- Kapitel 12 -

Bluthunde

Sie war froh, als sie am Morgen aufwachte. Toireasa hatte völlig wirres Zeug geträumt und fühlte sich überhaupt nicht erholt. Es war zwar draußen noch dunkel, aber trotzdem verließ sie den Slytherin-Kerker, um hinauf zu den Ravenclaws zu gehen.

Der Tag gestern war eine einzige Katastrophe gewesen. Sie hatte fast den gesamten Nachmittag vor dem Adler zu den Gemeinschaftsräumen der Ravenclaws zugebracht. Da hatte es auch nicht geholfen, dass die Graue Lady ihr versichert hatte, Tarsuinn hätte sich nichts angetan. Sie hatte immer an Marie-Ann denken müssen und wäre Keyx nicht für Tarsuinn unterwegs gewesen, dann hätte sie sofort einen Brief an Rica geschrieben.

Da dies nicht möglich war, hatte sie erst mal ihrem Paten Filius ihr Herz ausgeschüttet, der sie zur Geduld gemahnt hatte. Man sollte Tarsuinn ein wenig Zeit geben und auf seine Stärke vertrauen.

Toireasa war zunächst anderer Ansicht gewesen.

Sie wagte nicht zu glauben, sie würde auch nur ansatzweise verstehen, was in dem Jungen vorging, aber – und da war sie sich mit Winona einig – er wandelte auf einem schmalen Grat. Schon in den Ferien hatte sie ab und an sorgenvoll nachts an seiner Tür gelauscht.

Ein weiteres Problem war, dass seit gestern ihr Respekt für Professor Snape gegen Null tendierte. Dass der Lehrer ein Problem mit der Fairness hatte, war ihr schon lange klar, aber dass er sich alle Mühe gab Tarsuinn so vorzuführen, konnte sie ihm einfach nicht vergeben.

Toireasa erreichte die Adlerstatue, die die Gemeinschaftsräume der Ravenclaws bewachte und musste nicht lange warten, bis ihr bekannte Gesichter begegneten.

Winona sah nicht so aus, als hätte sie viel geschlafen.

„Ist was...?", begann Toireasa, doch das Ravenclaw-Mädchen winkte ab.

„Er ist nachts raus, trotz meiner Superfalle", meinte Winona sauer. „Und ich hielt mich für so schlau."

„Wir sollten zu Filius gehen", meinte Toireasa alarmiert. „Er kann und dank des Steins sicher sagen, wo Tarsuinn ist."

„Nicht nötig", schüttelte Winona den Kopf. „Die Graue Lady hat gesagt, er ist draußen am See. Sie hat ein wenig auf ihn aufgepasst und wirkte sogar belustigt. Meinte was von – Tarsuinn würde im Boden versinken, wenn er wüsste."

„Was bedeutet?", fragte Toireasa.

„Keine Ahnung", zuckte Winona mit den Schultern. „Aber sie fand es lustig."

„Na wenigstens eine Person, die noch Spaß hat."

Dann gingen sie gemeinsam hinunter zum See. Es war ein Sauwetter. Die Sonne mochte zwar schon aufgegangen sein, aber der Regen und die Sturmwolken ließen nicht sonderlich viel Helligkeit zu.

„Was für ein bescheidenes Wetter für Quidditch", schrie Toireasa gegen das Heulen des Windes an. „Kein Wunder, dass Flint heute nicht spielen wollte."

„Ich finde es eher ein Wunder, wie man so verrückt sein kann", entgegnete Winona ebenso laut und deutete zu einer schemenhaften Gestalt mit zwei Köpfen. „Nicht gerade das perfekte Wetter für Thai-Chi-Chuan."

Toireasa wischte sich den Regen aus dem Gesicht und schaute genauer hin. Es dauerte noch einige Schritte ehe sie Genaueres erkennen konnte.

„Ich glaub, ich verstehe ein wenig die Graue Lady", kicherte Winona und auch Toireasa konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

Da stand Tarsuinn und machte seine Übungen. Zum einen tat er dies in der Schuluniform, was schon an sich lächerlich wirkte und zum anderen saß seine Kapuze nicht auf dem Kopf, sondern war von einem süßen Teddy besetzt, dessen Kopf durch die Nässe irgendwie genervt aussah. Es war erstaunlich, dass er nicht heraus fiel.

Als sie nur noch wenige Schritte entfernt waren, entdeckte Toireasa auch noch Tikki, die in einem Beutel im Gras lag und kaum ein Auge von dem Jungen ließ. Auch sie wirkte eher minder glücklich.

Toireasa und Winona warteten bis Tarsuinn mit seinen Übungen fertig war. Sie wussten inzwischen genug von diesem Sport, um zu wissen, dass es sinnlos war ihn währenddessen anzusprechen.

Dann ging er in die Grundstellung.

„Es geht mir gut!", sagte Tarsuinn, bevor Toireasa und Winona etwas sagen konnten. Im Grunde genommen lasen sie die Worte nur von seinen Lippen ab, da er nicht mal versuchte gegen den Wind anzuschreien.

„Schnapp dir Tikki!", rief Winona ihr ins Ohr, griff sich selbst den Jungen und zog diesen zum Schloss zurück.

Toireasa folgte mit einer dankbaren und leicht zitternden Tikki.

Kaum im Schloss drückte Winona Tarsuinn an die Wand. Nicht hart, aber sehr entschieden.

„Du hattest doch gesagt, keine einsamen Ausflüge mehr ohne mich!", fuhr das Mädchen ihn laut an.

„Ich hab mir doch nur was zu essen geholt", entgegnete er, ein wenig verletzt. „Das fällt doch sicher nicht unter mein Versprechen, oder?"

„Wenigstens wecken hättest du mich können", sagte Winona etwas ruhiger. „Wir haben uns verdammt viele Sorgen um dich gemacht!"

„Tut mir furchtbar leid", entschuldigte er sich und senkte schuldbewusst den Kopf. Ein Anblick den Winona anscheinend nicht ertragen konnte.

„Ach, halb so wild", sagte das Mädchen betont freundlich und schien sich nicht zwischen einem netten Schubser oder eine Umarmung entscheiden zu können. Heraus kam irgendeine Art ungelenkes Zwischending.

Viel selbstbewusster konnte Toireasa Kuss damals auch nicht ausgesehen haben.

Bei dem Gedanken daran wurde ihr wieder siedendheiß. Bis heute war ihr nicht klar warum sie es gemacht hatte und sie würde niemandem gestehen, dass sie im ersten Moment auf den Mund gezielt hatte, doch dann hatte sie der Mut verlassen. Genau wie eben anscheinend Winona, nur dass diese auch noch von Toireasa beobachtet wurde.

