- Kapitel 16 -

Der Feind meines Feindes…?!

Tarsuinn hatte Cho bei Madame Pomfrey abgeliefert. Nun – nicht direkt, musste er eingestehen. Er hatte sich verdrückt, bevor die Krankenschwester wach geworden war. Schließlich wollte er noch woanders hin und er hatte kein Interesse an einer längeren Diskussion. Zusammen mit Tikki ging er zum Büro des Direktors.

Tarsuinn klopfte an die Stelle, wo normalerweise die Tür war, doch diesmal war die Öffnung verschlossen.

„Professor Dumbledore?", rief er laut, doch niemand antwortete. Auch die Tür blieb verschlossen.

„Kann irgendein Bild bitte den Direktor informieren? Es ist dringend!", versuchte es Tarsuinn erneut.

„Geht nicht!", antwortete eine kühle Stimme von der Wand her. Tarsuinn kam sie vage bekannt vor.

„Warum nicht?"

„Darum nicht. Geh ins Bett, ungehöriges Balg!"

Jetzt fiel Tarsuinn wieder ein, woher er die Stimme kannte.

„Du bist der Farbklecks Phineas, nicht wahr?", fragte er, möglichst abwertend.

„Direktor Nigellus! Und du hast mich Sir zu nennen!", entgegnete das Bild.

„Ex-Direktor. Du bist tot, kein Direktor und nur ein wenig Farbe, Magie und vielleicht auch ein Abklatsch der Seele. Aber wenn du auch nur minimal so bist, wie der lebende Mensch Phineas Nigellus, dann hätte ich dich nicht gemocht und deshalb höre ich nicht auf dich! Ich möchte den Direktor sprechen und wenn das jetzt nicht geht, dann warte ich halt."

„Ich werde diese Weigerung dem Direktor mitteilen", fauchte Nigellus.

„Geh dich doch ausweinen", begegnete Tarsuinn der Drohung spöttisch. „Mehr kannst du eh nicht tun."

„Wir werden sehen, ob du immer noch so frech bist, wenn Professor Snape hier ankommt", sagte Nigellus und Tarsuinn hörte ein leises Huschen, das von Bild zu Bild sprang.

Hatte er schon beschlossen niemals ein Geist werden zu wollen, jetzt beschloss er auch niemals in einem Gemälde zu enden.

Er setzte sich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Wand und wartete. Für einen Moment fragte er sich, ob er nicht zu Professor Flitwick gehen sollte, doch diesen Gedanken verwarf er sofort. Dumbledore wusste von allen Erwachsenen – abgesehen von Rica – am besten über ihn Bescheid und er war der Mann, der die meiste Macht hier hatte.

Während Tikki versuchte ihn aufzumuntern, indem sie auf ihm herumkletterte und ihn mit der Nase am Ohr kitzelte, beschäftigte sich sein Gehirn mit Marie-Ann. Sie hatte so traurig ausgesehen und trotzdem viel hübscher als ihr Geist. Ihren Schmerz hatte er tief in seinem Herzen gespürt und trotzdem war es ihm angenehm gewesen, denn er hatte in diesem Augenblick sein Einhorn wieder gehört und wusste jetzt, dass es nicht getötet worden war. Doch der Gedanke, wo es jetzt sein konnte, ließ ihn frösteln. Wie konnte das nur sein?

Dazu kam auch noch Marie-Anns Gerede über Schicksal und Bestimmung. Es schien, als erwartete sie, dass Tarsuinn den Kampf führte, den sie selbst verloren hatte. Das machte ihm Angst. Er wollte nicht wirklich ein Kämpfer sein. Ihm reichte es schon völlig, wenn man Rica, seine Freunde und ihn in Ruhe ließ. Tarsuinn wollte nicht unbedingt die Welt verbessern.

Tikki gab warnende Laute von sich und Sekunden später hörte er Schritte näher kommen. Langsam stand er auf und erwartete – zu seinem Erstaunen – Professor Lupin.

„Professor Lupin", sprach Tarsuinn den Lehrer überaus höflich an. „Ich wünsche einen schönen guten Morgen."

Das Stocken in den Schritten war kaum zu bemerken.

„Bist du schon wach oder immer noch?", fragte Professor Lupin, mit ein wenig Müdigkeit in der Stimme. Er hatte offensichtlich heute noch nicht das Bett gesehen.

„Das ist Ansichtssache", lächelte Tarsuinn freundlich.

„Und was machst du hier? Außerhalb deiner Gemeinschaftsräume? Ich bin mir sicher, du weißt um die gegenwärtige Gefahr."

„Ich wollte Professor Dumbledore sprechen."

„Und das unbedingt jetzt?"

Nur ein kleiner Vorwurf war in Lupins Stimme zu erahnen.

„Der Professor hat mich schon mehrmals darauf hingewiesen, dass ich nicht immer alles allein machen sollte", entschuldigte sich Tarsuinn ironisch. „Ich wollte mich einmal daran halten."

„Sehr löblich, aber leider befindet sich Professor Dumbledore nicht in der Schule. Er wurde am Abend ins Ministerium gebeten und wir erwarten ihn erst am Morgen zurück. Kann ich dir vielleicht helfen?"

„Ich glaube nicht", schüttelte Tarsuinn den Kopf.

„Vielleicht Professor Flitwick oder Professor McGonagall?"

„Unwahrscheinlich. Aber trotzdem danke. Ich geh dann wohl besser in unseren Turm. Gute Na…"

„Moment noch!"

Tarsuinn hatte sich schon halb zum Rückzug gewendet und blieb wie angewurzelt stehen.

„Ich hab gerade Miss Chang im Krankenflügel gesehen", sagte der Professor fragend. „Hast du damit etwas zu tun? Sie hat einen stark gealterten Arm."

„Es war nicht meine Schuld!", verteidigte sich Tarsuinn.

„Wer war es dann?", erkundigte sich der Lehrer interessiert.

„Jemand, der schon lange tot ist", entgegnete Tarsuinn schwammig. „Cho hat ein paar Runen übersehen."

„Du solltest mir sagen, wo das war. Nicht, dass andere Schüler sich etwas antun."

Damit hatte der Professor vielleicht sogar Recht.

„Ich zeig es Ihnen!", entschloss Tarsuinn sich. „Folgen Sie mir einfach."

„Wie der Herr befielt", murmelte Lupin ironisch.

Tarsuinn ignorierte das.

„Kommst du, Tikki?", fragte er. „Oder willst du noch deinen Rundgang machen?"

Sie antwortete fiepend.

„Ich glaube auch, dass Professor Lupin in der Lage ist, mich von Dummheiten abzuhalten", lachte er. „Ja – auch wenn er übermüdet ist."

„Eigentlich ist es das Vorrecht von Erwachsenen über Kinder zu sprechen, als wären sie nicht da", bemerkte Lupin mit gutmütigem Spott. Irgendwie klang er dabei ein wenig wie Professor Dumbledore.

Tarsuinn musste einfach grinsen.

„Entschuldigen Sie, Professor! Ich hab Sie übersehen. Machs gut, Tikki!"

Seine kleine Freundin lief davon. Tarsuinn war sich niemals sicher, ob er sie verstand oder es sich nur einbildete. Schließlich glaubte er ein: „Muss Ängstlich besuchen", verstanden zu haben.

„Du solltest nicht so mit deinem Tier sprechen, wenn andere bei dir sind", sagte der Professor auf dem Weg zum Ostturm ernst.

„Ja, weil ich dann durchgeknallt klinge", nörgelte Tarsuinn. „Aber wenn wer anders mit seinen Puppen oder seinem Teddy spricht, dann ist das völlig normal."

„Das Problem ist eher, dass man annehmen muss, du würdest die Antworten verstehen."

„Und wenn schon. Wäre doch kein Parsel und selbst das ist nicht so schlimm, wie man ja an Potter sieht."

„Es macht keinen Unterschied, ob es schlimm ist oder nicht, sondern was die vielen anderen denken", sagte Lupin eindringlich.

„Das geht mir am A…", begann Tarsuinn und verschluckte das letzte Wort. „Das ist das Problem der anderen."

„Sei dir da nicht so sicher."

Tarsuinn wollte darauf nicht antworten. Er wusste nur zu gut, dass andere Menschen Ricas und sein Leben zum Schlechten ändern konnten. Aber daran wollte er nicht denken und vor allem sah er nicht ein, warum sich jemand an seinen Gesprächen mit Tikki stören sollte.

„Dies ist nicht gerade ein häufig besuchter Teil des Schlosses", murmelte Professor Lupin leise, sobald sie den Ostturm hochstiegen. „Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr hier."

„Was haben Sie hier gesucht?", fragte Tarsuinn interessiert.

„Ich war auch mal ein überaus neugieriger Schüler", erklärte Lupin. „Aber hier war ich nur der Vollständigkeit halber."

„Sie haben nichts verpasst", log Tarsuinn.

Oben angekommen deutete er Richtung Tür, hielt sich aber ein ganzes Stück entfernt.

„Da war es. Die Runen sind glaub ich in der Schwelle."

Professor Lupin ging zur Tür und öffnete diese zu Tarsuinns Erstaunen, ohne irgendwelche Zauber zu benutzen.

„Ich erinnere mich. Diese Tür war immer verschlossen."

„Hat sich wohl geändert", murmelte Tarsuinn und ahnte, warum dem so war. Marie-Ann hatte ihr Vermächtnis vermittelt. Es gab keinen Grund mehr die Tür verschlossen zu halten.

„Die Runen zumindest sind ausgebrannt", bestätigte Professor Lupin seine Theorie. „Die richten keinen weiteren Schaden an."

Tarsuinn hörte ihn in den Raum gehen.

„Was war hier nur verborgen?", fragte Lupin.

„Professor Dumbledore weiß es", erklärte Tarsuinn und hoffte damit von sich abzulenken. „Er hat es mitgenommen. Deshalb wollte ich mit dem Direktor reden."

