- Kapitel 14 -

Hochzeitstag

„Halten Sie es nicht für zu früh, Meisterin, um kleines Baby allein zu Hause zu lassen?", fragte die Hauselfe, die Caradoc auf dem Arm wiegte. „Und auch die Meisterin sollte sich lieber schonen."

„Das ist schon so in Ordnung, Cindy", lächelte Gloria freundlich. „Ich weiß ihn in den besten Händen und es ist doch nur bis Mittag."

Die kleine Person schaute zunächst verständnislos zu ihr herauf und Gloria konnte die Gedanken hinter der Stirn arbeiten sehen. Gloria ließ ihr die Zeit, um selbst hinter das Kompliment zu kommen. Ihr fiel es inzwischen viel leichter Geduld zu üben und daraus sogar Vergnügen zu ziehen.

Nach etwa einer halben Minute zog Verstehen und ein tiefer Rot-Ton in Cindys Gesicht. Die Elfe versuchte sich vor Verlegenheit tief zu verbeugen, getraute sich das aber nicht, da sie ja Caradoc auf ihrem Arm hatte.

„Wenn etwas Ernstes ist, schick einen deiner Söhne zu mir", wies Gloria sie an. „Ich bin im Zaubereiministerium. Ansonsten möchte ich, dass ihr für heute Abend ein Dinner bei Kerzenlicht vorbereitet und euch dann allesamt frei nehmt."

„Wie? Frei nehmen, Meisterin?", staunte die Elfe.

„Ich möchte, dass ihr heute Abend das Haus verlasst und eure Freunde oder Familien außerhalb besucht."

„Aber wir können euch doch nicht allein lassen, Meisterin. Ihr braucht unsere Hilfe und das Baby..."

„Caradoc wird bei einem Babysitter übernachten und ihr werdet euch vergnügen. Keine Diskussionen. Ich weiß, dass ihr auch Kontakte pflegt und deine Tochter arbeitet doch für die Lerauxs. Du wirst dich sicher freuen sie wieder zu sehen, nicht wahr?"

„Cindy wird sich freuen, wenn Meisterin das wünscht", erklärte die Elfe. „Aber ein Diener sollte bleiben..."

„Ein Elf", korrigierte Gloria.

„Wie Meisterin meinen", entgegnete die Elfe unterwürfig.

„Und wenn du bei den Leraux bist, wirst du dich unauffällig erkundigen, wie viel es kostet deine Tochter wieder hierher zu holen."

Die eh schon großen Augen der Hauselfe weiteten sich überrascht.

„Ja", lächelte Gloria. „Sie wegzugeben war ein Fehler von mir und wir werden sie wieder nach Hause holen."

Cindy schien für einen Moment keine Luft mehr zu bekommen und dann füllten sich ihre Augen mit riesigen Tränen.

„Lucy zurückholen", schniefte sie und schien kurz davor zu stehen, Gloria zu umarmen, woran Caradoc auf ihren Armen sie aber hinderte.

Einem logischen Impuls folgend, kniete sich Gloria vor ihr hin, nahm ihren Sohn aus den Armen der Elfe, legte ihn in ihre recht Armbeuge und zog die Elfe mit ihrem linken Arm an sich.

„Wenn ich meine Familie haben darf, sollst du die deine auch bei dir haben", flüsterte sie erklärend. Dann trennte sich Gloria wieder sanft von Cindy und gab ihr das Baby zurück. Tränenflecken machten sich nicht sonderlich gut auf ihrem Umhang. „Pass gut auf ihn und das Haus auf. Ich verlass mich auf dich."

Dann ging sie aus dem Haus und ließ eine vor Glück weinende Elfe zurück.

Sie war erstaunt, wie gut es sich anfühlte. Eigentlich hatte sie nur geplant, sich einen loyalen Haushalt zu schaffen, so wie Banefactor es ihr vorgemacht hatte. Dass sich das jetzt so gut anfühlte, überraschte sie ein wenig.

Ein Muggel hätte sich gewundert, dass Gloria in den überdachten Innenhof ihres Anwesens ging, um zu ihrer Arbeit in London zu gelangen. Jedem Mitglied der magischen Gemeinschaft hingegen wäre jedoch sofort klar gewesen, dass sie das Haus nur verließ, weil sie innerhalb des Gebäudes nicht apparieren konnte und im Innenhof vor Muggelblicken geschützt war. Solange Gloria noch nicht im Schwangerschaftsurlaub gewesen war, hatte sie sich angewöhnt mit Muggelfahrzeugen zur Arbeit zu fahren, aber im Moment fühlte sie sich wirklich noch etwas schwach, weshalb sie den weniger anstrengenden magischen Weg wählte.

Ein harter, peitschender Hieb mit dem Zauberstab und schon stand sie in der Lobby des Zaubereiministeriums.

Sie glättete kurz ihren Umhang, nickte dann freundlich dem Pförtner zu und schritt aus, um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen.

Die Blicke einiger Männer, die ihr hinterher starrten, waren ihr nur zu bewusst. Ihr Mann behauptete immer, sie gehen zu sehen, hätte erst die Liebe in ihm geweckt. Glorias Schwiegermutter – dieser Drache – hingegen meinte, es wäre ihr wackelnder Hintern gewesen (wobei diese ein anderes Wort für das Körperteil benutzt hatte). Es war der einzige Spruch des Drachens gewesen, der Gloria bisher nicht gestört hatte.

Schwungvoll betrat sie ihr Büro, nur um erschrocken zu erstarren.

„Überraschung!", schallte es ihr entgegen.

Es brauchte einige Sekunden, bis Gloria ein Lächeln auf ihre Lippen zaubern konnte. Ihr Büro war verschandelt mit Endlosluftschlangen, rosa Luftballonelefanten und einem großen und blinkenden Willkommen-zurück-Schild.

Ihre persönliche Sekretärin, eine naive, immer freundliche Hexe namens Heather Delightyfull, und ihr Assistent Decan Rummager sahen sie erwartungsvoll an. Aber während Heather offen lächelte, war Decan deutlich anzusehen, für wie dumm er diese Art der Begrüßung hielt.

„Danke euch beiden!", entgegnete Gloria, nachdem sie eine kleine Vorstellung der Rührung gegeben hatte. Sie fand das ja affig, aber die Allgemeinheit fand so was süß und wahrscheinlich wurde das einfach erwartet. Naja – heute würde sie das wohl ertragen müssen.

„Wir haben Sie vermisst, Lady Kondagion", sagte Heather. „Ohne Sie, war es einfach nicht dasselbe hier."

„Nun bin ich ja wieder da, Heather", sagte Gloria augenzwinkernd. „Irgendwelche Aufträge oder Termine?"

„Nichts Dringendes", erklärte die Sekretärin. „Wir haben aber auch Geschenke fürs Baby."

Die junge Frau hielt einen babyblauen Strampelanzug in die Höhe.

„Oh wie süß", sagte Gloria und unterdrückte den aufsteigenden Kitsch-Horror. „Selbst gestrickt?"

„Ja", erklärte Heather und errötete auf die Art und Weise, wie es junge Mädchen taten.

„Er wird unglaublich süß aussehen", lobte Gloria und stellte sich einen ihrer Hauselfen darin vor.

„Er wird aussehen, wie in so einem Ding, was die Muggel Müllsack nennen, Chefin", kommentierte Decan respektlos und undiplomatisch.

Doch das erwartete Gloria von ihm. Sie hatte den schon etwas älteren Mann nicht wegen Freundlichkeit eingestellt. Decan hatte ein unglaubliches Talent, Beweise und Zeugen aufzuspüren, die sie brauchte, um ihre Verhandlungen erfolgreich führen zu können. Noch besser war der Mann jedoch darin, die schmutzige Wäsche anderer Leute auszugraben. Das machte sich immer bezahlt, wenn es darum ging Zeugen und Fachleute der Gegenseite unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Gloria vermutete, dass in diesem Moment der Job für Decan zum Vergnügen wurde.

Nicht, dass sie ihm das verübelte. Ihr selbst machte es auch sehr viel Spaß irgend so einen blasierten Fachmann oder eine ach so unschuldige Hausfrau fertig zu machen. Jeder hatte irgendwo einen dunklen Fleck auf der Weste und die, welche das nicht für sich selbst akzeptierten, waren die besten Opfer.