„Ähem, sollten wir nicht das nasse Zeug ablegen, Tikki wärmen und dann Essen gehen?", versuchte Toireasa den Moment zu überspielen. Der Witz war, dies war nur für Winona wichtig, Tarsuinn hatte von dem Augenblick überhaupt nichts mitbekommen.

„Oh je, Tikki", sagte er besorgt und zog seinen Umhang aus. Der Teddy fiel dabei vergessen auf den Boden.

Tikki sprang aus dem Beutel. Tarsuinn wickelte das kleine Wesen in die trockene Innenseite seines Umhangs. Erst dann schien ihm wieder der Teddybär in den Sinn zu kommen.

„Tschuldigung!", murmelte der Junge zu dem Kuscheltier, als wäre es lebendig. „Bin noch nicht an dich gewöhnt."

Toireasa sah, wie Winona die Stirn runzelte. Dass Tarsuinn mit Tikki sprach war eine Sache, aber mit einem Teddy, das wirkte irgendwie viel zu kindisch für den Jungen.

„Wenn wir nachher zum Spiel gehen, sollten wir uns regenfest einpacken!", sagte Winona und warf Toireasa einen bedeutungsvollen Blick zu. „Wir gehen doch zum Spiel, oder?"

„Klar!", sagte Toireasa schnell und freute sich, dass Tarsuinn leicht nickte.

Er schien sogar kurz zu lächeln.

Danach gingen sie frühstücken.

In der Großen Halle war schon die Vorfreude auf das erste Quidditchspiel dieses Schuljahres zu spüren. Aufgeregtes Fachsimpeln an allen Ecken und Enden. Die Hufflepuffs und die Gryffindors wünschten ihren Spielern alles Gute und viele Blicke gingen besorgt hinauf zur transparenten Decke, um die schnellen dunklen Wolken zu betrachten.

Am Tisch der Slytherins hingegen herrschte größtenteils Schadenfreude vor. Flint und Malfoy beglückwünschten sich zu ihrem gelungenen Schachzug, um heute nicht spielen zu müssen. Toireasa kam nicht umhin, sich dafür zu schämen. Sie wusste nur zu gut, dass Draco Malfoys Arm ihm überhaupt nicht mehr wehtat. Er tat nur noch schwer verletzt. Manchmal vergaß er nämlich den Verletzten zu spielen und machte gewohnheitsmäßige Bewegungen mit dem Arm, ohne theatralisch das Gesicht vor Schmerzen zu verziehen.

Außerdem hatte Flint doch rotzfrech behauptet, es gäbe keinen Slytherin, der als Ersatz für Malfoy antreten konnte, denn normalerweise war es bei den Häusern üblich, einen anderen Spieler zu nominieren, statt ein Spiel abzusagen. Dabei dachte Toireasa gar nicht mal an sich selbst, denn der Gedanke mit Flint zu spielen war ihr inzwischen zuwider, aber es gab da immer noch Terence Higgs, der auch einen guten Sucher abgegeben hätte.

Was Toireasa jedoch am meisten ärgerte war, dass Flint nicht die Chance erkannte, die ihm dieses Wetter geboten hätte. Gryffindor lebte von einem schnellen und eleganten Spiel, einer allgemein guten Teamzusammenarbeit und einem akrobatischen Flieger als Sucher.

Bei einem solchen Wetter jedoch, war das soviel schwieriger umzusetzen. Oliver Wood, Kapitän Gryffindors und immer noch ihr Lieblingsspieler, konnte bei so einem Wetter seine Spieler nicht durch Zurufe lenken. Das Spiel der Jäger musste bei solchen Sturmböen eher einer Lotterie gleichen und die Sucher brauchten mehr als Glück, um überhaupt den Schnatz zu sehen. Der einzige absolute Vorteil, den Toireasa bei den Gryffindors gesehen hätte, wären ihre Treiber gewesen. Die Weasley-Zwillinge waren dem Treiberteam der Slytherins einfach überlegen, aber auch die hätten die Chance auf mehr Glückstreffer gehabt. So aber würde Slytherin jedoch bei besserem Wetter im Frühjahr gegen Gryffindor spielen und da, glaubte Toireasa, würde wieder alles von Malfoy abhängen. Mehr Punkte traute Toireasa dem Jägerteam der Gryffindors zu und Draco Malfoy nur ein aufgeblasenes Ego.

Sie setzte sich an den Slytherin-Tisch und versuchte sich ihre Gedanken nicht anmerken zu lassen.

Neben ihr ließ sich William nieder.

„Ich muss dich nachher sprechen", murmelte er, ohne in ihre Richtung zu schauen. „Und bring Tarsuinn mit."

Sie nickte langsam. Es war schon erstaunlich. Noch vor zwei Wochen hatte William immer nur dein Ravenclaw-Freund oder McNamara gesagt. Seit Halloween war das anders. Ob William es überhaupt bemerkt hatte?

Sie war gerade fertig mit Essen, als die Post eintraf. Sie konnte Keyx erkennen, der sofort auf Tarsuinn zusteuerte. Ihre kleine Eule sah zersaust aus und das lag nicht nur am Wetter. Hinter Keyx flog eine andere, größere Eule, die versuchte ihn anzugreifen. Toireasa hatte schon fast ihren Zauberstab in der Hand, als Winona Keyx quasi aus der Luft pflückte, während Tikki die folgende Eule ansprang, sie zu Boden riss und dann wieder freiließ.

Die große Eule rappelte sich auf, kam dann zum Slytherin-Tisch geflogen und ließ sich neben Vivian Hogan nieder. Das Mädchen grinste sie bösartig über den Tisch an und streichelte die Eule, die Toireasa jetzt endlich erkannte. Loki! Dieses Miststück hatte das Tier darauf dressiert Keyx anzugreifen. Neben Toireasa landeten die Eulen ihrer Großeltern und lenkten sie von dem Mädchen ab.

„Wenn du Melissa siehst", flüsterte sie William zu. „Sag ihr, dass wir uns unbedingt noch vor Weihnachten um ihre Haare kümmern werden, okay?"

„Mmh!", brummte William nur.

Toireasa richtete ihren Blick wieder auf Tarsuinn, der inzwischen Keyx von seinem Brief befreit hatte und ihn dankend streichelte. Dann schüttelte er das Wasser von dem Papier (wahrscheinlich das von Wetterfest und Unverwüstlich) und begann zu lesen.

Keyx kam zu Toireasa herüber und sie ließ ihn auf ihrer Hand landen. Sie lobte ihn für seine tolle Leistung. Bei diesem Wetter wäre jede andere Zwergohreule überfordert gewesen. Daraufhin wuchs ihr kleiner Held um sicher drei Millimeter und Toireasa streichelte mit zwei Fingern sein Federkleid glatt. Er sah wirklich recht zerfleddert aus.