„Und was geht es dich dann an?", fragte der Lehrer verwundert.

„Es gehört mir", antwortete Tarsuinn einfach.

„Du weißt nicht, was es ist, aber es gehört dir?", sagte Professor Lupin, amüsiert klingend.

„Ja!"

Eine Weile hörte Tarsuinn Lupin in dem Raum auf und ab schreiten.

„Kommst du bitte mal her, Tarsuinn? Ich möchte dir etwas zeigen."

Vorsichtig ging Tarsuinn zu dem Professor. Im Grunde hatte er nur Angst, dass Marie-Anns Vermächtnis doch noch mal funktionierte. Er hatte sich noch nicht entschieden, ob man Lupin vorbehaltlos trauen konnte. Im Moment war der Mann einfach nur ein netter Lehrer.

Unerwartet ergriff der Professor Tarsuinns Hand und er war so überrascht, dass er sich heftig losriss und zurücksprang, obwohl Lupin nicht versuchte ihn festzuhalten.

Einen Moment herrschte unangenehme Stille.

„Verzeih mir, sollte ich dir zu nahe getreten sein, Tarsuinn", sagte Lupin schließlich. „Ich wollte nur deine Hand zu etwas führen, das dich interessieren könnte."

„Das sollten Sie mir vorher sagen!", murrte Tarsuinn zur Antwort und trat vorsichtig wieder näher.

Professor Lupin berührte ihn erneut, diesmal jedoch nur am Ärmel seines Umhanges, und zog ihn vorsichtig zum Boden.

„Keine Angst, die Runen sind ungefährlich, auch wenn es offensichtlich die einzigen nicht ausgebrannten sind", beruhigte der Professor.

„Was bedeuten sie?", fragte Tarsuinn und strich durch die Kerben.

„Alte Runen hatte ich zuletzt in meiner Schulzeit, aber ich will es versuchen. Nicht erschrecken."

Diesmal fasste Lupin wieder seine Hand und führte sie in einer Art Schlangenlinie über verschiedene Zeichen.

„Der Tag, das Neue, der Morgen, der Ort…", begann der Professor, doch Tarsuinns Lippen unterbrachen den Mann.

Am Tag der Erschaffung warteten wir, vereint an diesem Ort, auf die Morgensonne, zu sehen unser Werk zum ersten Male in Vollkommenheit. Zusammen stehen wir hier. Vier an der Zahl. Vier, wie die Zahl der Elemente. Vier, wie die Jahreszeiten. Umgeben von Vieren die uns schützen. Sie lehren uns Mut, Bescheidenheit, Fleiß und W…"

Tarsuinn, dessen Mund und Finger sich wie von selbst bewegt hatten, hielt inne. Sein Zeigefinger ruhte im letzten Zeichen. Ganz leise und kaum zu ahnen, hörte er sein Einhorn singen. Eigentlich gefiel ihm, was er hörte, doch da es so leise war, legte er sich auf den Boden und drückte sein Ohr fest auf die Rune.

So war es viel besser.

„Wo bist du?", flüsterte Tarsuinn leise.

„Was machst du da?", fragte Professor Lupin, den Tarsuinn irgendwie ausgeblendet hatte.

„Das würde ich auch gern von Ihnen wissen", erklang eine kalte Stimme von der Tür her.

„Es ist wohl nicht an der Zeit, hier auf dem Boden herumzukriechen, Lupin!", fuhr Professor Snape fort.

„Severus", schrak Professor Lupin auf. „Sie glauben nicht…"

„Ja, ich glaube es nicht!", unterbrach Snape rüde. „Brauchten Sie den Schutz von McNamara oder warum ist er zu dieser Uhrzeit hier?"

„Ich brauchte seine Hilfe um den Ort zu finden, an dem sich eine Schülerin durch einen Schutzzauber verletzte, Severus", entgegnete Professor Lupin freundlich.

„Einer Beschreibung zu folgen, waren Sie nicht in der Lage, Lupin?", sagte Snape ätzend.

Tarsuinn war inzwischen bis zur Wand zurückgewichen. Das böse Blut zwischen den beiden Männern war geradezu greifbar und diese offene Feindschaft überraschte ihn. Aus Snapes Vertretung in Dunkle Künste hatte er geschlossen, dass Snape unbedingt beweisen wollte, dass er die bessere Wahl für den Posten war. Jedoch war das dann doch etwas Persönliches.

Aber den Krieg schien nur Snape zu führen. Obwohl Tarsuinn spürte, dass auch Lupin den Meister der Zaubertränke nicht mochte, so bemühte er sich doch einer ausgewählten Höflichkeit.

„Ich war mir nicht sicher,…", sagte Professor Lupin, „…ob ich seiner Beschreibung hätte folgen können."

„Dann sollten Sie trotzdem ihre Neugierde hinten anstellen und eher an die Sicherheit des Schülers denken."

Tarsuinn schob sich Schritt für Schritt langsam Richtung Tür, während Snape auf Lupin zuging.

„Ich glaube, um Mr McNamara in Sicherheit zu wissen, muss man ihn einschließen oder im Blickfeld behalten."

„Sie sollten doch an Möglichkeit eins gewöhnt sein", zischte Snape zurück.

Nur noch ein paar Schritte.

„Wegsperren ist nur selten eine Lösung, Severus. Einen wachen Geist sollte man nicht eingrenzen."

„Einen chaotischen ab und an schon."

„Ein wenig Chaos und Wildheit in Maßen hat noch keinem geschadet."

„Jemand, der ein Zehntel seines Lebens in diesem Zustand zubringt, sollte nicht darüber urteilen, Lupin."

„Nun, ich glaube…wo willst du hin, Tarsuinn?"

Tarsuinn, der gerade fast zur Tür raus entwischt wäre, blieb unangenehm berührt stehen – riss sich aber schnell zusammen.

„Ich wollt zurück in den Ravenclaw-Turm…", entgegnete er, „…bevor Sie die Lichtschwerter auspacken und die Sache klären."

„Was meinen Sie damit", verlangte Professor Snape zu wissen, während Lupin kurz auflachte.

„Vielleicht haben Sie Recht, Severus", meinte der nette Lehrer dann. „Ich werde Tarsuinn zu seinem Turm bringen, dann etwas schlafen und morgen mit Professor Dumbledore sprechen. Ich wünsche eine gute Nacht, Severus."

Professor Lupin kam zu Tarsuinn, der schon mal voran lief, nur um von einem recht sauren Snape wegzukommen. Es war schon ein Wunder, dass dieser nichts weiter anzumerken hatte. Wahrscheinlich hatte er Tarsuinns letzte Bemerkung einfach nicht verstanden und grübelte jetzt darüber nach.

Es dauerte bis zum Ende der Treppen, ehe Professor Lupin ihn einholte. Tarsuinn ließ es danach etwas langsamer angehen, da er Snape nicht nachkommen hörte.

„Professor Dumbledore hat mir gar nicht erzählt, dass du Alte Runen lesen kannst", merkte Lupin fragend an.

„Kann ich auch nicht. Muss an den Runen gelegen haben", entgegnete Tarsuinn abwehrend.

Für eine Weile, sie gingen gerade die Treppen zum Ravenclaw-Turm hinauf, ließ es der Professor dabei bewenden.

„Du weißt, von wem die Runen waren, die du gelesen hast?", fragte Lupin dann kurz vor der Adlerstatue, die den Eingang zu den Gemeinschaftsräumen bewachte.

„Denk schon!", erwiderte Tarsuinn gelangweilt.

„Und das regt dich nicht auf?", drängte Lupin weiter.

„Warum sollte es?", fragte Tarsuinn und stellte sich dann ernsthaft dieser Frage. „Nein, berührt mich nicht."

„Würde es dich berühren, wenn ich dir sage, dass irgendwer die Runen der Gründer durch zusätzliche Runen so geschickt verändert hat, dass alles einen völlig anderen Sinn ergab?"

„Schon mehr."

„Muss ein ziemliches Genie gewesen sein…", köderte ihn Professor Lupin, doch er ignorierte das.

„Kann ich nicht beurteilen", sagte Tarsuinn stattdessen.

„Aber du weißt, wer es war?"

„Nein."

Von Wissen konnte wirklich keine Rede sein. Tarsuinn hatte nur eine recht starke Vermutung.

„Vielleicht war es derjenige, der dir seine Träume aufgezwungen hat", flüsterte Professor Lupin leise. „Die dazugeschriebenen Runen haben ein wenig nachgeleuchtet, sobald deine Hand in ihrer Nähe war."

„Woher wissen Sie von meinen Träumen?", fragte Tarsuinn ein wenig erschrocken.

„Professor Dumbledore hat es mir erzählt", erklärte Professor Lupin schlicht.

Darüber war Tarsuinn dann doch erstaunt. Professor Dumbledore hatte ihm doch nahe gelegt die Sachen nicht herumzuerzählen, aber selbst hatte dieser einfach so Lupin eingeweiht. Das störte ihn ein wenig. Außerdem hatte er nur Lupins Wort, dass er es vom Direktor wusste.

„Schön zu wissen", sagte Tarsuinn neutral.

„Und natürlich wirst du Professor Dumbledore erst fragen, ob ich die Wahrheit sage, ehe du dieses Thema auch nur ansatzweise mit mir diskutieren würdest, nicht wahr?", vermutete der Professor verschmitzt.

„Sie sollten mir jetzt Punkte abziehen, Professor", ignorierte Tarsuinn die Frage gnadenlos. „Bevor Professor Snape das nachholt."

„Du denkst also, ich würde dir weniger Punkte abziehen?", meinte der Professor immer noch amüsiert.

„Sie sind zumindest fairer."

„Und wo liegt derzeit der übliche Punktabzug für draußen herumschleichen?"

„Zwischen dreißig Plus- und dreißig Minuspunkten", erklärte Tarsuinn ernsthaft.

