- Kapitel 6 -

Zusatzstunden

Da Tarsuinn an Verschwörungen glaubte, war er geneigt zu glauben, dass die Post dieses Schuljahr für Flüche reserviert war. Erst erhielt Winona einen Brief, der sie etwas – nennen wir es stinkig – machte und dann führte ihn Tikki zu einer Toireasa, die fast in Trance zu sein schien. Er musste ihr erst den Zettel wegnehmen, damit sie aufwachte.

„Gib her!", fuhr sie ihn sofort an.

Er barg das Papier hinter seinen Rücken und trat einen Schritt zurück.

„Erst, wenn du mir versicherst, dass du wieder in der normalen Welt bist", forderte er. Mit jemandem drei Minuten lang zu reden, ohne eine Reaktion zu bekommen, war ihm erst einmal passiert und da war sein Gesprächspartner taubstumm gewesen.

„Gib mir meinen Brief", rief sie und sprang auf.

Er reichte ihn ihr lieber. Sie klang im Moment sehr unnachgiebig.

„Hast du ihn gelesen?", fauchte Toireasa.

Er schüttelte energisch den Kopf. Natürlich hatte er den Brief nicht gelesen, aber so wie sie klang, wünschte er fast, er hätte. Sie war irgendwie seltsam drauf.

„Ich lese nicht die Briefe von Freunden, wenn sie es nicht ausdrücklich erlauben", erklärte Tarsuinn verletzt. „Was denkst du von mir?"

Er hörte ein dreimaliges tiefes Durchatmen.

„Darf ich mich wenigstens diesmal entschuldigen?", fragte sie nach einer Weile betreten, aber wieder im normalen Tonfall.

„Als ob ich dir das verbieten würde!", lächelte er verschmitzt. „Aber jetzt komm. Man macht sich Sorgen um dich. Wir, weil wir dich mögen und Regina, weil Winona angedeutet hat, dass sie jeden Punktverlust für Slytherin nur begrüßt. Die beiden haben sich in Kräuterkunde so angegiftet, dass unseren beiden Häusern Punkte abgezogen wurden."

„Du bist mir nicht böse, wenn ich dir nicht sage, was los ist?", erkundigte sie sich.

„Ach Quatsch", lachte er und ein kleiner gemeiner Plan formte sich in seinem Kopf. „Ich hab eingesehen, dass Mädchen Geheimnisse haben. Außerdem besitze ich ja selbst ein dunkles Wissen, das viel zu gefährlich ist, um es mit anderen zu teilen. Kommst du endlich?"

Sie holte ihn mit einigen schnellen Schritten ein.

„Was für ein dunkles Wissen?", fragte sie mit besorgter Stimme.

„Ach nichts. Vergiss, was ich gesagt habe!", erklärte er und tat so, als wäre er mit sich selbst unzufrieden. „Es ist nicht weiter wichtig."

Tarsuinn führte sie schweigend in Richtung Große Halle. Da Toireasa nichts zum Frühstück gehabt hatte und er ihren unbändigen Vertilgungsdrang von Nahrungsmitteln kannte, nahm er an, dass sie Hunger hatte.

„Ich weiß genau, was du eben versuchst!", warf sie ihm kurz vor der Saaltür vor.

„Und?", fragte er grinsend. „Funktioniert's?"

„Erschreckend gut, aber noch nicht gut genug", fauchte sie ein wenig beleidigt und ging zum Slytherin-Tisch.

„Versteh einer die Frauen!", seufzte hinter ihm die Stimme von Sir Nicholas, dem Hausgespenst von Gryffindor. Tarsuinn ignorierte ihn und blieb lieber in seiner Rolle. Er fürchtete, Professor Binns könnte erfahren, wie gut er inzwischen Geister sprechen hören konnte.

Tarsuinn schlenderte zu seinem Platz am Tisch und setzte sich.

„Du hast sie also gefunden!", begrüßte ihn Ian.

„Tikki hat sie gefunden", relativierte Tarsuinn. „Ich bin einfach nur hinterher gedackelt."

„Und wo war sie?"

„Nicht weit von ihrem Gemeinschaftsräumen entfernt", erklärte er.

„Hat man sie angegriffen oder warum war sie nicht im Unterricht?", erkundigte sich Alec.

„Keine Ahnung!", gestand Tarsuinn offen. „Ich vermute mal miese Post von ihren Stiefeltern, aber ich kann mich auch irren."

„Na ja. Jetzt hat sie ja Freunde in ihrem Haus mit denen sie darüber reden kann", meinte Alec abwertend. Der Junge mochte noch immer niemanden aus Slytherin und da war es schon fast erstaunlich, dass er Toireasa halbwegs akzeptierte.

„Ich bin froh darüber!", mischte sich Winona ein wenig zu aggressiv ein. „Sie kann doch nicht zeitlebens allein in ihrem eigenen Haus bleiben."

„Die werden aber dafür sorgen, dass sie wieder slytherintypisch wird", entgegnete Alec im gleichen Ton.

„Das glaube ich nicht!", fauchte Winona zur Antwort.

„Aber ich dafür umso mehr", entgegnete Alec ungehalten.

„Klingt ja fast so, als würdest du Toireasa mögen, Alec", unterbrach Cassandra kichernd.

„Red nicht so nen Stuss", entgegnete Alec energisch. „Sie ist Slytherin und nen Mädchen."

„Ach? Und Mädchen sind per Definition doof, oder was?", fragte Cassandra jetzt auch ein wenig genervt.

„Ja! Bis auf wenige Ausnahmen und du gehörst nicht dazu!", wehrte sich Alec kaltherzig. „Ich akzeptiere Toireasa nur, weil sie ne Freundin von Tarsuinn und Winona ist und ansonsten ganz okay scheint. Mehr nicht. Sobald sie das mal nicht mehr ist, kann sie mir gestohlen bleiben."

„So wie alle Mädchen und Slytherins, ja?"

„Ja!"

„Du bist so dumm!", sagte Cassandra und stand auf. „So... so..."

Dann stürmte sie davon.

Am Tisch waren alle ruhig.

„Du solltest dich entschuldigen, Alec!", forderte Winona nach einer Weile. „Das war gemein von dir."

„Entschuldigen? Wofür?", schaltete der Junge auf stur. „Sie hat doch angefangen."

„Du hast sie verletzt!"

„Und sie mich wohl nicht?"

„Sie wollte dich nur ein wenig aufziehen. Aber so unsensibel wie du nun mal bist, hast du das nicht bemerkt."

„Vielleicht sollte sie dann ihren Humor überprüfen! Ich fand es nicht witzig. Vielleicht sollten wir einfach..."

„...mal die Lautstärke senken?", unterbrach Tarsuinn unangenehm berührt. „Falls ihr es nicht bemerkt habt, ihr unterhaltet den halben Saal!"

Schweigen kehrte ein und Sekunden später ging auch Alec.

Es war das unangenehmste Gesprächs, das Tarsuinn jemals in Ravenclaw erlebt hatte. Frotzeleien waren normal. Auch der eine oder andere Streit, aber so ein handfester Krach war ihm noch nie untergekommen. Er wusste nicht, wie man damit umgehen sollte. Er kannte das nicht wirklich. Man konnte seine Familienverhältnisse vielleicht nicht als regulär bezeichnen, aber ganz sicher als sehr harmonisch. Tarsuinn fühlte sich nicht gut auf solche Auseinandersetzungen vorbereitet. Was sollte man da tun?

„Lasst uns zu Verwandlungen gehen", schlug Ian nach einer Weile vor. „Das Essen schmeckt heut eh nicht so gut."

„Wem sagst du das?!", stimmte Winona zu und erhob sich.

Obwohl Tarsuinn fand, dass das Essen so gut wie immer schmeckte – und er hatte noch nicht viel davon zu sich nehmen können – ging er mit.

Ihm war selbst ein wenig flau im Magen, wenn er an die kommende Stunde bei Professor McGonagall dachte. Nicht, weil er fürchtete jemanden verletzen zu können, sondern weil er noch niemals eine Verwandlung hinbekommen hatte. Seine kleinen Streichhölzer waren immer Streichhölzer geblieben – oder sie waren abgefackelt. Natürlich hatte Professor Flitwick ihn immer auf den Unterricht bei Professor McGonagall vertröstet, aber irgendwie glaubte er nicht dran.

Nicht ganz zu unrecht, wie die Stunde bei der Professorin dann auch bewies. McGonagall war zwar sehr geduldig und widmete Tarsuinn einen Großteil ihrer Zeit, doch auch sie schien am Ende der Stunde recht frustriert zu sein. Tarsuinn hatte fünf Käfer entkommen lassen, drei geröstet, einen in den Nacken eines Gryffindor-Jungen geweht und einer war plötzlich zehn Mal so groß geworden, bevor er ekligerweise geplatzt war.

Am Ende der Stunde musste er noch kurz bei Professor McGonagall bleiben, während alle anderen gehen konnten.

„Sie haben sicher selbst gemerkt, dass Sie so die Abschlussprüfung nicht schaffen werden, Mr McNamara", kam die ältere Frau ohne Umschweife zur Sache.

„Ja, Professor", entgegnete Tarsuinn ein wenig geknickt. „Das mit dem Streichholz hab ich auch niemals hinbekommen. Aber ich werde üben!"

„Das ist löblich, Mr McNamara. Aber seien wir ehrlich, ich habe nicht den Eindruck, dass Sie ein Problem mit der Übung haben. Gestik und Betonung stimmen. Nicht das ist Ihr Problem, sondern Sie selbst sind es!"

Das war so unverblümt, dass es Tarsuinn schon wehtat. Trotzig blieb er stumm.

„Professor Dumbledore ist der Ansicht, man sollte Geduld mit Ihnen haben und abwarten, doch nach der heutigen Stunde bin ich anderer Ansicht", fuhr die Professorin fort. „Ich denke, wir können es nicht zulassen, dass Sie noch mehr zurückfallen und sollten umgehend Maßnahmen ergreifen. Da Sie leider niemals Zeit haben, wenn eine erste Klasse Unterricht hat, habe ich beschlossen, dass Sie ab jetzt immer Montags in der fünften Stunde hierher kommen. Sie werden dann von mir oder einem älteren Schüler Nachhilfe erhalten."