Toireasa beschloss, ihn nicht in die Eulerei zu lassen, sondern ihn ein oder zwei Tage zu pflegen. Ein wenig war es bedauerlich, dass es in den Räumen des Hauses Slytherin keine Fenster gab. Ansonsten hätte sie Keyx ständig bei sich behalten und ihn nachts immer raus gelassen. Sie wusste, dass viele Ravenclaws ihre Eulen so hielten.

Toireasa las die Briefe von ihren Großeltern und beendete ihr Essen.

„Wo treffen wir uns?", fragte sie leise William.

„Bei den Gewächshäusern", murmelte er zwischen kaum geöffneten Zähnen zurück. „In einer halben Stunde."

Sie antwortete nicht darauf, sondern stand auf, steckte Keyx vorsichtig in ihre Umhangtasche und ging hinüber zu dem Tisch der Gryffindors. Sie wünschte Oliver viel Glück, störte sich nicht an einigen seltsamen Blicken und ging dann hinüber zu Tarsuinn und Winona und flüsterte den beiden den Treffpunkt zu.

Im Anschluss daran besorgte sie rohes Fleisch, das es in der Eulerei gab und brachte Keyx in ihr Zimmer, wo er futtern, trocknen und sich ausruhen konnte.

Danach machte Toireasa sich auf zum Treffpunkt, wo man schon auf sie wartete. Sie bekam gerade noch mit, wie Tarsuinn etwas sagte:

„Übrigens – danke William für deine Hilfe gestern", meinte der Junge. „Das hätte ins Auge gehen können."

„Ich bezweifle, dass ich es gemacht hätte, wenn mir klar gewesen wäre, was du anstellen kannst", entgegnete William und winkte ab. „Aber jetzt gibt das Ganze einen noch besseren Sinn. Auch wenn mir Toireasa nichts sagen wollte."

William nickte ihr zur Begrüßung zu.

„Okay – zum Thema. Toireasa bat mich ein wenig über den Provokationstest herauszufinden und ich schätze, es ist wegen dir, Tarsuinn."

„Nach gestern wohl kaum eine Überraschung", lächelte Tarsuinn geradezu versonnen.

„Naja, ich hab es schon vorher angenommen", korrigierte William. „Aber egal. Zumindest hab ich vorgestern den entscheidenden Brief von einem Verwandten bekommen und ihr solltet euch echt Sorgen machen. Hört zu!"

Hallo William,

ich bin sehr froh, dass Du Dir schon recht früh über deinen beruflichen Werdegang Gedanken machst und ich bin stolz, dass Dir dabei meine Berufung in den Sinn gekommen ist. Menschen zu helfen ist ein edles Werk.

„Irgendeine Ausrede brauchte ich ja ihm zu schreiben", erklärte William verlegen. „Er fällt etwas aus der Familie und Kontakt mit ihm ist eigentlich nicht erwünscht."

Zumindest interessierst Du Dich für ein besonders delikates Problem, denn am so genannten Provokationstest scheiden sich die Geister.

Geschichtlich gesehen wurde dieser Test in der Annahme entwickelt, man könne mögliche Gefahren voraussehen, die von einem einzelnen Zauberer oder einer Hexe ausgehen. Wir vereinen eine große persönliche Macht in uns und es braucht große gesellschaftliche und persönliche Grenzen, um uns vor einem Missbrauch zu schützen. Besonders wenn wir wütend sind, tendiert der Mensch – und hier vor allem Männer – zur Gewalt, um Probleme zu lösen. Nur ist es schwierig dies im Vorfeld zu erkennen. Wütend zu sein oder die Kontrolle über seine Wut zu verlieren, sind zwei himmelweite Unterschiede und man kann nicht vorhersagen, wer dazu neigt.

Der Provokationstest nun, entstand aus der Theorie, dass man einen Magier einfach mit einer Stresssituation konfrontieren müsse, um zu erfahren, wie er reagieren würde. Die ersten Tests wurden mit psychisch Kranken gemacht, die vor einer Entlassung als geheilt standen. Zum Schein entließ man sie, doch in Wirklichkeit hielt man sie unter strenger Aufsicht. Dann begann man ganz langsam das Testobjekt mit seinen Ängsten oder Problemen zu konfrontieren und die Reaktion bestimmte dann, ob es freigelassen wurde oder nicht.

Die Entlassungsrate aus der Abteilung für Krankheiten des Geistes sank in dieser Zeit deutlich, aber auch die Anzahl der Rückfälle wurde geringer. Die Entwickler des Tests hielten das für einen Erfolg, während die Kritiker argumentierten, wenn man weniger entlässt, dann werden auch weniger rückfällig. So stritten sich die Fachleute eine Weile und danach verschwand der Provokationstest mehrere Jahrzehnte in der Versenkung.

Bis zur Zeit von Du-weißt-schon-wem.

In dem damaligen Klima des Misstrauens kam die Idee erneut auf. In der Hoffnung, damit schon Anhänger von Dem-dessen-Name-wir-nicht-aussprechen zu entlarven, bevor sie sich für dessen Seite entschieden. Es gab sogar eine eigene Abteilung beim Ministerium dafür, die aber vor zehn Jahren recht still wieder aufgelöst wurde. Was auch kein Wunder war, denn niemand im Ministerium wollte an die große Glocke hängen, dass mehr als neun von zehn der in St. Mungos vorsorglich Eingesperrten wieder ohne Befund entlassen werden mussten.

Trotzdem gibt es noch immer eine starke Fraktion von Leuten, die diese Vorgehensweise für gerechtfertigt hielten und halten.

Inzwischen hat man den Provokationstest verfeinert und strengen Regeln unterworfen, jedoch halten immer noch die meisten Geistheiler in St. Mungos – genau wie ich selbst – diese Vorgehensweise für falsch. Ich werde Dir gleich schildern warum.

Zunächst zum Test an sich.

Erstes Grundprinzip ist, der zu Prüfende darf niemals wissen, dass er geprüft wird!

Inzwischen ist es auch Vorschrift, dass der zu Prüfende vor dem Test einer gründlichen körperlichen Untersuchung zu unterziehen ist. Es gab schon Vorkommnisse, dass zum Beispiel einer jungen Hexe das Herz stehen blieb, als man sie in einen engen Raum mit vielen Leuten einsperrte, den die Muggel Fahrstuhl nennen.