„Wirst du mir erzählen, warum du des Nachts unterwegs warst?"

„Fragen Sie morgen Professor Dumbledore."

„Du verweigerst also die Aussage", lachte Lupin. „Ich hab es, um ehrlich zu sein, nicht anders erwartet."

„Gute Nacht, Professor", versuchte Tarsuinn das Gespräch zu beenden.

„Ach", ließ sich Professor Lupin nicht abwimmeln. „Und du willst auch nicht, dass ich das Passwort höre. Ich glaub, ich muss dich unbedingt Mad-Eye Moody vorstellen. Er würde wahrscheinlich dein Misstrauen loben. Im Grunde bin ich mir sogar sicher, dass er dies würde."

„Vertrauenswürdiger Name", kommentierte Tarsuinn trocken.

„Sei vorsichtig. Er ist einer der besten Auroren, die es im Ministerium je gegeben hat."

„Ich bin immer vorsichtig", erwiderte Tarsuinn, obwohl er wusste, dass dies nicht stimmte.

„Na, das hoffe ich doch. Ich wünsch dir eine gute Nacht, Tarsuinn."

Damit schritt Professor Lupin davon.

Egal wie sehr Tarsuinn diesen man lieber nicht mögen wollte, es fiel ihm immer schwere dies zu vermeiden. Er würde seine Einstellung vielleicht ein wenig überdenken müssen – wenn Professor Dumbledore Lupins Worte bestätigte.

„Kannst rauskommen, Tikki", sagte er und flüsterte dann leise das Passwort zu der Adlerstatue.

Tikki sprang in seine Arme und ließ sich über die Schwelle tragen. Sie wirkte unglaublich zufrieden, doch dank sich langsam einstellender Müdigkeit fragte er nicht nach, sondern sah zu, wie er ins Bett kam. Auf dem Weg dahin weckte er noch Winona, die im Gemeinschaftsraum auf ihn gewartet hatte und dabei eingeschlafen war.

Am nächsten Morgen erwachte Tarsuinn untypisch spät, was natürlich nur auf die Uhrzeit bezogen stimmte. Geschlafen hatte er wie immer seine ungefähren vier Stunden.

Als er mit Tikki und Teddy zum Essen hinunterging, erwarteten ihn nur Luna und Merton. Bevor er auch nur fragen konnte, beantwortete schon Merton die Frage, die Tarsuinn auf der Zunge lag.

„Winona ist bei Professor Flitwick", erklärte der Junge und klang ein wenig aufgebracht.

„Warum?", fragte Tarsuinn.

„Sie hat Ian paar auf die Nase gehauen, nachdem er sie eine dumme, verknallte Gans genannt hat."

„Natürlich ging es um dich", fügte Luna emotionslos hinzu.

„Du hast das Einfühlungsvermögen eines Backsteins", fuhr Merton sie gereizt an.

„Ich sehe keinen Grund, Tarsuinn anzulügen", erwiderte das Mädchen gelangweilt. „Außerdem ist es besser, er erfährt es von uns."

„Oh!", rutschte es Tarsuinn über die Lippen. Wenn Luna so etwas sagte, dann fühlte er sich nicht wohl.

„Hast ja recht, verdammt", murmelte Merton. „Okay, willst du es jetzt gleich wissen?"

Tarsuinn nickte - Böses ahnend.

„Die Kurzform. Cho kam heute Morgen herein und musste sagen, dass sie für einige Zeit fürs Quidditch ausfällt. Leider hat sie noch betont – ich glaub, die war noch ein wenig belämmert von zu viel Schmerzmittel – dass es nicht deine Schuld war. Ian hatte natürlich nichts Besseres zu tun, als das laut anzuzweifeln und ein wenig von deinem Problem mit der Beherrschung zu erzählen. Am Ende waren alle auf dich sauer und wir, und vor allem Winona, haben umsonst dagegen angeredet. Na ja – am Ende hat dann Ian noch einen draufgesetzt und gemeint, dass es besonders schade wäre, da wir doch dieses Jahr eine viel bessere Chance gehabt hätten, den Pokal zu gewinnen. Da hat Winona ihm eine reingehauen. Mit der Faust und mit vollem Schmackes. Ich hoffe, sie hat ihm die Nase gebrochen. Natürlich ist Penelope voll ausgeflippt."

„Zu Recht", kommentierte Luna.

„Ansichtssache! Zumindest solltest du am besten nicht zum Frühstück gehen, Tarsuinn."

„Das würde aussehen, als wäre er schuldig."

„Aber muss er sich das antun?"

„Ich kann eh nicht die ganze Woche verschwinden", beendete Tarsuinn die Diskussion. „Vielleicht hab ich ja Glück und sie gewinnen am nächsten Samstag das Spiel."

„Ohne Cho?", zweifelte Merton und begriff dann den Fehler. „Natürlich gibt es noch andere Talente und wir haben eigentlich auch ohne sie eine gute Mannschaft. Ich meine, wie wichtig ist schon ein Sucher allein. Wahrscheinlich verwirrt das sogar die Huffelpuffs…"

„Danke, Merton", unterbrach Luna, ergriff Tarsuinn bei der Hand und zog ihn Richtung Ausgang. „Du hast ihm genug den Tag versaut."

Tarsuinn ließ sich von dem Mädchen mitziehen. Hinter sich hörte er noch Merton zu sich selbst murmeln: „Ich bin ein solcher Idiot."

„Kommst du, Merton?", tat Tarsuinn völlig unbeeindruckt. „Zu fünft ist besser als zu viert."

Der Junge schloss schnell auf und gemeinsam gingen sie nach unten.

„Übrigens, Luna", sagte Tarsuinn zu seiner Begleitung. „Danke noch mal für Teddy. Ich hab damals nicht begriffen, was er kann."

„Es freut mich, wenn wir dir helfen konnten", entgegnete Luna und ausnahmsweise hatte sie sogar unverfälschte Emotionen in der Stimme.

Sie erreichten die Große Halle und Tarsuinn hörte sofort, wie einige Gespräche verstummten. Er gab sich alle Mühe den Schmerz zu ignorieren, den dies in seinem Bauch erzeugte.

Luna bugsierte sie zu einem freien Bereich an der Tafel und sie begannen zu essen.

„Wenn sich Cho wenigstens zu uns setzen würde", murmelte Merton. „Dann würden viele sehen, dass sie Tarsuinn keine Schuld gibt."

„Aber das tut sie", erklärte Luna wieder im normalen – ätherischen – Tonfall. „Natürlich weiß sie, dass es nicht Tarsuinns Schuld ist – außer vielleicht, weil er wieder mal nachts durch die Gegend gezogen ist – aber sie ist sehr stolz auf ihre Schönheit und sich selbst. Ihr Kopf sagt ihr, sie ist schuld, aber ihr Gefühl will es doch lieber Tarsuinn anhängen. Also wählt sie einen Mittelweg und macht alles nur schlimmer."

„Blöde Tusse", kommentierte Merton leise.

Tikki fand das auch und da sie schon satt von ihrem nächtlichen Ausflug war, begab sie sich auf eine Art Goodwill-Tour durch die Ravenclaw-Reihen.

„Ich kann es ihr nicht wirklich verdenken", nahm Tarsuinn das ältere Mädchen in Schutz. „Ich wäre auch nicht sonderlich gut drauf, wenn ich plötzlich Rheuma, Gicht, Arthritis oder sonst eine Alterskrankheit und die Schmerzen hätte."

„Ich vermute eher, sie stört sich mehr an den Falten und den hervorstehenden Adern", war Merton noch immer sauer. „Wenn du einige Blicke hier sehen könntest, dann wärst du nicht so ruhig."

„Einige oder alle?"

„Einige."

„Dann ist das nicht so schlimm."

„Deine Ruhe möchte ich nicht haben."

„Lust auf etwas Torball nachher?", fragte Tarsuinn. „Ich muss noch vorher meine Bestrafung bei Professor Dumbledore abholen, aber danach hätte ich Zeit."

„Bist du dir sicher, dass du Zeit hast?", fragte Merton kichernd.

„Professor Dumbledore hat mir noch nie eine Strafe aufgedrückt", grinste Tarsuinn zurück. „Außerdem war es diesmal nicht so schlimm. Wir waren doch nur im Schloss unterwegs."

„Und was habt ihr gemacht?", fragte Merton neugierig.

„Eine verschlossene Tür geöffnet", begann Tarsuinn und dann traf ihn der Schalk. „War ne tolle Show, kann ich dir sagen. Ich wünschte, du hättest es sehen können. Nur leider ist das nicht wiederholbar."

„Dafür werde ich dich heute beim Torball vernichten", versprach Merton. „Warum hast du immer die coolen Sachen?"

„Ich dachte, ich honoriere nicht denjenigen, der letztens den Knallfrosch durch den Kaminschacht fallen gelassen hat, als ich meinen monatlichen Hilfsdienst bei Snape machen musste?"

„Also daran kann ich mich überhaupt nicht erinnern", versuchte sich Merton in Unschuld. „Was ist denn passiert?"

„Ich hab vor Schreck den Kessel umgeschmissen", erzählte Tarsuinn, obwohl er eigentlich nur furchtbar erschrocken war. Er wollte dem Jungen etwas Gutes tun. „Und alles über Snapes Beine. Ich vermute mal, du bist fix abgehauen, oder?"

„Natürlich!"

„Dann hat jemand Glück gehabt, denn Snape ist ziemlich schnell mit so ner Art Flohpulver ins Feuer getreten und hat versucht, den Täter zu finden."

Zumindest das stimmte.

„Hätte sicherlich funktioniert", meinte Merton überlegen. „Aber ich vermute, der Übeltäter hat eine Art Fallschirm gebastelt und es so austariert, dass der Knaller ganz langsam nach unten schwebte und dann von dem Kaminfeuer gezündet wurde. Das hat diesem schlimmen Schüler dann wahrscheinlich den Vorsprung gegeben, den er brauchte."

