist blind, ich verberge meine Schritte mit einem Zauber, ich habe Luna's Seife verwendet, du hast mich nicht berührt und schmecken kannst du mich auch nicht!", sagte Winona. „Wie zur Hölle machst du das?"

Doch Tarsuinn nahm nur Tikki auf seine Schulter, stand auf, grinste und sang leise: „It's a kind of magic". Ein toller Titel, wie er fand. Kam leider nie im Zaubererradio.

Winona war schwer frustriert, folgte ihm aber. Luna kam auch gleich mit. Das stille Mädchen roch heute nach Winonas Seife. Man konnte es auch übertreiben. Dabei war die Lösung doch so einfach. Tarsuinn führte die beiden Mädchen weit um Peeves Falle herum, ohne jedoch den anderen Ravenclaws bescheid zu sagen. Es war schlich und einfach zu auffällig, wenn kein einziger Schüler zum Amüsement des Poltergeistes beitragen konnte.

Später beim Frühstück wurden die Stundenpläne ausgegeben und diese hielten eine unangenehme Überraschung für Tarsuinn bereit.

„Wahrsagen?", drängte es entsetzt über seine Lippen.

Doch er war nicht allein mit seiner Ablehnung des neuen Stundenplans.

„Theorie der magischen Geschöpfe?", stöhnte Winona. „Sie setzen das Experiment mit uns fort." [Wird in „Geheimnisse der Vergangenheit" noch umgebaut, um meinen leicht erweiterten Stundenplan zu erklären.]

„Wieso hast du Wahrsagen?", erkundigte sich Merton lachend. „Du lügst doch häufiger als ich."

„Ich lüge besser, nicht häufiger", entgegnete Tarsuinn immer noch geschockt. „Aber Wahrsagen…? Ich meine… Trelawney! Zwei Mal die Woche! Zusätzlich zum normalen Unterricht! Warum werde ich bestraft?"

„Vielleicht bist du einfach nur talentiert?", mischte sich Cassandra ein.

„Ich bin in Wahrsagen in etwa so begabt, wie du in Zaubertränke", schüttelte Tarsuinn den Kopf. „Apropos Zaubertränke – hast du in den Ferien geübt, Cassandra?"

„Ähem, naja – eher nicht", sagte das Mädchen verlegen und verteidigte sich dann energisch. „Ich wollt aber mal die Schnitte ausheilen lassen."

„Wenn du willst…", bot Tarsuinn an „…ich hab inzwischen mehr Zeit."

„Mir bleibt wohl nichts anderes über", stimmte Cassandra zu.

„Nicht, wenn du bestehen willst", bestätigte Ian und setzte sich zu ihnen. „Glaube kaum, dass Snape über die Ferien netter geworden ist."

„In den Ferien war er es nicht", brummte Tarsuinn und dachte an seinen Privatunterricht bei dem Professor.

„Was ist passiert?", erkundigte sich Merton neugierig.

„Sagen wir es so", entgegnete Tarsuinn vorsichtig. „Ich wünsch ihn mir nicht in Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Lieber soll er Zaubertranklehrer bleiben."

„Komm schon, erzähl mehr", drängten nun auch Ian und Cassandra. Winona kannte die Geschichte schon bis auf ein oder zwei Einzelheiten.

„Es war wie in einem Duellierclub", sagte Tarsuinn die halbe Wahrheit. „Nur dass man immer verliert. War nicht angenehm. Snape kennt üble Tricks."

„Also würde man ne Menge bei ihm lernen?", erkundigte sich Ian weiter.

„Aber nicht das Richtige", bejahte Tarsuinn indirekt. „Und es tut ab und an echt weh."

„Das tat es im Duellierclub auch", wehrte Ian locker ab. „Aber da haben wir mehr gelernt als bei Lockhart das ganze Jahr über."

„Vielleicht taugt ja der neue Professor – dieser Lupin – was", fand Winona. „Ich meine, den Dementor hat er doch ganz gut vertrieben, oder?"

„Er sieht ein wenig schwach aus", zweifelte Ian. „Möchte nicht wissen, wo Professor Dumbledore den aufgegabelt hat. Hab gehört, es war nicht einfach jemanden für die Stelle zu finden."

„Warten wir doch einfach ab", mischte sich Tarsuinn ein. Er fuhr mit den Fingern über den Stundenplan. „Wir haben ihn doch heute Nachmittag."

„Aber das nimmt doch den Spaß am Spekulieren", warf Merton ein. „Sei nicht so logisch. Also weiter. Was glaubt ihr, wo er herkommt?"

Tarsuinn hörte den anderen nur noch mit halbem Ohr zu. Der langsam zunehmende Lärm in der Großen Halle war, nach den größtenteils ruhigen Ferien, ungewohnt und es gab viel zu hören. Witzige Feriengeschichten, kleine Streitereien, Schulängste. Ein paar Ravenclaws machten sich Sorgen wegen den ZAG-Prüfungen, die sie demnächst nachholen mussten. Schließlich waren die ja letztes Schuljahr ausgefallen.

Am Lehrertisch jedoch war es ungewöhnlich still. Tarsuinn konnte nicht erfassen warum. Normalerweise war Professor Flitwick immer derjenige mit der guten Laune am Tisch und Professor Dumbledore schien immer alles mit einem Augenzwinkern zu sehen. Aber heute war die Stimmung irgendwie gedrückt. Ob das an den Dementoren lag? Oder war da noch was anderes? Wenn Tarsuinn gar nichts gehört hätte, dann wäre er der Ansicht gewesen, dass man seine Ohren auf magische Weise ausgesperrt hätte. Aber er konnte immer noch zuhören, nur war da außer ein paar Höflichkeitsfloskeln nicht viel aufzuschnappen. Wie langweilig!

Abwechslung brachte dann die morgendliche Post. Leider hatte Tarsuinn nichts vergessen, so dass es kein Päckchen für ihn gab. Winona erhielt dafür umso mehr, wobei er fast vermutete, dass sie die Hälfte davon absichtlich zu Hause gelassen hatte, damit es recht bald ein kleines Paket gab. Schließlich schien es Mr und Mrs Darkcloud unmöglich, größere Post ohne die Beigabe von Süßigkeiten zu schicken.

Winona schob ihm einen Schokofrosch in die Hand.

„Für dich!", sagte sie ironisch. „Ma meint, sie musste ihn Rica aus der Hand reißen, so scharf ist sie inzwischen auf die Schokofrösche und die Karten. Wenn das so weiter…"

Ein tiefes Rauschen unter der Decke lenkte Tarsuinn ab. Es klang viel größer, als das jeder Eule, die er bisher gehört hatte. Etwas schlug neben ihm im Rührei ein.

„Ein Postadler", sagte Luna.

„Was?", fragten alle ringsherum.

„Na der Adler eben", erklärte Luna.

Außer dem Mädchen schien niemand das Tier gesehen zu haben.

„Er hat Tarsuinn Post gebracht", verteidigte sich das Mädchen, so als würde man ihr nicht glauben.

Tarsuinn, der eben den Brief, Päckchen traf es eigentlich besser, von Eiresten befreite, schüttelte den Kopf.

„Ist für Winona", sagte er und reichte das Päckchen an das Mädchen weiter, welches erstaunlich ruhig geblieben war. Sie nahm es entgegen, erhob sich und verließ den Frühstückstisch.

„Oh, Geheimpost", flüsterte Ian. „Sicher interessant für Luna."

„Mich interessiert eher der Adler", korrigierte das Mädchen distanziert. „Sah nicht wie eine heimische Tierart aus."

„Ach – du und dein Adler", wehrte Ian ab. „Gibt es dir nicht zu denken, dass nur du diese Sache siehst, Luna? War bestimmt nur eine große Eule."

„Ich hab ihn gehört", führte Tarsuinn zur Verteidigung Luna's ein. „Das war ganz sicher keine Eule."

„Aber du kannst nicht sagen, dass es ein Adler war, oder?", fragte Ian, der nicht nachgeben wollte. „Nimm es mir nicht übel, aber in der Beziehung ist deine Zeugenaussage nicht sonderlich eindeutig."

„Ich denke trotzdem, dass Luna recht hatte", entgegnete Tarsuinn überzeugt.

„Ja, aber niemand kann es beweisen!", verkündete Ian überlegen.

„Winona kann es", bemerkte Luna in einem Ton, als würde sie das hier gar nichts angehen. Als wäre jemand anderes der Auslöser.

„Sie hat gar nicht hingesehen", widersprach Merton eher vorsichtig.

„Trotzdem weiß sie es", beharrte Tarsuinn auf Luna's Standpunkt. „Ich geh sie am besten suchen."

Er stand auf, wartete kurz auf Tikki und ging dann los.

„Kommt nicht zu spät zu Kräuterkunde!", rief Cassandra ihm nach.

Tarsuinn winkte zustimmend, aber im Grunde machte er sich darüber keine großen Gedanken. Madame Sprout sah die Sache nicht so eng, so lange man eine plausible Ausrede hatte.