Desweiteren darf nicht das Leben des zu Prüfenden in Gefahr gebracht werden. Jeder Mensch verteidigt sein Leben, das darf niemandem zum Vorwurf gemacht werden. Bei dem Test geht es also darum, eine völlig überzogene Reaktion auf ein unerwartetes Vorkommnis zu provozieren. Normalerweise bringt man dazu die Ängste, Sorgen und Schwachstellen des zu Prüfenden in Erfahrung, indem man ihn selbst und seine Umgebung unauffällig befragt bzw. beobachtet. Um obiges fatales Beispiel wieder aufzunehmen - die zu prüfende Hexe damals litt unter Platzangst und hatte schon einmal eine Wand eingerissen, um einem engen Raum zu entkommen. Mit dem Test sollte damals festgestellt werden, ob sie es auch getan hätte, wenn sie damit andere Leben gefährdet hätte. Also manipulierte man ihre Wahrnehmungen und sorgte dafür, dass sie glaubte, in dem Muggelding namens Fahrstuhl – ein enger Raum halt – mit vielen Leuten eingesperrt zu sein. Nun – die Hexe bestand den Test, denn sie gefährdete niemanden, aber nach fünf Minuten brach sie vor Angst tot zusammen.

Und ein solches Beispiel zeigt nicht einmal den schlimmsten Fehler des Tests auf.

Ich und viele andere meiner Kollegen sind der Ansicht, wenn man nur intensiv genug sucht, findet man bei jedem Menschen den Punkt, an dem er seine Beherrschung verliert. Jeder hat eine schwache Stelle, die einen dazu bringt, das Unvorstellbare zu tun. Ich würde niemanden davon ausnehmen.

So – und jetzt zu Dir. Ich bin nicht so verdreht, wie der Rest unserer Familie glaubt. Deine Fragen lassen mich vermuten, dass Du von der anstehenden Prüfung eines Deiner Mitschüler weißt. Ich möchte Dir raten, Dich da herauszuhalten. Diese Untersuchung wurde von hoher Stelle im Ministerium angeordnet und unsere Familie braucht keinen solchen Ärger. Weder durch Einmischung in die eine, noch in die andere Richtung. Ich habe Dir alles nur dashalb so intensiv dargelegt, damit Du zum einen nicht weiter Fragen stellst und zum anderen, dass Dir klar wird, dass der Provokationstest durchaus auch für politische oder persönliche Ziele missbraucht werden kann. Gerate um Gotteswillen nicht aus Unvernunft zwischen die Fronten. Lass Deine Professoren dieses Problem behandeln.

Deshalb wäre es auch das Beste, wenn dieser Brief in Flammen aufgeht.

William beendete an dieser Stelle den Brief, obwohl Toireasa halb schielend bemerkte, dass das Geschriebene noch einige Zeilen weiter ging. Aber wahrscheinlich war das Privatkram und im Endeffekt war es schon erstaunlich, was alles William vorgelesen hatte.

Oder war das seine Art darauf hinzuweisen, was er geleistet hatte?

Toireasa konnte es nicht sagen und sie hatte auch keine Zeit weiter darüber nachzudenken. Während William vorgelesen hatte, hatte sie Tarsuinn beobachtet. Er hatte ruhig zugehört, ohne eine Miene zu verziehen, doch jetzt kicherte er.

Weder Toireasa, noch Winona und William verstanden diese Reaktion. Fast entsetzt schauten sie auf den Jungen. Sie konnten einfach nicht verstehen, was so lustig an dem Gehörten für ihn war. Toireasa wagte auch nicht danach zu fragen, aus Angst vor der Antwort.

„Ich an deiner Stelle, würde mir Sorgen machen", meinte William ärgerlich. „Du hast gestern sehr deutlich gesagt, was dich zum Ausflippen bringen würde. Man muss nur deinem Tier etwas antun."

„Ausflippen bedeutet unkontrolliertes Verhalten", meinte Tarsuinn lächelnd. „Wenn ich Leraux angehe, wäre das dann aber volle Absicht."

„So witzig ist das nicht, Tarsuinn", schimpfte jetzt auch Winona. „Die wenigsten würden verstehen, dass dir Tikkis Leben genauso viel wert ist, wie das eines Menschen."

„Ich lache nicht darüber", sagte er plötzlich ernst geworden. „Wirklich!"

Und dann zuckte erneut ein Lächeln über seine Lippen.

„Es ist nur zu komisch."

Leider erklärte er noch immer nicht, was komisch war.

„Aber noch mal danke, William", fuhr Tarsuinn fort und anscheinend versuchte er erneut ernst zu sein. „Ich weiß das zu schätzen."

„Und was machen wir jetzt?", fragte William betreten.

„Zum Spiel gehen", schlug Tarsuinn fröhlich vor und stand auf. „Ich bin wirklich gespannt, ob sich noch jemand getraut mich zu ärgern."

„Es könnte durchaus Slytherins geben, die sehr bereitwillig bei so einem Test helfen würden", sagte Toireasa ernst.

„Hab ich je bei einem dieser netten Mitschüler die Beherrschung verloren?", fragte Tarsuinn grinsend. „Los kommt schon. Es geht schließlich um Quidditch. Das wollt ihr doch nicht ernsthaft verpassen, oder?"

„Irgendwie habe ich das Gefühl, du willst ablenken!", murrte Winona.

„Wenn du nur ein Gefühl hast, dann verlässt dich aber so langsam deine Intuition", bestätigte er verschmitzt. „Denn ich hab keinen Schimmer, was ich jetzt machen soll. Aber eines weiß ich ganz genau, solange ich hier in Hogwarts bin, wird der Test fair sein müssen und davor hab ich keine Angst. Wenn mir wer im Ministerium ernsthaft was will, dann wird dieser das zu Weihnachten oder in den Sommerferien machen. Weshalb also jetzt in Panik verfallen?"

Dann zwinkerte er auf seine seltsame Art und drehte sich mit ausgebreiteten Armen einmal um die eigene Achse.

„Außerdem habe ich meinen Verzweiflungsanfall schon hinter mir. Ich habe also meine Verpflichtungen alle schon erfüllt."

„Du hast Professor Snape versetzt", gab Toireasa zu bedenken. „Das ist noch offen."

„Das erledige ich heute noch", versprach Tarsuinn leichthin, ging ein paar Schritte und drehte sich dann halb um.

„Kommt ihr endlich?", fragte er.

Da nicht mit ihm zu diskutieren war und niemand ihm die Laune verderben wollte – so seltsam die auch sein mochte – folgten Toireasa und Winona, während William einen anderen Weg nahm, um nicht mit ihnen gesehen zu werden.

Sie kamen nur bis zum Ausgang des Schlosses, durch den auch schon andere Schüler nach draußen strebten.

„Miss Keary", erklang die Stimme von Toireasas Paten. „Es tut mir leid, aber Sie können im Moment nicht zum Spiel."