„Gut für ihn", grinste Tarsuinn.

Eigentlich war er selbst furchtbar sauer auf den Knallerwerfer gewesen. Tarsuinn war recht empfindlich, was Feuerwerkskörper anging und der umgeworfene Trank hätte auch gefährlich werden können.

„Ich hätte Snape gern gesehen."

„Nächstes Mal mach ich nen Foto", versprach Tarsuinn. „Aber unter einer Bedingung!"

„Und welche?"

„Nimm bitte eine Stinkbombe und keinen Knaller. Schließlich muss ich den Dreck wegräumen."

„Wird erledigt", stimmte Merton sofort zu.

„Außerdem solltest du dir einen anderen Anlass aussuchen. Ich glaub, Snape wird Vorsichtsmaßnahmen treffen."

„Du machst zu selten Unsinn in letzter Zeit", flüsterte Merton verstohlen. „Ich hab mir angewöhnt, niemals den gleichen Lehrer mit dem gleichen Trick reinzulegen. Die passen sich einfach zu fix für solche Fehler an."

„Natürlich führst du darüber auch Listen", stellte Luna nebenbei fest.

„Woher weißt du?", sagte Merton amüsiert.

„Du katalogisierst alles und jeden."

„Tu ich nicht!", fand Merton.

„Tust du doch!", widersprach Luna.

„Notiz an mich selbst: Luna kritisiert meine Ordnungsliebe", schloss Merton das Geplänkel ab.

Und so ging es das gesamte Frühstück weiter. Tarsuinn war sehr froh darüber, denn es hinderte ihn daran, seine Ohren zu sehr über die Tische wandern zu lassen. Er wollte nicht hören, was man so flüsterte.

Später dann – sie saßen fast nur noch allein am Tisch – kam eine recht stille Winona dazu und holte ihr Frühstück nach.

„War's schlimm?", fragte Tarsuinn vorsichtig.

„Flitwick schreibt meinen Eltern", murmelte sie leise. „Diesmal hab ich anscheinend wirklich Scheiße gebaut."

„Ach, komm schon. Ian hat sich wie ein Kotzbrocken benommen", tröstete Merton.

„Und jetzt ist er so sauer, dass er alles brühwarm seinem Dad erzählt und Tarsuinn den Ärger bekommt. Professor Flitwick war richtiggehend ungehalten."

„Unser Flitwick?", zweifelte Merton. „Ungehalten?"

„Ja!", bestätigte Winona. „So hab ich ihn noch nie erlebt."

„Das geht vorbei", beruhigte Tarsuinn. „Solange man nicht zweimal denselben Stuss baut, trägt er einem nix nach."

„Wirklich?", erkundigte sich Winona hoffnungsvoll.

„Klar!", versicherte er überzeugt. „Er hat mich schon zwei Mal richtig zusammengefaltet und ich hab nicht den Eindruck, dass er mir meine Sünden nachträgt."

„Wahrscheinlich, weil er sie nicht tragen kann", machte ausgerechnet Luna einen Witz darüber, den normalerweise Winona gebracht hätte und er kam zur rechten Zeit.

Winona lachte laut und ein wenig rau auf – so als hätte sie vor kurzem geweint – und dann gewann ihre Stimme wieder etwas von ihrem typischen Selbstbewusstsein.

„Was ich dir sagen soll", sagte sie und klang fast normal. „Professor Flitwick erwartet dich um zehn im Büro des Direktors."

„Oh, gut", freute sich Tarsuinn, während Merton nach Luft schnappte. „Muss ich nicht wieder Stunden vor seiner Tür campen."

Flügel rauschten über ihnen und etwas fiel zwischen sie.

„Du hast Post", sagte Winona und ein Brief schob sich in seine Hände. „Kein Heuler, so wie es aussieht."

„Warum sollte man mir einen Heuler schicken?", tat Tarsuinn übertrieben unschuldig. „Vor allem Rica würde das nicht tun."

Er öffnete den Brief und las erst mal den ersten Absatz. Sein Lächeln wurde immer breiter.

„Was steht drin?", erkundigte sich Winona. „Ist anscheinend was Gutes, oder?"

„Kann man so sagen", antwortete er und drehte sein Gesicht zu dem anderen Mädchen in seiner Nähe. „Luna! Rica und ich, wir möchten dich und deinen Vater einladen, Weihnachten mit uns und den Darkclouds zu feiern. So wie letztes Jahr, nur halt an einem anderen Ort. Ich werde kochen und Rica behauptet, sie würde zu eurem Vergnügen singen und tanzen."

„Ich werde Dad fragen", erklärte Luna förmlich.

„Und was sagst du?", fragte Merton.

„Lass nur", wehrte Tarsuinn Richtung Luna ab. „Das hat Zeit."

Wahrscheinlich verwirrte das Merton ein wenig, denn ein normaler Freund hätte sofort gesagt, dass er seinen Dad um ein Ja anbetteln würde. Doch Luna war nicht normal und Tarsuinn glaubte, sie in dieser Sache zu verstehen. Genau wie Tarsuinn Rica, liebte sie ihren Vater so sehr, dass sie ihm niemals allein den Schwarzen Peter zuschieben würde, wenn er das Angebot ablehnte. Ein wenig bewunderte Tarsuinn das Mädchen dafür.

Dann las er den Brief zu Ende und was da kam, gefiel ihm überhaupt nicht. Vor allem der Kommentar, dass Professor Dumbledore alles viel besser erklären konnte, da niemand mit Rica wirklich reden durfte.

Tarsuinn versuchte sich das Lächeln zu bewahren. Wenn seine Schwester anfing zwischen den Zeilen, ohne Tinte und nur in Andeutungen zu schreiben, dann machte sie sich Sorgen. Und wenn Rica begann sich ernsthaft Sorgen zu machen, dann rutschte Tarsuinn an den Rand einer Panik.

„Was Unangenehmes?", fragte Winona und sagte ihm damit, dass ihm dann doch ein wenig der Gesichtsausdruck verrutscht war.

„Nein, nur verwirrend", log er vorsichtshalber, da Luna und Merton anwesend waren. „An manchen Tagen ist sie recht seltsam. Das muss wohl so ne Mädchensache sein."

Sofort bekam er zwei abfällige Geräusche von den beiden Mädchen zu hören, während Merton ihm überzeugt zustimmte.

„Wo ist eigentlich Toireasa?", fiel es Tarsuinn plötzlich ein. Bisher hatte er angenommen, seine Freundin hätte einfach nur ein wenig länger geschlafen, aber inzwischen wurde es dann doch immer später.

„Snape hat sie in der Mangel", erklärte Winona sofort. „Professor Flitwick hat es erwähnt. Anscheinend will Snape, dass sie zugibt, dass sie gestern mit uns draußen war und dann erfahren, was gelaufen ist."

„Ich denke, da beißt er auf Granit", lächelte Tarsuinn mutig, aber fühlte doch sehr mit dem Slytherin-Mädchen mit. Wenn Snape seine gesamte Fiesheit auspackte, dann hatte Toireasa einen schweren Stand. Schließlich war kein Slytherin eine solche Behandlung von ihrem Hauslehrer gewöhnt.

„Sie ist eine Slytherin", pflichtete Merton ironisch bei. „Ahnungslosigkeit liegt in ihrer Natur. Egal, wie nett sie eigentlich ist."

„Sag ihr das mal ins Gesicht", verlangte Winona lachend.

„Bin ich bescheuert? Schau! Da!", entgegnete Merton und Tarsuinn konnte nur vermuten, worauf er zeigte. „R-a-v-e-n-c-l-a-w. Ich werd mich doch nicht selbst zu Grabe tragen."

„Amen", kommentierte Luna trocken.

So verging noch eine Stunde mit weiteren Lästereien in der inzwischen vollständig geleerten Großen Halle und dann musste Tarsuinn langsam los zu Professor Dumbledore. Ihn begleiteten die guten Wünsche seiner Freunde.

Erst als er sich allein wusste, gab Tarsuinn ein wenig seiner Angst nach. Er setzte sich in eine stille Ecke, kuschelte sein Gesicht in Tikkis Fell und versuchte mit Atemübungen seine Gefühle in den Griff zu bekommen.

Du wirst Besuch vom Ministerium bekommen, hatte Rica zwischen den Zeilen geschrieben, anscheinend versucht jemand, uns nach Indien zurückzuklagen.

Sich nach diesen Zeilen normal zu geben, war ihm sehr schwer gefallen.

„Tikki", flüsterte Tarsuinn leise. „Wir müssen uns beide beherrschen."

Da sie nicht wusste, was Rica geschrieben hatte, fragte sie nach und Tarsuinn erklärte es ihr es so gut er konnte. Er spürte, dass sie prinzipiell eigentlich gar nichts gegen den heimatlichen Dschungel hatte, und sie war sogar der Meinung, dass sie dort Tarsuinn besser beschützen konnte, aber sie begriff auch, dass eine Rückkehr nicht eine Heimkehr in ihren heimatlichen Wald bedeutete, sondern eine Reise ins Gefängnis, wo man ihm und Rica wahrscheinlich wieder etwas antun würde.

Tikki wurde so wütend, wie er es erwartet hatte.

Sie daraufhin zu beruhigen, half ihm fast mehr als seine eigenen Atemübungen.

„Keine Angst, Tikki", flüsterte er und redete auch auf sich selbst ein. „Wir sind nicht mehr allein. Flitwick, Dumbledore, Winona, Toireasa, ihre Familien – okay, in Toireasas Fall nur ein gewisser Teil davon – Merton, Luna, die meisten anderen Lehrer. Vielleicht sogar Lupin und Snape. Ich meine, da kann uns doch niemand einfach so hier wegholen, oder?"

„Du hast Recht. Im Zweifelsfall können wir immer noch weglaufen."

„Ja, ich weiß. Das ist so einfach nicht mehr."