„Das geht leider nicht, Professor", erklärte Tarsuinn vorsichtig.

„Warum nicht?", erkundigte sich Professor McGonagall streng und ein wenig ungnädig. „Kollidiert das etwa mit irgendeiner Ihrer Freizeitbeschäftigungen?"

„Nein, Ma'am", sagte er höflich. „Aber da habe ich Wahrsagen."

Und da sah er seine Chance.

„Ich bin aber gern bereit, das zugunsten von Verwandlungen aufzugeben", fügte er mit einem begeisterten Lächeln hinzu.

„Wahrsagen?", staunte McGonagall. „Hat sich Sibyll also doch durchgesetzt."

„Ich sag ihr gern Bescheid...", sagte Tarsuinn und wollte aufstehen.

„Nicht so schnell, Mr McNamara", hielt ihn die Lehrerin zurück. „Ich bedaure, aber da lässt sich nichts ändern. Was haben Sie heute noch?"

„Nur noch Zaubertränke, Professor."

„Gut, dann kommen Sie anschließend wieder hierher und wir sehen, wie wir Ihnen helfen können, die Abschlussprüfung doch zu schaffen."

„Ich danke Ihnen, Professor", verabschiedete sich Tarsuinn und stöhnte innerlich auf. Das bedeutete jetzt drei Stunden mehr Unterricht die Woche, als alle anderen in seiner Klasse. Es war zum Heulen. Und das noch ohne die Strafstunden bei Snape, die sicher kommen würden.

Betrübt ging er aus dem Klassenraum, wurde da von Winona erwartet und gemeinsam gingen sie hinunter zu den Kerkern, um sich ihre Dosis Snape abzuholen.

An der Schwelle zum Klassenraum wollte Tikki wie immer von seiner Schulter springen, aber Tarsuinn fing sie auf.

„Möchtest du...?", fragte er Tikki und lächelte dann über ihre Antwort.

Er ging mit Winona in den Klassenraum, wie immer in die hinterste Ecke und dort bauten sie alle nötigen Utensilien auf. Zaubertränke war immer ein sehr schweres Fach, vom Gewicht her. Kupferkessel, dickes Buch, unzählige Schneidwerkzeuge, fünf verschiedene Rührlöffel, Gläser, eine Feinwaage, Materialien und vieles andere mehr. Sie waren kaum fertig, als Professor Snape mit lautem Türknall in den Raum wehte. Sein Umhang flatterte Unheil verkündend durch den Raum.

„Was suchen Sie denn noch hier, Miss Sheara", zischte Snape auf seinem Weg nach vorn. Dann baute er sich vorn auf.

„Wie ich leider sehen muss, haben Sie sich, trotz offensichtlicher Mängel in Ihrer Befähigung, erneut wieder vollzählig hier eingefunden. Nun, das kann ich leider nicht ändern. Trotzdem muss ich Ihnen sagen, dass, wenn letztes Jahr eine Prüfung stattgefunden hätte, Sie fast alle den Weg nach Hause hätten antreten müssen, so schlecht waren Ihre Ergebnisse in dem Probetest. Es war armselig, durch die Bank weg."

Snape machte eine Pause, in der es so ruhig war, dass Tarsuinn die schnellen Herzschläge der meisten hören konnte.

„Nun – ärgern wir uns nicht zulange darüber. Am Ende dieses Schuljahres wartet ja eine weitere Gelegenheit auf uns. Ich freue mich schon darauf, denn falls Sie ihr erstes Schuljahr für schwierig hielten, so werden Sie sich dieses Jahr danach zurücksehnen."

Wieder eine Pause.

„Sicherlich freut es Sie zu hören: die Zeit des Kinderkrams ist vorbei. Ab diesem Jahr werden Sie Tränke brauen, welche durch Sorgfalt wahre Wunder vollbringen können und durch Dummheit wunderbare Wunden. Sie werden Größe und Winzigkeit in Flaschen verschließen, Stein nach ihrem Begehren formen und dem Feuer die Hitze oder das Licht nehmen. Sie werden...Mr McNamara!"

„Ja, Sir?"

„Haben Sie nicht etwas vergessen?"

Vorsichtig fuhr Tarsuinn über seine Messer, den noch kalten Kessel, über die Waage, über Tikki...

„Nein, Sir", sagte er dann und unterdrückte ein Lächeln. „Alles da und an seinem Platz."

„Ihr Tier!", zischte der Professor bedrohlich.

„Sie ist hier, Sir!", erklärte Tarsuinn und kraulte Tikki, die sich auf ihre Hinterbeine aufgerichtet hatte, kurz zwischen den Ohren.

Irgendwer versuchte ein Kichern in einem Husten zu verstecken.

Tarsuinn rechnete – und heimlich freute er sich sogar darauf – mit einem Donnerwetter. Er wurde jedoch enttäuscht.

„Sie müssen Ihr Tier in einen Schutzumhang einwickeln", verlangte der Professor nach einer Pause sehr unerwartet.

Doch Tarsuinn reagierte so locker er konnte.

„Diese Schulregel kannte ich nicht, Professor", erklärte er überaus zuvorkommend. „Wenn Sie erlauben, bringe ich Tikki zur Sicherheit nach draußen."

„Ich erlaube es", erklärte Snape und wollte anscheinend hoheitsvoll klingen, was jedoch voll in die Hosen ging.

Tarsuinn griff sich Tikki, brachte sie vor die Tür und kraulte ihr liebevoll die Ohren.

„Du warst großartig", flüsterte er ihr zu.

Dann vertrieb er das Lächeln von seinen Lippen und ging wieder zurück in den Unterrichtsraum. Seine kleine Rache an Snape war geglückt. Wenn ihn der Professor nicht aus dem Schloss lassen wollte, ohne ihm die Gründe zu nennen, dann sollte der sich auch nicht wundern, wenn Tarsuinn etwas schwierig wurde. Jetzt, da er ja nicht mehr als Muggel galt, fand er, dass seine Abmachung mit Snape vom letzten Jahr nicht mehr zutraf. Tikki durfte ihn in jeden Unterricht begleiten, das hatte der Direktor Tarsuinn zugesichert. Aus diesem Grund war Professor Snape wahrscheinlich auch nicht offen an die Decke gegangen. In diesem speziellen Fall hatte er einfach keine Handhabe gegen Tarsuinn.

Was Snape natürlich nicht daran hinderte, seinen Frust über die Niederlage an anderen auszulassen. Cassandra weinte am Ende der Stunde, weil Snape ihren Schwelltrank als Mordanschlag wertete und Ravenclaw bekam insgesamt sechs Punkte abgezogen, während Hufflepuff mit dreien davonkam. Es war seltsam, aber insgesamt gesehen juckte Tarsuinn nur die Ungerechtigkeit von Snape und nicht die verlorenen Punkte. Eigentlich hatte er gedacht seine relative Gleichgültigkeit dem Hauspokal gegenüber würde sich etwas geben, da er jetzt ja ein Zauberer war, aber irgendwie wog es für ihn immer noch schwerer Snape zu ärgern, als ein paar Punkte zu verlieren. Er wusste, das war falsch, aber er konnte nicht anders. Wahrscheinlich weil er, wie er zugeben musste, seit dem Sommer Angst vor diesem Mann hatte. Er musste sich einfach beweisen, dass der Professor auch nur ein Mensch war.

Als die Stunde zu Ende war, bekam er dann auch die Quittung. Zuerst von Snape. Zum zweiten Mal an diesem Tage, durfte er am Ende noch etwas zum Plauschen bleiben. Hoffentlich gab es jetzt nicht schon wieder Zusatzstunden.

„Mr McNamara", sagte Snape nachdem alle anderen weg waren und Tarsuinn vor ihm stand. „Wagen Sie es nicht noch einmal mich lächerlich zu machen!"

„Ich bin mir nicht bewusst, das getan zu haben, Professor", log Tarsuinn ernst.

„Sie wissen, dass ich Ihr Tier hier nicht haben möchte", sagte Snape eisig.

„Es wurde mir trotzdem von Professor Dumbledore erlaubt", hielt Tarsuinn dagegen.

„Wir haben eine Abmachung, Mr McNamara!"

Abmachung. Ah! Das vor einem Jahr war eine astreine Erpressung gewesen, mehr nicht.

„Sie haben sich geweigert mich zu unterrichten, weil Sie mich für einen Muggel hielten! Dem ist jetzt nicht mehr so."

„Sie brauchen diese Krücke nicht!", stellte Snape kalt fest. „Sie haben sie letztes Jahr auch nicht gebraucht."

„Nein, ich brauche hier Tikki nicht als Krücke", gab Tarsuinn zu. „Aber mit ihr bin ich besser."

„Sie müssen lernen auch allein klarzukommen!", beharrte Snape.

„Ich habe nicht vor allein zu leben", widersprach Tarsuinn deutlich. „Außerdem missverstehen Sie die Hilfe, die mir Tikki gibt."

„Dann erklären Sie es mir doch, Mr McNamara", sagte Snape kühl und Tarsuinn hörte wie sich der Professor zurücklehnte. Seine Finger tippten rhythmisch gegeneinander und ein wenig pfiff eines seiner Nasenlöcher. Wahrscheinlich das Linke.

Tarsuinn dachte an die Freude die er fühlte, wenn er mit Tikki zusammen war. Die Sicherheit, die sie ihm gab und den Augenblick des Sehens, welchen sie ihm in der Kammer des Schreckens geschenkt hatte. Das war etwas, was Snape nichts anging.

„Versuchen Sie ohne ihren Zauberstab zu leben", sagte er, statt wirklich zu sagen, was Tikki ihm bedeutete. „Und dann wissen Sie es."