„Warum nicht, Professor?", fragte Winona am schnellsten.

„Es sind Leute da, die Miss Keary sprechen wollen. Allein!", erklärte Filius in gedämpfter Lautstärke. „Nichts was Sie beunruhigen muss, Miss Darkcloud. Schauen Sie sich das Spiel mit Mr McNamara an und wenn wir Glück haben, dauert der Fang lange genug, dass Miss Keary noch etwas zu sehen bekommt."

„Wenn Sie es so sagen, Professor", entgegnete Winona daraufhin und der Zweifel stand deutlich in ihrem Gesicht.

„Geht schon", drängte Toireasa nach einem sehnsüchtigen Blick zum Quidditch-Stadion. „Ich komme gleich nach."

Eher zögerlich kamen Winona und Tarsuinn ihrer Aufforderung nach, während Toireasa Filius folgte.

„Wer will was von mir, Onkel?", fragte sie, nachdem kein anderer Schüler mehr in der Nähe war.

„Magischer Untersuchungstrupp vom Ministerium", entgegnete ihr Pate und in seiner Stimme war keine Fröhlichkeit mehr.

„Was wollen die von mir?"

„Wenn ich das wüsste, wäre mir auch wohler!", erklärte er. „Aber keine Sorge, ich werde dich nicht mit ihnen allein lassen."

Das beruhigte Toireasa ein wenig. Sie konnte sich eigentlich nur einen Grund vorstellen, warum die Leute vom Ministerium sie sprechen wollten. Vielleicht war es besser, wenn sie Filius vorher davon erzählte?

Toireasa hatte sich gerade dazu durchgerungen, ihrem Paten von den Briefen zu erzählen, die eventuell von ihrer Mutter stammten, doch dann standen sie auch schon vor einer Tür.

„Lüg nicht!", ermahnte Filius sie. „Diese Leute kennen sich damit aus."

Er öffnete die Tür mit einem Wink seines Zauberstabes, da die Klinke außerhalb seiner Reichweite lag.

Sie traten in einen kahlen Raum, in dem es relativ dunkel war. Einzig in der Mitte stand ein Tisch mit einer Lampe, deren dunkelgelbes Licht kaum die beiden wartenden Personen und die drei Stühle beleuchtete. Die einzige andere Lichtquelle war ein kleines Fenster, durch das man die dunklen Wolken und ab und an einen Blitz sehen konnte,

Toireasa schürzte abfällig die Lippen. Der so hergerichtete Raum sollte einschüchternd wirken, aber da Winonas Großeltern denselben Trick verwendet hatten, verfehlte das Ganze die gewünschte Wirkung bei ihr.

Toireasa trat mit Filius näher und jetzt erkannte sie in den Gestalten zwei Männer recht unterschiedlichen Alters. Der eine mochte kaum aus der Schule sein, während der andere deutlich älter als Professor Snape schien.

„Danke, Professor Flitwick", sagte der Ältere arrogant. „Sie dürfen jetzt gehen."

Doch wie versprochen blieb Filius. Freundlich lächelnd sprang er auf den Stuhl und dann auf den Tisch.

„Wie Sie wissen, muss immer ein Erwachsener bei einem solchen Gespräch anwesend sein", erklärte er.

„Jedoch sind nur Anverwandte, Anwälte oder der entsprechende Hauslehrer zulässig", sagte der ältere Mann des Ministeriums.

„Ich falle unter die Kategorie Anverwandter!", erklärte Filius.

„Welcher Art ist ihr Verwandtschaftsverhältnis, Sir?", erkundigte sich der junge Mann deutlich höflicher.

„Ich bin ihr Patenonkel, wie Sie sicher schon vorher wussten", erwiderte Filius und zwinkerte verschwörerisch mit dem linken Auge.

„Wir hatten bisher angenommen, der Kontakt zur Familie des Patenkindes wäre abgerissen", sagte der Ältere.

„Er wurde inzwischen wieder deutlich intensiviert."

Die beiden vom Ministerium warfen sich kurz einen Blick zu.

„Dann sei es halt so. Vielleicht ist es sogar sehr hilfreich!", sagte der Jüngere und legte eine blassblau schimmernde Kugel auf den Tisch.

„Dies ist ein Wortmerker", erklärte er und schaute dabei Toireasa aufmunternd an. „So kann uns keine Antwort entgehen und außerdem leuchtet er rot, wenn jemand lügt."

Toireasa nickte betreten. Das klang schon mal recht ernst und nach mehr als nur Einschüchterung.

„Vielleicht wollen Sie sich jetzt erst einmal vorstellen?", fragte Filius. „Unsere Namen kennen Sie ja bereits."

„Wir sind Sonderbeauftragte des Zaubereiministeriums, das muss vorerst reichen.", entgegnete der Ältere unfreundlich und verschränkte die Arme ablehnend vor seiner Brust. „Professor Dumbledore hat Ihnen sicher berichtet, dass unsere Anwesenheit hier legitim ist."

„Hab keine Angst", fuhr der junge Mann zu Toireasa gewandt fort. „Es geht nicht um dich. Zunächst einmal, wie heißt du?"

„Toireasa Keary."

„Du wurdest wann geboren?"

„Am siebzehnten Dezember 1980."

„Wer sind deine Eltern?"

„Robert Holt und Samantha Keary."

„Gut. Weißt du, was mit deinen Eltern geschehen ist?"

Obwohl Toireasa mit dieser Frage fast gerechnet hatte, musste sie doch schwer schlucken.

„Meine Mutter kehrte von einer Mission für das Ministerium nicht zurück und mein Vater starb als ich fünf war an einer schweren Verletzung."

„Zugefügt von einem Riesen", ergänzte der Ältere mit kalter Stimme und klang damit Professor Snape sehr ähnlich. Toireasa gönnte ihm einen bösen Blick dafür.

„Das war unnötig", mischte sich Filius tadelnd ein. „Ich möchte Sie bitten auf solche Details zu verzichten, wenn es nicht absolut nötig ist!"

„Da haben Sie natürlich recht, Sir", sagte der junge Mann, während er seinem Kameraden eine leichtes Kopfschütteln schenkte. „Leider wird es sich nicht immer vermeiden lassen."

Toireasa merkte, wie ihre Nervosität immer mehr zunahm.

„Ganz ruhig, Toireasa", fuhr der Jüngere fort. „Nimm dir Zeit für deine Antworten. Okay?"

Sie nickte ruckartig.

„Gut, dann weiter. Weißt du wie und warum deine Mutter gestorben ist?"

„Professor Flitwick sagte mir, sie wäre auf einer diplomatischen Mission zu den Riesen gewesen", entgegnete Toireasa.