„Die Stockbewegungen, die den Jäger zu uns führen können, sind wirklich ein Problem."

Tarsuinn war erstaunt, dass Tikki sich mit einer solchen Problematik beschäftigte. Vor allem erstaunte ihn die Einfachheit ihrer Umschreibung für einen Ortungszauber. Sie musste sich wirklich Gedanken dazu gemacht haben.

„Ich kann versuchen uns zu schützen, aber ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin."

„Nein. Eigentlich will ich auch nicht weg."

„Ja! Kämpfen ist gut, aber ich schätze, die Zähne sollten wir nur als letzte Möglichkeit einsetzen."

„Ja, ich habe meinen glänzenden Zahn mit dem Stein bearbeitet, damit er gut schneiden kann. Du weißt das!"

„Auch ordentlich genug!"

„Heh, mein Messer ist schärfer als deine Zähne."

„Mehr als eines kann ich nicht tragen, wenn ich in der anderen Hand den Zauberstab halte."

„Sag mal, versuchst du mich zu ärgern?"

Tikki sprang aus seinen Armen und rannte begeistert pfeifend von ihm weg.

Er folgte ihr lachend.

„Wenn ich dich erwische!", drohte er und folgte ihr.

Dass es zu Professor Dumbledores Büro ging, machte ihm keine Angst mehr. Er hatte ja Tikki und Teddy dabei.

So rannte er lachend die Wendeltreppe zu Professor Dumbledores Büro hinauf und versuchte dann Tikki in dem kleinen Vorraum in die Enge zu drängen. Natürlich hatte er keine Chance, wenn sie sich nicht fangen lassen wollte.

So tobten sie eine Weile herum und Tarsuinn verschwendete keinen Gedanken mehr an den Termin. Sie waren laut genug, um den Professor von seiner Anwesenheit zu informieren.

Leider dauerte es nur eine kurze Minute und die Tür zum Büro wurde von innen geöffnet.

„Ich unterbreche nur ungern", sagte Professor Flitwick. „Aber wir haben leider nur eine halbe Stunde Zeit. Ich würde ja gern mitmachen, wenn mir jemand die Regeln erklärt."

„Die einzige Regel lautet: Tikki gewinnt, Professor", lächelte Tarsuinn. Sein Hauslehrer klang zwar für dessen Verhältnisse relativ ernst, aber auch nicht so, als würde eine Standpauke auf Tarsuinn warten.

„Werd ich mir merken", versprach der kleine Mann. „Komm bitte herein."

Tikki sprang in Tarsuinns Arme und kletterte von da weiter in die Kapuze, wobei sie ziemlich brutal Teddy beiseite drängte.

Im Büro Dumbledores war diesmal alles irgendwie anders. Die Bilder waren sehr still, der Raum wirkte verändert und irgendwie – ungemütlich.

Professor Dumbledore war auch da. Tarsuinn erkannte es an den Zitronenbonbons.

„Guten Morgen, Professor", murmelte er und aus einem kindischen Trieb heraus, verbeugte er sich, wie er es bei Ryu-san gemacht hätte. Eigentlich war das ja eine Respektsbezeugung, und Tarsuinn meinte es auch so, aber wenn man das hier tat, glaubten die meisten, man würde sich über sie lustig machen.

„Eine guten Morgen auch dir", begrüßte ihn Professor Dumbledore. „Leider glaube ich nicht, dass er so weiter geht."

Dies war der Moment, in dem Tarsuinns Lächeln wieder verblasste. Normalerweise machte Professor Dumbledore am Anfang wenigstens einen Scherz. Dass er diesmal gleich zur Sache kam…

„Ich vermute, Rica hat dir geschrieben, dass heute Leute aus dem Ministerium wegen dir hier sind?"

„Ja. Sie hat aber nicht viel dazu schreiben können."

„Deshalb wollen wir dich vorbereiten, bevor es in einer halben Stunde losgeht. Damit du nicht überrascht bist. Es ist so…"

Die Tür zum Büro wurde geräuschvoll geöffnet.

„Ah, was für ein Zufall. Alle anwesend! Dann können wir doch gleich beginnen und so etwas wertvolle Zeit sparen", verkündete eine arrogante, männliche Stimme. „Und auch das Sitzarrangement, wirklich perfekt. Oh, verzeihen Sie, habe ich zu leise geklopft?"

„Offensichtlich!", brummte Professor Dumbledore und dann zeigte seine Stimme wieder die normale Freundlichkeit. „Möchten Sie etwas trinken? Kekse, Drops?"

Tarsuinn war die Stimme des Neuankömmlings, den zwei weitere Personen begleiteten, so unangenehm, dass er sich hinter dem Direktor versteckte. Erschwerend kam hinzu, dass Tikki in seiner Kapuze mit den Hinterbeinen eine feste Absprungposition suchte. Ihre Positionsangaben waren so genau, wie damals im Kampf gegen die Babybasilisken.

Tarsuinn hielt eine Hand ausgestreckt und berührte die ganze Zeit mit den Fingerspitzen den Zaubererumhang Dumbledores.

„Und da ist also unser Mr McNamara", fuhr der Neuankömmling fort, der laut Tarsuinns Gehör sicherlich nicht angeklopft hatte.

Der Mann machte ein paar Schritte zur Seite, um einen Blick an Dumbledore vorbei werfen zu können. Doch Tarsuinn sorgte dafür, den Professor zwischen sich und dem Mann zu lassen.

„Ein wenig schüchtern, der junge Mann", kommentierte der Mann ölig und gab den Versuch auf. „Er wird schon auftauen."

Tarsuinn war sicherlich nicht schüchtern, aber er fühlte sich überrollt und nutzte nur den Schutz von Dumbledores Rücken, um sich und Tikki zu beruhigen.

„Wenn Sie ein wenig Abstand wahren, bin ich mir sicher, werden wir ein gutes Gespräch führen. Sobald wir wirklich vollzählig sind, Arawn", erklärte der Direktor.

„Im Grunde sind wir doch schon vollzählig. Sie sind anwesend, der magische Vormund…"

Es klopfte gut hörbar und Professor Dumbledore bat einen weiteren Besucher herein.

„Komme ich zu spät?", fragte die wunderschöne Stimme von Gloria Kondagion und Tarsuinns Hand verkrampfte sich erschrocken im Umhang des Direktors. Jetzt wusste er, worauf man ihn hatte vorbereiten wollen.

„Ich war eigentlich von zehn Uhr dreißig ausgegangen", fuhr die Frau fort, deren glockenklare Stimme Tarsuinn immer wieder überraschte und in seinem Ohr schmerzte.

„Alle waren ein wenig überpünktlich", erklärte der Mann, den Dumbledore Arawn genannt hatte. Dessen Stimme wirkte, als würde er dabei die Augen verdrehen. „Nehmen Sie doch Platz!"

Langsam wurde Tarsuinn wütend auf den Mann. Erst nicht anklopfen und dann in den Räumen des Direktors den Gastgeber spielen. Das war furchtbar respektlos!

„Guten Tag, Professor Dumbledore, Professor Flitwick", sagte jedoch Kondagion, statt sich hinzusetzen. „Es tut mir Leid, dass Ihnen solche Umstände gemacht werden. Leider konnten wir keine gütliche Einigung erreichen und so wurde dies hier nötig."

„Es gibt leider viel zu selten einfache Lösungen, obwohl das die besten sind", erklärte Dumbledore deutlich freundlicher als zuvor. „Gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, dass Sie noch schöner sind, als ich Sie in Erinnerung habe?"

„Man sollte niemals jemanden für etwas loben, wofür er nichts kann, Professor", entgegnete die Frau geschmeichelt. „Das hat mir einmal ein weiser Mann gesagt."

„Nun, weiß bin ich inzwischen wirklich, Gloria", lachte der Professor. „Aber ich bin erstaunt, dass Sie sich die Worte gemerkt haben. Wenn ich mich recht erinnere, wollten Sie mir damals nicht zuhören."

„Man wird erwachsener, Professor", entgegnete Kondagion und klang trotz des Vorwurfes amüsiert. „Auch wenn es manchmal etwas länger dauert."

„Wenn ich unterbrechen dürfte", mischte sich Arawn ein. „Wir sollten keine Zeit verschwenden."

„Aber wir sind doch noch deutlich vor dem Zeitplan, Mr Acerbit", entgegnete die Frau souverän und freundlich. „Ein wenig Smalltalk sollte uns etwas die Anspannung nehmen."

„Nun, ich persönlich bin ungern am Sonntag von meiner Familie getrennt und möchte deshalb so schnell wie möglich nach Hause. Nichts für ungut, Professor, aber Ihre Weigerung, dies hier in der Woche stattfinden zu lassen, ist für einen gebundenen Mann nicht so einfach nachzuvollziehen."

„Dann sollten wir beginnen", sagte Tarsuinn beherrscht und trat endlich hinter Dumbledore hervor. Verstohlen ließ er seine Hand am Umhang des Direktors schleifen. „Ich habe nachher noch eine Verabredung zum Torball."

Die Reaktionen auf seine Frechheit waren recht geteilt, doch niemand tadelte ihn dafür.

Er hatte sich jetzt im Griff und wollte diesen Zustand nutzen, solange er dauerte. Schlimmer, als die Anwesenheit von Kondagion konnte es nicht werden. Außer vielleicht die Nachricht, die sie mitbrachte.

„Willkommen im Gespräch, Mr McNamara", sagte Acerbit kühl. „Setzen wir uns also und fangen bitte endlich an."

Tarsuinn hörte, wie Professor Flitwick Kondagion den Stuhl mit einem Zauber zurechtrückte, während Professor Dumbledore ihn mit sanfter Hand an seinen Platz lotste.