Leider fand er keine Spur von Winona. Selbst Tikki war sich nicht schlüssig, wo sie abgeblieben sein konnte. Er fand Winona weder im Turm (nahm aber da wenigstens seine Schulbücher für den Tag mit), noch in der Nähe der Gewächshäuser. Deshalb gab er recht bald auf und schlenderte über die Wiesen. Schließlich hatte er noch eine ganze Weile bis Unterrichtsbeginn.

Obwohl ihm die Anwesenheit der Dementoren schwer im Magen lag, näherte er sich den Grenzen des Schlosses wie eine Motte dem Licht. Laut seinem inneren Gefühl – ein Geschenk des Großen Einhorns – lebten die Dementoren nicht. Leben war Wärme in seinem Bauch, Magie war ein Kribbeln, leblos war ein Nichtgefühl. Aber Dementoren und Geister waren Kälte. Seltsamerweise stach dieses Gefühl bei den Dementoren mitten auf seiner Stirn und nicht im Bauch. Auch war es keine reine Kälte, Kälte konnte durchaus schön sein, sondern irgendwie ein wenig schmutzig und doch mit Leben durchzogen. Fast so, als hätte man Müll eingefroren.

Es mochte vielleicht sein, dass er diesen Wesen damit doch Unrecht tat, aber er fand sie trotzdem zum Kotzen. Seltsamerweise waren die Dementoren gar nicht wirklich an der Grenze zum Schloss, wie er feststellte, sondern weit dahinter, quasi schon im Verbotenen Wald.

Und jemand war bei ihnen. Jemand der lebte.

Normalerweise war dies sicher nichts Besonderes, schließlich musste ja auch Dumbledore mit ihnen gesprochen haben, aber Tikki machte Geräusche, als würde sie Snape oder jemand anderes wahrnehmen, den sie nicht mochte.

„Lauschen?", fragte er Tikki. Tarsuinn hatte Rica versprochen auf Tikki zu hören.

Tikki's Antwort interpretierte er als ein ja.

„Such uns einen guten Weg", flüsterte er und dachte zum Glück noch an sein Versprechen. „Aber nicht in den Wald!"

Sie pfiff erneut zustimmend und führte ihn im Zickzackkurs auf die Geräusche zu. Alsbald konnte er eine menschliche Stimme hören, die mit sich selbst zu sprechen schien. Doch in den Pausen, die der – männliche – Mensch machte, berührten nur seltsam schnarrende Geräusche seine Ohren.

Er berührte schon den ersten Baum des Waldes, als er endlich verstehen konnte, was der Mann sagte. Es war keine unbekannte Stimme.

„Das Ministerium hat mich angewiesen,…", sagte die Stimme Snapes „…Ihnen alle Informationen über Black zu geben. Ich kenne ihn gut."

Schnarrende Geräusche.

„Ja, sehr gut. Ich bin aus persönlichen Erfahrungen vertraut mit seinen Möglichkeiten. Schockzauber, Todesflüche, die Unverzeihlichen Flüche, Schutzsprüche, ja – auch den Patronus-Zauber. Sie sollten ihn nur in Gruppen einfangen oder, wenn es nicht anders geht…", Snape klang, als würde er dies bevorzugen. „…dann werden Sie ihn töten müssen."

Wieder schnarrende Geräusche.

„Schließlich ist er Ihnen schon einmal entkommen!"

Plötzlich klang der Professor, als würde er gewürgt werden.

„Aufhören!", konnte er trotzdem hervorbringen und klang Augenblicke später wieder stark. „Halten Sie sich vom Schloss fern und fangen Sie Black! Das ist hier Ihre einzige Aufgabe."

Das Schnarren wurde etwas lauter.

„Nein! Professor Dumbledore wird darüber nicht verhandeln. Sie bleiben den Schülern und dem Schloss fern!"

Noch lauteres Schnarren und diesmal klang es nach Worten. Eine unverständliche Sprache zwar, aber eindeutig kein sinnloses Geplappere.

„Warum interessiert Sie das?"

„Das geht Euch nichts an!"

„Nein! Kehren Sie auf Ihren Posten zurück! Sofort!"

Tarsuinn wusste, wann es Zeit war zu verschwinden.

„Tikki, schnell weg hier!", sagte er seiner kleinen Freundin. „Wir kommen eh zu spät."

Sie liefen so schnell es ging zu den Gewächshäusern.

Als er den Unterricht schon fast erreicht hatte, blieb er noch einmal stehen.

„Ich brauch ein Alibi, Tikki", keuchte er. „Ist es okay für dich, wenn du ein wenig schnüffeln gehst?"

Tikki verstand und lief mit einem fröhlichen Gruß davon.

Tarsuinn tastete sich zu dem Gewächshaus, machte eine kleinen Umweg an der Glaswand entlang, damit es von außen so aussah, als ob er den Eingang suchte und ging dann erst durch die Tür.

„Schön, dass Sie sich doch noch zu uns gesellen, Mr McNamara", begrüßte ihn Professor Sprout. „Dürften wir erfahren was Sie aufgehalten hat?"

„Ich habe Tikki gesucht, Professor", log Tarsuinn, wie es die Pflicht eines jeden Schülers war, der absichtlich zu spät kam. „Sie ist nicht zufällig hier?"

„Nein, ist sie nicht", entgegnete die Lehrerin leicht verlegen. Professor Sprout war immer etwas befangen, wenn sie mit Tarsuinn redete. Sie gab sich immer Mühe, ihn wie jeden anderen zu behandeln, aber im Endeffekt schaffte sie es selten ihr Mitgefühl für ihn zu beherrschen. Leider war heute so ein seltener Tag.

„Ravenclaw fängt mit einem Minuspunkt dieses Jahr an", sagte die Lehrerin und es schien ihr selbst weh zu tun, auch wenn sie die Hauslehrerin von Hufflepuff war. „Es ist im Moment nicht die Zeit, um allein durch Hogwarts zu irren. Merken sie sich das und bleiben sie bei ihren Hauskameraden, wenn sie ihre Helferin verlieren."

Tarsuinn beschloss nicht zu diskutieren. Snape hätte ihm fünf oder mehr Punkte abgezogen, da kam er hier noch gut weg.

Was ihn nur wurmte, war das blöde Gekichere der Slytherins.

„Wo bist du gewesen?", flüsterte Cassandra vorwurfsvoll, als er sich zu den Ravenclaws gesellte, bei denen auch Toireasa stand.

„Hab Winona gesucht", erklärte er.

„Und warum hast du nicht einfach hier auf mich gewartet?", fragte Winona amüsiert.

„Wäre zu einfach gewesen", lächelte er.

„Ruhe!", unterbrach Professor Sprout laut. „Ihr habt sicher letztes Jahr gelernt, wie nützlich eine Alraune sein kann und wie alle Zweitklässler, werdet ihr heute das Umtopfen von Jungalraunen erlernen. Zieht deshalb die Drachenlederhandschuhe an und achtet vor allem darauf, die Ohrenschützer ordentlich aufzusetzen. Halt, jetzt noch nicht aufsetzen. Ihr werdet nachher nichts mehr hören. Also achtet genau darauf, wie ich die Alraune umtopfe und lasst euch keine Kleinigkeit entgehen. So, jetzt Ohrenschützer auf! Solltet ihr mich jetzt noch immer hören, dann…"

Professor Sprouts Stimme verstummte. Da Tarsuinn nichts sah, wartete er einfach – nur um einige Minuten später, weit weg vom Gewächshaus aufzuwachen.

„Endlich bist du wach", begrüßte ihn Toireasa und half ihm auf die Beine. „Deine guten Ohren haben mich vor einer Stunde Kräuterkunde bewahrt."

„Was ist passiert?", fragte Tarsuinn verwundert. Er konnte sich an nichts erinnern

„Tja, Professor Sprout hat wohl keine Qualitätsware in Sachen Ohrenschützer gekauft", meinte Toireasa. „Kaum war die erste Alraune draußen, hast du auch schon den Fußboden geküsst. War ein ziemliches Hallo bei den meisten Slytherins – du weißt schon."

„Ich hab meine Ohrenschützer richtig aufgehabt", beschwerte sich Tarsuinn.

„Weshalb Professor Sprout dich auch hinausbrachte. Ich glaub, sie war besorgt, weil du trotz Ohnmacht noch gezuckt hast."

„Ich wette, Madame Pomfrey war auch schon da?"

„Ja, aber nur kurz", grinste Toireasa. „Sie meinte, endlich mal eine völlig normale Ohnmacht aufgrund der Schreie von Jungalraunen."

„Schön jemandem eine Freude machen zu können", sagte Tarsuinn sarkastisch. „Leider muss ich dir wohl die Stimmung versauen, jetzt, da ich dich mal allein erwische."

„Inwiefern?", fragte sie misstrauisch.

„Wegen deiner Ex-Stiefeltern", antwortete Tarsuinn und machte vorsichtshalber eine Pause.

„Was ist mit denen?"

Toireasa schien von diesem Thema absolut nicht begeistert. Ihre Stimme war wie ein Gletscher.

„Wir dürfen nichts gegen sie sagen!", ließ er die Bombe platzen. „Niemand darf von dem Feuerrubin und den Siegeln erfahren. Sie haben die Theorie als unbegründet abgelehnt. Lassen wir sie in dem Glauben."