„Sind Sie näher ins Detail gegangen, Professor?"

„Nur dass man sie einige Tage später fand", sagte Filius mit warnendem Blick.

„Verstehe", kommentierte der Jüngere und schaute wieder Toireasa an. „Was für Dinge besitzt du, die du von deinen Eltern geerbt hast?"

Im ersten Augenblick wollte Toireasa fragen, was das ihn anginge, doch das wäre dumm gewesen.

„Ich besitze nichts mehr von ihnen", gestand sie die traurige Wahrheit. „Meine ehemaligen Stiefeltern haben alles verloren, behaupten sie zumindest."

Ehemaligen Stiefeltern?", erkundigte sich der Ältere erstaunt.

„Sie haben mich verstoßen!", erklärte Toireasa scharf.

„Das klang bei den Davians aber anders", entgegnete der Ältere scharf.

„Dann hat Ihre Kugel bei denen versagt."

„Das bringt uns nicht weiter!", brach der Jüngere entschieden ab, bevor sich ein Streit entwickeln konnte. „Toireasa, kannst du dich eventuell an besondere Dinge erinnern? Unverständliche Briefe, seltsame Gegenstände, ein Schlüssel für Gringotts vielleicht?"

Toireasa dachte ernsthaft darüber nach.

„Nein", sagte sie nach einer Weile. „Ich kann mich an nichts dergleichen erinnern."

„Denk intensiver nach!", forderte der Ältere. „Hat dein Vater dir irgendwelche Worte gesagt, an die du dich immer erinnern solltest? Zufällig gehörte Gespräche vielleicht?"

„Nein, mir fällt im Moment nichts ein und solange ich nicht weiß, was Sie überhaupt wollen, werde ich mir darüber auch keine Gedanken machen."

„Nun, ich denke, dass solltest du aber", sagte der Ältere etwas lauter. „Schließlich könnte es helfen, die Mörder deiner Mutter zu fangen."

Im Grunde war Toireasa der Ansicht, diese Aussage sollte sie nicht so schocken. Vor einem halben Jahr wäre es auch so gewesen. Schließlich war sie immer davon ausgegangen, dass ihre Mutter im Krieg gestorben war und da war auch klar, dass es jemanden geben musste, der sie getötet hatte.

Aber jetzt – wo die Möglichkeit bestand, dass Samantha Keary noch lebte, da gab dieses Verhör eine völlig andere Dimension. In den Briefen hatte gestanden, die falschen Leute würden sich für Toireasa interessieren. Waren diese beiden das? Und wenn es stimmte? Fiel ihre Mutter – wenn sie denn lebte – dann nicht für die Ministeriumsleute unter die Verdächtigen?

Andererseits – wenn jemand Toireasa mit diesen Briefen nur quälte – dann hatte dies vielleicht A: einen Grund, der die Sachen von Toireasas Eltern betraf und B: war derjenige vielleicht auch für das Desaster der Riesenmission zuständig.

Toireasa hasste diese widersprüchlichen Möglichkeiten. Man wusste nie was richtig oder falsch war und wie man richtig reagieren sollte.

„Man hat mir gesagt, es wären die Riesen oder die Todesser gewesen", sagte Toireasa und versuchte beherrscht zu klingen. „Die Riesen sind in England ausgerottet und die Todesser eingesperrt, vorausgesetzt das Ministerium hat sie nicht gerade laufen lassen!"

„Du kleines, verzogenes...", fluchte der Ältere.

„Toireasa!", unterbrach ihr Pate mit erstaunlich lauter Stimme. „Immer mit der Ruhe."

„Das nehmen Sie sich auch zu Herzen!", wies der jüngere Mann vom Ministerium seinen älteren Kollegen zurecht. Toireasa schaute ihn für einen Moment verwirrt an. Sie hatte bis dahin angenommen, dass der Ältere das Kommando führte.

„Entschuldigung", murmelte Toireasa leise und schaute den Älteren feindselig an. Der Mann sagte nichts dazu, nickte aber gezwungen.

„Wir entschuldigen uns auch, Toireasa", sagte der jüngere Mann. „Wir stehen unter großem Druck in diesem Fall voranzukommen und bisher stoßen wir auf lauter Sackgassen."

„Darf ich fragen, worum es überhaupt geht?", erkundigte sich Filius ernsthaft. „Warum ermittelt man nach so vielen Jahren erneut?"

„Es gibt da einige Unstimmigkeiten in den alten Akten", erklärte der Jüngere.

„Dann ändere ich meine Frage", sagte Toireasas Pate. „Warum erst jetzt?"

Die beiden Leute vom Ministerium schauten sich einen Moment lang bedeutungsvoll an, dann nickte der Ältere und der junge Mann erklärte: „Es sind mehrere wertvolle Gegenstände aus dem privaten Besitz der Opfer aufgetaucht. Was aufgrund der Geheimhaltung wenige wissen ist, dass damals ein Todesser gefangen genommen wurde, der auch gestand dabei gewesen zu sein. Er behauptete alles vernichtet zu haben, um keine Beweise zu hinterlassen."

„Zur Hoch-Zeit seines Meisters?", fragte der Professor zweifelnd. „Warum sollte er das tun?"

Keiner der beiden Männer vom Ministerium antwortete darauf, sondern starrten nur Filius bedeutungsvoll an.

„Verstehe!", sagte ihr Pate nach einem langen Moment nachdenklich.

„Da wäre noch etwas", sagte der Jüngere und seine Augen wanderten wieder zu Toireasa. „Hat dich schon vor uns irgendjemand kontaktiert und dich nach den Sachen deiner Eltern gefragt?"

„Nein", sagte Toireasa und log dabei nicht einmal. Ein kurzer Blick auf die Kugel bestätigte das auch. Sie leuchtete immer noch blau.

„Gut, denn in den letzten Wochen wurde bei mehreren Anverwandten der damaligen diplomatischen Gruppe eingebrochen. Da dies hier in Hogwarts deutlich schwieriger ist, kann es sein, dass man es hier anders versucht. Du wirst uns doch informieren, wenn etwas Ungewöhnliches geschieht, oder?"

„Natürlich", entgegnete Toireasa und zu ihrem Erstaunen blieb auch diesmal die Kugel blau.

„Das freut mich", sagte der Jüngere nur. „Ich denke wir sind hier fertig. Wenn du dich beeilst und Glück hast, Toireasa, dann siehst du noch was vom Spiel. Wir sind dir sehr dankbar für deine Mithilfe. Professor Flitwick, wenn Sie noch fünf Minuten erübrigen könnten?"

Toireasa verabschiedete sich und obwohl sie keine Lust mehr auf Quidditch hatte, wanderten ihre Füße automatisch in diese Richtung.