„Sieh, Tarsuinn", begann Dumbledore, sobald sie saßen. „Mr Acerbit ist der Anwalt von Miss Boro und Mr Ciffer, die wiederum Vertreter der indischen Zaubererregierung sind. Sie haben…"

„…einen Antrag auf Auslieferung…"

„Lassen Sie den Direktor ausreden", fuhr Tarsuinn den Mann kalt an.

Sein Herz schlug ihm wieder bis zum Hals, aber er ließ sich das nicht anmerken. Er fand einfach, dass man so mit Professor Dumbledore nicht reden durfte.

Unter dem Tisch tippte ganz leicht ein kleiner Schuh gegen sein Knie.

„Beruhig dich, Tarsuinn", sagte Professor Flitwick. „Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Mr Acerbit, wenn Sie etwas Geduld an den Tag legen würden."

„Ich komme gern auf den Punkt", rechtfertigte sich der Mann, ohne sich zu entschuldigen.

„Dann habe ich Ihre Erlaubnis fortzufahren?", erkundigte sich Professor Dumbledore ironisch. Tarsuinn hätte es lieber gehabt, wenn er diesen respektlosen Typen rausgeworfen hätte. Kondagion war schon schlimm genug, aber ihr Schoßhündchen aus dem Ministerium war der Oberkotzbrocken und verdiente einen Tritt in die Zwölf.

„Natürlich dürfen Sie fortfahren", kam die genervte Antwort.

„Also noch mal, Tarsuinn", begann Dumbledore erneut. „Die indische Zaubererregierung hat offiziell einen Auslieferungsantrag für deine Schwester und dich gestellt. Man hat uns nicht mitgeteilt warum oder wieso, da das Ministerium auf einer Prüfung besteht und die Anwälte aus taktischen Gründen mit diesen Informationen bis zur Verhandlung warten wollen."

„Warum sind wir dann hier?", fragte Tarsuinn.

„Wir müssen prüfen, ob du auch der richtige McNamara bist", antwortete Acerbit.

Tarsuinn ignorierte ihn einfach und richtete sein Gesicht direkt auf Dumbledore.

„Nun", er konnte schwören, der Professor lächelte bei seiner Antwort. „Ohne Details ist der Antrag nur schwer zu begreifen und so wollen wir erst einmal klären, ob wirklich du es bist, der gemeint ist."

„Und wie will man das feststellen?", fragte Tarsuinn weiter.

„Man wird dir Fragen stellen, die du ehrlich beantworten solltest."

„Aber natürlich", schnaubte Tarsuinn sarkastisch. „Ich war vier und man hat…"

„Versuch es einfach!", unterbrach Professor Flitwick und diesmal war der Tritt des kleinen Fußes gegen sein Knie etwas heftiger.

Er nickte nur, weil ihm plötzlich klar wurde, dass er beinahe etwas gesagt hätte, was vielleicht jetzt noch nicht offenbart werden sollte.

„Darf ich endlich beginnen?", fragte Acerbit arrogant.

„Natürlich, Arawn", entgegnete Professor Dumbledore freundlich.

„Sehr schön", sagte der Anwalt geschäftsmäßig. „Ist Ihr Name wirklich Tarsuinn McNamara, Mr McNamara?"

„Soweit ich weiß", entgegnete Tarsuinn wahrheitsgemäß.

„Ja oder nein?"

„Ich glaub, ja."

„Ja oder nein!"

Tarsuinn hielt stur die Klappe.

„Sie wollten die Wahrheit", antwortete Professor Flitwick an seiner statt. „Anscheinend ist es genau die, welche er Ihnen bieten kann."

Diese Aussage wurde mit einem abfälligen Schnauben quittiert.

„Waren Sie jemals in Indien?"

„Ja."

„Wann?"

„Vor circa acht Jahren."

„Sie erinnern sich an die Zeit in diesem Land?"

„Vage."

„Wie vage?"

„Wie viel wissen Sie denn aus der Zeit, als Sie vier Jahre alt waren?"

„Ich stelle hier die Fragen!"

„Und ich erinnere mich daran, Schlangenfleisch gegessen zu haben."

„Erinnern Sie sich, in einem Gefängnis gewesen zu sein?"

„Nein!"

„Nicht?"

„Nein!"

„Sie lügen."

„Nein."

„Wo haben Sie denn Ihrer Ansicht nach gelebt?"

„In einem Sanatorium."

„Hat Ihnen das Ihre Schwester erzählt."

„Ja."

„Sie hat gelogen", behauptete Acerbit laut.

„Hat sie nicht!", entgegnete Tarsuinn emotionslos.

„Das können Sie nicht beurteilen", fauchte der Anwalt.

„Ach, waren Sie da?", entgegnete Tarsuinn und drängte aufkeimende Wut zurück.

„War er nicht", sagte die Frau, die bisher geschwiegen hatte, mit kontrollierter Stimme. Miss Boro, wenn Tarsuinn sich recht erinnerte. Sie hatte einen seltsamen Akzent. „Aber ich war dort in dem Gefängnis und ich erinnere mich an dich. Du hattest jede Nacht Alpträume."

„Das weiß jeder", entgegnete Tarsuinn, noch immer ruhig atmend. „Ist also kein Beweis. Aber uns – und das weiß ich genau – wurde gesagt, wir hätten einen Unfall gehabt und müssten dort behandelt werden. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen."

„Aber Sie sind dort ausgebrochen, oder?", fuhr Acerbit fort.

„Wir sind weggelaufen, weil wir da nicht bleiben wollten. Glauben Sie, zwei Kinder von elf und vier Jahren könnten aus einem Gefängnis ausbrechen?"

„Wie sind Sie weggelaufen?"

„Zu Fuß."

„Ich meinte, wie haben Sie es angestellt?"

„Einen Fuß vor den anderen!"

„Wollen Sie mich nicht verstehen oder können Sie nicht?"

„Ich sage Ihnen nur, an was ich mich erinnere!"

„Haben Sie etwas mitgenommen was Ihnen nicht gehört?"

„Nein!"

„Was ist Ihr Hauptgedanke in Bezug auf Indien."

„Ich möchte da nicht hin!"

„Haben Sie oder Ihre Schwester in Indien anderweitig gegen das Gesetz verstoßen?"

„Ich kenne das Gesetz von Indien ni…"

„Das führt zu nichts", unterbrach Miss Boro ungeduldig. „Das alles ist doch vollkommene Zeitverschwendung. Machen wir es uns doch einfach. Wenn er den Code AIb1GB2EXVIP3 auf seinem Kopf eintätowiert hat, dann ist er es, ansonsten halt nicht!"

„Ich kann mich nicht erinnern auf dem Kopf von Miss McNamara einen Code gesehen zu haben", sagte Professor Dumbledore überzeugt. „Und sie hatte keine Haare, die den Blick versperrten."

„Natürlich muss man einen einfachen Enthüllungszauber sprechen", erläuterte Miss Boro ungehalten. „Auch wir verstehen etwas von Geheimhaltung gegenüber Muggeln. Entfernen wir einfach seine Haare und…"

Auf Tikkis Anweisung hin ließ Tarsuinn sich unter den Tisch rutschen, während sie aus der Kapuze sprang.

„Stecken Sie den Zauberstab wieder weg, Miss!", sagte Professor Dumbledore und seine Stimme war hart wie Stahl. Tarsuinn krabbelte auf Tikkis Befehl hin hinter Professor Dumbledores Stuhl und ging in die Hocke. Er hielt etwas Abstand, für den Fall, dass der Direktor den Stuhl beim Aufspringen nach hinten stoßen würde. Doch nichts dergleichen geschah, weshalb sich Tarsuinn langsam wieder aufrichtete.

So ängstlich zu reagieren, war falsch gewesen, doch seine Anspannung und Tikkis Warnung hatten ihn einfach reagieren lassen.

Teddy! Wo war Teddy? Er musste aus seiner Kapuze gerutscht sein. Er ging wieder auf die Knie und begann, nach seinem flauschigen Freund zu tasten.

„Hier ist er", sagte Professor Flitwick freundlich und Teddys weicher Stoff wurde gegen seine Wange gedrückt. Dankend nahm Tarsuinn an und stopfte das Plüschtier in die Kapuze zurück, so dass der Kopf heraussehen konnte.

„Bitte beschleunigen Sie diese Kindereien!", sagte Acerbit mit so bösartigem Unterton, dass kurzzeitig ein paar Gläser klingelten. Tarsuinn schloss mit ein paar tiefen Atemzügen Angst und Zorn in eine tiefe Ecke seines Herzens. Dieser Mann hasste Tarsuinn. Er hasste auch Dumbledore und Flitwick. Ja, sogar Kondagion und diese Inder waren davor nicht sicher.

Professor Dumbledore schien Acerbit nicht zu stören.

„Alles okay mit dir, Tarsuinn", fragte er und zog Tarsuinn auf die Füße.

„Nein", murmelte Tarsuinn und versuchte ein mutiges Lächeln.

„Du könntest dich weigern, aber es würde nur einen Zeitaufschub von ein paar Stunden bringen."

Tarsuinn schüttelte den Kopf.

„Wenn Sie oder Professor Flitwick zaubern…", bot er an und schluckte schwer.

„Madame Pomfrey wird deine Haare wieder wachsen lassen", redete Dumbledore ihm Mut zu, wobei ihm seine Haarlänge so ziemlich egal war. „Und es wird nicht weh tun."

Was Tarsuinn eher störte war, dass er es unwürdig fand, von diesen Menschen wie ein Objekt betrachtet zu werden, dem man einfach die Haare ausfallen ließ und dann den Kopf begutachtete, wie das Brandzeichen eines Pferdes.

Auf der anderen Seite wollte er es jedoch auch wissen, denn wenn er wirklich diesen Code auf dem Kopf hatte, dann gehörte Miss Boro zu den Menschen, die Rica eine tödliche Krankheit aufgezwungen hatten. Tarsuinn war sich sicher, dass dies auch den beiden Professoren aufgefallen war und wenn nicht, würde er sie schon darauf hinweisen.

Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl. Eine metallene Schüssel wurde in seine Hand gedrückt und ohne dass man es ihm sagen musste, beugte er seinen Kopf darüber.

Es war still im Raum und um nicht das pure Opfer zu geben, musste er einfach etwas sagen.

„Die Franzosen machen es mit ihrer Guillotine doch ähnlich, oder?", fragte er. „Korb drunter und gut."

Er runzelte die Stirn, als Gloria Kondagion als einzige laut und hell auflachte. Professor Flitwick hatte versucht, ein Kichern in einem Husten zu verbergen.

Dumbledore hingegen hatte nicht gelacht, aber er klang doch irgendwie verschmitzt, als er sagte: „Du solltest niemanden während eines Zaubers zum Lachen bringen."

Augenblicke später fielen fast alle seiner Haare in die Schüssel. Die restlichen strich Flitwick mit einem weiteren Zauber aus seinem Nacken.

Dann berührte der Direktor Tarsuinns Glatze mit seinem Zauberstab und murmelte etwas. Es kribbelte ein wenig und es war recht kalt am Kopf.

AIb1GB2EXVIP3", murmelte der Direktor, da es aber sehr still war, konnte es jeder im Raum hören. Tarsuinn nahm Teddy aus der Kapuze und setzte sich diese auf.

„Und was jetzt?", fragte Tarsuinn, als würde ihn das überhaupt nicht berühren.

„Da die Identität als erwiesen angesehen werden kann,…", sagte Acerbit leicht triumphierend, „…werde ich hiermit Tarsuinn McNamara in Gewahrsam nehmen und ihn bis zum Verhandlungstermin bei einer Pflegefamilie unterbringen. Das Ministerium hat mich ermächtigt…"

„…Tarsuinn McNamara bei akuter Fluchtgefahr in einer sicheren Umgebung, getrennt von seiner Schwester, unterzubringen", unterbrach Gloria Kondagion ruhig, bestimmt und geschäftsmäßig. „Diese Anordnung wurde nicht nur zur Wahrung der Rechte Ihrer Klienten getroffen, sondern auch zum Schutz des Kindes."

„Sie sind hier nur als Zeugin der Abteilung, Mrs Kondagion", entgegnete Acerbit kalt. „Ich habe hier eine unterschriebene Vollmacht und es liegt in meinem Ermessen, was ich für richtig halte. Der Vormund hat natürlich das Recht und die Möglichkeit Unterbringung und Versorgung zu kontrollieren."

„Da sind Sie falsch informiert, Herr Kollege", erwiderte Kondagion überlegen und Tarsuinn schloss abrupt den Mund, der ihm vor Erstaunen offen gestanden hatte. „Sie hätten vielleicht das Recht allein zu entscheiden, wenn Mr McNamara keinen Anwalt hätte oder dieser nicht anwesend wäre. Da dem nicht der Fall ist, brauchen Sie seine Zustimmung!"

„Sie wollen damit sagen…?!", stammelte Acerbit.

„Hier ist die Vollmacht von Miss McNamara. Ich war heute Morgen bei ihr und habe sie überzeugt, mich zu engagieren, um ihre und die Interessen ihres Bruders zu wahren und ich lehne es ab, Mr McNamara aus seinem gewohnten Umfeld zu reißen."

„Dann werde ich Ihnen helfen meinen Gedanken zu folgen", entgegnete Acerbit, der sich anscheinend wieder etwas gefangen hatte. „Es besteht Fluchtgefahr, das werden selbst Sie zugeben müssen, denn er hat es selbst gesagt. Desweiteren – und das ist eines meiner Hauptargumente – besteht auch die Gefahr, dass er angegriffen wird, wenn er nicht in Sicherheit gebracht wird. Diese Art wird in einigen Kulturen als auszulöschende Gefahr angesehen. Ein weiterer Punkt ist, dass es wichtig ist, ihn davon abzuhalten, seine Aussage mit seiner Schwester abzusprechen. Diese Isolation muss gewährleistet sein, um einen fairen Prozess zu garantieren."

„Womit Sie kein einziges Argument gebracht haben, dass man ihn aus Hogwarts bringen muss. Hogwarts ist schon immer – und im Moment besonders – ein sicherer Ort. Niemand kommt so einfach an den Dementoren vorbei.

Was glauben Sie, wie schwer es dann für ein blindes Kind ist, von hier wegzulaufen? Damit erfüllt Hogwarts zwei Ihrer drei Anforderungen…"

„Und die letzte? Man kann ja wohl nicht die Post der gesamten Schule überwachen, damit er nicht über Dritte mit seiner Schwester kommuniziert?"

„Nun – die Lösung ist eigentlich so einfach, dass selbst Sie darauf hätten kommen müssen – man unterbindet einfach jede Kommunikation von Miss McNamara. Sie hat schon einem überwachten Hausarrest zugestimmt und auch eine Schwurerklärung unterschrieben. Haben Sie sonst noch Argumente?"

„Ich werde eine Beschwerde dagegen bei Mrs Bones einreichen", erklärte Acerbit mit mühsam unterdrücktem Zorn.

„Natürlich dürfen Sie das", erwiderte Kondagion und Tarsuinn musste zugeben, sie schien ihren Sieg nicht auszukosten. Kein Triumph lag in ihrer Stimme. „Aber ich werde auch dort intervenieren und mit Eingaben, Bitten um Aufschub und ähnlichen Sachen alles so verzögern, dass sich bis zum Verhandlungstermin nichts ändert und Sie in Unmengen bürokratischer Arbeiten begraben werden. Ich wage zu behaupten, darunter würde die Arbeit für Ihre Klienten stark leiden."

„Ich bin nicht allein an diesem Fall interessiert", erklärte Acerbit unterschwellig drohend.

„Wir aber sollten uns nur von der Wahrheit leiten lassen", konterte Kondagion freundlich.

„Nur ist die Wahrheit in jedem Land anders."

„Dann sollten Sie berücksichtigen, in welchem Land wir uns befinden und auch deshalb ist es mir sehr wichtig, dass Mr McNamara sich unter dem direkten Schutz und der Aufsicht von Professor Flitwick und Direktor Dumbledore befindet."

„Was wollen Sie meinen Klienten unterstellen?", fragte der Anwalt.

Zum ersten Mal schlichen sich unfreundliche Emotionen in die Stimme von Kondagion, als sie antwortete.

„Natürlich nichts. Doch Sie selbst erwähnten andeutungsweise andere Personen, die Mr McNamaras Sicherheit bedrohen könnten. Ich trage dem Rechnung, aber ich gedenke nicht, ein Kind für eine unbewiesene Behauptung in Gefahr zu bringen. Oder sind Sie erst zufrieden, wenn wir ihn nach Askaban in Sicherheit gebracht haben? Er passt hervorragend zu den Todessern und Mördern dort, nicht wahr?"

„Warten wir es ab!", fauchte Acerbit.

„Ich hoffe, Sie haben dann einige bessere Argumente, um zwei Kinder ins Gefängnis zu stecken", erklärte Kondagion abfällig.

„Worauf Sie sich verlassen können!", schrie jetzt der Mann fast und war aufgestanden.

„Nun", und jetzt triumphierte Kondagions Stimme. „Bei diesen extrem ernsthaften Konsequenzen, die Sie androhen, ohne bisher einen Beweis vorgelegt zu haben, sehe ich mich gezwungen den Zaubergamot zur Urteilsfindung anzurufen. Professor Dumbledore…"

„Das können Sie nicht!", unterbrach Acerbit erfolglos.

„…sind Sie bereit meiner Bitte entsprechen?"

„Ja!"

„Ich erhebe…"

„Professor Flitwick, als magischer Vormund, stimmen Sie dem Antrag zu oder möchten Sie eine Verhandlung vor dem Schiedsgericht?"

„Zum Wohle meines Mündels entscheide ich für den Zaubergamot."

„Damit ist es entschieden. Ich…"

„Ich…", versuchte Acerbit erneut den Redeschwall Kondagions aufzuhalten, der wie eine Urgewalt alles zu beherrschen schien. Vergeblich.

„…werde Mrs Bones über die einstimmige Entscheidung informieren. Professor Dumbledore wird einen passenden Termin bestimmen. Bis dahin rate ich meinem Mandaten keine weiteren Aussagen zu treffen, bis konkrete Beschuldigungen von der Klägerseite erhoben werden. Jeder Kontakt mit Miss und Mr McNamara ohne meine Anwesenheit verstößt gegen geltendes britisches Recht und werden entsprechend der Gesetze zur Anklage gebracht. Sie dürfen jetzt gehen, Mr Acerbit."

„Sie können nicht den Zaubergamot anrufen!", schaffte es jetzt endlich Acerbit einen Satz zu vollenden.

„Ich kann nicht. Der Zaubergamot kann nur einberufen werden, wenn – A – der Zaubereiminister es wünscht oder – B – Kläger oder Angeklagter dies beantragen und der Vorsitzende des Gamots dem zustimmt."

„Der Zaubergamot wurde gegründet um Gesetzesvorlagen, Präzedenzfälle und Verhandlungen, die im Interesse der Allgemeinheit liegen, zu prüfen oder zu beurteilen. Hier geht es nur um einen Auslieferungsantrag!"

„Sie erklärten, dass sich Mr McNamara am Ende des Falles in Askaban wiederfinden könnte. Einen zwölf- und damit minderjährigen Jungen ins Gefängnis zu stecken, ist ein bisher nie da gewesener Vorgang und somit ein Präzedenzfall, der sicherlich im Interesse der Allgemeinheit liegt."

„Sie haben meine Worte falsch interpretiert! Ich sprach nicht von Askaban", zischte Acerbit hasserfüllt.