„Sei nicht so gemein zu Heather, Decan", tadelte Gloria. „Sie hat sich viel Mühe gegeben und es sehr hübsch gemacht. Damit zeigst du nur, dass du Frauen nicht verstehst."

„Kein Mann versteht Frauen", lachte der Mann. „Der Unterschied ist nur, ich versuche es erst gar nicht."

„So wirst du aber niemals zu einem Menschen!", meinte Gloria verschmitzt. „Ich dachte immer..."

Ein roter Papierflieger flog ins Büro und begann um Glorias Kopf zu kreisen.

„Ich schätze, auch der Oberboss hat Sehnsucht, Chefin", kommentierte Decan trocken.

„Gerettet vom Gong", grinste Gloria ihn an. „Irgendetwas Aktuelles am kochen, von dem ich wissen müsste?"

„Nichts Ernsthaftes. Die üblichen Sachen. Hauptsächlich irgendwelche dummen Scherze mit Muggeln", erklärte Heather. „Ansonsten ist eigentlich noch immer das halbe Ministerium und der gesamte Tagesprophet hinter Black her. Wir haben hier viel Ruhe gehabt. Selbst die Verbrecher scheinen Angst zu haben, Black über den Weg zu laufen oder in die Schusslinie zu geraten."

„Hoffen wir, dass es so bleibt", meinte Gloria und griff sich den Papierflieger.

Wie die rote Farbe schon verriet, war es eine kurze Notiz ihres Chefs in der er sie bat, in einigen Minuten im Konferenzraum vorbei zusehen. Es war schon erstaunlich, wie rücksichtsvoll man eine junge Mutter stellenweise behandelte. Auch wenn es nur ein paar Floskeln waren. Die Bitte war ein Befehl, aber es klang einfach netter.

„Gut", sagte sie und stand auf. „Wenn ich zurückkomme, setzen wir uns zusammen und gehen durch was aktuell anliegt und ob es Fälle gibt, die unser Interesse verdienen."

Ihre beiden Mitarbeiter nickten und Gloria machte sich auf den Weg zum Konferenzraum, der einige Gänge entfernt von ihrem Büro lag.

Auf dem Weg dahin musste sie viele freundliche Grüße und Glückwünsche entgegen nehmen, auch von Leuten, von denen sie genau wusste, dass diese sie nicht mochten.

Als sie den Raum endlich erreichte, erwarteten sie schon Janos Fairbanks, ihr Chef und zwei ihr unbekannte Personen. Ein Mann und eine Frau die europäisch aussahen, aber nicht so gekleidet waren.

„Schön, dass Sie so schnell kommen konnten", begrüßte sie ihr Chef herzlich und schüttelte ihre Hand. „Sie sehen gut aus, Lady Kondagion."

„Ich fühle mich auch so", versicherte Gloria freundlich. „Ich hoffe, Ihnen geht es ähnlich."

Ein wenig besorgt schaute sie ihm in die Augen. Er sah müde aus und versuchte das zu überspielen. Normalerweise hätte Gloria das sicher nicht bemerkt oder als schlecht geschlafen abgetan, wenn sie nicht gewusst hätte, was dem Mann den Schlaf raubte.

„Danke, ich kann nicht klagen", erwiderte Fairbanks. „Aber wir sollten nicht unhöflich sein. Wenn ich vorstellen darf?"

Er lud sie mit einer weiten Armbewegung ein, an den Konferenztisch zu treten.

„Mr Ciffer. Miss Boro. Dies ist Lady Kondagion. Meine Juniorassistentin."

„Wir haben viel Gutes von Ihnen gehört...", reichte Mr Ciffer ihr als erster die Hand.

„...und sehen einer erfolgreichen Zusammenarbeit entgegen", ergänzte Miss Boro.

Gloria hasste solche Floskeln, doch sie war daran schon lange gewöhnt.

„Dessen bin ich mir sicher", entgegnete sie höflich, aber auch ein wenig distanziert, wie man es von einer Juristin erwartete. „Ich vermute, Sie sind der neue Fall, den Mr Fairbanks mir zugedacht hat?"

„Genauer gesagt: Den ich Ihnen zugedacht habe", erklärte eine weitere Stimme von der Tür aus. Gloria sah sich um und erblickte die steife Gestalt von Mr Crouch, dem Chef der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit. Doch was ihr viel mehr Sorgen bereitete, war die kleine Gestalt hinter dem Mann. Madame Umbridge aus dem Büro des Zaubereiministers.

„Mr Crouch", begrüßte Gloria den Mann und ignorierte Umbridge, denn nominell hatten sie beide einen ähnlichen Rang, nur dass sie den ihren in viel jüngeren Jahren erreicht hatte. „Ich bin erstaunt Sie hier zu sehen."

„Nicht, wenn Sie Näheres erfahren haben", erklärte Crouch ohne große Emotionen und für einen Moment glaubte Gloria seinen Blick zu Mr Fairbanks huschen zu sehen.

„Wir wäre es dann, wenn Sie mich einweihen", übernahm Gloria die Initiative und machte eine Geste zu den Stühlen. „Meine Zeit ist im Moment noch frei, doch bin ich sicher, auf Sie alle wartet noch genug Arbeit. Im Tagespropheten standen einige interessante Artikel über Schwierigkeiten des Sportministeriums bei den Vorbereitungen zur Quidditch-Weltmeisterschaft und bei den Qualifikationsspielen dazu."

In Crouchs Augen trat ein gequälter Ausdruck.

„Ich bin sicher, Mr Bagman wird die Probleme schon in den Griff bekommen."

Umbridge hinter ihm verdrehte die Augen.

Gloria wartete bis alle Platz genommen hatten, dann setzte sie sich selbst den beiden Fremden gegenüber, an die Seite ihres Chefs.

„Mr Ciffer und Miss Boro hier sind Vertreter der indischen Zaubereiregierung", kam Mr Crouch sofort auf den Punkt. „Und sie bitten uns um Rechtshilfe. Der indische Zaubereiminister machte mich darauf aufmerksam, dass ihm an einer positiven Lösung sehr gelegen wäre."

Gloria machte ein angemessen erstauntes Gesicht, tauschte einen kurzen Blick mit ihrem Chef, der offensichtlich schon Bescheid wusste, und schaute dann wortlos wieder zwischen den indischen Gästen und Crouch hin und her.

„Dem Zaubereiminister ist auch sehr an einer gütlichen Einigung gelegen", mischte sich Umbridge ein.

Den Blick, den Mr Crouch daraufhin auf den Wachhund des Ministers warf, fand Gloria sehr bezeichnend. Er mochte Umbridge nicht, schien sie sogar zu verabscheuen, aber er hielt anscheinend den Anlass für nicht wichtig genug, um die Frau zurechtzuweisen. Allein dass Umbridge hier war, schwächte die Autorität von Crouch.

„Natürlich ist jedem an einer gütlichen Einigung gelegen", fuhr Crouch in neutralem Ton fort. „Doch gibt es da einige rechtliche Aspekte, die geklärt werden müssen. Mr Fairbanks und Mrs Bones, die Vorsitzende Ihrer Abteilung, haben einige Bedenken angemeldet, die ich für gerechtfertigt halte."

Gloria schaute noch immer interessiert, aber verständnislos in die Runde.

„Wir erhoffen uns von Ihnen eine Lösung, Mrs Kondagion", erklärte Crouch nach einer Weile.

„Solange Sie mir nicht sagen worum es geht, kann ich Ihnen diese nicht bieten, Sir", meinte Gloria höflich, aber doch sehr direkt.

„Das ist wohl mein Stichwort", meldete sich der Mann, der als Mr Ciffer vorgestellt worden war. „Miss Boro und ich, wir sind hier, weil unsere Regierung Kenntnis erhalten hat, dass hier in England zwei flüchtige Sträflinge Zuflucht gefunden haben. Wir haben ihre Auslieferung beantragt."

„Und das Problem ist...?", fragte Gloria möglichst verwundert.