Immerhin lief das Spiel noch, wenn man auch kaum etwas erkennen konnte, so düster war es. Sie betrat das Stadion, als Madame Hooch gerade eine Auszeit gab. Sie hatte wirklich Glück.

Sie suchte ihre Ravenclaw-Freunde und fand sie recht fix, da Tarsuinn wieder mal ohne Kapuze im Regen stand und diese Dachsohrenschützer trug.

„Du erkältest dich noch!", schrie Toireasa ihn an, als sie neben ihm stand. Der Wind heulte so stark und sie hatte völlig vergessen, dass sie ihn nicht anbrüllen musste.

„Wenn, dann ist es eh zu spät!", grinste er. „Tolles Spiel!"

„Wie steht es?"

„Keine Ahnung. Ich mag nur das Geräusch, wenn sie durch den Regen fliegen."

„180:130 für Gryffindors!", schrie Winona ihr zu, die auf der anderen Seite des Jungen stand. „Wood hat die Auszeit genommen."

„Warum?"

„Keine Ahnung! Kannst du was hören, Tarsuinn?"

Der Junge schüttelte den Kopf und deutete gen Himmel.

„Ist heut nicht drin."

Einige Minuten später war die Auszeit beendet und die Spieler stiegen wieder auf.

„Selbst nass sieht Cedric toll aus", hörte Toireasa ein älteres Mädchen sagen.

„Was redest du da für einen Unsinn!", kicherte ein anderes. „Nass sieht er noch besser aus."

Toireasa folgte deren Blick und konnte so den Sucher der Hufflepuffs entdecken. Nur ob er nass besser aussah oder nicht, das konnte sie auf diese Entfernung beim besten Willen nicht erkennen. Entweder hatten die älteren Mädchen besonders gute Augen oder eine sehr lebhafte Phantasie.

Also folgte sie lieber dem Spiel. Leider waren Oliver Woods Torringe auf der anderen Seite des Spielfeldes und so genoss sie einfach das Spiel der Gryffindor-Jägerinnen und die verzweifelte Abwehr der Hufflepuffs. Wenn es so weiterging, dann war es egal, wer den Schnatz fing.

Doch dann ging ein Raunen durch das Stadion und unzählige Finger streckten sich in die Luft, wo die Sucher sich ein Rennen lieferten. Cedric von den Hufflepuffs schien vorn zu liegen, aber Harry Potter, der Sucher der Gryffindors, holte erstaunlich schnell auf.

Toireasa brach mit den anderen in Jubel aus. Sie feuerte Potter an und hoffte er würde dem besseren Team zum Sieg verhelfen, als Tarsuinn sie schmerzhaft an der Schulter packte.

Ein lästerlicher – nicht magischer – Fluch erreichte Toireasas Ohr.

„Was ist?", brüllte sie erschrocken.

„Die Dementoren kommen hierher!", entgegnete er und wirkte, als erhoffte er sich von ihr einen Vorschlag, was jetzt zu tun war.

Toireasa sah sich panisch um, konnte aber zunächst nichts sehen. Auch Winona hatte Tarsuinn am Umhang ergriffen. Das Mädchen versuchte gerade die Schulsprecherin auf sich aufmerksam zu machen. Sie schien keine Sekunde an der Warnung des Jungen zu zweifeln.

Wenige Augenblicke später wurde auch Toireasa überzeugt, denn unzählige dunkle Gestalten strömten durch ein Tor aufs Quidditchfeld. Kälte und eine unnatürliche Stille senkte sich über das Stadion.

Einige der Ravenclaws schienen noch nicht bemerkt zu haben, was unten auf dem Feld geschah, weil sie hoch in die Luft starrten und das Spiel sie so mitgerissen hatte.

„Potter stürzt ab!", schrie ein Junge.

Ein ängstliches Stöhnen ging durchs Rund. Auch Toireasa schaute unwillkürlich hin und konnte jetzt auch Professor Dumbledore auf dem Feld sehen, der von der hohen Tribüne herunter gesprungen sein musste. Mit weit ausholenden Schritten ging er anscheinend furchtlos auf die Dementoren zu. Sein Zauberstab war auf den abstürzenden Gryffindor-Jungen gerichtet und folgte dessen Flugbahn. Der Körper Potters schien sich zu verlangsamen, schlug aber trotzdem hart auf dem aufgeweichten Boden auf.

Sofort strömten die Dementoren zu dem Gefallenen. Unmengen silberner Fäden schossen von Dumbledores Zauberstab auf diese zu und auch einige der Lehrer – allen voran Filius und Professor McGonagall – unterstützten ihn von ihren Plätzen aus.

Doch am meisten beeindruckten Toireasa die Spieler von Gryffindor und Hufflepuff. Die meisten Spieler beider Teams und Madame Hooch landeten zwischen Harry Potter und den Dementoren und versuchten so, den Jungen zu schützen. Toireasa bezweifelte, dass sie selbst den Mut dazu aufgebracht hätte. Im Moment ging es ihr zwar gut, aber das lag wohl eher an Tarsuinns konstanter Berührung.

„Alle Ravenclaws behaltet Ruhe, keine Panik", kommandierte Penelope. „Vertrauensschüler kümmern sich um die Erstklässler. Alle ab fünfter Klasse passen auf den Rest auf!"

Relativ geordnet kam es zu einigen Bewegungen zwischen die Ravenclaws. Zum einen, bewegte sich die gesamte Gruppe näher zu Filius und zum anderen suchten die jüngeren hinter die älteren Schüler Schutz.

Doch dann ließ Tarsuinn Toireasa und Winona los und drängte ein wenig in den entstandenen Freiraum auf der Tribüne. Sofort griff die Kälte viel stärker und schmerzhafter nach Toireasa, doch die Angst, die sie im Zug empfunden hatte, war nur kaum zu spüren.

In ihrem Hinterkopf erklang leise das Weinen ihres Vaters und diesmal erkannte sie auch, dass er versuchte ein Schlaflied zu singen. Es war eine traurige Erinnerung, aber Toireasa war auch ein wenig glücklich, sich noch so gut an seine Stimme erinnern zu können. Sie wünschte, sie könnte sich auch an ihre Mutter erinnern. An irgendetwas!

Aus Angst um sich und vor der Stimme folgte sie Tarsuinn. Zum Glück ging der Junge nur ein paar Schritte. Unten im Stadium schafften es die Lehrer – naja, zum größten Teil eigentlich Professor Dumbledore – die Dementoren aus dem Stadion langsam zurückzutreiben.

Toireasa hörte eine leise Stimme, irgendwo vor Tarsuinn.