„Das ist nicht dein Ernst, oder?", wollte Toireasa ärgerlich wissen. „Nachdem was sie dir angetan haben? Was mit deiner Schwester passiert ist? Willst du sie einfach so davon kommen lassen?"

„Das will ich nicht!", beruhigte er sie, obwohl sie genau so reagierte, wie er selbst bei Professor Dumbledore.

Aus diesem Grund erzählte er ihr von seinem Gespräch und bemerkte erfreut, wie die Argumente des Professors auch bei ihr wirkten. Als er geendet hatte seufzte sie deutlich ruhiger: „Ich hasse Logik!"

„Geht mir genauso", betonte er und stöhnte in einer plötzlichen Erkenntnis auf. „Jetzt muss ich das noch Winona verklickern."

„Also, wenn du mich in dieser Sache überzeugen konntest…"

„Reden wir hier von derselben Winona?", forschte er mit ironischem Lächeln. „Unser Temperamentsbündel?"

„Okay – ich werd dir helfen", gab Toireasa seiner unausgesprochenen Bitte nach.

Zu ihrer beider Überraschung war es jedoch überhaupt nicht schwer, das andere Mädchen in der Pause zwischen Kräuterkunde und Zauberkunst zu überzeugen. Winona schien mit ihren Gedanken ganz wo anders zu sein.

„Ich bin schon ganz gespannt, Tarsuinn heute zaubern zu sehen", lenkte Winona von Fragen nach ihrem Befinden ab, was er gar nicht witzig fand.

„Glaub nicht, dass ich das im Unterricht probieren sollte", lehnte er zweifelnd ab. „Was, wenn es schief geht?"

„Na du übertreibst doch, oder?", erkundigte sich Winona ungläubig.

„Eher untertreibt er", sagte Toireasa, bevor er selbst antworten konnte. „Glaub uns doch endlich."

„Das ist ziemlich schwer, weil es so übertrieben wirkt, was ihr erzählt habt, aber…"

„Ist es nicht!", beharrte Tarsuinn.

„…aber du hast doch selbst gesagt, dass nur bei Dunkle Künste dir die Sache aus der Hand gleiten kann."

„Mag ja sein", gab Tarsuinn nach kurzem Nachdenken zu. „Nur – was wenn Regina oder einer der anderen Slytherins mich provozieren und ich übertriebenen Mist baue?"

„Dann übst du dich zu beherrschen und sie bekommen, was sie verdienen", entgegnete Winona feindselig.

„Ich glaub, wir müssen mal übertrieben definieren", schüttelte Tarsuinn den Kopf. „Und du kleine Lady, bist im Moment irgendwie brutal drauf."

„Stimmt ja", gab sie nach drei tiefen Atemzügen zu. „Es ist nur weil…"

Diesen Moment suchte sich Professor Flitwick aus, um unpassender Weise seinen Unterricht zu beginnen.

„Willkommen im neuen Schuljahr", rief er von seinem Stapel Bücher herunter. „Ich kann Ihnen allen versprechen, es wird noch besser und interessanter als im letzten Schuljahr. Schließlich beherrschen Sie jetzt die Grundlagen und wir können uns an kompliziertere Zauber wagen. Doch bevor es soweit ist, sehen wir einmal, was denn alles vom letzten Jahr hängen geblieben ist. Da sie ja in den Ferien nicht üben dürfen, ist dies die perfekte Möglichkeit für Sie, sich selbst zu testen. Fangen wir mit einem einfachen Funkenzauber an. Mr McNamara, welche Farbe sollte ein Funkenzauber haben, der dazu gedacht ist Hilfe herbeizurufen?"

„Rot, Professor", antwortete Tarsuinn umgehend.

„Könnten Sie bitte einen solchen Zauber sprechen?"

Tarsuinn nickte und versuchte sich zu konzentrieren. Tief durchatmend versuchte er ein wenig Angst zu empfinden, gepaart mit dem Gefühl Hilfe zu brauchen. Das war gar nicht so einfach, wenn man nicht in Gefahr war.

Ruber micare!", sagte er dann deutlich und machte die richtigen Gesten mit dem Zauberstab, den er schon seit einiger Zeit mit Farbe überzogen hatte.

Irgendwas geschah. Auf der Slytherinseite wurde hämisch gelacht, während einige Ravenclaws aufmunternd klatschten.

„Was ist passiert?", fragte Tarsuinn leise.

„Drei rote Funken", erklärte Winona und knuffte ihn aufmunternd. „Lass dich von denen da drüben nicht ärgern. Das war Klasse."

„Für den Anfang nicht schlecht!", fand auch Professor Flitwick. „Trotzdem werden Sie noch viel nachholen müssen, was die Kontrolle ihrer Kräfte angeht, Mr McNamara. So – und jetzt alle zusammen! Ruber micare!"

Tarsuinn erzeugte innerhalb dieses Unterrichts noch mehrere Lacher bei Regina und Konsorten. Am Ende der Stunde war er so zornig, dass er nicht mal mehr einen kleinen Farbzauber zustande brachte. Für einen Fluch aber wären seine Gefühle perfekt gewesen. Er war froh, dass sie Verteidigung gegen die Dunklen Künste zusammen mit den Hufflepuffs haben würden. Da war die Chance die Kontrolle zu verlieren viel geringer. Vielleicht sollte er aber trotzallem besser seinen Spielzeugzauberstab nehmen. Den hatte er ja vorsichtshalber auch schon mit derselben Farbe behandelt, wie seinen richtigen Zauberstab.

In der nächsten Stunde hatte er wenigstens Zeit sich von den Slytherins zu erholen. Schließlich hatten sie Geschichte der Zauberei bei Professor Binns zusammen mit den Gryffindors. Einziges Problem dabei war nur, dass er den toten Professor inzwischen gut hören konnte und es ihm schwer fiel, sich der einschläfernden Wirkung seiner Stimme zu entziehen. Doch im Gegensatz zu den anderen Schülern in der Klasse, hatte Tarsuinn wenigstens die Möglichkeit sich mit den Büchern zu unterhalten, deren interessante Fakten Professor Binns absolut langweilig erscheinen ließ. Aus diesem Grund war Tarsuinn der wahrscheinlich einzige Schüler der Schule mit umfangreichen Mitschriften aus dem Unterricht. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass irgendwer so strebsam sein konnte, Professor Binns öde Informationenflut mitzuschreiben.

„Bekomme ich nachher deine Mitschriften?", erkundigte sich Merton verschlafen.

„Ich auch?", hauchte Cassandra.

„Und vergiss mich nicht", murmelte Alec, der gerade Karten mit zwei Gryffindors spielte.

„Ähem – könnten wir auch", erkundigte sich eine unbekannte Mädchenstimme. Tarsuinn war recht erstaunt darüber, denn eigentlich glaubte er alle Stimmen seiner Altersgruppe zu kennen.

„Gern", flüsterte er und wandte den Kopf dem unbekannten Mädchen zu. „Aber wer bist du?"

„Ich bin Ginny, Ginny Weasley", flüsterte sie zurück.

„Ach", entfuhr es ihm.

„Ja, das Mädchen aus der Kammer des Schreckens", murmelte sie genervt.

„Eigentlich dachte ich eher: das Mädchen was nie was sagt", korrigierte er, obwohl es zu fünfzig Prozent eine Lüge war.

„Naja – ich hatte nicht die Erlaubnis viel zu sagen", sagte sie betreten.

„Das hat sich ja jetzt geändert", lächelte Tarsuinn aufmunternd. „Sobald dieses faule Pack aus meinem Haus sich Abschriften gemacht hat…"

Ein allgemeines und gespielt-verletztes: „Heh!", ertönte um ihn herum.

„…kannst du sie haben."

„Danke, nett von dir."

„Ist meine einzige Möglichkeit mich nützlich zu fühlen", grinste Tarsuinn. „Ansonsten bin ich immer derjenige der abschreibt."

Das stimmte zwar nicht, aber irgendwie hatte er das Gefühl, das Mädchen brauchte etwas Zuspruch. Er konnte sich vorstellen, dass einige Leute einen recht befangenen Umgang mit ihr pflegten. Kein Wunder, wenn man an das letzte Jahr dachte und an die Gerüchte, die man hörte. Schließlich hieß es, sie wäre von Lord Voldemort besessen gewesen und unter dessen Führung für die Versteinerungen verantwortlich. Viele fragten sich, ob der Einfluss wirklich vollkommen gewichen war und laut Toireasa schürte Draco Malfoy solche Gerüchte auch noch. Der Slytherin-Junge schien alles zu hassen, was Weasley hieß und das allein machte das Mädchen per se schon mal sympathisch und Hilfe für sie zu einem Dienst gegen Slytherin und, in seinen Augen, zu einer kleinen Rache für Spötteleien in die Zauberkunststunde.

Wieder halbwegs guter Laune, ging es zu dann zum Mittagessen und danach zu Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Während des Essens hatte sich auch Tikki wieder zu Tarsuinn gesellt.

Alle waren schon recht aufgeregt, denn sie waren die erste Ravenclaw-Klasse, die bei Professor Lupin Unterricht haben würde. So waren sie alle erwartungsvoll und viel zu früh im Unterrichtsraum, der inzwischen nicht mehr durch Lockharts Bücher akustisch verschandelt wurde.