„Was weiß ich dann?"

„Dass man ohne Zauberstab zwar leben kann, aber dass es nicht dasselbe ist."

Snape blieb einige Zeit still.

„Sie können jetzt gehen", sagte er dann sinnend. „Aber vorher beantworten Sie mir eine Frage."

Tarsuinn verschränkte die Arme vor der Brust. Sollte Snapes Frage ihm nicht gefallen, war er durchaus bereit stundenlang hier zu stehen. Den Mund machte er jedoch nicht auf.

„Was ist ein Abkömmling, McNamara?", fragte der Professor betont beiläufig.

„Keine Ahnung", log Tarsuinn. „Vielleicht jemand, der leicht vom Weg abkommt? Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein, Professor?"

„Jetzt, wo Sie es anbieten, Mr McNamara", freute sich Snape, so dass es Tarsuinn eiskalt den Rücken herunterlief. „Sie könnten hier ein wenig sauber machen."

„Geht nicht!", entgegnete Tarsuinn. „Da müssen Sie sich gedulden."

„Wie bitte!", Snapes Stimme war ein wenig lauter als zuvor.

„Es sei denn, Sie können meine Überstunde bei Professor McGonagall absagen", erklärte er dem Professor. „Sie wird sich eh schon fragen, wo ich bleibe."

„Dann lassen Sie die Professorin nicht warten, McNamara", sagte der Professor kalt. „Aber wir sprechen uns noch."

„Sie werden sicher eine Gelegenheit finden, Professor", sagte Tarsuinn sarkastisch. „Vor allem da Sie mich aufs Schloss beschränkt haben."

Zur Abwechslung war es mal der Professor, der eine Antwort verweigerte und einfach still blieb.

Als Tarsuinn dies begriff, drehte er sich um und ging hinaus.

„Sobald Sie bei Professor McGonagall fertig sind, erwarte ich Sie hier!", rief Snape ihm eisig nach, kurz bevor er die Tür schließen konnte. Tarsuinn nickte nur, schloss die Tür und machte danach eine unanständige Geste, die ihm Winona beigebracht hatte. Dann verließ er die Kerkergewölbe so schnell wie möglich.

Dieses Gespräch hatte ihn mehr erschüttert, als er zugeben wollte. Es machte ihm eine Höllenangst, dass Snape das von der Sache mit dem Abkömmling wusste. Bis auf Winona und Toireasa kannte niemand dieses Wort und dessen Beziehung zu ihm. Wie kam nur Snape darauf? Er glaubte nicht, dass Toireasa oder Winona irgendjemandem etwas gesagt hatte. Doch wenn nicht sie, wer dann?

Professor McGonagall erwartete ihn in ihrem Klassenraum, wo sie ihn vor ein Streichholz setzte und ihn anwies zu üben. Die Professorin selbst, schien ihn danach zu ignorieren und auf Pergament zu schreiben. Dass sie dann doch durchaus ein Auge auf Tarsuinn hatte, bemerkte er, als sie einen kleinen Brand löschte, den er mit seinem Zauberstab verursacht hatte. So übte er stundenlang, während Professor McGonagall arbeitete oder Schüler empfing, die mit Fragen und Bitten zu ihr kamen. Tarsuinn lernte in dieser Zeit mehr über die Lehrerin, als über Verwandlungen.

Bisher war ihm die Stellvertretende Direktorin immer sehr unterkühlt und abweisend vorgekommen. Unterkühlt empfand er sie noch immer, aber abweisend konnte man sie eigentlich nicht nennen. Sie tadelte, wo sie es für richtig hielt, sprach Mut zu, wo es angebracht war und versuchte im Allgemeinen zu helfen, ohne zu bemuttern. Und auch wenn sie die freundliche Herzlichkeit von Professor Flitwick vermissen ließ, so wäre sie doch als Hauslehrerin nicht so übel gewesen. Sicher um Längen besser als Snape (obwohl wahrscheinlich jeder besser als Snape war) und ein wenig mehr als Madame Sprout. Wobei die Kräuterkunde-Lehrerin nichts dafür konnte, dass sie schlechter als McGonagall abschnitt. Sie war eine herzensgute Frau, aber so überaus freundlich, dass sie Tarsuinn ein wenig auf die Nerven ging. Sie hätte Tarsuinn bestimmt nicht einfach so vor sich hin üben lassen, sondern immer weiter versucht ihm mit Worten zu helfen.

Dann, Professor McGonagall hatte eben Fred und George Weasley in Bezug auf mehrere Stinkbomben in der Lehrertoilette vernommen (die natürlich alles abstritten) und ergebnislos weggeschickt, kam die Lehrerin doch zu Tarsuinn. Sie sagte kein Wort, sondern setzte sich neben ihn und schaute seinen vergeblichen Versuchen lange zu.

„Mir wurde gesagt, Sie hätten in Zauberkunst und Verteidigung gegen die Dunklen Künste durchaus Erfolge zu verzeichnen", sagte sie nach einer Weile.

„Ab und zu ja, Professor", entgegnete Tarsuinn leicht frustriert.

„Sie haben auch eine Vorstellung davon, wie eine Nadel aussieht?"

„Oh ja", murmelte er zur Antwort und unangenehme Traumbilder huschten kurz durch seine innere Dunkelheit. Er vertrieb sie schnell.

„Dann verstehe ich nicht, wo ihr Problem eigentlich liegt", stellte die Lehrerin fest und wirkte sehr nachdenklich.

„Ich weiß es", murmelte Tarsuinn ganz leise und fühlte sich nicht sonderlich wohl dabei, der ihm relativ unbekannten Frau einen Teil seines Geheimnisses anzuvertrauen. Eigentlich hatte er es gar nicht sagen und sich lieber nachher an Penelope wenden wollen, doch Tikki neben ihm war da anderer Ansicht.

„Und ihr Problem ist...?", riss ihn Professor McGonagall aus seinen Gedanken.

In einer Geste der Höflichkeit, drehte Tarsuinn ihr sein Gesicht zu.

„Was empfinden Sie, wenn Sie ein Streichholz in eine Nadel verwandeln, Professor?", fragte er leise. „Oder bei einer Verwandlung allgemein?"

Sie schien von seiner Frage ein wenig überrascht zu sein.

„Freude natürlich", antwortete sie nach einer Weile distanziert. Der Frau schien es recht unangenehm zu sein, über Gefühle zu reden.

„Nein", schüttelte Tarsuinn den Kopf. „Ich meine, in dem Augenblick, wenn sie den Zauber sprechen und noch nichts bewirkt haben. Was für ein Gefühl ist das?"

„Moment", sagte die Professorin nur. Tarsuinn hörte einen kurzen Zauber und als er nach seinem Streichholz tastete, lag da eine dünne, metallene Nadel.

„Ich kann es nicht beschreiben", sagte McGonagall nach einer kurzen Pause. „Ich stelle mir nur das Aussehen und die Eigenschaften der Nadel vor. Das ist alles."

Frustriert ließ Tarsuinn die Schultern hängen und nahm ein neues Streichholz zur Hand. Die kleine Schachtel war inzwischen fast leer.

Er übte eine kleine Weile, bevor die Professorin ihn erneut unterbrach.

„Wie wirken Sie einen Verteidigungszauber, Mr McNamara?"

Wieder wandte er sich ihr zu. Nun, da er schon gefragt hatte, konnte er der Lehrerin auch genauere Infos geben. Außerdem, machte er sich klar, hatte McGonagall ihm damals mit dem Großen Einhorn geholfen, anscheinend ohne dass dies dem Ministerium bekannt geworden war.

„Hat Ihnen Professor Dumbledore erzählt, was mit mir los ist?", fragte er zurückhaltend.

„Nein", entgegnete die Professorin. „Er hat angedeutet, dass wir ein wenig vorsichtig mit Ihnen umgehen sollen und dass das Ministerium nicht will, dass wir über Sie mit Außenstehenden reden."

Schon wieder eine Information, die Tarsuinn seltsam fand. Er hatte gedacht, dass seine Absonderlichkeit schon die allgemeine Runde gemacht hatte. War man da doch ein wenig um ihn besorgt oder wollte man nur nicht die Eltern einiger Kinder besorgt machen?

„Ich kann nur mit dem richtigen Gefühl zaubern", gestand Tarsuinn der Professorin verlegen.

„Was genau bedeutet...?"

„Wenn Sie ihre Zauber mit einer Vorstellung kontrollieren, dann tue ich das anscheinend mit der Kontrolle über meine Gefühle."

„Und was ist, wenn sie Ihre Kontrolle verlieren?"

Statt einer Antwort schaute Tarsuinn nur traurig dahin, wo er ihre Augen vermutete.

„Verstehe", sagte sie nach einem Augenblick nur kurz. „Sie wissen wahrscheinlich, wie man das nennt?"

„Ja, Professor", gab er ihrer Vermutung recht.

„Und was für Gefühle haben Sie bisher bei dem Zauber hier verwendet? Und mit was für Gefühlen assoziieren sie eine Nadel?"

„Asso-was?"

„Was verbinden Sie mit einer Nadel!"

„Schmerz, Hitze, Angst", erklärte er unsicher.

„Ich bin kein Fachmann", gestand die Professorin. „Aber ist das nicht etwas ungewöhnlich?"

„Das empfinde ich aber, wenn ich an Nadeln denke."

„Weshalb?"

Tarsuinn schluckte einmal und flüsterte dann ganz leise: „Weil eine Nadel das in meinen Träumen verursacht."

In diesem Moment hätte er sehr gern das Gesicht der Lehrerin gesehen. Sie war so still, dass selbst ihr Atmen fast in den Hintergrundgeräuschen des Schlosses unterging.

„Legen Sie Ihren Zauberstab für einen Moment zur Seite", wies sie ihn dann in völlig geschäftsmäßigem Ton an. Er befolgte den Befehl, wobei er den Stab weit außerhalb ihrer Reichweite hinlegte.