„Nun, den beiden Flüchtlingen ist es gelungen, sich für Schotten auszugeben, weshalb sie wahrscheinlich Einspruch vor ihrem Zaubergamot einlegen werden. Deshalb brauchen wir den besten Rechtsvertreter und Sie wurden uns empfohlen."

Gloria tat, als würde sie über die Worte nachdenken, indem sie den Blick auf die Tischplatte senkte. Nach einer angemessenen Zeit schaute sie wieder auf.

„Es geht doch nicht etwa um die McNamaras", fragte sie.

„Wie kommen Sie auf diesen Namen?", fragte Miss Boro überrascht.

„Ich hatte im Sommer zuletzt mit dem Jungen zu tun", erklärte Gloria. „Auch da ging es um einen Rechtsentscheid und ich musste mich mit der Vorgeschichte beschäftigen. Es heißt, er und seine Schwester wären aus Indien gekommen. Deshalb komme ich auf den Namen. Ihre Reaktion sagt mir, ich liege richtig?"

„Durchaus, Lady", versicherte Mr Ciffer. „Anscheinend sind Sie genau die richtige Ansprechpartnerin für uns."

„Wenn ich mehr erfahren dürfte?", entgegnete Gloria, schaute dann Mr Crouch in die Augen und ließ diesmal auch Umbridge nicht aus. „Und was erwarten Sie von mir?"

Erst eine geschlagene Stunde später verließ Gloria allein den Konferenzraum und konnte ein triumphierendes Lächeln kaum unterdrücken. Sie verstand immer mehr, wie befriedigend es sein konnte, Leute nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, ohne dass diese sich dessen bewusst waren. Ein schönes Gefühl.

Sie ging in ihr Büro zurück, in dem Decan und Heather gelangweilt mit einem der Luftballons spielten. Jedes Mal wenn sie ihn mit dem Finger berührten, wandelte sich die Form des Ballons in ein anderes, niedlich aussehendes Tier. Mal ein rosa Elefant, mal ein blauer Teddy und so weiter und so fort.

„Auf geht's!", unterbrach sie energisch diese Zurschaustellung der Antriebslosigkeit. „Vergesst eure Themen und Projekte. Mit Billigung des Chefs haben wir einen neuen, interessanten Auftrag.

Heather! Du besorgst mir sofort sämtliche Gesetzestexte Indiens, die sich mit Sühne beschäftigen. Decan, du musst eine Runde durch deine Kontakte drehen. Ich hab hier zwei Namen für dich, über die du alles herausfinden musst, was wir verwenden können."

Trotz ihres neuen Falles verließ Gloria nicht später als geplant das Zaubereiministerium. Der Fall war zwar wichtig, aber nicht sonderlich dringend, dafür würde sie schon sorgen.

Im Moment gab es Wichtigeres.

Sie apparierte sofort nach dem Mittagessen nach Hause und wurde schon von Cindy im Innenhof erwartet, die ihr sofort einen Regenschirm reichte. Das war völlig übertrieben. Zwar regnete es, aber das aufgesetzte Dach des Innenhofes ließ nur an den Seiten Wasser hereintropfen. Trotzdem nahm sie den Schirm dankend an.

„Ist alles vorbereitet?", fragte Gloria.

„Wie Sie es gewünscht haben, Meisterin", antwortete die Hauselfe unterwürfig.

„Gut, dann seid ihr alle bis morgen früh von euren Pflichten entbunden und werdet das Haus verlassen."

„Aber das Baby, Meisterin?", versuchte Cindy noch einmal vorsichtig Gloria umzustimmen.

„...er wird es gut haben. Wo ist mein kleiner Schatz übrigens?"

„Er schläft oben."

Gemeinsam gingen sie hinauf und zum Kinderbett, das im Schlafzimmer stand. Das Zimmer duftete nach Rosen, was an den vielen Blüten lag, die überall verstreut waren. Verteilt zwischen unangezündeten schwarzen und roten Kerzen.

Gloria nickte anerkennend.

Caradoc lag in seinem Bettchen und schlief, zufrieden an seinem Daumen nuckelnd. Seine wenigen Haare waren ein wenig nass und den Muggel-Strampelanzug hatte er heute Morgen auch noch nicht angehabt. Cindy war wirklich sehr intelligent und vorausschauend.

„Wieder Drachenflug gespielt?", fragte Gloria amüsiert, was die kleine Elfe verlegen machte.

„Er wünschte es so sehr", gestand sie und starrte dabei auf die Füße.

„Du solltest ihn nicht allzu sehr verwöhnen", tadelte Gloria mild. „Aber ich denke, ihn ein wenig durch die Räume schweben zu lassen, ist schon in Ordnung. Nur nicht zu wild."

„Nein, nein. Cindy ist ganz vorsichtig!", versicherte die Hauselfe. „Und er musste baden, weil er sich ein wenig schmutzig gemacht hat und damit ein sauberes Baby Meisterin erwartet."

Gloria nickte lobend. Sie holte ihre Muggelkleidung aus dem Schrank und zog sich um. Die Hauselfe beeilte sich die abgelegten normalen Sachen zu glätten und in den Schrank zu hängen.

Danach hob Gloria ihren kleinen schlafenden Schatz vorsichtig aus der Wiege.

„Hast du alles Nötige eingepackt?", fragte Gloria.

„In der Tasche unter dem Bett", erklärte Cindy und zog mit aller Kraft eine riesige Tasche hervor.

„Sehr gut", lobte Gloria.

Sie gab Caradoc an Cindy und nahm sich selbst die schwere Tasche. Auch eine Sache, die sie früher niemals in Erwägung gezogen hätte und die natürlich Cindys Protest erregte. Sie ignorierte das.

Unten wollte Cindy Caradoc in den großen magischen Kinderwagen schweben lassen, doch Gloria deutete befehlend auf den zweiten Wagen. Ein Gerät, wie es Muggel bauten. Leicht, zum großen Teil aus diesem Stoff namens Plastik und zerbrechlich aussehend.

„Keine Widerrede", sagte Gloria. „Ich gehe zu Muggeln."

„Aber ich könnte doch eine Illusion..."

„Zu unsicher", erklärte Gloria fest. „Und wenn ich zurückkomme, ist kein Elf mehr im Haus, klar?"

„Ja, Meisterin."

„Und vergiss nicht, mit deiner Tochter heimlich über den Preis zu sprechen."

„Cindy wird es nicht vergessen", versicherte die Hauselfe und lächelte bei dem Gedanken freudig.

„Gut, dann bis morgen früh", verabschiedete sich Gloria, bugsierte die Tasche in das Tragegitter unter dem Babykorb und ging dann mit dem Muggel-Kinderwagen aus dem Haus.

Ihre Schritte führten sie zu der Bushaltestelle unweit ihres Heimes.

Wenn sie einmal Zeit und Muße hatte, würde sie lernen diese Muggelfahrzeuge, diese Autos, zu lenken. Wie hatte Banefactor es genannt? Sie würde dann ihren Führerschein machen.

Zunächst jedoch musste sie weiterhin den Bus nehmen, was so schlecht auch nicht war, denn es war deutlich ruckelfreier als im Fahrenden Ritter – wenn auch nicht so schnell. Leider konnte man nicht apparieren und eine andere Person dabei mitnehmen.

Aber weit musste sie ja auch nicht fahren. Nur fünf kurze Stationen. Wenn sie Lust hatte und das Wetter gut war, konnte sie die Strecke auch laufen. Das wäre nicht das erste Mal gewesen.

Aber der Bus brachte sie schneller zum Ziel und sie wollte sich heute nicht beeilen müssen.

Gloria stieg aus dem Bus aus, ein junger Muggel half ihr dabei mit dem Kinderwagen und dann ging sie nur eine Straße weiter zu einer großen barocken Villa mit einem riesigen Garten. Der Regen hatte inzwischen wieder aufgehört.

Der Lärm von spielenden Kindern schallte ihr entgegen. Sie ging durch das offene schwere Eisentor neben dem ein kupfernes Schild prangte.

Ein Heim.

Eine Zuflucht.

Ein Neuanfang.

Eine bessere Zukunft.