Auch Professor Lupin war eher da und Tarsuinn erfuhr recht schnell warum.

„Wer von Ihnen ist Tarsuinn McNamara?", fragte der Professor freundlich.

Zögernd erhob sich Tarsuinn.

„Würdest du mich bitte in mein Büro begleiten?", bat der Lehrer ausgesprochen höflich, so als wäre Tarsuinn kein Kind, sondern eine vollwertige Person. Alle Lehrer in Hogwarts, die er vorbehaltlos respektierte, waren so. Tarsuinn folgte dem Professor, nachdem Tikki auf seine Schulter gesprungen war. Sie schien recht wachsam, so als wollte auch sie sich ein Bild von dem neuen Lehrer machen.

Im Büro angekommen, bat Professor Lupin ihn kurz Platz zu nehmen, doch Tarsuinn blieb einfach stehen. Seine alte Paranoia zwang ihn zur Vorsicht bei Unbekannten. Professor Lupin nötigte ihn nicht zum Sitzen.

„Professor Flitwick sagte mir, ich solle unbedingt vor dem Unterricht mit dir sprechen", begann der Professor. „Willst du mir mitteilen wieso? Der Professor war in dieser Beziehung sehr – nennen wir es schwammig. Er wies mich nur auf mögliche Probleme hin."

Dies war unerwartet für Tarsuinn. Eigentlich hatte er gedacht, dass man einen neuen Professor auf die Gefahren hinwies, die von ihm ausgingen. Warum hatte man dies nicht getan?

„Sie sollten mich nicht drängen zu zaubern und mir niemanden in den Weg stellen!", sagte Tarsuinn nach kurzer Überlegung.

„Darf ich auch wissen wieso?", hakte der Professor nach.

„Ich hab…", entgegnete Tarsuinn verlegen. „Ich hab meine Magie nicht unter Kontrolle, Professor. Es passieren manchmal unvorhergesehene und gefährliche Sachen. Außerdem habe ich ein großes Problem beim Zielen."

„Ich erinnere mich", sagte der Professor sinnend. „Du warst der Junge in dem Zugabteil, bei dem die Fenster herausgeflogen waren. Ist dies ein Beispiel für deine Probleme?"

„Ein relativ schwaches", übertrieb Tarsuinn ein wenig. So richtig gefährlich war er nur, wenn er schlief.

„Ach wirklich?", zweifelte der Professor mild.

„Wirklich!", behauptete Tarsuinn fest.

„Du bist nicht sonderlich gesprächig", unterstellte ihm der Professor.

„Das stimmt", gab er unumwunden zu. „Aber es ist besser so."

„Für dich oder für mich?"

„Für mich."

Heh! Das klang richtig cool.

„Und mehr willst du mir wirklich nicht mitteilen?"

„Vorerst nicht."

„Gut, dann kannst du jetzt gehen."

Tarsuinn drehte sich um und ging zur Tür, doch dann fällte er eine Entscheidung.

„Professor?"

„Ja?"

„Ich werde vorerst keine Flüche innerhalb des Unterrichts üben", erklärte Tarsuinn.

„Normalerweise treffen nicht Schüler eine solche Entscheidung", sagte der Professor und seine Stimme schwankte zwischen Tadel und Belustigung.

„Sie können mir Punkte abziehen soviel sie wollen, Professor Lupin", meinte Tarsuinn Schulterzuckend. „Aber meinen Entschluss werde ich nicht ändern."

Lange Sekunden musste Tarsuinn auf eine Entgegnung warten.

„Beantwortest du mir eine andere Frage?", fragte der Professor, statt auf Tarsuinn's Worte einzugehen.

„Wenn ich sie beantworten kann…?!", antwortete Tarsuinn vorsichtig und drehte sich wieder dem Mann zu.

„Vorsichtig und ein harter Brocken", lachte der Professor. „Aber ich habe nur ein paar neugierige, persönliche Fragen."

„Sie dürfen fragen", forderte Tarsuinn ihn auf.

Wieder amüsierte sich der Professor etwas.

„Nun. Hast du im Zug zum ersten Mal einen Dementor gesehen?", fragte Lupin interessiert.

„Ich habe noch nie einen Dementor in Realita gesehen", entgegnete Tarsuinn und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

„Erklärst du mir das, Tarsuinn?"

„Finden Sie es heraus", kicherte er jetzt ungehemmt. Doch statt ihn dafür zu Rügen, fragte Professor Lupin einfach weiter.

„Hattest du Angst?"

„Unheimlich."

„Und trotzdem warst du in der Lage zu zaubern?"

„Das war eher der Instinkt, der gezaubert hat", Tarsuinn's Lächeln verblasste etwas. „Es hat nichts bewirkt."

„Was für ein Zauber?", forschte der Professor tiefer.

„Ähem, ich hab ihm nur die Scheibe um die Ohren fliegen lassen und versucht ihn aus dem Zug zu drücken, damit er von der Brücke fällt. Beides ziemlich sinnlos."

„Du hast ihn immerhin verletzt."

Tarsuinn kniff kurz die Lippen aufeinander.

„Hab ich nicht", widersprach er.

„Ich bin mir sicher, der Dementor war verletzt", betonte der Professor.

Tarsuinn schüttelte den Kopf.

„Dann müssen Sie das gewesen sein, Sir. Ich war es sicher nicht."

„Wie sicher bist du dir da?"

„Ganz sicher."

„Woher nimmst du diese Sicherheit?"

Dies war eine Frage, die Tarsuinn nicht beantworten wollte. Er konnte dem Professor nichts von dem Gefühl erzählen, welches ihm das Große Einhorn geschenkt hatte. Das Ministerium schien eh schon zu glauben, dass er verrückt war, da konnte er so was nicht einem Unbekannten mitteilen.

„Das kann ich nicht sagen."

„Glaubst du einer der Vertrauensschüler hat…?", hob der Professor an.

Tarsuinn schüttelte den Kopf.

„Wer aber dann? Hast du jemanden gesehen? Oder irgendetwas?"

Es war seltsam den Professor jetzt zu hören. Er klang besorgt, so als fürchte er eine bestimmte Antwort.

„Erinnere dich bitte genau!", forderte der Professor. „Hast du ein ungewöhnliches Tier gesehen? Eines, das nicht unbedingt nach Hogwarts gehört?"

So unverständlich die Frage war, Tarsuinn dachte trotzdem intensiv darüber nach. Der Professor schien viel Wert auf seine Antwort zu legen.

„Hast du vielleicht etwas gehört? Außerhalb des Zuges? Eine Zauberformel? Atemzüge?", veränderte Professor Lupin seine Frage.

Dieses Drängen in der Stimme des Professors ließ Tarsuinn noch intensiver zurückdenken. Das war nicht angenehm, aber doch leichter als erwartet.

Da waren viele angstvolle Stimmen gewesen. Tikki's Wehklagen, Luna's Weinen um ihre Mutter und dieses eiskalte sich nähernde Gefühl. Dazu noch seine eigenen Traumstimmen. Es war ihm einfach unmöglich zu entscheiden, was real gewesen war und was nicht.

„Ich kann es nicht sagen", teilte Tarsuinn dem Professor mit und hob abwehrend die Hände. „Nicht, weil ich es nicht will. Ich kann es einfach nicht."

„Nun denn", sagte der Professor leicht enttäuscht. „Ich denke, dann sollten wir die anderen nicht mehr warten lassen. Wir sind etwas spät dran."

Der Professor stand auf und kam zu Tarsuinn.

„Weißt du, Tarsuinn", sagte Professor Lupin. „Ich glaube, du bist der einzige Zwölfjährige den ich kenne, der einem Kappa nicht einen Blick gönnt."

Tarsuinn zuckte nur lächelnd mit den Schultern.

„Kennt man einen, kennt man alle", amüsierte er sich auf Kosten des Professors und ging voraus, in den Klassenraum zurück. Der Professor folgte ihm.

„Was war los?", konnte Winona sich eine neugierige Frage nicht verkneifen.

Tarsuinn winkte nur ab, denn Professor Lupin hatte schon mit dem Unterricht begonnen.

„Es freut mich euch kennen zu lernen", eröffnete der Professor seine Stunde. „Wie ihr ja wisst, ist mein Name Professor Lupin und ich werde euch in der Verteidigung gegen die Dunklen Künste unterweisen. Ich hoffe, wir können gut zusammen arbeiten. Scheut euch nicht mich zu fragen, sollte euch etwas unklar sein. Dieses Fach ist sehr schwierig und ich wage zu behaupten, auch das Gefährlichste. Natürlich wird euch das schon so mancher Lehrer gesagt haben, aber ihr müsst euch immer bewusst sein, hier Fehler zu machen, kann euren Gegenüber verletzen. Also, nehmt Rücksicht, seid aufmerksam und…ja, Miss?"

„Phyllis O'Hara, Professor", antwortete ein Hufflepuff-Mädchen.

„Du hast eine Frage, die nicht bis nach meine kleine Ansprache warten kann", fragte der Professor ironisch.

„Ähem, ja. Es hat…naja Zeit", entgegnete das Mädchen verunsichert.