„Nehmen Sie jetzt die Nadel zur Hand und stellen Sie sich vor, dass Sie nicht wissen, was dies für ein Ding ist. Sie halten diesen Gegenstand zum allerersten Mal in der Hand."

Wieder tat Tarsuinn wie geheißen. Er konzentrierte sich ganz auf das unbekannte Ding in seiner Hand und schob sämtliche andere Dinge und Erinnerungen zur Seite.

Es war kühl, glatt und an einer Seite recht spitz, aber doch recht ungefährlich, wenn man nicht zu stark drückte. An der anderen Seite formte das Ding eine Art Loch.

Ein wenig verträumt, legte er das Ding zur Seite und nahm sich das Streich- nein, das Holzstäbchen zur Hand. Im Gegensatz zum ersten Ding, war es recht rau, ein wenig fasrig sogar und nicht kalt. An einem Ende war eine Art kleiner Knubbel aus einem anderen Material. Tarsuinn legte das Holzstäbchen beiseite, griff sich wieder seinen Zauberstab und sprach die Worte und führte die Geste aus.

Nicht kalt zu kalt, fasrig rau zu glatt, dick zu spitz. Nicht kalt zu kalt, fasrig rau zu glatt, dick zu spitz. Nicht kalt zu kalt, fasrig rau zu glatt, dick zu spitz...

„Na, das ist ein Fortschritt", riss ihn Professor McGonagall in die normale Wahrnehmung zurück.

Aufgeregt tastete Tarsuinn nach seinem Werk. Er fand eine Nadel ohne Öse, aber ansonsten fühlte sie sich richtig an.

„Das mit der Farbe ist in Ihrem speziellen Fall erstmal nicht so wichtig, McNamara", erklärte Professor McGonagall. „Aber anscheinend haben Sie den richtigen Weg gefunden. Ich würde sagen, arbeiten Sie erstmal noch an der korrekten Form und den Rest bekommen wir später. Wenn Sie möchten, können Sie jetzt zu ihren Freunden gehen."

„Darf ich auch bleiben und noch etwas üben?", bat Tarsuinn begeistert über seinen Erfolg. „Bis zum Abendessen?"

„Aber natürlich, Mr McNamara", gestattete es Professor McGonagall und erhob sich wieder, um zu ihrem Tisch zu gehen.

Tarsuinn gestattete sich ein kurzes Lächeln. Jetzt, nach diesem ersten Erfolg, hatte er sicher deutlich mehr Spaß am Üben und wenn er bis zum Abendessen hier blieb, dann entging er zumindest heute vielleicht Snape. Immerhin hatte der gesagt, er solle vorbeikommen, sobald er bei Professor McGonagall fertig war. Tarsuinn genoss die Vorstellung, dass Snape jetzt gerade in seinem Klassenzimmer saß und ungeduldig auf ihn wartete. Jetzt musste Tarsuinn es nur noch so einrichten, dass McGonagall ihn zum Essen mitschleppte, denn wenn er vorher Snape allein in die Fänge lief...

Es klopfte und jemand öffnete Augenblicke später die Tür.

„Entschuldigen Sie bitte, Professor McGonagall", sagte eine ältere Jungenstimme.

„Ja, Mr Cromwell?", fragte die Lehrerin.

„Professor Snape lässt fragen, ob McNamara noch bei Ihnen ist, Professor?"

„Ja, das ist er", antwortete McGonagall.

„Gut. Das werde ich dem Professor ausrichten. Danke schön."

Der Junge ging wieder. Tarsuinn übte weiter, als würde ihn die Sache nichts angehen.

„Was hatte dies zu bedeuten, Mr McNamara?", fragte die Professorin nach einer Weile.

„Professor Snape hat mich gebeten ihm zu helfen", entgegnete Tarsuinn schulterzuckend und recht gelangweilt. „Ich sagte ihm zu, sobald ich bei Ihnen fertig bin."

„Und wann wollten Sie mir dies mitteilen?", fragte die Lehrerin streng.

„Gar nicht", erklärte Tarsuinn unbewegt. „Es ist keine Strafarbeit, sondern rein freiwillig. Ich hielt meine Übungen und Ihre Hilfe für wichtiger. Professor Snape betonte nicht, es eilig zu haben."

„Er scheint aber auch nicht unbedingt mit einer längeren Verzögerung gerechnet zu haben!", ermahnte ihn McGonagall sehr ernst. „Es macht keinen Sinn Professor Snape warten zu lassen, jetzt, da Sie einen Ansatz zum allein Üben haben."

„Es macht schon Sinn, Professor", meinte er achselzuckend.

„Und der wäre, Mr McNamara?"

„Wenn ich jetzt zu Professor Snape gehe, verpasse ich das Abendessen", erläuterte er abgeklärt und nur mit der halben Wahrheit.

Es wurmte Tarsuinn gewaltig, dass er Snape mit seinem – nur so dahingesagten – Angebot eine Möglichkeit gegeben hatte, ihm eine verkappte Strafaufgabe aufzudrücken.

Er klappte kurz den Deckel seiner Uhr auf, fühlte nach der Uhrzeit und packte sein Zeug ein. Inzwischen hatte er eine durchaus ansehnliche Sammlung an Nadeln, sogar ein paar mit einer richtigen Öse. Ob die Farbe stimmte war dabei wirklich egal, da hatte die Professorin Recht.

Tarsuinn ging zum Lehrertisch.

„Professor McGonagall?", fragte er vorsichtig. „Gestatten Sie mir, Sie zum Essen zu begleiten?"

Damit musste er sie verblüfft haben, zumindest blieb einen langen Moment lang eine Reaktion völlig aus.

„Sie schrecken wohl vor nichts zurück?", unterstellte ihm die Lehrerin und ihre Stimme lag irgendwo zwischen Tadel und Belustigung.

„Nicht wenn es um etwas zu Essen geht, Professor", lächelte Tarsuinn sie möglichst gewinnend an. „Ich verspreche auch, sofort nach dem Essen Professor Snape aufzusuchen."

„Darauf kann ich mich einlassen, Mr McNamara", erklärte McGonagall und stand auf.

Grinsend bot ihr Tarsuinn seinen Arm an.

„Übertreiben Sie es nicht!", schlug die Professorin seine Geste kühl aus. Er hatte auch nicht ernsthaft damit gerechnet.

Doch neben dem sicheren Zugang zu abendlicher Nahrung, hatte er noch einen anderen Hintergedanken, weswegen er mit der Lehrerin für Verwandlungen spazieren wollte.

„Professor McGonagall?", fragte er, nachdem sie den Klassenraum verlassen hatten. „Darf ich Ihnen eine Frage stellen, die nichts mit der Schule zu tun hat?"

„Nur zu", forderte sie ihn in einem Ton auf, der eigentlich das Gegenteil ausdrückte.

„Sie sind doch schon recht alt und kennen sich mit Quidditch und Rennbesen aus, oder?"

Was immer er auch gesagt hatte, die Professorin blieb wie angewurzelt stehen. Tarsuinn war so überrascht davon, dass er noch zwei Schritte ging, bevor er sich der Lehrerin verwundert zuwandte.

„Hab ich was Falsches gesagt?", erkundigte er sich nervös.

„Möglicherweise", erwiderte die Frau langsam und etwas verletzt. „Es ist Ihnen doch sicher bewusst, dass es sehr unschicklich ist, eine Dame alt zu nennen, oder etwa nicht?"

„Wieso sollte das unschicklich sein?", erkundigte er sich erstaunt. „Alter ist doch nichts, wofür man sich schämen sollte. Ganz im Gegenteil."

„Na, dann sind Sie einer der wenigen Schüler, die das so sehen. Erzählen Sie mir, wie Sie zu dieser Einsicht gelangt sind?"

Die Stimme McGonagalls klang heute zum ersten Mal fast normal, nicht so steif und distanziert wie sonst. Trotzdem verstand Tarsuinn die Frage nicht so ganz.

„Man muss dem Alter und der Weisheit Respekt zollen", erklärte er überzeugt, so wie Ryu-san es ihn gelernt hatte. „Sie, Professor, haben die Fehler schon erlebt, die uns selbst noch bevorstehen und haben sie gemeistert. Die Weisheit der Älteren zu beachten, bedeutet die Zukunft zu meistern."

Die Frau schloss mit zwei langsamen Schritten zu ihm auf.

„Man merkt immer wieder recht deutlich, dass Sie in einem anderen Kulturkreis aufgewachsen sind, Mr McNamara", sagte sie. „Wobei ich mich wundere, dass Sie dann immer noch bevorzugen Ihre Fehler selbst zu machen."

Tarsuinn konnte sich gut vorstellen, auf was die Lehrerin damit anspielte. Er beschloss das zu ignorieren.

„Darf ich jetzt meine Frage stellen?", fragte er freundlich.

„Natürlich", stimmte sie nun zum zweiten Mal zu. Diesmal deutlich wärmer in der Stimme.

„Nun – ich habe mich gefragt, ob Ihnen nicht jemals ein blinder Zauberer auf einem Flug- oder Rennbesen untergekommen ist. Ich meine, es gibt Zauber zum Fühlen von Farben, Warnzauber gegen Zusammenstöße und Haushaltszauber, die alle Gegenstände immer wieder an ihre angestammte Position stellen. Da muss es doch einen speziellen Zauber für Besen geben!"

„Es gibt Zauber zum Fühlen von Farben?", fragte McGonagall verwundert, ohne zunächst auf seine Frage einzugehen.

„Ja."

„Und Sie möchtest gern allein mit einem Besen fliegen?"

„Ja."

„Quidditch spielen?"

„Warum nicht? Alle anderen dürfen doch auch."

„Nun, alle andere teilen aber auch nicht Ihr Handicap, Mr McNamara", erklärte McGonagall.

Doch Tarsuinn wollte das nicht gelten lassen.

„Das hier ist eine Zaubererwelt. Ich kann doch nicht der erste Zauberer der Weltgeschichte ohne Augenlicht sein. Schließlich muss ja jemand mein Buch..."