Es war ein Haus, das es vor einem Monat noch nicht in dieser Art gegeben hatte. Doch jeder Muggel – in der Nachbarschaft, auf dem Katasteramt oder ein zufälliger Spaziergänger, hätte geschworen, dass dieses Haus schon immer so ausgesehen hatte. Der Zauber lag dabei nicht auf dem Haus, sondern nur auf dem Schild, das unwillkürlich jeder las. Nur kleine Kinder, die noch nicht lesen konnten, waren nicht betroffen. Doch wer glaubte denen schon.

Das Haus gehörte Gloria. Niemand in der Zauberwelt – außer ihrem Meister – wusste davon. Offiziell trat ein netter alter Mann namens Noxius als Eigentümer auf, der das Heim auch leitete. Einundzwanzig Kinder und jugendliche Muggel lebten hier. Gloria kannte alle beim Namen.

„Tante Gloria!", rief ein kleiner Junge und stürmte auf sie zu.

Sie rastete die Bremsen des Kinderwagens ein und beeilte sich dann den Kurzen aufzufangen.

„Hallo Stevie", sagte sie und zog ihn an sich. Dass dem Jungen ein Arm fehlte, beachtete sie nicht.

„Hast du mir was mitgebracht?", drängelte der Junge und trat von einem Bein auf das andere.

„Sollte ich denn?", tat sie so, als hätte sie es vergessen, doch dann zog sie ein Malbuch aus der großen Tasche. „Hier. Bekomme ich ein Bild, wenn du fertig bist?"

„Das Schönste", versprach der Kleine ernsthaft.

Gloria bot ihm ihre linke Hand, löste die Bremse des Kinderwagens und ging ins Haus. Andere Kinder winkten ihr zu, ein paar wirkten hingegen etwas abwesend oder verlegen. Jedes von ihnen trug einen Makel an sich, der viele Leute verschreckte. Meist Entstellungen, ein Mädchen war stumm, einem fast erwachsenen Jungen fehlte ein Bein. Aber das war, neben dem fehlenden Arm von Steve, das Schlimmste.

„Ist das dein Baby?", fragte Steve und reckte den Hals. Doch er war zu klein, um in den Wagen sehen zu können.

„Ja."

„Und das war wirklich in dem dicken Bauch?"

„Ja."

„Hat dir jemand den Bauch aufgeschnitten und es da rausgeholt?"

„Nein, das geht anders."

Steve dachte angestrengt nach.

„Ich glaube das nicht!", erklärte der kleine Junge dann überzeugt.

„Ach!", lachte Gloria. „Wie war es denn dann?"

„Du hast dir ein Kissen unter gesteckt!", erklärte Steve überzeugt.

„Wie kommst du denn darauf?", fragte Gloria interessiert und bastelte den Korb ab, in dem Caradoc noch immer fest schlief. Das war etwas, was man mit einem normalen Kinderwagen nicht machen konnte. Die Muggel hatten sich etwas ausgedacht, bei dem der Korb auch wie eine Tragetasche und ein Reisebett funktionierte.

„Ich hab Ginger gesehen, wie sie Taschentücher unter ihr T-Shirt gesteckt hat", erklärte Steve ernst. „Anscheinend machen das alle Mädchen, um nachher schnell abnehmen zu können. Mädchen lieben es anderen zu erzählen, wie viel sie abgenommen haben."

Gloria musste sich Mühe geben, nicht lauthals los zu lachen.

„Ja, das war wohl der Grund", entgegnete sie stattdessen beherrscht.

„Das wusste ich", erklärte er stolz. „Kann ich dir tragen helfen?"

„Das ist sehr nett von dir", nahm Gloria das Angebot an, obwohl der einarmige, fünfjährige Junge schon mit seinem Malheft überlastet wirkte. Sie gab ihm etwas aus der Tasche, was sie für tragbar hielt. Ein dickes Paket sauberer Windeln.

„Was würde ich ohne dich nur machen?", fragte sie und erhob sich gespielt ächzend. Rechts hielt sie Caradoc in seinem Bettchen und links hob sie die Tasche über die Schulter.

„Gehen wir", sagte Gloria und ging, zusammen mit einem stolzen Steve, die Treppe hinauf in das zweite Stockwerk.

Oben wandten sie sich in einen Gang und hielten an der letzten Tür.

Gloria klopfte.

Sie hörte drinnen jemanden hektisch aufspringen, dann wurde die Tür vorsichtig geöffnet.

„Ich hörte, in diesem Haus wohnt der beste Babysitter der Stadt", fragte Gloria lächelnd. „Bin ich hier richtig?"

„Ja", kam die heisere kratzige Antwort, der keine Kraft inne lag. Doch das Mädchen, welches das Wort gesprochen hatte, wirkte alles andere als kraftlos. Rosa – so hieß dieses Mädchen – öffnete die Tür.

Sie hatte sich schön gemacht und trug das Kleid, das ihr Gloria geschenkt hatte. Ein leichter Rotschimmer zierte ihre Wangen.

Der Raum war aufgeräumt und sauber, bemerkte Gloria amüsiert. Beim letzten unangekündigten Besuch war das ganz anders gewesen.

„Ist dies das selbe Zimmer?", fragte Gloria neckend.

„Diesmal wusste ich vorher Bescheid", krächzte Rosa.

„Kein Vorwurf", sagte Gloria und trug die Tasche und den Korb zum Schreibtisch.

„Der ist ja unglaublich süß!", meinte das Mädchen mit verklärtem Gesichtsausdruck, als sie auf Caradoc blickte.

„Will auch sehen!", maulte Steve.

Gloria nahm ihm das Paket ab und hob den Jungen hoch.

„Furchtbar klein", fand der Junge nach einem kurzen Blick. „Amandas Puppe ist größer."

„Das ist keine Puppe", erklärte Gloria. „Das ist ein Baby."

„Ich weiß das!", erklärte Steve und wollte wieder herunter. „Aber es ist trotzdem klein."

Es dauerte einen Moment ehe Gloria klar wurde, dass der kleine Junge einen Anfall von Eifersucht hatte.

Das kam ein wenig unerwartet. Sie wusste, dass fast jedes Kind sich hier nach einer Familie sehnte. Sie wollte den Kindern auch helfen, da sie die Verantwortung für sie trug, aber sie hatte nie mit einer solchen Situation gerechnet.

„Stimmt, Caradoc ist wirklich sehr klein", sagte sie und kniete sich vor das Kind. „Deswegen braucht er große, starke Freunde. So einen wie dich. Willst du mir und Rosahelfen auf ihn aufzupassen?"

„Vielleicht!", sagte der Junge und rannte aus dem Zimmer.

„Er mag dich sehr, Patentante", sagte Rosa nachdenklich. „Er hat noch nicht begriffen, wie die Welt wirklich ist."

„Wahrscheinlich weiß er es besser, als so manches andere Kind in seinem Alter", entgegnete Gloria ernst. „Leider."

„Er weiß nicht, wie gut er es hier hat", widersprach Rosa. „Seine Eltern waren Säufer und er kann von Glück reden, dass er so früh von zu Hause weggekommen ist."

Wortlos zeigte Gloria dem Mädchen die mitgebrachten Sachen für Caradoc. Es bereitete ihr immer Schwierigkeiten etwas zu sagen, wenn Rosa über dieses Thema sprach. Gloria war hin und her gerissen zwischen der Schuld die sie trug und der Freude, dass das Mädchen ihren Gewinn anscheinend weit über ihren Verlust stellte.

„Wie geht es in der Schule?", lenkte Gloria ab und setze sich aufs Bett. Mit einer Hand klopfte sie auf das Kissen neben sich. Etwas verlegen setzte sich Rosa zu ihr.

Lange Zeit redeten sie miteinander. Gloria tat das sehr gerne und auch dem Mädchen schien es ein wenig zu helfen. Wie immer fiel auf, dass Rosa es peinlichst vermied ihre Eltern zu erwähnen. Auch damals, als Gloria ihr von der tödlichen Erkrankung ihres im Gefängnis sitzenden Vaters erzählt hatte, war keine Reaktion festzustellen gewesen und das Thema war sofort gewechselt worden.