„Nun frag schon", forderte der Professor sie auf. „Meine Rede ist eh dahin."

„Ich hab mich gefragt…", stotterte Phyllis. „…nun, ob das bedeutet, dass wir bei Ihnen zaubern werden."

„Was denn sonst?", amüsierte sich der Lehrer. „Eine grundsätzliche theoretische Grundlage mag zwar wichtig sein, jedoch ohne die Praxis nutzlos. Ich habe mich kundig über eure letztjährige Ausbildung gemacht…"

Winona – und nicht nur sie – stöhnte laut und theatralisch auf.

„…und muss sagen, ihr wisst genug über die theoretische Anwendung. Was euch fehlt, sind grundlegende Verteidigungsfähigkeiten und Kenntnisse über den Selbstverteidigungsgrundsatz. Wir werden uns beides zusammen erarbeiten. Nehmt bitte eure Zauberstäbe zur Hand und kommt nach vorn. Ich muss etwas Platz schaffen."

Alle drängelten sich um den Lehrertisch und Professor Lupin schob alle Tische, Stühle und Taschen mit einem Zauber beiseite.

„Wir haben wenig Platz", sagte der Lehrer danach. „Also seht euch bitte vor. Dies ist kein Duellierclub."

Diejenigen, die bei dem schon fast legendären Duell zwischen Snape und Lockhart hatten teilnehmen dürfen, lachten hustend.

„Bildet bitte Paare und nehmt gegenüber an der Wand Aufstellung", forderte der Professor sie freundlich auf und alle folgten den Worten. Tarsuinn stellte sich Winona gegenüber.

„Sag was, damit ich dich treffen kann", flüsterte er dem Mädchen zu.

„Ich werd den Teufel tun!", flüsterte sie ihm lachend zu, aber sobald sie ihm gegenüberstand, flüsterte sie: „Ich bin hier!"

„Habt keine Angst", fuhr der Professor fort. „Wir fangen klein an. Jeder kennt doch den Funkenzauber? An der Luft ist er völlig harmlos und eignet sich hervorragend zu Übungszwecken.

Ihr werdet jetzt einen Abwehrzauber erlernen, welcher einfache Flüche von euch ablenken kann. Die Spruchformel ist sehr kurz, was einen jeden Abwehrzauber auszeichnen sollte und sie lautet Avocatio, begleitet von einer heftigen Bewegung, als würdet ihr den feindlichen Zauber beiseite wischen wollen. Da, wie schon gesagt, hier wenig Platz ist, möchte ich euch bitten die Funken nach oben abzulenken. Phyllis – würdest du bitte einen Funkenzauber auf mich zielen?"

Das Mädchen zauberte und das vertraute Rauschen des Zaubers zuckte von dem Mädchen auf den Professor, der ihn, mit einem betont deutlichen Avocatio, an die Decke lenkte. Tarsuinn lächelte erfreut. Dank Toireasa kannten er, Winona und einige andere Ravenclaws diesen Zauber, aber es war ein gutes Zeichen, dass Professor Lupin wirklich gedachte seinen Schülern nützliches Wissen beizubringen.

„Ein großes Problem bei diesem Abwehrzauber", fuhr Lupin fort. „Ist seine geringe Kraft und seine kurze Schutzdauer. Sprecht ihr ihn zu früh, ist er schon zu Ende, bevor der Fluch euch trifft. Versucht nicht, den gegnerischen Zauber zu blocken, sondern lenkt ihn nur zur Seite. Das verringert die Gefahr, dass der Schutz gebrochen wird. Versuchen wir es einfach mal alle mit dem Abwehrzauber. Alle zusammen! Avocatio. Für den Anfang nicht schlecht. Ihr beide, wie heißt ihr?"

„Winona Darkcloud."

„Luna Lovegood."

„Ihr beherrscht diesen Abwehrzauber", stellte der Professor fest.

„Ja, Professor!", antwortete Winona stolz.

„Wer noch alles?"

Tarsuinn hob nicht die Hand. Von beherrschen war bei ihm keine Rede.

„Gut. Ich erwarte von euch, dass ihr den anderen helft, wenn ihr Fehler bemerkt. Ihr seid recht viele und ich kann euch nicht alle gleichzeitig im Auge behalten.

Bitte noch einmal alle zusammen den Abwehrzauber. Avocatio. Noch einmal. Avocatio. Sehr schön und jetzt sprechen alle links von mir einen Funkenzauber und ihr auf der rechten Seite, ihr versucht ihn abzublocken. Auf mein Drei! Eins, zwei, drei."

Tarsuinn, der auf der Funkenseite stand versuchte es, doch sein Zauber verlosch, bevor er Winona erreichte konnte.

„Komm schon!", drängelte sie. „Das kannst du besser."

„Sicher!", murmelte Tarsuinn. Nur das mit der Dosierung war ein verdammtes Problem. Er war sich nicht sicher, ob ein tausend Fuß langer Funkenzauber wirklich so ungefährlich war. Immerhin war dieser Zauber unter Wasser recht heiß, wahrscheinlich war es an der Luft nur eine Frage der Kraft, um ihn gefährlich zu machen.

„Versuch es einfach!", flüsterte Winona. „Hier sind keine Slytherins, die dich provozieren. Los! Du kannst das!"

Wie sollte man nur solchen Zuspruch ignorieren? Er legte ein wenig seine Vorsicht beiseite und atmete tief durch. Der rote Funkenzauber – der zur Herbeirufung von Hilfe verwendet werden konnte – lag ihm am meisten. Schließlich war das Gefühl der Angst ihm gut vertraut. Tarsuinn dachte kurz an etwas, was ihm nur ein wenig Angst machte – Madame Pomfrey – und dann zauberte er.

Ruber Micare!", formulierte er sorgfältig und freute sich über den langen Silberstreifen, den er kurz sehen konnte und der auch nicht abgelenkt wurde.

„Mist!", fluchte Winona. „Dein Zauber ist viel schneller als bei den anderen!"

„Du bist zu langsam", murmelte Tarsuinn ironisch. Sein Drang vor Madame Pomfrey wegzulaufen, schien sich auch in seinem Zauber zu manifestieren.

Natürlich wusste er, dass Winona ihn durch den allgemeinen Lärm nicht hören konnte. Rund sechzig Schüler, die zauberten, lachten und fluchten, machten einen ohrenbetäubenden Krach. Geflüsterte Worte konnte wahrscheinlich nur Tarsuinn daraus herausfiltern, trotzdem beschloss er das nächste Mal die Ohrenschützer zu tragen, die Luna ihm gemacht hatte.

„Mach dich bereit Winona!", flüsterte er zu sich selbst, dachte an Madame Pomfrey und ihre Untersuchungen und nahm eine Haltung ein, mit der er Winona warnen wollte. Dann schleuderte er den nächsten Funkenzauber. Wieder gab es eine Beschwerde, obwohl Winona es diesmal fast geschafft hätte. Er zauberte jetzt unablässig damit sie zum üben kam und je fester er an Madame Pomfrey dachte, desto breiter wurde sein Lächeln. Es war sicher lustig der Krankenschwester zu erzählen, wozu der Gedanke an sie führte.

„Ja!", triumphierte Winona beim zehnten Versuch. Tarsuinn's Zauber zerstob an der Zimmerdecke.

Er gönnte ihr diesen Triumph von Herzen.

Sie übten noch eine ganze Weile, dann unterbrach der Professor.

„Sehr schön!", urteilte er. „Wirklich! Die meisten von euch haben den Bogen schon oder sehr bald heraus. Jetzt werden die Rollen vertauscht. Und auf ein Neues!"

Tarsuinn konzentrierte sich fest und versuchte seine Gefühle neu zu ordnen. Schutzzauber – das hatte er bei den Übungen mit Snape gelernt – waren eine komplizierte Sache. Gefühle, wie Zorn und Hass, waren dabei genauso hinderlich wie Belustigung und Freude. Eher musste man Besorgnis mit einer dicken Portion Zuversicht und ein klein wenig Angst vermischen und alle anderen Gefühle verdrängen. Das war nicht einfach bei all dem Lärm.

Beim ersten Zauber von Winona war er völlig unvorbereitet und Tikki sprang erschrocken von seiner Schulter. Die kleine Lady schimpfte ihn für seine Unaufmerksamkeit aus und wollte dann wieder hochgenommen werden. Sie schien ihn dazu aufzufordern, sie gefälligst zu beschützen. Im wahren Leben hätte er sich mehr um sie gesorgt, als um sich. Wieder schimpfte sie mit ihm. Was sie wollte, war ihm klar. Sie verlangte, dass er die Übung so ernst nahm, als wäre es eine Stunde bei Professor Snape. Er musste sich einreden, dass Winonas Funkenzauber ein bösartiger Fluch war. Das war nicht einfach, wenn man schon mal wirklich ernsthaft bedroht worden war. Andererseits wollte er es auch nicht übertreiben, indem er sich an allzu schlechte Erlebnisse klammerte.

Doch der Erfolg blieb aus. Es funktionierte einfach nicht.

Dann plötzlich…

Erschrocken riss er den Arm hoch, sprach reflexartig den Zauber und duckte sich ein wenig zur Seite, um Tikki zu schützen.