„Ja? Ihr Buch...?", erkundigte sich McGonagall gespannt.

Zuerst wollte er ihr nichts davon erzählen, doch dann schüttelte er über sich selbst den Kopf. Das Buch an sich war nichts Illegales, nur wie Tante Glenn es für ihn geklaut hatte, war nicht ganz astrein.

„Ich habe ein Buch zu Weihnachten geschenkt bekommen, in dem Hilfen für Menschen wie mich stehen", erklärte er vorsichtig.

„Für Menschen, die nicht sehen können meine ich", fügte er hinzu, als ihm klar wurde, dass man seine vorherige Aussage mit seinem Zauberproblem falsch verstehen konnte.

„Und in diesem Buch steht nichts über spezielle Besen?"

„Nein. Deswegen frage ich ja Sie. Toireasa meint, sie wären der quidditchverrückteste Lehrer in Hogwarts. Sogar noch vor Madame Hooch."

„Ach, sagt sie das?", meinte McGonagall amüsiert. „Nun – ein wenig Recht mag sie damit haben, aber leider kann ich Ihnen nicht mit Informationen weiterhelfen, Mr McNamara."

Tarsuinn ließ enttäuscht die Schultern hängen. Doch Professor McGonagall fuhr auch schon fort.

„Aber ich kenne jemanden, der seit Jahrzehnten Rennbesen sammelt und ein wahrer Experte auf diesem Gebiet ist. Wenn ich Zeit finde, werde ich bei ihm in Ihrem Sinne anfragen und..."

„Das ist sehr nett von Ihnen, Professor", schöpfte Tarsuinn wieder etwas Hoffnung.

„...bei einer positiven Antwort, werde ich diese dann an ihre Schwester weiterleiten", zerstörte die Frau wieder alle seine Hoffnungen.

Er bezweifelte, dass Rica ihm etwas erlauben würde, was sie für unsicher hielt. Von daher musste die Antwort schon sehr positiv ausfallen, damit Tarsuinn einmal allein fliegen durfte.

„Das ist mehr, als ich erwarten durfte, Professor", bedankte er sich, trotz seiner Enttäuschung, artig. „Danke sehr."

Danach erreichten sie auch schon die Große Halle. Wie befürchtet stand Professor Snape am Eingang und wie erhofft, sagte dieser nichts, als Tarsuinn mit Professor McGonagall an ihm vorbei ging. Nur Professor McGonagall hielt sich nicht an Tarsuinns Planung.

„Guten Abend, Professor Snape", begrüßte sie den Mann freundlich. „Es tut mir leid, dass ich Mr McNamara so lange beschäftigt gehalten habe."

„Ich nehme Ihnen das natürlich nicht übel, Professor", entgegnete Snape kühl, aber höflich und Tarsuinn entging nicht, welches Wort er ein wenig betonte.

„Das freut mich. Ich werde nach dem Essen noch kurz mit Mr McNamara sprechen müssen, aber danach steht es ihm frei, Ihnen ein wenig behilflich zu sein."

Tarsuinn war kurz davor wegzulaufen. Ob absichtlich oder nicht, Professor McGonagall ärgerte den Lehrer für Zaubertränke und nicht sie würde es sein, die das ausbaden würde. Auf der anderen Seite stand es ihm wirklich frei jemandem behilflich zu sein oder nicht. Nur – er hatte Snape heute schon genug vor den Kopf gestoßen. Heute noch einmal mehr und Tarsuinn würde wahrscheinlich seines Lebens nicht mehr froh.

„Entschuldigen Sie, Professor", wandte sich Tarsuinn an McGonagall. „Darf ich jetzt essen gehen?"

„Nur zu", forderte sie ihn auf. „Und kommen Sie nachher noch ganz kurz in mein Büro."

Tarsuinn setzte sich froh und so schnell wie möglich von den beiden Lehrern ab. Nur um in die nächste Katastrophe zu laufen.

„Da sind Sie ja, McNamara", begrüßte ihn Madame Hooch, kaum dass er die Halle betreten hatte. „Ich erwarte Sie und Keary Samstag neun Uhr am Besenschuppen. Und ziehen Sie sich Arbeitskleidung an."

Tarsuinn seufzte. Genau deshalb hatte er lieber Professor McGonagall, statt Madame Hooch wegen dem Rennbesen befragt. Irgendwie schien es heute eine Art Lehrersport zu sein, ihm Zusatzaufgaben aufzudrücken.

Völlig frustriert setzte er sich an den Ravenclaw-Tisch, schob seinen Teller beiseite und klopfte dreimal mit der Stirn gegen das harte Holz.

„Snape oder McGonagall?", fragte Merton mitfühlend und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.

„McGonagall war okay", verteidigte Tarsuinn die Lehrerin für Verwandlungen. „Aber nach dem Essen einen typischen Snape und am Samstag eine zu recht saure Hooch."

„Warum Madame Hooch?", erkundigte sich Cassandra interessiert. „Du hattest doch gar keine Gelegenheit ihr auf die Füße zu treten, oder?"

„Oh doch", brummte Tarsuinn und rang sich dann doch ein Lächeln ab. „Toireasa und ich, wir haben uns in den Sommerferien ihren Besen für eine kleine Spritztour ausgeborgt."

„Ach – und wann hat sie davon erfahren?", lachte Merton, der solche Sachen immer komisch fand.

„Ich vermute, heut im Laufe des Tages", erklärte Tarsuinn. „Ansonsten hätte sie uns sicher schon gestern an den Ohren aufgehängt."

„Mich würde eher interessieren, warum ihr so dringend einen Besen gebraucht habt?", säuselte Luna auf ihre ätherische Art und brachte so Tarsuinn in einige Verlegenheit.

„Ich dachte, na ja, meine Schwester würde bald sterben", erklärte er, ohne richtig zu lügen. „Deshalb wollte ich schnell zu ihr und da niemand da war...hab ich Toireasa überzeugt mich hinzufliegen."

„Und deine Schwester musste nicht sterben, weil du plötzlich zaubern konntest", fuhr Luna gnadenlos fort. „Wolltet ihr – du und Toireasa – uns nicht erzählen was passiert ist?"

„Schon", gab Tarsuinn zu, obwohl er es selbst nicht versprochen hatte. „Aber nicht hier bei Tisch."

„Dann halt, wenn du wieder von Snape zurück bist", entgegnete Luna nur. „Keine Sorge – wir werden warten."

Tarsuinn befürchtete das.

„Also, heute Abend dann", murmelte er und versuchte abzulenken. „Eigentlich hätte ich gedacht, ich bin der Letzte beim Essen. Wo ist denn Winona?"

„Schon wieder los", erklärte Cassandra ihm. „Sie schreibt schon den ganzen Nachmittag an irgendeinem Brief. Auf ihrem Bett liegen dutzende zerknüllte Entwürfe."

Tarsuinn zog den Teller wieder vor seine Nase und tat etwas auf, was wie gebratene Pilze roch.

„Na hoffen wir, sie wird dieses Jahr fertig, bevor ich ihren Namen vergessen hab", murmelte er und begann endlich das Knurren in seinem Magen zu besänftigen.

„Du hängst aber auch mehr mit Lehrern ab, als mit uns", neckte Merton. Der Junge hatte den Moment so gut abgepasst, dass Tarsuinn gerade den Mund viel zu voll hatte, um antworten zu können. „Und dann noch ein wenig Spaß mit Snape. Was für ein toller Abend."

Tarsuinn schluckte alles fast unzerkaut herunter.

„Ha, ha!", murmelte er angewidert. „Du wirst dieses Jahr sicher auch mal wieder bei Snape Aufmerksamkeit erregen. Dann lachst du nicht mehr."

„Aber bis es soweit ist, habe ich jede Menge Arbeit vor mir", lachte Merton begeistert. „Wenn der mich schon erwischt, dann soll es sich auch lohnen, meinst du nicht auch?"

„Na, ich baue im Moment in der Beziehung einige Schulden auf", sagte Tarsuinn und lächelte für einen kurzen Augenblick. „Ich geh wohl die Sache von der falschen Seite an."

„Darauf kannst du wetten", meinte Merton überzeugt. „Du machst immer alles falsch und viel zu ernst. Also – für den Langsamen unter uns. Erst so viel Mist bauen wie möglich. Dann sowenig Strafe kassieren wie möglich. Nicht umgekehrt."

„Eine wirklich interessante Regel, Mr Philips. Darüber reden wir noch", ertönte die Stimme von Professor Flitwick schräg von unten und hinter ihnen. „Mr McNamara, Professor McGonagall hat Ihre fünf Minuten an mich abgetreten. Kommen Sie bitte in mein Büro, sobald Sie fertig mit Essen sind."

Sobald der Professor ein Stück weg war, schoben Merton und Tarsuinn synchron ihre Teller beiseite und schlugen mit der Stirn auf den Tisch.

„Ich werde tot sein", stöhnte Merton.

„Ich bin es schon!", steigerte Tarsuinn noch die Aussage.

„Na, so schlimm wird es schon nicht sein", versuchte Cassandra ein wenig zu trösten, obwohl sie eigentlich versuchte nur ein Lachen zu unterdrücken. „Aber ich glaub dein Gehör lässt nach, Tarsuinn."

„Tut es nicht", widersprach er. „Ich war nur mit den Gedanken woanders."

„Und wo?", mischte Luna sich fragend ein.

Bei den Dementoren und dem Gefühl, das dies in seiner Magengrube verursachte. Aber das sagte er nicht.

„Ich fragte mich die ganze Zeit, was Snape wohl will", log er. „Immerhin ist das keine Strafarbeit oder so."

„Was ist es denn dann?", fragte Merton erstaunt.

„Er hat ein Hilfsangebot angenommen", erklärte Tarsuinn und als er es aussprach, fühlte es sich so extrem dämlich an, wie es klang. Niemand, der bei klarem Verstand und nicht Slytherin war, bot Professor Snape freiwillig Hilfe an.