Gut eine Stunde später ging Gloria mit Rosa noch ein wenig spazieren und dabei zeigten sie den inzwischen erwachten Caradoc herum. Ihrem kleinen Schatz schien die allgemeine Aufmerksamkeit ein wenig suspekt zu sein und recht schnell fing er zu quengeln. Genau deshalb hatte Gloria ihn hierher gebracht. Sie wollte, dass er sich auch an andere Menschen gewöhnte. Die meisten Kinder von Zauberern und Hexen wuchsen recht isoliert auf und Hogwarts überforderte sie dann manchmal. Gloria kannte das aus eigener Erfahrung. Sie hatte sich vorgenommen, nicht die selben Fehler wie ihre Eltern zu machen. Es hatte drei Jahre gebraucht, ehe sie das Selbstbewusstsein entwickelt hatte, um in Hogwarts und dem Haus Slytherin bestehen zu können.

Es war später Nachmittag, als Gloria mit Rosa und Caradoc wieder zu dem Zimmer des Mädchens hinaufging. Caradoc hatte Hunger und zeigte das auch lautstark an. Lächelnd reichte Gloria den kleinen Schreihals an das Muggelmädchen.

„Wir hatten Nachmittag ausgemacht", sagte sie augenzwinkernd. „Du bist dran und ich denke, er sollte vorher auch neu gewickelt werden."

Das Mädchen nahm Caradoc entgegen und zu Glorias Überraschung schien sie der Umgang mit einem Baby nicht sonderlich zu beunruhigen. Gloria selbst hatte zu Beginn fast übervorsichtig agiert.

Aber es hatte auch noch einen anderen Grund, warum Gloria dem Mädchen diese Aufgabe überließ – sie hatte zwar Muggelwindeln gekauft, hatte aber keine Ahnung, wie man sie verwendete.

Wenige Minuten später wünschte sie sich nicht so neugierig gewesen zu sein. Es war eine recht schmutzige und geruchsintensive Arbeit, ein Baby auf Muggelart zu reinigen. Statt den ganzen Schmutz mit einem kurzen Zauber zu entfernen und dann Oma-Netties-Super-Hautweich-niemals-entzündet-Babypuder aufzutragen, wurde Caradoc aus der Windel gehoben (die mit langen Armen weggepackt wurde), per Hand gereinigt, dann gepudert und wieder eingepackt. Caradoc – der ein wenig erstaunt wirkte, als er an den Beinen hochgehoben wurde (was auf Zaubererart nicht nötig war) – blieb dabei aber erstaunlich ruhig.

„Er ist zum anbeißen süß", sagte Rosa und öffnete ein wenig das Fenster. Gloria bemühte sich nicht die Nase zu rümpfen. Auch das war ein Problem, das man am besten und viel schneller mit ein wenig Magie lösen konnte. Muggeleltern musste viel mehr leiden, dies wurde ihr immer mehr klar.

„Lassen wir das keinen Vampir hören", lächelte Gloria und erst als sie es gesagt hatte, wurde ihr bewusst, dass sie eben dabei war gegen die Geheimhaltung verstoßen hatte.

„Babys haben einen besonderen Schutzengel, Tante Gloria", entgegnete Rosa zu Glorias Erstaunen vollkommen unbefangen. „Graf Dracula hätte keine Chance."

„Woher kennst du denn den Grafen?", fragte Gloria erstaunt.

„Ich hab das Buch gelesen", erklärte Rosa und deutete auf ein kleines Regal mit sieben Büchern. „Die Filme haben mir nicht so gefallen."

Gloria ging interessiert zum Regal und streckte die Hand aus.

„Darf ich?", fragte sie das Mädchen.

„Natürlich", antwortete es und stellte einen Topf mit Wasser auf eine seltsame Apparatur, in den sie Caradocs Fläschen stellte.

Gloria nahm das Buch zur Hand und blätterte ein wenig darin. Sie hatte bisher nicht gewusst, dass die Muggel Vampire kannten.

„Ich leih es dir gern, wenn du möchtest", bot Rosa an. „Ich hab es schon fünfmal gelesen."

„Wenn es dich nicht stört, nehm ich es gern", bestätigte Gloria.

Inzwischen war das Fläschchen fertig. Auch hier bewunderte Gloria wieder die Geduld, die eine Muggelmutter mitbringen musste. Ein Fläschchen zu erwärmen und auf die richtige Temperatur zu bringen, war für eine Hexe eine Sache von Augenblicken. Rosa hingegen schüttelte einige Male die Babyflasche und träufelte dann ein wenig Milch auf ihren Handrücken, um die Temperatur zu prüfen.

„Du machst das wirklich nicht zum ersten Mal, nicht wahr?", fragte Gloria fasziniert.

„Bei weitem nicht", entgegnete das Mädchen nur kurz angebunden, nahm Caradoc auf den Arm und gab ihm sein Fläschchen.

Sie sah dabei leicht abwesend auf das kräftig trinkende Baby. Gloria nutzte den Moment, um das Mienenspiel des Mädchens zu beobachten. Babysitten schien sehr zwiespältige Erinnerungen in ihr aufzuwühlen.

Dann sah Rosa auf.

„Warum bist du so nett zu mir?", fragte sie, mit einer Mischung aus Mut und Angst. „Warum vertraust du mir dein Kind an, obwohl du mich erst seit ein paar Monaten kennst? Ich meine, du warst dabei, als ich den Unfall hatte und hast mir geholfen. Aber warum hast du dich auch danach noch um mich gekümmert? Man hat mir gesagt, dass du dafür gesorgt hast, dass ich hier leben darf."

Eine gefährliche Frage, eine gefährliche Stimmung. Bei ihrem Meister hatte Gloria gelernt, dass in solchen Momenten das Gespür für Wahrheit und Lüge ins Unermessliche steigen konnte. Zu lügen war das Dümmste, was sie jetzt tun konnte.

„Ich trage die Verantwortung für dich, seit dem ersten Tag, als wir uns begegneten", sagte Gloria ernst.

„Weil du mir das Leben gerettet hast?!", vermutete Rosa, doch Gloria schüttelte den Kopf.

„Nein. Sondern weil die, welche Macht besitzen, eine Verantwortung für die tragen, die keine haben."

Gloria stockte. Sie rang mit sich, wie weit sie gehen sollte. Muggel waren dazu da, um zu dienen und Magier, um die Welt zu erhalten. Doch auch wenn sie Diener waren (oder zumindest sein sollten), so waren sie keine Tiere ohne Rechte. Muggel waren Menschen, das hatte Gloria begriffen und wenn man über sie herrschte, dann musste man sich auch um ihre Belange und Gefühle kümmern. Macht brachte Verantwortung. Macht ohne Verantwortung führte zu Chaos und Krieg. Voldemort hatte dies bewiesen.

„Rosa!", erklärte Gloria leise, aber eindringlich. „Ich habe Dinge getan, die richtig und nötig waren, aber auf die ich nicht stolz bin. Wenn es um das Wohl Vieler geht, dann tue ich auch Einzelnen Unrecht. Ich kann das tun, aber es erfreut mich nicht. Dir und den anderen hier zu helfen, euch zu besuchen – all das hilft mir ruhiger zu schlafen. Glaub mir, zu sehen wie es dir gut geht, ist mir sehr viel wert und ich profitiere davon, genau wie du."

„Was genau machst du eigentlich?", fragte Rosa.

„Das kann ich dir im Moment nicht sagen. Vielleicht wenn du älter bist", wehrte Gloria ab und interpretierte dann den Gesichtsausdruck des Mädchens. „Keine Sorge, es ist nichts Unanständiges."

„Das hätte ich nie gedacht!", log Rosa und lief in der Farbe ihres Namens an. „Ich frag auch nicht weiter."

„Ist schon in Ordnung", lachte Gloria. „Ich habe jedoch eine Bitte an dich."

„Alles!", versprach das Mädchen umgehend.

„Auch wenn es jetzt ungewöhnlich klingt, bitte, sollte irgendetwas Seltsames oder Ungewöhnliches passieren, wenn Caradoc bei dir ist, erzähle es niemandem außer mir."

Für einen Moment schaute Rosa sie verwirrt an, doch dann nickte sie energisch.

„Du wirst irgendwann verstehen", versprach Gloria und lächelte ermutigend.