Einer aus der Klasse hatte einen Funkenzauber zur Seite statt nach oben abgelenkt und direkt auf ihn zu. Tarsuinn war so überrascht davon gewesen, dass sein Instinkt für ihn reagiert hatte. Aus seinem Zauberstab schossen, für ihn sichtbar, silberne Fäden und formten eine Art Schmetterling mit ausgebreiteten Flügeln, lenkten den Zauber ab, hielten noch ein paar Sekunden und verblassten.

Tarsuinn war zunächst geschockt, dann senkte er den Stab und drehte sich wieder Winona zu.

„Entschuldigung", sagte Alec, welcher neben ihm stand und den Fehler gemacht hatte.

„Kein Problem!", tat Tarsuinn die Sache ab und war froh, dass man seinen Zauber nicht allgemein bemerkt hatte. Die Abwehrzauber der anderen waren nur kurze, breite Klingen, mit denen man versuchte, mit dem richtigen Timing den feindlichen Zauber abzulenken. Niemand brachte ein sekundenlanges mannshohes Schild zustande. Auch Tarsuinn in seinen restlichen Versuchen nicht.

Als kleinen Ausgleich dafür, brachte er jetzt ab und an die kleine Version zustande, die auch die anderen Schüler schafften. Nur so konsequent erfolgreich wie Winona oder gar Cassandra war er ganz und gar nicht. Flick – Flack. An – Aus. Nervtötend. Bei Snapes Unterricht hatte es zuverlässiger funktioniert, aber dafür auch sehr wehgetan. Tarsuinn zog Professor Lupins Unterricht dem vom Professor Snape vor.

„Gut. Das reicht!", unterbrach Professor Lupin das allgemeine Chaos. „Ihr habt einen ersten Eindruck von einem reinen Verteidigungszauber erhalten. Zauber dieser Art sind äußerst nützlich und absolut legal. Im Prinzip könnt ihr ihn jederzeit zur Verteidigung einsetzen, ohne dass ihr euch strafbar machen könnt. Aber – es gibt eine Ausnahme. Kann mir wer sagen welche?"

Tarsuinn hob zaghaft die Hand.

„Ja?", fragte Professor Lupin.

Einen Moment wartete Tarsuinn, ob jemand anderes antwortete, doch da niemand sprach, musste das „Ja?" wohl ihn selbst meinen.

„Wenn man den Fluch auf jemand anderen, Unschuldigen lenkt", vermutete Tarsuinn.

„Warum?", fragte der Professor, offensichtlich nicht vollständig zufrieden mit der Antwort.

„Mit viel Übung kann man sicher den Spruch gezielt auf jemanden lenken", führte Tarsuinn seine Spekulation genauer aus. „Und wenn das Ministerium das vermutet oder aber die Nase desjenigen nicht mag, dann…"

„Das Ministerium ist gezwungen mögliche Absicht zu untersuchen, wenn es zu Unfällen mit diesen Zaubern kommt", erklärte der Professor laut. „Seid euch dessen bewusst, wenn ihr diesen oder einen ähnlichen Zauber anwendet. Ihr werdet später Abwehrzauber kennen lernen, die dieses Problem umgehen, aber sie brauchen einfach mehr Kraft und Können, als dieser einfache Schutzzauber. Deshalb werdet ihr den Avocatio-Zauber weiter üben und euch bemühen die Zauber gerichtet abzulenken. Dies wird eure Hausaufgabe sein. Desweiteren werdet ihr das Gesetz heraussuchen in dem steht, wann und wie ihr Magie anwenden könnt ohne gegen das Verbot der Zauberei für minderjährige Zauberer zu verstoßen. Schreibt mit eigenen Worten auf, was ihr aus diesem Paragraphen herauslest und damit könnt ihr jetzt gehen und den Tag ausklingen lassen. Geht ein wenig in die Sonne und macht bitte keinen Krach auf den Gängen. Noch sind theoretisch fünf Minuten Unterricht."

Den Lärmpegel nur minimal gesenkt, schnappten sich alle ihrer Taschen und verließen den Raum. Eine allgemeine Begeisterung herrschte über die Ereignisse der letzten Stunde.

„Hiermit erkläre ich Dunkle Künste zu meiner Lieblingsstunde", erklärte Ian, der noch am Frühstückstisch so gezweifelt hatte.

„Im Grunde war es sogar die erste richtige Stunde, die wir in diesem Fach hatten", bestätigte Merton. „Auch wenn wir den Spruch schon kannten."

„Wir hätten aber auch darauf kommen können, dass man ihn mit dem Funkenzauber üben kann", murmelte Cassandra. „Ich meine, das richtige Timing kann man nur so erlernen."

„Du hast kein Timing", lästerte Merton.

„Mehr als Tarsuinn", schoss das Mädchen zurück.

„Der sieht den Angriff aber auch nicht kommen", war Mertons lachende Antwort.

„Nun nimm mir doch nicht jede Freude", nörgelte Cassandra.

„Und ich bin eh schon froh, wenn ich den Zauber überhaupt schaffe", lächelte Tarsuinn.

„Da fällt mir ein, was war das für ein Ding, das du zwischendurch mal zustande gebracht hast?", erkundigte sich Alec. „Ich meine, als ich Cassandras Zauber auf dich gelenkt hab."

„Keine Ahnung was du meinst?", log Tarsuinn leichthin.

„Na dieses Zauberschild, das du kurz hattest. Ich weiß, du konntest es nicht sehen, aber es sah irgendwie seltsam aus."

„Also ich hab nichts bemerkt", sagte Tarsuinn und seufzte laut. „Aber wir müssen nachher drüber reden. Ich muss noch zu Wahrsagen."

„Das muss doch ein Fehler sein!", meinte Merton. „Frag doch erstmal Professor Flitwick."

„Ich glaub nicht, dass dies hilft", zweifelte Tarsuinn traurig. „Schließlich stand daneben: Ja, Mr McNamara. Sie haben richtig gelesen. Was soll man da noch diskutieren?"

„Na dann, viel Spaß", lachte Merton und gab ihm einen leichten Schubs. „Du hast es sicher irgendwie, irgendwann verdient."

„Musst du gerade sagen", murrte Tarsuinn und ging frustriert zu Wahrsagen.

Oben im Nordturm angekommen, war er dank Professor Lupins verfrühtem Unterrichtsschluss der Erste. Die Leiter zu Professor Trelawneys Klassenzimmer war zwar schon ausgefahren, aber er wartete lieber mit dem Raufklettern. Der Unterricht würde schon noch früh genug beginnen. Außerdem nervte ihn die Frau und machte ihm auch ein wenig Angst. Sie schien näher an der Klapsmühle, als er selbst.

Er konnte die Frau hören, wie sie im Zimmer über ihm aufräumte und Vorbereitungen für die kommende Stunde traf. Sie schien irgendetwas zu kochen.

Tarsuinn hatte schon besorgt befürchtet, dass er eine Privatstunde bekommen würde, als dann doch noch einige andere Schüler auftauchten. Alle schienen gerannt zu sein und beschwerten sich über den komplizierten Weg hier rauf.

„Heh, auch wieder mit dabei, Tarsuinn?", erkundigte sich ein Junge aus der Vierten Klasse von Ravenclaw. Tarsuinn kannte ihn vom letzten Jahr. Man hatte ihn also in dieselbe Klasse, wie letztes Jahr gesteckt.

„Mein Stundenplan hat mich hierher verbannt", erklärte Tarsuinn mit süß-saurem Lächeln.

„Das Los eines Naturtalents", vermutete ein Mädchen, das mit dem Jungen angekommen war. Auch an ihren Namen erinnerte er sich. Cho Chang. Was auch gar nicht so verwunderlich war. Aufgrund ihres Namens hatte er versucht sich mit ihr in Chinesisch zu unterhalten, nur um festzustellen, dass das Mädchen die Sprache ihrer Ahnen eher schlecht als recht sprach. Sogar ihren Namen hatte sie nach westlicher Sitte verdreht.

„Eher ein Naturkatastrophe", antwortete er ernst. „Ich bin ganz sicher nicht freiwillig hier. Wahrsagen ist für mich die Hölle der Langeweile."

„Ach, hab dich nicht so. Professor Trelawney liebt dich", meinte Frank amüsiert.

„Mag sein, zumindest kann man gut Hausaufgaben in der Stunde machen", grinste Tarsuinn ihn an.

„Trotzdem wird es wohl einen Grund geben, dass Professor Flitwick dich hierher schickt", stellte Frank fest.

„Ja, aber ich kann mir keinen vor…", begann Tarsuinn.

„Ihr dürft alle hinaufkommen und müsst nicht unten warten", unterbrach ihn Professor Trelawney mit einer Stimme, die wohl ätherisch klingen sollte. „Kommt herauf. Zukunft und Vergangenheit erwarten euch."

„Langeweile und üble Gerüche auch", murrte Tarsuinn für die anderen unhörbar, kletterte aber mit hinauf.

Kaum oben, ergriff ihn Trelawney bei der Hand.

„Schön, dass du auch den Weg zu mir gefunden hast, mein Lieber", sagte die Frau, als wäre es Tarsuinn's Idee gewesen hierher zu kommen. „Komm, ich bring dich zu deinem Platz."