„Und warum gehst du dann hin? Du musst doch nicht!"

„Weil ich zugesagt habe", sagte Tarsuinn. „Und weil es keinen wichtigen Grund gibt, die angebotene Hilfe zurückzuziehen."

„Das ist so ein Ehrensache-Ding aus Japan, oder?", erkundigte sich Merton leicht abfällig. „Hab ein wenig drüber gelesen. Meine Mutter hat da so nen Buch zu Hause gehabt, hieß Shogun und die haben da ähnlich geredet."

„Kein Japan Ding", schüttelte Tarsuinn ein wenig beleidigt den Kopf. „Eine Rica Regel."

„Und was besagt diese tolle Regel?", fragte Merton weiter.

„Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu", zitierte Tarsuinn beklommen.

Das war Ricas Regel. Simpel, einfach und wenn alle danach leben würden, wäre die Welt nur halb so schlimm. Leider war die Welt nicht perfekt und im Endeffekt war er immer der Ansicht gewesen, dass Rica damit ziemlich blauäugig durch die Welt lief, obwohl sie, um zu überleben, auch ein paar Mal die Regel gebrochen hatte. Auf der anderen Seite bewunderte er seine Schwester auch dafür und aus diesem Grund versuchte er sich auch daran zu halten. Einfach war das nicht, aber seit Rica nicht mehr todkrank war und lange leben würde, fiel es ihm deutlich leichter, die Welt etwas nachsichtiger zu betrachten.

„Von so ner Regel sollte es Ausnahmen geben", fand Merton.

Tarsuinn stand abrupt auf. Sein Teller schepperte zu Boden.

„Vielleicht denkst du anders darüber, wenn du dich mal auf meine Hilfe verlässt", sagte er lauter als er wollte und es Merton eigentlich verdiente.

Dann lief Tarsuinn weg. Tikki folgte ihm und fragte, was denn eigentlich los war. Er konnte es selbst nicht sagen. Zuerst verkrachten sich Alec und Cassandra und dann fauchte er Merton für ein paar unbedachte Äußerungen an.

Tarsuinn merkte, dass ihn der lange Tag doch etwas mitgenommen hatte. Sich ständig auf die Zauber konzentrieren zu müssen, machte über die Zeit müde und ein wenig gereizt auch.

Am liebsten hätte er sich jetzt in seinem Zimmer vergraben und wäre erst morgen wieder hervorgekommen, in der Hoffnung, es würde ein besserer Tag werden. Doch stattdessen ging er zu Professor Flitwick.

Er brauchte nicht mal an der Tür zum Büro des Professors zu klopfen, als auch schon von innen ein: „Herein!"ertönte.

„Sie wollten uns sprechen, Professor", fragte Tarsuinn höflich von der Tür und meinte damit sich und Tikki.

„Ja", lachte Flitwick. „Wenn man es genau betrachtet, wollte ich euch beide sprechen. Nimm Platz, Tarsuinn."

Tarsuinn ging zum Schreibtisch des Professors und setzte sich ruhig hin. Bisher hatte ihn der kleine Mann, der wie immer auf dem Tisch stand oder saß, nur ein einziges Mal beim Vornamen angesprochen und da war es eine der schlimmsten Standpauken seines Lebens gewesen.

„Man sieht euch an, dass ihr beide keine guten Nachrichten erwartet", kicherte Flitwick. „Und ihr habt Recht."

Tarsuinn verkniff sich sämtliche zynischen Kommentare zu dieser Eröffnung.

„Professor Snape hat dir schon verboten, das Schloss zu verlassen, nicht wahr?", fuhr der Professor fort.

„Mmh."

„Hat er dir auch einen Grund genannt?"

„Nein!"

„Und das ärgert dich?"

„Sehr."

Flitwick kicherte unangebracht.

„Was denkst du, warum wir dich quasi einsperren und nicht mal auf die Ländereien lassen? Schikane?"

„Sie wollen mich vor irgendetwas beschützen", vermutete Tarsuinn.

„Dir ist also bewusst, dass mehr als eine Person dein Wissen und das deiner Schwester fürchten muss?"

„Wenn das Ministerium nicht so verschlafen wäre, dann wäre das Problem schon abgehakt", meinte Tarsuinn. Obwohl er eigentlich ätzend zu klingen versuchte, schaffte er es nicht. Das was Professor Flitwick gesagt hatte, beschäftigte ihn und er stimmte mit Tikki überein, dass der kleine Mann ein wenig an der Wahrheit herumdrehte.

„Muss der Junge, hinter dem dieser Black her ist, auch im Schloss bleiben?", fragte er und brachte so den Professor ein wenig in Verlegenheit.

„Nein. Aber bei ihm liegt der Fall ein wenig anders."

„Ach? Und inwiefern?", verlangte Tarsuinn zu wissen.

„Nun – erstens ist er ein Jahr älter, zweitens hat er seine Zauberkraft unter Kontrolle und drittens schläft er mehr als vier Stunden, was uns Lehrern die Möglichkeit gibt, auch mal zur Ruhe zu kommen. Eine Möglichkeit wäre natürlich, wenn du mir versprichst, nur bei Tageslicht und zwischen acht Uhr morgens und acht Uhr abends nach draußen zu gehen."

Tarsuinns Lippen blieben versiegelt.

„Dachte ich mir schon", erklärte Flitwick enttäuscht. „Nun, dann halt anders."

Der Professor kramte in seinen Papieren.

„Ich wünschte, das wäre nicht nötig gewesen. Dies hier ist dein neuer Tagesplan. Da du in fast allen Zauberfächern hinter allen anderen weit zurückliegst, wirst du Nachhilfe von einem Lehrer oder älteren Schüler bekommen. Dies gilt bis auf Widerruf von einem der Lehrer. Zusätzlich wirst du sofort nach dem Abendessen in die Gemeinschaftsräume zurückkehren, dich bei einem der Vertrauensschüler melden und deine Hausaufgaben machen. Du wirst vor zwölf Uhr in deinen Raum gehen und ihn vor sieben Uhr nicht verlassen. Hast du die Regeln verstanden?"

„Ja."

„Willst du dir es nicht noch anders überlegen", bot der Professor mitfühlend an.

„Nein", schaltete Tarsuinn auf stur. „Vielleicht wäre es ein Grund, wenn Sie mir erzählen würden, was Sie wirklich besorgt macht."

Heimlich bereitete es Tarsuinn eine tiefe Befriedigung, den kleinen Professor verblüfft zu haben. Ein kurzes Japsen war zu hören, dann das sympathische Kichern des Professors.

„War das eben ein Schuss ins Blaue oder erkennst du selbst Halbwahrheiten am Klang der Stimme?", fragte der Mann interessiert.

„Pure Logik", erklärte Tarsuinn nur. „Vorgestern erinnerte mich Professor Dumbledore nur extra daran, nicht in den Wald zu gehen. Gestern wurde mir verboten, das Schloss zu verlassen. Also muss zwischendurch etwas geschehen sein! Und da die von Ihnen genannten Probleme nicht sonderlich neu sind..."

Tarsuinn brach den Satz ab.

„...musste wohl etwas anderes vorliegen", vollendete Professor Flitwick für ihn. „Ich schätze, ich sollte mich für meine plumpe Ausrede entschuldigen, aber mir fiel nichts Besseres ein."

„Warum haben Sie es dann versucht?"

„Weil wir selbst keine richtige Begründung für unsere Sorge haben oder kannst du uns erklären, warum die Dementoren an dir persönlich interessiert sind?"

Vor Schreck blieb Tarsuinn der Mund offen stehen.

„An mir interessiert?", stammelte er. Die Aufmerksamkeit dieser Wesen zu genießen, jagte ihm extreme Angst ein.

„Ja", bestätigte Professor Flitwick. „Natürlich sind sie hier, um Black zu fangen, aber sie haben auch nach dir gefragt. Professor Lupin glaubt, du hättest einen Dementor verletzt."

„Hab ich nicht!", sagte Tarsuinn. „Das hab ich Professor Lupin auch schon erzählt."

„Ja, aber hast du ihm auch alles erzählt?", forschte Professor Flitwick nach. „Ich weiß, dass es dir schwer fällt Unbekannten zu vertrauen."

Die Frage, die jetzt unausgesprochen im Raum lag war, wie sehr er denn nun Professor Flitwick vertraute.

„Weißt du, dass es recht ungewöhnlich für einen Schüler ist, überhaupt einen Zauber zustande zu bringen, wenn er zum ersten Mal einem Dementor begegnet?", versuchte Professor Flitwick ihn sanft zum Reden zu bringen.

„Die Angst ist überwältigend", stimmte Tarsuinn leise zu. „Sie sind so kalt, so...so widerlich das einem übel wird. Man kann vor Angst kaum denken."

„Sie nehmen einem Glück und Freude", ergänzte der Professor. „Das geht jedem so. Auch erwachsenen Zauberern"

Tarsuinn schüttelte den Kopf.

„Nicht?", fragte Flitwick verwundert.

„Nur Angst", beharrte Tarsuinn und fügte dann doch leise hinzu. „Der Dementor wollte mir Rica aus meinem Kopf ziehen..."

Eine Weile sann Tarsuinn still nach. Der Dementor hatte nach seinen Erinnerungen und Gefühlen gegriffen, doch statt etwas zu erhalten, hatte Tarsuinn eher in ihn hineingesehen und dieser wirklich kurze Einblick war es gewesen, welcher seinen Zauber ausgelöst hatte. Dass jemand ihm seine Erinnerungen stehlen wollte und seine Freunde ängstige, hatte ihn genauso wütend gemacht, wie damals als Snape in seinen Kopf eingedrungen war. Er hatte vorgehabt, den Dementor in die Schlucht zu stürzen und wenn dies geklappt hätte und das Wesen gestorben wäre, es hätte ihn nicht berührt.

„Die Dementoren haben weder Gewissen noch eine Moral, Professor", sagte er fest. „Ihnen ein Gefängnis zu geben ist falsch und sadistisch!"