Inzwischen war Caradoc satt und verweigerte den Rest der Milch, doch Rosa gab ihm immer weiter die Flasche, bis er auch den letzten Rest ausgetrunken hatte. Dann stand das Mädchen auf, legte sich ein Tuch über die Schulter und Caradoc darauf, dann ging sie mit wiegendem Gang durch das Zimmer und klopfte dem Kleinen behutsam auf den Rücken. Gloria lächelte sanft, als sie dann doch noch eine Gleichheit zwischen Muggeln und Zauberern zu sehen bekam. Sie selbst hatte schon lange Minuten damit zugebracht, Caradoc zu seinem Bäuerchen zu bewegen und sie hatte es auf genau diese Art versucht.

Heute war ihr Schatz recht gut drauf, denn schon nach wenigen Sekunden gab er ein kleines Rülpsen von sich und sabberte herzhaft auf das Tuch.

Gloria hatte genug gesehen und langsam drängte die Zeit.

„Ich denke, ich habe meine heutige und zukünftige Babysitterin gefunden", erklärte Gloria und stand auf. Sie nahm das Buch über Vampire und noch einmal Caradoc auf ihren Arm. Ein paar Streicheleinheiten, ein Küsschen und sie musste sich mit Macht von ihm losreißen. Jetzt, wo es soweit war, bemerkte sie an sich, wie schwer es ihr fiel, ihren Schatz in die Hände eines anderen zu geben, der nicht zu ihrem Haushalt gehörte und dazu noch Muggel war. Zu Cindy hatte sie volles Vertrauen, denn die Hauselfe hatte schon auf sie selbst aufgepasst, als sie klein gewesen war. Aber zu Rosa, die sie kaum kannte? Benutzte sie Caradoc nicht jetzt schon für ihre Zwecke?

Möglichst beherrscht verabschiedete sie sich von Rosa, versprach Caradoc am nächsten Mittag wieder abzuholen und ging dann.

Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, begann ihr kleiner Schatz zu weinen. Sie verschloss sich seiner Stimme und sah zu, dass sie außer Hörweite kam. Ihre Entscheidung jetzt rückgängig zu machen, wäre extrem dumm und auch menschlich falsch gewesen. Sie mochte Rosa wirklich und auch die anderen Kinder hier waren ihr nicht mehr egal. Ihr Meister hatte sie gewarnt, dass diese Zerrissenheit kommen würde, doch zum ersten Mal spürte Gloria sie wirklich. Mitgefühl und Notwendigkeit miteinander in Einklang zu bringen, war eine fast unmöglich scheinende Aufgabe.

Heute war sie getrieben von der Notwendigkeit.

Schnellen Schrittes ging sie in das Büro des Heimleiters, nickte dem Mann am Schreibtisch freundlich zu – der einzige Erwachsene der hier lebte – deutete mit ihrem Zauberstab auf eine Wand, die sofort eine Tür freigab, trat in den kleinen Raum dahinter und apparierte – geschützt vor zufälligen Blicken – nach Hause.

Zum Glück war sie noch früh genug. Das Haus war leer und ungewöhnlich ruhig. Kein Hauself, der sie begrüßte, keine Geräusche aus der Küche. In einer Ruine konnte es nicht ruhiger sein.

Ihre Schritte hallten durch die alten Gemäuer der Familie Kondagion. Die Leuchtsteine, die normalerweise den Weg erhellten, waren heute mit Tüchern verhüllt und stattdessen standen rote Kerzen rechts und links nahe der Wand. Gloria entzündete diese eine nach der anderen.

Die Kerzen führten sie in den Kleinen Roten Saal. Auch hier war alles perfekt vorbereitet.

Das Meißner Porzellan, das silberne Besteck aus Frankreich, die chinesischen Duftkräuter. Weiße Kerzen warteten auch hier darauf entzündet zu werden, wobei hier ein paar Lichtsteine eine dämmrige Grundatmosphäre erzeugten.

Das vorbereitete Essen stand auf einem kleinen Beistelltisch, konserviert auf den passenden Moment durch einen der besonderen Elfenzauber, der sich als geleeartiger Überzug zeigte. Man musste ihn nur mit einem Zauberstab berühren und er würde verschwinden und das Essen mit der perfekten Temperatur freigeben.

Beeindruckt nickte Gloria. All die Speisen, die ihr Mann mochte und das, obwohl dieser einen recht ausgefallenen Geschmack hatte. Zum Beispiel war der Rogen des Tinlatas-Fisches unglaublich schwer zu besorgen und kostete sein Gewicht mal zehn in Gold – es sei denn, man konnte die Beziehungen eines Banefactors nutzen. Normalerweise hätte sich das Gloria nicht leisten können. Die Familie Kondagion war zwar reich, aber dies hauptsächlich an Tradition und festen Besitztümern. Gloria hatte sich von der unheilvollen Tradition ihrer Ahnen getrennt Gut zu verkaufen, nur um mit einem Luxus anzugeben, den man sich gar nicht mehr leisten konnte. Sie selbst achtete genau darauf, nie mehr Geld zu verbrauchen, als hereinkam, auch wenn das manchmal Verzicht bedeutete. Dafür konnte sie sich aber manchmal auch recht ausgefallene Dinge leisten, die nicht unbedingt die Aufmerksamkeit des Ministeriums finden sollten. Natürlich hätte sie die schier unerschöpflich wirkenden Mittel ihres Meisters nutzen können, aber der Stolz und die Notwendigkeit unauffällig zu sein, ließ sie sich bescheiden. Sie wandte ihre Gedanken wieder ihrer Aufgabe zu.

Was würde zum Dinner passen? Eine tropische Lagune? Die Alpen im Hintergrund? Am Ende entschloss Gloria sich für einen Sonnenuntergang an der schottischen Küste, inklusive folgendem Sternenhimmel. Sie gab ja zu, die Idee war in Hogwarts und dem Zaubereiministerium geklaut, aber keine der beiden Institutionen hatte bisher an die Möglichkeit der romantischen Zweisamkeit gedacht. Natürlich wusste Gloria nicht, wie es in anderen Privatwohnungen aussah, aber bisher hatte niemand ihr gegenüber damit angegeben.

Sie wandte sich einer Tür zu, die über einen kleinen engen Flur ins Schlafzimmer führte, das sie ja schon mittags inspiziert hatte. Trotzdem schaute sie noch einmal nach.

Amüsiert lächelnd bemerkte sie, dass die Hauselfen noch einmal die Rosenblätter ausgetauscht hatten, die sie bei ihrem kurzen Besuch am Mittag zertreten hatte. Schwarze und rote Kerzen standen überall im Raum verteilt und halbdurchsichtige Vorhänge erlaubten einen verheißungsvollen Blick auf ein großes Bett.

Alles war an seinem Platz. Auch die Vorbereitungen, die nicht die Hauselfen getroffen hatten.

Gloria schloss wieder die Tür, um ja nicht die Perfektion zu zerstören.

Sie ging in eines der Bäder, duschte sich und tat das teure Parfüm auf, das sie sich nur zu Festtagen und beim Abschlussplädoyer erlaubte. Dazu das Festkleid, welches sie an dem Tag getragen hatte, als ihr Mann ihr seinen Antrag gemacht hatte. Sie war unheimlich stolz, da noch immer (oder besser wieder) hineinzupassen, obwohl sie ein wenig mit magischen Mitteln nachgeholfen hatte. So eine kurz zurückliegende Schwangerschaft war nicht einfach vergessen zu machen. Männer hatten ja keine Vorstellung. Sie mäkelten zwar selten offen, aber wenn sie sich nicht beobachtet glaubten, dann schauten sie doch mit wenig begeistertem Blick zum Bauch oder auf gewisse Rundungen am Schenkel.

Dafür blickten sie aber sehr gern verstohlen auf andere Rundungen, lächelte Gloria abfällig und rückte ihre Oberweite ins rechte Licht – ohne zuviel Licht heran zulassen. Zugegeben, da hatte sie das Kleid ein wenig erweitern müssen, aber das durchaus mit Freude und ohne Gewissensbisse.

Danach setzte sie sich in den Kleinen Roten Saal und wartete. Ihr Mann würde bald von der Arbeit kommen. Sie würde ihm nicht raten, an ihrem zehnten Hochzeitstag zu spät aufzutauchen.