Es gab wenig was man im Umgang mit Tarsuinn falsch machen konnte, aber ihn mit lauten Worten, wie einen Blinden durch den Raum zu führen, zählte zu einer der Todsünden. Seine Freunde führten ihn zwar auch des öfteren, aber nur wenn Tikki nicht da war und sie tarnten das fast immer als Händchenhalten. Doch sie machten niemals irgendein Aufheben darum. Vor aller Augen so vorgeführt zu werden, ertrug Tarsuinn nur mit zusammengebissenen Zähnen. Es brachte nichts Professor Trelawney dafür anzugehen, wahrscheinlich meinte sie es nur gut. Die Frau war nur einfach instinktlos, zumindest wenn man ihn fragte. Aber schließlich musste sie ja den Job wegen irgendwelcher Fähigkeiten bekommen haben. Vielleicht war sie deshalb so wenig in der Realität verhaftet. Wenigstens hatte sie Tarsuinn wieder an seinen Fensterplatz gebracht.

Er nahm die Gelegenheit wahr und öffnete das Fenster heimlich einen Spalt. In wenigen Minuten würde die Lehrerin sicher noch einige Räucherstäbchen für die richtige Stimmung abfackeln und da wollte er schon ein wenig vorsorgen. Das im Raum liegende Parfüm kribbelte eh schon furchtbar in der Nase.

„Willkommen zurück zu einem neuen Jahr in der Halle größter Kunst und dunkelster Geheimnisse. Dies wird ein düsteres Jahr für uns alle und dunkle Schatten liegen über Hogwarts. Wir müssen unseren Blick schärfen, um alle Gefahren zu erkennen, die auf unserem Pfad liegen. Die Sterne werden uns dieses Jahr dabei helfen. Nehmt bitte eure Bücher zur Hand und setzt euch in Zweiergruppen zusammen. Zunächst werde ich euch anhand eines Beispiels die Herangehensweise näher bringen. Nehmen wir dich, mein Lieber."

Es erwischte zu Tarsuinn's Glück nicht ihn, sondern Frank, der ein wenig unruhig die Fragen nach seinem Geburtstag beantwortete. Danach nahm Trelawney sein Leben auseinander. Einwürfe, dass der eine oder andere Fakt nicht stimmte, wurden einfach übergangen und mit Unwissenheit erklärt. Erkenne dich selbst, war der Standardspruch der Lehrerin. Eigentlich eine sehr weise Äußerung, nur Tarsuinn's eher fernöstlichen Verständnis nach, im völlig falschen Bezug angewandt.

Nachdem die Lehrerin den armen älteren Jungen endlich aus ihren Fängen gelassen hatte, hieß es dann – in Gruppen zusammenfinden und selbst in dem Buch herumforschen, welches Tarsuinn gar nicht besaß. Nicht, dass dies nötig gewesen wäre. Es gab ja genug dieser Bücher im Raum, die er fragen konnte.

Jemand setzte sich neben Tarsuinn.

„Willst du anfangen oder soll ich", fragte Cho Chang.

„Ähem", stammelte Tarsuinn überrascht. „Ich hab kein Buch und…"

„…du kannst meins haben…"

„…ich weiß nicht, wann ich Geburtstag habe."

„Nicht?", staunte Cho. „Aber wir haben doch im Winter damals deinen Geburtstag gefeiert."

„Naja", flüsterte er leise. „Meine Schwester war der Ansicht, jedermann braucht einen Geburtstag."

Außerdem hatte Rica ja ein Datum angeben müssen, als sie ihnen damals den britischen Pass erschummelte. Genau genommen wusste Tarsuinn nicht einmal, in welchem Land er geboren worden war.

„Fangen wir halt mit mir an", erklärte Cho freundlich.

Sie nannte Tarsuinn ihr Geburtsdatum und sogar die genaue Uhrzeit, woraufhin sie zusammen in ihrem Buch nach den richtigen Planetenkonstellationen suchten. Das war gar nicht schlimm und bei weitem nicht so unscharf wie der Kram mit der Kristallkugel. Natürlich gab es auch hier Abweichungen und Interpretationsmöglichkeiten, aber wenigstens waren sie gut dokumentiert und er konnte die Schrift mit den Fingern ertasten. Es war eigentlich sehr lustig. Schon geringe Fehler oder kleine Meinungsverschiedenheiten, konnten völlig gegensätzliche Ergebnisse erzeugen. Es war wie in einem Toyotawerbespot.

Nachdem sie mit Chos Zukunft durch waren – laut Uranus wandelte sie auf unstetem Pfad – war Tarsuinn dran. Der Einfachheit halber, nahmen sie sich seinen ausgedachten Geburtstag, nur um zu schauen, ob er vielleicht doch stimmte.

Leider suchte sich Professor Trelawney diesen Moment aus, um bei ihnen vorbei zu schauen.

„Und?", sprach sie Cho an. „Was wird Tarsuinn die Zukunft bringen."

„Wir haben erst angefangen, Professor", antworte das Mädchen. „Ich versuche gerade die Planetenkonstellation zu ermitteln, die bei seiner Geburt herrschte."

Kurze Zeit herrschte Stille.

„Du musst Mars etwas mehr ins Zentrum rücken", erklärte Trelawney plötzlich und erklärte Tarsuinn mit übertriebem Mitleid. „Du wirst immer gegen die Widrigkeiten des Lebens kämpfen müssen, mein Lieber."

„Darauf wäre jeder gekommen", flüsterte ein Junge ein paar Sessel weiter seinem Nachbarn sarkastisch zu. „Er ist verdammt noch mal blind."

„Ich glaub, das hat Trelawney noch nicht bemerkt", flüsterte ein Mädchen zurück.

„Dann würde sich aber Pluto abwenden", sagte Cho laut. „Und das bedeutet laut Buch, dass er – ein Mädchen ist."

Alle lachten.

„Pst", lachte auch Tarsuinn. „Sollte doch niemand erfahren."

„Du musst natürlich auch noch Venus beachten", tadelte Professor Trelawney genervt. Tarsuinn war gespannt was jetzt kam.

„Sie verdeckt Pluto zu Dreiviertel und das negiert alles."

„Dann braucht er also nicht mehr gegen die Widrigkeiten der Welt kämpfen?", freute sich Cho. „Glückwunsch Tarsuinn!"

„Ähem… Naja… Das bedeutet es wohl", sagte Professor Trelawney und klang eher so, als wäre sie darüber furchtbar enttäuscht. „Und jetzt macht weiter."

Schnell wandt sich die Lehrerin den anderen wieder zu.

„Danke", flüsterte Tarsuinn leise Cho zu.

„Die Frau ist mir einfach zu morbide", erklärte das Mädchen kichernd. „Kennst du Cedric aus der Fünften?"

Tarsuinn schüttelte den Kopf. Er kannte keinen Ravenclaw solchen Namens.

„Dem hat sie fünf Mal den Tod und acht verschiedene Unfälle vorhergesagt. Sagen die Hufflepuffs zumindest."

„Na, dann können wir ja richtig froh sein", murmelte Tarsuinn amüsiert. „Wir sterben bloß einmal."

„Mal sehen", sagte das ältere Mädchen. „Gut – machen wir weiter. Schauen wir doch mal, was dir heut noch so passiert. Ah ja – hast du dein Testament schon gemacht?"

Nach diesem kurzen Anfall von fiesem Humor machte Cho aber gewissenhaft weiter. Cho suchte wirklich nach Übereinstimmungen zwischen den Sternen, Planeten und Tarsuinn's Leben. Am Ende stand nur fest, dass sein Geburtstag ganz sicher nicht an dem Datum war, auf den Rica ihn gelegt hatte. Er war weder ein Glückskind, noch ein Samariter und sein Selbst ruhte auch nicht gerade mit göttlicher Gleichmütigkeit in ihm. Ohne seinen Geburtstag zu kennen, war diese Form des Wahrsagens offensichtlich nicht zu gebrauchen. Auch Tikki war dieser Ansicht. Wenn er sie richtig verstand, hatte sie sich auf die Kristallkugeln gefreut. Wahrscheinlich, weil sie so schön die Welt widerspiegelten.

Doch mit dem Ende der Wahrsagestunde, war Tarsuinn's Tag noch nicht vorbei. Er verabschiedete sich von Cho und den anderen Viertklässlern und lenkte dann seine Schritte Richtung Krankenflügel. Er hatte ja Professor Dumbledore versprochen, Madame Pomfrey heute zu besuchen.

Unerwarteter Weise war die Krankenschwester schwer beschäftigt. Das hörte er schon, bevor er die große Flügeltür zur Station öffnete.

„Mr Malfoy, nun halten sie endlich still", sagte die Frau in ihrem gewohnt kühlen Ton. Inzwischen wusste Tarsuinn, dass dieser Ton nur eine Maske war. Madame Pomfrey litt mit jedem Schüler, der ihre Dienste benötigte, nur konnte sie sich keine übermäßige Sorge erlauben. Sie glaubte anscheinend, dass Gefühle ihre Arbeit behindern würden. Doch ab und an schimmerte ihre Besorgnis doch durch und Tarsuinn hatte sogar schon erlebt, wie ihre Maske vollkommen gefallen war.