„Es gibt Leute, die der Ansicht sind, es wäre genau das, was Verbrecher verdienen und die Dementoren nehmen ihnen den Wunsch zu fliehen", bemerkte Professor Flitwick, doch es war offensichtlich, dass der Professor diese Argumente selbst nicht teilte.

„Selbst wenn sie keine Unschuldigen dorthin schicken würden,...", meinte Tarsuinn feindselig, wobei er nicht den Professor meinte. „...und bei Hagrid haben sie es gemacht, ist das unangebracht grausam! Ich wäre lieber tot, als immer in deren Nähe."

„Würdest du das auch sagen, wenn man Pádraigín Davian nach Askaban schicken würde?", stellte Professor Flitwick eine durchaus berechtigte Frage. Doch das war eine Überlegung, die Tarsuinn schon längst für sich abgeschlossen hatte.

„Ja", antwortete er deshalb sofort. „Nicht mal diesen Black sollte man ihnen geben! Es ist als würde man die Pest noch füttern, nur damit sie einen selbst verschont!"

„Interessanter Vergleich", murmelte der Professor zustimmend. „Aber weißt du überhaupt, was Sirius Black getan hat?"

„Ich weiß nur, dass er ein Mörder sein soll", gestand Tarsuinn, woraufhin ihm der Professor eine kleine Geschichte über Black erzählte.

Am Ende war Tarsuinn nicht mehr ganz so überzeugt davon, dass niemand Askaban verdiente.

„Ich zähle darauf, dass du die Geschichte für dich behältst, Tarsuinn", beendete der Professor seine Erzählung. „Trotzdem bin ich in Bezug auf die Dementoren deiner Meinung. Mit ihnen zusammen zu arbeiten, ist wie den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Die Wahl der Mittel ist einfach nicht richtig. Aber leider können wir hier dies nicht ändern und die Dementoren werden hier bleiben, bis Black gefasst ist. Und du solltest ihnen deshalb nicht zu Nahe kommen. Siehst du das ein?"

„Ja."

„Kann ich also die zusätzlichen Stunden streichen?"

„Nein!"

Professor Flitwick seufzte schwer.

„Es ist zum Haare raufen mit dir", klagte er. „Ich dachte, die Einsicht würde dir die richtige Wahl leichter machen."

Tarsuinn zuckte einfach mit den Schultern. Er wollte einfach kein Versprechen geben und das nicht nur aus Prinzip. Den halben Sommer lang hatte er vorgehabt sich in den Wald zu den Einhörnern zu schleichen und diesen Ausflug wollte er nicht aufgeben. Zwar hatte er dem Direktor versprochen nicht in den Wald zu gehen, aber da war er einfach davon ausgegangen, dass ein bestimmtes Einhorn ihn abholen würde. Ihm war zwar nicht klar, wie er sich darüber so sicher sein konnte, aber es war für Tarsuinn eine Tatsache – ohne die Dementoren wäre sein Einhorn da gewesen und hätte ihn erwartet. Er hatte sich so darauf gefreut es zu berühren.

„Darf ich wenigstens zu den Quidditchspielen mit raus, Professor?", bat Tarsuinn.

„Das wird ganz davon abhängen, wie viele Probleme du mir bis dahin machst", entgegnete der Professor. „Prinzipiell aber ja. Schließlich wollen wir dich ja nicht bestrafen."

„Denken Sie bitte daran, wenn es soweit ist", lächelte Tarsuinn vorsichtig, was Professor Flitwick sofort wieder in seine gute Laune verfallen ließ.

„Es wird sehr schwer sein, einen Termin für Strafen zu finden, so voll wie dein Tagesplan nun ist", lachte er. „Ich werd also sehen, was sich machen lässt. So, und jetzt sieh zu, dass du zu Professor Snape kommst. Es ist schon fast zu spät dafür."

„Können Sie nicht sagen, es ist zu spät?", bettelte Tarsuinn indirekt.

„Nein, denn es ist wichtig", zerschlug der Professor seine Hoffnungen. „Vertrau mir und erkenn in Professor Snape nicht immer nur das Schlechte."

„Er zeigt nichts anderes", widersprach Tarsuinn, obwohl er wusste, dass es nicht unbedingt stimmte. Professor Snape hatte ihm letztes Jahr ein oder zwei Mal sehr geholfen. Nur stand dies in keinem Verhältnis zu den unzähligen Gemeinheiten, die Tarsuinn dafür hatte ertragen müssen.

Er wünschte Professor Flitwick einen guten Abend und begab sich auf seiner heutigen Lehrertour Richtung Kerkergewölbe, wo ihn Professor Snape schon ungeduldig erwartete.

„Lesen Sie das!", forderte der Professor statt einer Begrüßung von ihm und drückte Tarsuinn eine Pergamentrolle in die Hand.

Er las das Geschriebene schnell durch und schüttelte dann den Kopf.

„Dieser Wolfsbanntrank ist viel zu kompliziert für mich", erklärte er entschieden. „Den bekomme ich nicht hin."

„Halten Sie mich für dumm?", fragte Snape kalt und das war keine Frage, die Tarsuinn zu beantworten gedachte und anscheinend auch nicht sollte, denn der Professor fuhr ohne große Pause fort. „Natürlich übersteigt dieser Trank ihre rudimentären Fähigkeiten. Ganz davon abgesehen, dass zwei gesunde Augen unbedingt erforderlich sind."

Ja, es war ein Vergnügen mit Professor Snape zu sprechen. Der Mann war ja so sympathisch und rücksichtsvoll.

„Was soll ich dann hier?", fragte er, ohne seine Abneigung zu verbergen.

„Helfen! Wie Sie es wünschten", drehte Snape das Messer in der Wunde um.

Am liebsten hätte Tarsuinn ihn gefragt, ob er das denn nicht allein könne, aber wieder hielt er lieber die Klappe. Irgendwie hielt er es nicht für ratsam, Snape bei etwas an den Karren zu fahren, was dieser perfekt beherrschte. Um Zeit zu gewinnen, las er noch einmal das Rezept durch. Zu seinem Erstaunen sagte Snape nichts dazu.

„Sehr zeitkritisch und fehleranfällig. Die Zutaten müssen frisch sein", sagte Tarsuinn dann. „Ich nehme an, es würde Ihnen helfen, wenn ich alles vorbereite."

„Ich habe Ihre Hilfe nicht wirklich nötig. Bilden Sie sich nichts ein!", erklärte Snape abfällig.

„Aber Sie hätten die Möglichkeit sorgfältiger und entspannter zu arbeiten", versuchte Tarsuinn dem Professor wenigstens ein Zugeständnis abzuringen. Doch dies war vergebliche Mühe.

„Sie verschwenden meine Zeit, McNamara", sagte der Professor geschäftig. „Machen Sie sich endlich an die Arbeit."

Er gab sein vorübergehendes Ansinnen auf, irgendetwas Nettes an Snape zu entdecken und holte seine Werkzeuge hervor. Dann machte er sich mit Tikkis Hilfe an die Arbeit. Sie brachte ihm die Zutaten, er zerlegte sie auf die vorgeschriebene Art.

Mit den Ohren verfolgte er jeden der Arbeitsschritte des Professors. Egal ob er Snape nun mochte oder nicht, der Lehrer hätte durchaus einen hervorragenden Koch abgegeben und im Grunde war Tarsuinn hier wirklich überflüssig.

„Wozu brauchen Sie diesen Trank überhaupt?", fragte Tarsuinn in einer von zwei kurzen Pausen, in denen Snape das Gebräu nur rühren musste.

„Es gibt ein Werwolfproblem in Schottland", gab ihm der Professor unerwarteterweise eine verwendbare Antwort, auch wenn er klang, als würde er jedes Wort angeekelt ausspucken. „Der Direktor hat versprochen, dass wir helfen."

„Das ist doch gut", fand Tarsuinn.

„Es gibt bessere und billigere Wege, dieses Problem zu beseitigen", zischte Snape. „Und jetzt halten Sie den Mund und konzentrieren Sie sich auf Ihre Aufgabe. Während man einen Trank braut, ist nicht die Zeit für sinnbefreiten Smalltalk."

Ach – und jemanden während des Brauens niederzumachen, war hilfreich oder was? Beinahe hätte er das auch gesagt, aber der Gedanke an seine Freunde und die anderen Ravenclaws ließ ihn verstummen. Bei Snape war es verheerend anderer Meinung zu sein. Fürs Haus, wie für einen selbst. Egal ob man nun im Recht war oder nicht.

Während er so still vor sich hin ein paar Seelenfängerfalter der Flügel beraubte, musste er plötzlich lächeln. Wenn man so still neben Snape arbeitete, war es ironischerweise fast so, als würde man neben einem Dementor stehen. Der Professor verbreitete Angst und er schien auch jeden glücklichen Gedanken mit seiner Präsenz ersticken zu wollen. Natürlich war es nicht dasselbe. Über Snape konnte man lachen, sobald man sich von ihm entfernt hatte, über die Dementoren lachte niemand. Nicht mal heimlich.

„Sie können für diesmal gehen!", sagte Snape plötzlich, kurz bevor der Trank fertig wurde. So gern Tarsuinn auch aus diesem Raum heraus wollte, würde er so den spannendsten Teil verpassen. Er wog kurz das Für und Wider ab – dann packte er seine Sachen ein.

„Warum für diesmal?", fragte er den Professor, nachdem er über dessen Worte nachgedacht hatte.

„Der Trank heilt nicht", sagte Snape kurz angebunden. „Er wird immer wieder gebraucht."

„Gut, dann haben Sie ja gut zu tun", sagte Tarsuinn kurz angebunden, nahm seine Schultasche und ließ Tikki auf seine Schulter springen.

Tarsuinn hatte schon den halben Weg zur Tür geschafft, als der Professor etwas dazu sagte.

„Dann werde ich dem Direktor wohl ausrichten müssen, dass meine Zeit nicht ausreicht und dass man wohl die allgemein empfohlene und endgültige Lösung wahrnehmen muss."