Zehn Minuten später war klar, dass er es nicht wagte sie zu enttäuschen. Sie hörte Schritte näher kommen, die dem Weg der Kerzen folgten.

Ein kurzer Öffnungszauber und der Korken löste sich aus einer Flasche und gab dem Rotwein Luft zum Atmen. Dann verbarg sie ihren Zauberstab unter dem Kleid und stand auf.

Die Tür öffnete sich langsam und gab den Blick auf ihren Mann frei. Er hatte sich passend angezogen, seine blonden Haare waren frisch frisiert und seine schwarzen Augen blitzen freudig. Wahrscheinlich weil er ihr Vorhaben erahnt hatte.

Er sah noch immer zum Anbeißen aus, wie schon in Hogwarts, als er der Schwarm aller Slytherin-Mädchen gewesen war. Gloria hatte einige Konkurrentinnen heimlich ausstechen müssen, um seine Aufmerksamkeit zu erringen. Aber als sie ihn endlich geangelt hatte, hatte sie ihn nicht mehr aus ihrem Netz gelassen.

„Alles Gute zum Hochzeitstag", sagte er mit seiner tiefen Bassstimme.

Wortlos trat Gloria zu ihm, schlang ihre Arme um seinen Hals und ließ erst dann ihre Lippen sprechen.

Seine Antwort war sanft, verführerisch und die Muskeln unter seinem Hemd hatten sie schon als junges Mädchens dahin schmelzen lassen. Die schwere Arbeit bei dem Büro für Zollangelegenheiten, das zur Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit gehörte, hatte ihn gut in Form gehalten.

„Es ist alles bereitet", löste sich Gloria ein wenig.

„Wo ist der Kurze?", fragte er leise und küsste ihren Hals.

„Beim Babysitter."

„Und wo ist die faule Bande? Ich hab nach ihnen gerufen, aber keiner ist aufgetaucht."

„Ich hab sie des Hauses verwiesen", erklärte Gloria und ignorierte seine Sprachweise gegenüber Hauselfen und dass er nicht nach der Identität des Babysitters fragte. Er hatte sich kaum verändert, auch wenn er sich ihr zuliebe meist zusammen riss.

„Ich wollte ungestört sein", säuselte Gloria und wandt sich neckisch aus seinen Armen. „Lass dich heut einfach von mir bedienen."

„Moment."

Ein sanfter Griff um ihre Hüfte, ein Zug und Gloria wirbelte in seine Arme zurück. Ihr Rücken lag eng an seiner Brust. Er war ein guter Tänzer und wusste eine Frau elegant zu führen.

Etwas Kühles wurde um ihren Hals gelegt.

„Für die Frau, die schon die Schönste war, als ich sie heiratete und die nichts von ihrem Glanz verloren hat. Ganz im Gegenteil, von Tag zu Tag scheinst du immer mehr zu erstrahlen, während alles in deiner Umgebung verblasst."

„Nur du nicht", versicherte sie ihm und doch bedauerte sie, dass er irgendwie in seiner Entwicklung stehen geblieben war.

Sie schaute auf die Kette herunter.

„Wunderschön", gestand sie ehrlich.

„Meine Großmutter hat immer gesagt, diese Ehe hält keine zehn Jahre", flüsterte ihr Mann. „Sie hat sich geirrt und deshalb bekommst du ihre Kette, die dir schon zu unserer Hochzeit zugestanden hätte."

„Ach und was bekomme ich dann zum heutigen Hochzeitstag", neckte sie ihn und wieder entwand sie sich ihm. Tänzelnd präsentierte sich Gloria ihm mit der Halskette. Sie konnte die Magie auf ihrer Haut prickeln spüren.

„Setz dich und genieße", lud sie ihn mit einem Knicks ein, als sei er ein Prinz.

Er tat ihr lächelnd den Gefallen und Gloria begann das vorbereitete Essen zu servieren. All seine Leibspeisen ließen ihm die Augen übergehen. Immer wenn er etwas dazu sagen wollte, schüttelte sie lächelnd den Kopf, legte den Zeigefinger auf die Lippen und servierte den nächsten Gang.

Nachdem alles in Stille genossen war, stand Gloria auf, ergriff seine Hand und führte ihn mit anzüglichem Lächeln in den Gang zum Schlafzimmer.

„Weißt du noch, was du mir damals in unserer ersten Nacht versprochen hast?"

„Ewig Treue und Vergnügen", lächelte er, nicht minder anzüglich.

„Das andere meinte ich", entgegnete sie und kicherte wie ein Schulmädchen.

„Keine Geheimnisse", sagte er daraufhin.

Er hatte es damals nicht ernst gemeint und heute auch nicht. Gloria hingegen hatte ihm nie etwas versprochen.

„Und?", fragte sie augenzwinkernd. „Hast du Geheimnisse vor mir?"

„Natürlich nicht!", sagte er. „Außer vielleicht, dass ich erste graue Haare bei mir entdeckt habe."

„Das würde ich nicht gerade ein Geheimnis nennen", neckte sie ihn.

Sie betrat vor ihm das Schlafzimmer, drehte sich mit ausgebreiteten Armen zu ihm und zündete, die Luft anhaltend, mit dieser Bewegung – ohne einen Zauberstab zu benutzen – auf einen Schlag alle roten Kerzen an.

„Wo hast du das gelernt!", staunte ihr Mann.

Sie antwortete nicht, bugsierte ihn zum Bett und drückte ihn sanft gegen die Schultern.

Ohne Widerstand ließ er sich aufs Bett sinken.

Verstohlen löschte Gloria die roten Kerzen, zündete mit einem Gedanken die Schwarzen an und atmete erst jetzt wieder ein.

Traurig sah sie auf den Mann herunter, den sie liebte. Langsam krempelte sie seinen linken Ärmel nach oben und zog ihren Zauberstab hervor.

„Was hast du vor?", fragte er stirnrunzelnd und versuchte seinen Arm wegzuziehen. Vergeblich, denn der Rauch der roten Kerzen hatte ihn unauffällig und wirksam gelähmt. Nur sprechen konnte er noch und das Gesicht verblüfft verziehen.

Leise murmelte sie die Worte, die der Meister ihr beigebracht hatte und zu ihrem Entsetzen begann eine versteckte Tätowierung Gestalt anzunehmen.

Sie hatte es nicht glauben wollen, als der Meister ihr seinen Verdacht äußerte.

„Ich kann das...", begann er.

„Sei still!", zischte sie, stand auf und ging im Raum auf und ab.

Bis zu diesem Moment hatte sie alles geplant gehabt, aber die Wahrheit hatte sie dann doch zu sehr schockiert. Sie konnte nicht so einfach weitermachen. Wenigstens hielt er den Mund, während sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen.

Nach langen Minuten setzte sie sich neben ihm aufs Bett. Die schwarzen Kerzen würden für weniger Ausreden und mehr Wahrheit sorgen.

„Warum?", fragte sie traurig.

In seinen Augen spiegelte sich Scham und Reue.

„Ich war jung und dumm. Gerade erst von der Schule", gestand er. „Aber ich war niemals ein Todesser!"

„Du trägst das Mal!", hielt sie ihm entgegen. Hielt er sie denn für so dumm?

„Es ist nicht vollständig", erklärte er. „Es ist nie zum letzten Schritt gekommen. Schau es dir genau an."

Widerwillig wiederholte sie den Zauber, da das Mal schon verblasst war.

Diesmal betrachtete sie die Zeichnung genauer.

„Es fehlen die Augen", murmelte Gloria nachdenklich.

„Der Dunkle Lord...", begann er.

„Nenn ihn Voldemort oder anders!", unterbrach sie ihn rüde. „Aber nicht so."

„Wenn du es wünschst", gab er sofort nach. „Er hat nicht das Aufnahmeritual vollzogen, weil er vorher an Potter geriet. Was ein Glück war, weil er mich getötet hätte, hätte er gewonnen."

„Weshalb?", wollte sie wissen.

„Weil ich die mir gestellte Aufgabe in dieser Nacht nicht erledigt habe. Ich konnte einfach nicht die Lovegoods töten."

„Du solltest die Herausgeber des Quibblers umbringen? Warum?"