Heute jedoch war sie weit davon entfernt. Eher klang ihre Stimme genervt.

„Aber es tut so weh!", jammerte die prägnante Stimme von Draco Malfoy.

„Wenn Sie nicht stillhalten, bekomme ich die Wunde nie richtig geschlossen und eine Narbe wird zurückbleiben", erklärte die Krankenschwester ungeduldig.

„Sie sind viel zu rüde!", beschwerte sich eine Mädchenstimme. „Sehen Sie nicht, dass er überwältigende Schmerzen hat und trotzdem so still hält, wie nur möglich."

„Halt den Mund!", fauchte Madame Pomfrey. „Ansonsten müsst ihr gehen und jetzt, Mr Malfoy, halten Sie still oder ich muss Sie immobilisieren."

Tarsuinn betrat neugierig mit Tikki den Raum und setzte sich still auf einen der Stühle. Madame Pomfrey konnte man mit Stille, Zurückhaltung und Nicht-Wehleidig-Sein imponieren und nicht in dem man theatralisch jammerte.

„So – das war es auch schon", sagte die Krankenschwester nach einer Weile. „Versuchen Sie einmal den Arm zu heben, Mr Malfoy."

Das Wehklagen verstummte und für einen Moment war Stille.

„Au!", schrie plötzlich Malfoy auf. „Ich kann den Arm nicht heben."

„So?", fragte die Krankenschwester und sicher hörte nur Tarsuinn neben dem Zweifel auch ein wenig Sorge in ihrem Ton. „Vielleicht ist eine Sehne mit verletzt worden. Ich werde eine passende Salbe anrühren. Damit ist der Arm in wenigen Tagen wieder einsatzbereit. Warten Sie hier."

Ein kurzer Gruß an Tarsuinn, dann ging Madame Pomfrey in ihren Raum, in dem sie immer Salben anmischte, die möglichst frisch sein mussten.

Kaum war sie weg, konnte er heimliches Kichern von der Slytherins hören.

„Das wird dieser dämliche Idiot bereuen", flüsterte Malfoy und kein Schmerz lag dabei in seiner Stimme.

„Psst", flüsterte die Stimme von Vivian Hogan noch leiser. Wahrscheinlich deutete sie verstohlen auf Tarsuinn. Es zeigte, dass Hogan Tarsuinn zwar gut kannte, aber nicht allzu gut, denn sie fuhr fort:

„Man muss noch viel leiser als sonst sprechen. So etwa."

Tarsuinn tat so, als ob er nichts hörte und unterhielt sich flüsternd mit Tikki. Dabei spitzte er seine Ohren jedoch angespannt. Leider bewies Malfoy in diesem Augenblick doch einiges an Intelligenz.

„Dann sprechen wir später darüber", sagte der Slytherin-Junge. „Da, wo man vor diesem Abschaum sicher ist."

Tarsuinn hinderte Tikki mit einem kurzen Knuff daran aus der Rolle zu fallen, nahm sie auf seinen Schoss und kraulte ihr die Ohren. Manchmal reagierte sie auf Beleidigungen seiner, verletzter als er selbst.

Dann kehrte endlich Madame Pomfrey zurück, schmierte eine Salbe – die für Malfoys Geschmack viel zu kalt war – auf seinen Arm und verband ihn. Als der Slytherin auch noch um eine Armbinde bat, tat sie auch das ohne Widerrede. Danach ließ sie den Jungen jedoch von der Krankenstation gehen, was in Tarsuinn's Augen nur bedeuten konnte, dass auch sie glaubte, Malfoy würde die Schmerzen nur simulieren. Wenn es eine Sache gab, womit Madame Pomfrey nerven konnte, dann ihr ständiger Hang jemanden – vorsichtshalber die Nacht über da zu behalten. Oder, wenn es sich gerade anbot, auch das gesamte Wochenende über. Sie hatte da nur wenige Hemmungen. Wenn Madame Pomfrey Malfoy also so einfach entließ, dann konnte ihm nicht viel fehlen.

Als die Slytherins gegangen waren, ging Tarsuinn zu Madame Pomfrey.

„Was ist passiert", erkundigte er sich bei der Frau.

„Ein kleiner Unfall in Hagrids Unterricht", erklärte sie halb abwesend.

Tarsuinn lief es eiskalt den Rücken herunter.

„Malfoy simuliert nur!", erklärte er der Krankenschwester.

„Mag sein", stimmte sie frostig zu. „Aber wenn er sagt, dass er Schmerzen hat, dann kann ich ihm kaum das Gegenteil beweisen und die Verletzung war schon recht ernst, da ist nichts zu deuten."

„Es war ganz sicher nicht Hagrids Schuld", betonte Tarsuinn noch einmal.

Doch damit konnte er Madame Pomfrey nicht kommen.

„Um das zu beurteilen, muss man erstmal alle Fakten kennen", sagte sie immer noch nicht ganz bei der Sache. Aber dann riss sich die Frau von dem los, was auch immer sie gerade beschäftigte.

„Aber jetzt zu dir, Tarsuinn", sagte sie mit normaler Stimme und schob ihn sanft zu einem Stuhl.

Er mochte es überhaupt nicht, wenn sie ihn mit Vornamen ansprach. Das hatte sie nur einmal bisher getan und danach war es extrem schmerzhaft geworden. Doch diesmal war die Untersuchung absolut harmlos. Ein paar Blicke in seine Augen und den Rachen, ein paar Griffe an seinem Hals, ein paar allgemeine Fragen zu seinem Befinden. Eigentlich nichts was ihm sagte, weswegen er unbedingt heute hier auftauchen sollte.

Die Tür zum Krankenflügel wurde geöffnet.

„Sie wollten mich sprechen, Madame Pomfrey?", fragte die Stimme von Professor Flitwick.

„Oh ja – ach ist das schon soweit", sagte die Krankenschwester. „Bitte warte hier, Tarsuinn. Wir sind noch nicht fertig. Ich muss nur kurz mit deinem Hauslehrer sprechen. Kommen Sie bitte in meinen Raum, Professor."

Die beiden verschwanden und ließen Tarsuinn allein. Doch ihre Stimmen konnte er trotzdem hören.

„Wie konntest du das nur zulassen, Filius?", sagte Madame Pomfrey vorwurfsvoll, kaum dass die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte.

„Mir blieb keine andere Wahl, Poppy", erklärte der Professor geknickt.

„Das Ministerium kann das doch nicht machen!"

„Und ob sie das können, Poppy! Man hat mir sehr deutlich gemacht, dass Tarsuinn sich entweder dem Provokationstest unterzieht oder aber ins St Mungos muss und einen neuen Vormund bekommt!"

„Aber wie kommen die jetzt darauf?", fragte die Krankenschwester frustriert. „Es war doch alles schon geklärt."

Tarsuinn stand der Mund weit offen. Was zum Teufel war ein Provokationstest?

„Ja. Leider sind anscheinend einige im Ministerium über einen zweitausend Fuß hohen Funkenzauber ins Grübeln gekommen und man macht sich Sorgen darüber, was passieren könnte, wenn der Junge gefährlichere Zauber erlernt. Deshalb wollen sie ihn testen und ich musste zustimmen, damit sie ihn nicht seiner Schwester wegnehmen."

„Aber ein Provokationstest, verdammt! Und auch noch einen unangekündigten. Die werden den Jungen irgendwann und ohne Vorwarnung so unter Druck setzen, dass er sich in Lebensgefahr wähnt und dann werden sie sehen, ob er seine Kräfte unter Kontrolle halten kann. Das ist Idiotisch und für alle Gefährlich. Vorallem für Tarsuinn."

„Ich stimme dir doch hundertprozentig zu, Poppy", entgegnete Flitwick ergeben. „Doch selbst Albus kann da nicht helfen. Die einzige Möglichkeit die wir haben ist, den Jungen so gut es geht darauf vorzubereiten. Ich habe schon mit allen Lehrern gesprochen."

„Ich bin trotzdem nicht glücklich darüber", murrte die Krankenschwester. „Wenn wir nicht aufpassen, sind die der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt."

„Er ist widerstandsfähiger als man denkt, Poppy. Und solange er in Hogwarts ist, haben wir die Kontrolle über die Leute vom Ministerium. Niemand wird es wagen ihn hier, ohne das Wissen des Direktors, anzugreifen."

„Trotzdem hätte man ihn wenigstens vorwarnen sollen. Bei einem normalen Test ist das üblich."

„Die Wege des Ministeriums…", sagte Professor Flitwick. „Es tut mir leid, Poppy. Wir dürfen ihm nichts sagen. Egal was wir davon halten. Wir können nur auf seine Aufmerksamkeit und Selbstbeherrschung hoffen…"

Als Tarsuinn eine halbe Stunde später von Madame Pomfrey aus dem Krankenflügel entlassen wurde, bedankte er sich mit ausgesprochener Höflich- und ehrlicher Herzlichkeit. Niemand vom Ministerium würde je erfahren, was Madame Pomfrey und Professor Flitwick heute für ihn getan hatten. Das schwor er sich.