Die kalte Befriedigung in Snapes Stimme ließ Tarsuinn stocken. Es war nur eine Halbwahrheit, das hörte er deutlich und er glaubte nicht, dass der Professor den Trank nicht brauen würde, aber die mörderische Freude, die dem Mann der Gedanke an die endgültige Lösung bereitete, jagte Tarsuinn Schauer den Rücken hinunter. Vielleicht war es gar keine so dumme Idee, Snape ein wenig zu beaufsichtigen. Der Trank war kompliziert, selbst für Professor Snape anscheinend und Fehler passierten.

„Sie würden andere Menschen sterben lassen, nur weil Sie keine Zeit haben?", fragte Tarsuinn zornig und drehte sich herum.

„Wir reden hier nicht von Menschen", erklärte Snape mit einem fast wütenden Knurren. „Und jetzt verschwinden Sie."

Für einen Augenblick stand Tarsuinn wie angewurzelt da. Ob vor Schreck oder vor Zorn konnte er nicht sagen. Er hatte Snape schon immer für rücksichtslos gehalten, aber zum ersten Mal hatte er wirklich das Gefühl, dass der Mann über Leichen gehen konnte und dass unter seiner sonst eiskalten Maske ein Vulkan voll unterdrücktem Zorn brodelte.

„Ich werde da sein, wenn Sie den nächsten Trank brauen", versprach Tarsuinn, drehte sich langsam um und ging dann weg, ohne sich richtig des Weges bewusst zu sein, den er wählte. Er bemerkte zwar den Geist, der ihm bis zum Ravenclaw-Turm folgte, aber bis auf die Graue Lady pflegte er Geister zu ignorieren. Man sah sich einfach irgendwann an leuchtenden hellen Flecken satt.

Erst die Ankunft im Gemeinschaftsraum lenkte seine Gedanken von Snape auf ein anderes Thema. All seine engeren Ravenclaw-Freunde waren noch wach und warteten auf ihn. Er suchte sich einen leeren Sessel und ließ sich erschöpft hineinfallen.

„Ich bin hinüber!", verkündete er theatralisch. „Legt ne Decke über mich und macht das Licht aus."

„Später vielleicht", bot Luna trocken an.

„Nicht ratsam!", warf Winona ernsthaft ein.

„Warum?", wollte Ian wissen.

„Du willst doch den Gemeinschaftsraum morgen wieder erkennen, oder?", deutete das Mädchen überlegen an.

Ein äußerst intelligent klingendes „Häh?", war die einzige Reaktion von Ian.

„Ich erklär's ja schon", ergab sich Tarsuinn seinem Schicksal. „Wahrscheinlich ist es so am fairsten euch gegenüber."

Und dann erzählte er mit langsamen und einfachen Worten, was es mit seinem Wilden Talent auf sich hatte. Dabei ließ er bewusst aus, wie er zu seinen Kräften gekommen war und stellte sie als Folge seiner Kopfverletzung am Ende des letzen Schuljahres dar.

„Verstehe ich das richtig?", fragte Ian, nachdem Tarsuinn geendet hatte. „Du hast die halbe Krankenstation zerlegt?"

„Die Ganze", korrigierte Tarsuinn unsicher lächelnd. „Ich meine...na ja...ich hab's nicht wirklich mitbekommen oder absichtlich gemacht. Irgendwie lasse ich niemanden in meine Nähe, wenn ich träume."

„Und das im Zug?", fragte Ian weiter. „War das kontrolliert?"

„Ich weiß es nicht", gestand Tarsuinn betreten. „Ich kann nicht sagen was passiert wäre, wenn einer von euch im Weg gestanden hätte."

„Was ist, wenn du dich über jemanden richtig aufregst? Wenn ich dich ausversehen anremple und du gerade wütend bist? Was ist wenn irgendein Slytherin dich bedroht oder verflucht?", wollte Ian weiter wissen und mit jeder Frage wurde sein Ton aggressiver.

„Ich weiß es nicht!", konnte Tarsuinn sich nur wiederholen und fühlte sich ganz klein. Ian sprach nur die Fragen aus, die ihn selbst ängstigten. Und wenn er daran dachte, wie er reagiert hatte als er sich von Professor Snape angegriffen fühlte, dann fand er Ians Fragen mehr als berechtigt.

„Nichts gegen dich", fuhr Ian fort und ein wenig Mitleid klang dann doch in der Stimme des Jungen mit. „Aber es wäre eigentlich besser, wenn du erst deine Zauberkraft unter Kontrolle bekommst, bevor du hier nach Hogwarts kommst."

Tarsuinn wusste auch darauf keine Antwort.

„Wie kannst du so was sagen!", fauchte stattdessen Winona. „Tarsuinn ist unser Freund. Du würdest ihn wohl am liebsten wegsperren?"

„Natürlich nicht", entgegnete Ian. „Und wenn du objektiv wärst, würdest du das auch so sehen."

„Ich verfalle zumindest nicht in Panik, nur weil vielleicht und eventuell was passieren könnte."

„Ach – und du bist jetzt Fachfrau?"

„Zumindest hat Tarsuinn die halben Ferien über bei uns gewohnt und nichts ist passiert. Selbst als wir mal Stress hatten. Bis eben hast du dir doch auch keine Sorgen gemacht, oder?"

„Und ob ich mich nach der Sache im Express unwohl gefühlt habe!", entgegnete Ian. „Ich bin nicht blind, aber ich dachte, dass Tarsuinn das unter Kontrolle gehabt hat. Aber jetzt..."

„Jetzt braucht er unsere Unterstützung, verflucht noch mal. Professor Flitwick vertraut ihm und auch die anderen Lehrer. Warum nicht wir, als seine Freunde?"

Es gab Tarsuinn einen Stich, dass Winona wir sagte, was bedeutete, dass Ian nicht nur für sich selbst sprach.

„Weil Tarsuinn selbst Angst vor sich hat", hielt Ian dagegen. „Schau ihn dir doch an."

Tarsuinn tat es leid, dass er Winona mit seiner zusammengesunkenen Haltung so in den Rücken fiel. Ians Argumentation kam für ihn nicht überraschend, sie war genauso richtig wie befürchtet.

„Klar hat er Angst", zischte Winona. „Weil du genauso daneben reagierst, wie die meisten, die davon hören werden. Denk nur daran, wie wir über Potter geredet haben, weil er Parsel kann. Genauso benimmst du dich jetzt wieder!"

„Das kannst du nicht vergleichen!"

„Ach – soweit ich mich erinnere, wollten manche Potter auch von der Schule weisen. Vorsorglich."

„Ich aber nicht!"

„Aber solche wie du. Einfach aus Angst willst du ihn los..."

„Winona!", fasste Tarsuinn sich endlich ein Herz und unterbrach seine Verteidigerin. „Vielleicht...vielleicht sollten wir darüber einfach schlafen. Ich will nicht, dass ihr euch wegen mir streitet."

„Ja", sagte Ian nach einem kurzen unangenehmen Schweigen. „Vielleicht ist das eine gute Idee."

Der Junge stand auf und ging ohne ein weiteres Wort weg. Alec folgte ihm nach wenigen Sekunden und auch Cassandra ging zu Bett, wobei das Mädchen sich wenigstens zu einem: „Gute Nacht", durchringen konnte.

„Was ist mit euch?", fragte Winona leise und meinte damit sicherlich Merton und Luna.

„Tarsuinn tut mir nichts. Sonst hätte er mich heute beim Abendessen gegrillt", verkündete Merton überzeugt und legte eine unangebrachte Fröhlichkeit an den Tag. „Ich mache mir nur Sorgen, du könntest glauben, du müsstest jetzt einen anständigen Lebenswandel führen, Tarsuinn. Was natürlich völliger Quatsch ist."

Entgegen seiner momentanen Stimmungslage musste Tarsuinn lächeln.

„Und du Luna", forschte Winona weiter.

„Ich wusste immer, dass Tarsuinn etwas abseits der Norm ist", entgegnete das angesprochene Mädchen verträumt. „Warum sollte ich jetzt überrascht sein?"

„Weil das Wilde Talent so selten ist und selbst für dich unerwartet sein sollte?", stichelte Merton gutmütig.

„Das Unerwartete tritt am häufigsten auf", erklärte Luna ernsthaft.

„Seltsam – ich bekomme immer die schlechten Noten, die ich erwarte", lachte Merton.

„Das liegt daran, dass du diese Noten verdienst, was wiederum das Unerwartete ausschließt", erläuterte Luna weiter.

„Du bist so nett zu mir", amüsierte Merton sich weiter und Tarsuinn hatte das Gefühl, dass der Junge dies nur tat, um ihn aufzumuntern. „Wir sollten heiraten."

„Dazu weckst du zu wenig mein Interesse", verkündete Luna geradezu aufreizend emotionslos. „Ein Kind des Einhorns hingegen..."

Statt den Satz zu beenden stand sie auf und ging Richtung der Mädchenschlafsäle.

„Du hast vergessen, eine Gute Nacht zu wünschen, Luna", rief Merton ihr nach.

„Tarsuinn wird keine haben", murmelte das Mädchen nur zur Antwort und ging einfach weiter.

„Also ich weiß nicht, was ihr denkt", seufzte Merton gespielt enttäuscht. „Aber ich glaube, das war der erste Korb meines Lebens."

„Gewöhn dich dran", brummte Winona und dann plötzlich mussten sie alle drei laut und überspannt lachen. Es war gar nicht so komisch, aber es löste etwas in Tarsuinn und selbst Winona schien das gebraucht zu haben. Es war ein guter Abschluss eines nicht sonderlich begeisternden Tages. Tarsuinn beschloss, es erstmal dabei zu belassen und Winona später von den Dementoren zu erzählen. Solange er das Schloss nicht verließ, konnte das warten.

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story by Tom Börner Das Geheimnis der Dementoren (Arbeitstitel)

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