Der Junge bückte sich zwischen zwei Sitzreihe und tastete in den Zwischenraum. Toireasa konnte ein paar blonde Haare und eine zusammengerollte Gestalt entdecken. Tarsuinn versuchte sie hochzuziehen, doch das war offensichtlich nicht so einfach.

„Komm schon, Luna!", flüsterte er und Toireasa kniete sich neben ihn, um zu helfen.

„Mami, steh wieder auf!", weinte das Mädchen. „Bitte. Mami, nicht schlafen! Ich hab Angst. Sag doch was."

Gemeinsam zogen sie Luna aus der Nische, in der diese sich verkrochen hatte. Es war jedoch, als würde man versuchen einen Sack voller Steine bewegen zu wollen.

Tarsuinn machte kurzen Prozess und nahm Luna auf die Arme. Der Junge schwankte dabei unter ihrem Gewicht, hielt sich aber aufrecht. Luna schlang die Arme um seinen Hals und presste den Kopf gegen seine Schulter. Toireasa konnte nur hoffen, dass es ihr half.

„Wir müssen sie hier wegbringen", sagte Tarsuinn. „Führ mich bitte!"

„Die Dementoren sind gleich weg!", meinte Toireasa. „Dann kann sie sich wieder fangen."

Doch Tarsuinn schüttelte den Kopf.

„Sie muss ins Schloss!", sagte er entschieden. „Jetzt!"

„Das schaffst du nicht", stellte Toireasa fest. „Moment!"

Sie führte Tarsuinn zu einem kräftig aussehenden älteren Schüler und zog diesen am Ärmel.

„Wir bräuchten deine Hilfe!", sagte Toireasa befehlend.

Der Junge wandte sich ihr zu, starrte für einen Moment ängstlich auf sie herunter, als wäre sie ein Alien und riss sich dann aber sichtlich zusammen.

Ohne ein Wort nahm er Tarsuinn Luna ab, die sich sofort wie ein kleines Kind an ihren neuen Träger klammerte.

„Miss Clearwater", ertönte die Stimme von Toireasas Paten. „Bitte bringen Sie die Schüler in die Gemeinschaftsräume und sorgen Sie dafür, dass alle da auch bleiben."

Niemand versuchte auch nur zu murren. Toireasa ging bis zum Schloss mit den Ravenclaws mit und schloss sich da den Slytherins an, die wenige Minuten später eintrafen.

Waren die Ravenclaws jedoch ziemlich besorgt und mit zunehmender Entfernung zu den Dementoren auch aufgebracht gewesen, so war die Grundstimmung der meisten Slytherins anders.

„Habt ihr die Gesichter der Gryffindors gesehen, als Madame Hooch den Fang für gültig erklärte?", lachte Pansy Parkinson. „Dieser Wood schien aus Frust Schlamm fressen zu wollen."

Auf den Ausgang des Spiels hatte Toireasa gar nicht geachtet. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass das Spiel zählen würde.

„Besser war der Aufschlag von Potter", meinte Malfoy. „Wäre zu schön gewesen, wenn Dumbledore sich nicht eingemischt hätte!"

„Ist doch besser, ihn über die Niederlage leiden zu sehen!", fand Marcus Flint. „Es ist noch besser gelaufen, als wir vermutet haben. Dein Arm war heute Gold wert, Draco."

Toireasa war noch immer der Ansicht, dass Flint sich mit einem Fehler brüstete, aber wenn das Spiel wirklich nicht annulliert wurde, dann hatte er vielleicht wirklich einen Sieg für Slytherin errungen. Einen schmutzigen zwar und weniger wert, als er vielleicht glaubte, aber nichtsdestotrotz einen Sieg.

Wäre sie nicht selbst ein wenig mitgenommen und abgestumpft durch die Dementoren gewesen, sie hätte Flint am liebsten einen Fluch auf den Hals gehetzt. So aber zuckte sie nur mitleidig mit den Schultern, dachte an all die Warnungen, die Samuel ihr immer gab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge.

Wie zum Beispiel die Eule, die in einem dunklen Seitengang laut rief, als Toireasa vorüberging. Normalerweise hätte sie das gar nicht beachtet, aber aus irgendeinem Grund blieb sie stehen. Toireasa war, als hätte die Eule speziell nach ihr gerufen. Vorsichtig ging sie drei Schritte in den Gang und streckte die Hand aus. Ein grusliges Gefühl war es schon, zwei fast glühende Augen auf sich zufliegen zu sehen und dann eine nachtschwarze Eule auf der Hand zu balancieren. Schmerzhaft bohrten sich messerscharfe Krallen in ihre Haut, obwohl die Eule sich Mühe gab, sanft zu sein. Aber irgendwie musste das Tier sich ja festhalten.

„Ich habe noch nie so eine Eule wie dich gesehen", flüsterte Toireasa erstaunt und betrachtete den Vogel von allen Seiten. Dem schien das gar nicht so zu gefallen, sondern er klapperte mit seinem Schnabel an einem Röhrchen, welches an seinem Bein befestigt war.

„Für mich?", fragte Toireasa und wusste schon die Antwort. Sie nestelte das Röhrchen los und suchte dann in der Tasche nach etwas zu knabbern für die Eule. Eigentlich hatte sie diesen Keks für Keyx gedacht, aber für den konnte sie ja einen neuen besorgen.

Die Eule flog wieder weg, kaum dass sie den Keks hatte.

Das Röhrchen klapperte laut, wenn man es schüttelte. Mit zittrigen Fingern öffnete sie die Versiegelung und ein gläserner Schlüssel fiel in ihre Hand.

„Was soll das?", murmelte sie verwirrt. „Sind wir hier im Märchen?"

Mit dem Finger tastete sie noch einmal in das Röhrchen und fand noch einen kleinen Zettel, der sich an die Wand des Röhrchens anschmiegte. Inzwischen kannte sie die Handschrift sehr gut.

Hallo mein Schatz,

Du hattest heute ja Besuch. Ich glaube fest, dass Du nichts verraten hast. Misstraue dem Ministerium, denn sie waren es, welche mich und die anderen auf Mission schickten. Wahrscheinlich hat jemand von ihnen uns damals verraten.

Inzwischen bin ich sogar fest davon überzeugt!

Den Schlüssel, den Du in der Hand hältst, schicke ich Dir, weil die Bluthunde des Ministeriums schon bei Dir waren und weil er denen nicht in die Hände fallen darf. Verwahre ihn gut und sollte mir etwas geschehen, weißt Du ja hoffentlich was zu tun ist.

S. K.

„Ich weiß es verdammt noch mal nicht!", flüsterte Toireasa leise.

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story by Tom Börner Das Geheimnis der Dementoren (Arbeitstitel)

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