„Nun, Mr Lovegood war der Einzige, der noch den Mut hatte wirklich kritisch zu schreiben, auch wenn er manchmal wohl eher durch Zufall die Wahrheit schrieb. Seine Frau versuchte jedoch einen Schutz gegen den Todesfluch zu finden und anscheinend glaubte er, dass sie auf dem richtigen Weg war. Aber ich habe sie nicht getötet. Und wie du dich vielleicht erinnerst, habe ich an diesem Abend versucht, dich zu einer Reise nach Amerika zu überreden. Wir waren doch schon auf unseren Besen auf dem Weg zum Hafen, als uns die Freudenfeuer vom Sieg über ihn kündeten."

Damit hatte er einen guten Punkt errungen. Genau genommen sogar zwei, denn die Lovegoods hatten die Nacht wirklich überlebt und auch sein nervöses Drängen zu verreisen, kam ihr wieder in Erinnerung.

„Was wirst du jetzt tun?", fragte er besorgt.

„Ich weiß es nicht", antwortete sie gedrückt mit hängendem Kopf.

„Du musst mich an das Ministerium ausliefern", sagte er nach einer Weile nervös, aber entschlossen.

Gloria dachte einen Moment lang darüber nach, doch dann schüttelte sie den Kopf.

„Das kann ich Caradoc nicht antun", flüsterte sie.

„Wenn du es nicht tust und es rauskommt, wirst du wegen Mitwisserschaft angeklagt!", gab er zu bedenken. Seine Augen blickten sie fest an. Obwohl er Angst hatte, war es ihm dabei sehr ernst. „Dann wächst unser Sohn ganz ohne Eltern auf."

„Die Gefahr besteht kaum", sagte Gloria und spielte damit auf ihre eigene gewachsene Macht an. „Und ich denke, ich werde dich nicht verraten."

Er atmete erleichtert aus.

„Aber...", ließ Gloria ihn zusammenzucken „...dies sagt nichts darüber aus, wie es mit uns weiter geht."

Jetzt trat ein tiefer Schmerz in seine Augen.

„Du willst die Scheidung?", fragte er traurig.

„Ich will vorerst nur Antworten", entgegnete sie fest und dann konnte sie einen anklagenden Ton nicht unterdrücken. „Warum hast du Lucius Malfoy verraten, dass ich zwei Teile der Stillen Klinge besitze? Wie konntest du mich gerade an ihn verraten?"

„Ich wollte dich vor dem momentanen Anführer der verbliebenen Todesser beschützen", erklärte ihr Mann und seine Augen zuckten plötzlich erstaunt durch den Raum. Sein Blick blieb an den Kerzen hängen. „Cereus verum dicere? Kerzen, die die Wahrheit sagen?"

Gloria nickte.

„Ich muss sichergehen."

„Warum kein Veritaserum?"

„Die Anwendung unterliegt strengen Bestimmungen."

„Immer die korrekte Anwältin", lächelte er.

„Lenk nicht ab", entgegnete sie barsch, weil sie nicht guter Stimmung sein wollte. „Erklär mir lieber, warum du glaubtest, mich mit einem Verrat beschützen zu müssen."

„Das ist recht einfach", fuhr er wieder ernst fort. „Lucius schäumte vor Wut, weil du in seinen Augen Schuld bist, dass dieses, Zitat: Drecksblag, noch in Hogwarts zur Schule gehen kann. Ich glaube, der Junge hat ihn irgendwie bloßgestellt und dafür wollte er sich rächen. Da das schief gegangen war, solltest du büßen. Du weißt, dass er dank seines Geldes großen Einfluss im Ministerium hat. Er hat mir gegenüber damit angegeben und hat dabei auch erwähnt, dass er: Dank deines Teils der Stillen Klinge, nun zwei Teile besitzt. Da ich wusste, dass du selbst zwei Teile besitzt und glaubst, dass eines davon von Malfoy stammt, habe ich schnell geschlussfolgert und die Möglichkeit erkannt, seine Wut auf jemand anderen zu lenken. Du mochtest Glenndary doch eh nie und so ergriff ich die Gelegenheit. Außerdem muss Malfoy jetzt nett zu dir sein, weil er sich sonst seine Hoffnung kaputt macht, deine beiden Klingenteile zu halbwegs vernünftigen Preisen zu erwerben."

„Sie standen niemals zum Verkauf", erklärte Gloria. „Und Glenndary ans Messer zu liefern, hat uns mehr geschadet, als du denkst! Du hättest vorher mit mir reden sollen."

Betreten schloss er die Augen. Gloria konnte sehen, wie sehr sie ihm mit ihren Vorwürfen wehtat und sie glaubte fast sicher, dass er wirklich nur ihr Bestes gewollt hatte.

„Du sagtest uns?", fragte er, als die Stille ihm anscheinend zuviel wurde.

Gloria zuckte erschrocken zusammen. Ihr uns hatte ihn eigentlich nicht mit eingeschlossen und so stand sie plötzlich vor der Frage, ob es ihn nicht hätte mit einschließen sollen. Wenn er gewusst hätte, was sie wusste, dann hätte er sicher auch nicht den Fehler gemacht.

Auf der anderen Seite...er hätte sicher andere Fehler gemacht. Wenn sie ihn jetzt so betrachtete, so wurde ihr immer mehr klar, dass er noch immer das Kind war, wie vor zehn Jahren. Er hatte sich kaum verändert. Und gerade das gab ihm diesen speziellen jugendlichen Charme, dem sie noch nie hatte widerstehen können. Nur seine völlig veralteten Ansichten...

Sie berührte seine Stirn mit dem Zauberstab und reinigte seinen Körper so von dem Lähmgift.

Langsam, fast ungläubig richtete er sich auf und setzte sich neben sie. Beide saßen sie nun nebeneinander auf der Bettkante, die Köpfe gesenkt. Keiner wagte den anderen zu berühren.

„Auf welcher Seite wirst du stehen, wenn Voldemort zurückkehrt?", fragte sie leise.

Er ist tot", widersprach ihr Mann fest.

„Er wird zurückkehren!", behauptete sie überzeugt.

„Woher willst du das wissen?"

„Dumbledore scheint davon überzeugt", sagte Gloria ihm nur die halbe Wahrheit. „Er hat diese Meinung einige Male im Zaubergamot geäußert und langsam glaub ich, dass dieser Mann sich leider fast nie irrt."

„Dumbledore?", zweifelte er in abfälligem Ton.

„Ist kein dummer Mann", wies sie ihn zurecht. „Im Gegenteil. Betrachte doch mal objektiv die Geschichte. Es ist diesem Mann gelungen mit ein paar wenigen Zauberern und Hexen, einer Übermacht lange Zeit standzuhalten. Das war kein Zufall!"

„Aber seine Ansichten sind abstoßend."

„Das steht auf einem anderen Blatt. Trotzdem bleibt meine Frage: Auf welcher Seite wirst du stehen, wenn Voldemort zurückkehrt?"

„Ich werde auf der deinen stehen!", sagte er nun ohne Zögern und Gloria glaubte ihm.

„Gut! Dann werden wir jetzt gehen und dieses schreckliche Mal von deinem Arm entfernen."

„Das kann man nicht", meinte er verlegen.

„Oh doch", erklärte Gloria. „Da es nicht vollendet ist, kenne ich jemanden der dazu in der Lage ist. Komm! Ich denke, es wird eine interessante Bekanntschaft für dich."

Gloria hatte sich entschieden. Sie würde ihren Mann Mr Banefactor vorstellen, ohne jedoch ihre Verbindungen zu ihrem Meister zu offenbaren. Immer nur kleine, vorsichtige Schritte und vielleicht gelang es ihr ja wirklich ihm die Augen zu öffnen und ihn ein wenig zu verändern.

Sie stand auf und streckte ihre Hand aus. Er ergriff sie und gemeinsam gingen sie in den Innenhof.

„Wer ist diese Bekanntschaft, die ich interessant finden werde?", fragte er, nachdem sie ihm gesagt hatte, wohin er apparieren sollte.

„Ein Wohltäter", entgegnete Gloria. „Einfach nur ein Wohltäter."

Dann apparierten sie.

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story by Tom Börner Das Geheimnis der Dementoren (Arbeitstitel)

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