„Ihre Worte waren meiner Meinung nach eindeutig! Ich fragte, ob sie Argumente hätten, diese Kinder ins Gefängnis zu bringen, und sie sagten, worauf ich mich verlassen könne. Da wir vorher nur von Askaban gesprochen haben, konnten sich Ihre Worte auch nur darauf beziehen. Sollten Sie ein anderes Gefängnis gemeint haben, dann rate ich Ihnen, Ihre Worte in Zukunft klarer zu wählen, denn ich muss mich auf diese Worte verlassen können, wenn Sie mir keine Fakten liefern! Wenn Sie das nicht können, werde ich eine Ablehnung des Auslieferungsantrages verlangen, aufgrund böswilliger Täuschung der Verteidigung. Haben wir uns da verstanden?"

Tarsuinn hörte zunächst nur ein wütendes Keuchen als Antwort. Dann erhob sich der Mann, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte.

„Ich bitte für Mr Acerbit um Entschuldigung", sagte Mr Ciffer mit kultivierter Stimme. „Es lag nicht in unserer Absicht Mr McNamara zu bedrohen und möchte Ihnen hiermit versichern, dass wir ihn von der Pflicht uns zu vertreten entbinden. Sein Verhalten schadet dem Ansehen meiner Regierung und ich sehe ein, dass es ein Fehler war, ihn zu verpflichten. Wir empfehlen uns. Mrs Kondagion, Professor Dumbledore, Professor Flitwick, Mr McNamara – Ihnen allen noch einen schönen Sonntag. Machen Sie sich keine Mühe, wir finden hinaus."

„Was!", keifte Acerbit überrascht. „Sie machen da einen Fehler…Niemand…!"

Ohne ihn zu beachten, verabschiedete sich nun auch Miss Boro und die beiden Inder verließen den Raum.

Mr Acerbit war geräuschvoll auf seinen Stuhl zurückgesunken, doch dann riss er sich zusammen und stürmte davon. Die Tür knallte laut ins Schloss.

Tarsuinn atmete ganz tief aus und langsam verließen ihn Schock und Erstaunen.

Geschockt war er über Rica gewesen, die trotz seiner Warnungen vor Kondagion diese engagiert hatte, und erstaunt über die Vehemenz, mit der die Frau ihn verteidigt hatte. Er konnte es einfach nicht glauben und fragte sich die ganze Zeit, was hier vorging und wer die Welt auf den Kopf gestellt hatte.

„Ich muss ehrlich zugeben, ich bin von Ihrem rhetorischen Geschick sehr beeindruckt, Gloria", fand Professor Dumbledore als erster wieder Worte.

„Ich glaube, da war viel Glück dabei, Professor", stapelte die Frau tief. „Ich hätte nie geglaubt, ich würde es schaffen, Arawn Acerbit aus dem Fall herauszudiskutieren. Nicht bei der Vorbereitungszeit, die er hatte."

„Vorbereitungszeit?", fragte Professor Flitwick erstaunt.

Nun", Kondagion zog das Wort sehr in die Länge. „Die Dringlichkeit, mit der man gestern Professor Dumbledore ins Ministerium einbestellt hat, diente nur dem Zweck, Mr McNamara ohne Vorbereitung vernehmen zu können. Mir selbst wurde der Fall schon vor einiger Zeit angetragen."

„Und Sie haben abgelehnt?", fragte Tarsuinn erstaunt über seine eigene Stimme.

„Auch ich habe Grenzen, auch wenn du mir anscheinend immer noch die Sache mit den Darkclouds nachträgst", erklärte Kondagion überaus freundlich. „Das kann ich nicht ändern. Aber nachdem ich erfuhr – und ich weiß mehr, als ich gesagt habe – was dir und deiner Schwester droht und weshalb, habe ich abgelehnt."

„Was droht ihnen denn?", fragte Flitwick sofort.

„Man wird sie unter strenger Aufsicht wieder einsperren, und sie müssten höchstwahrscheinlich bis zu ihrem Lebensende Zwangsarbeit leisten."

„Aber warum?", wollte Tarsuinn nachdrücklich wissen. „Wir haben doch nichts getan!"

„Davon bin ich überzeugt!", sagte Kondagion und holte tief Luft. „Trotzdem hat man euch wahrscheinlich, nach indischem Recht, durchaus zu Recht gefangen gehalten."

„Wie ist das möglich?", fragte Tarsuinn leicht schockiert.

„Das ist einfach. Es muss nur einer deiner Eltern oder Großeltern wegen eines Verbrechens schuldig gesprochen werden und sterben oder sich der Strafe entziehen. Ich weiß, das ist für uns hier unverständlich, aber im Gegensatz zu unserem Recht setzen die indischen Zauberer nicht nur auf Vergeltung, sondern auch auf Wiedergutmachung. Jedem Gerichtsurteil wird auch eine Schadenssumme beigefügt. Ein Verbrecher wird eingesperrt und muss arbeiten, bis diese Summe bezahlt ist. Dies sorgt dafür, dass zum Beispiel ein Mörder für den Unterhalt der Angehörigen seiner Opfer aufkommen muss, bis er selbst stirbt.

Und jetzt kommen wir zu deinem Problem. Kann ein lebenslänglich Verurteilter nicht für alle seine Opfer aufkommen, flieht er, stirbt durch eigene Hand oder bevor die Schadenssumme bezahlt ist, dann müssen seine Kinder die Schuld abtragen.

Die Kinder, die diese Schuld abtragen, sind minimal besser gestellt als normaler Gefangene, aber im Grunde gehören sie den Familien der Opfer mit Haut und Haar. Sie erhalten eine Ausbildung, Konditionierung und Arbeit nach dem Willen derer, denen sie gehören. Ich habe einige Erkundigungen darüber eingezogen, und anscheinend ist es inzwischen unter reichen Familien üblich, diese Regelung dazu zu benutzen, die Kinder bis zu ihrem Lebensende zu versklaven, indem man ihnen nur Arbeit von sehr geringem Wert zuweist, mit der sie niemals die Schuld ihrer Ahnen abarbeiten können."

„Das ist doch nicht ihr Ernst?", erkundigte sich Professor Flitwick und klang, als würde er mit Tränen kämpfen.

Tarsuinn hingegen konnte weder Worte noch Tränen herausbringen. Wenn das stimmte, dann waren zwar Rica und er unschuldig, aber einer ihrer Eltern – oder beide – Verbrecher, vielleicht sogar Mörder.

„Leider doch!", sagte Kondagion leise und ihre Stimme wurde mitfühlend. „Es mag für uns unvorstellbar sein, aber rein rechtlich ist der Fall eigentlich eindeutig, wir verlieren."

„Warum?", krächzte Tarsuinn und versuchte den Frosch aus seinem Hals zu würgen. Doch der wuchs nur zu einer riesigen Kröte heran.

„Wir haben einen Auslieferungsvertrag mit Indien. Wir müssen jeden ausliefern, der rechtskräftig in Indien verurteilt wurde und nach indischem Recht geht nun mal die Schuld auf die Kinder über. Da es aber bisher, in über fünfzig Jahren, noch keinen solchen Fall gab, hat sich auch nie jemand Gedanken darum gemacht. Erst jetzt merkt man, was der Wortlaut unseres Vertrages bedeutet, und einige Kräfte im Ministerium sind nicht gewillt, unsere guten Handelsbeziehungen zu riskieren. Sie wollten es auf kleiner Flamme erledigen und ich bin sehr froh, dass Mr Acerbit nicht mehr die indischen Interessen vertritt."

„Um ehrlich zu sein, verstehe ich dies nicht so recht", sagte Professor Dumbledore fragend. „Sie schienen ihn recht gut im Griff zu haben, Gloria. Warum sind Sie dann froh?"

„Acerbit ist ein Spezialist für Auslieferungsangelegenheiten und erfreut sich des Respekts und der Unterstützung der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit. Er mag nicht der größte Redner sein, aber in einer Verhandlung hätte er mir mit den Paragraphen und Verträgen sämtliche Möglichkeiten nehmen können. Es wird eh schon schwer genug. Die Moral ist auf unserer Seite, aber die Möglichkeit, dass England den wichtigsten Lieferanten für Zaubertrankzutaten und magische Gewürze verliert, könnte einige egoistische Gedanken wecken."

„Können wir uns nicht freikaufen?", fragte Tarsuinn.

„Ich wünschte, das ginge", verneinte Kondagion traurig. „Aber hast du nicht die Frage bemerkt? Er hat dich indirekt des Diebstahls beschuldigt und deine Schwester hat mir bestätigt, dass ihr einige Dinge aus diesem Sanatorium mitgenommen habt. Für mich ist das ein Zeichen, dass man – sobald das bekannt wird – dieses Geld fordern wird, ohne dass es euch hilft."

„Aber was wirft man den McNamaras vor?", fragte Professor Flitwick.

„Das weiß ich leider nicht. Es ist mir noch nicht einmal gelungen herauszufinden, was das für eine Familienschuld ist und warum sie auf die Kinder überging. Ich habe heute Morgen jemanden nach Indien geschickt, um vor Ort nachzufragen, aber es wird eine Weile dauern, bis er zurück ist."

„Können wir irgendwie behilflich sein?", fragte Professor Dumbledore ernst.

„Sie haben mir schon mit dem Zaubergamot sehr geholfen", entgegnete Kondagion. „Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir demnächst die Möglichkeit geben würden mit Tarsuinn zu reden, um ihn auf seine Aussage vorbereiten zu können."

„Ich werde es ermöglichen und auch für ein Bett sorgen, wenn es nötig sein sollte", versprach Dumbledore. „Nur sehen Sie davon ab, nach Einbruch der Dunkelheit vorbeizuschauen. Die Dementoren haben strikte Anweisung vom Ministerium, niemanden um diese Zeit einzulassen."

„Ich danke Ihnen", entgegnete sie und stand auf. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen. Ein im Moment schreiendes Baby erwartet mich zu Hause und ich glaube, mein Mann ist ein wenig überfordert mit seinen väterlichen Pflichten. Professor Flitwick, ich werde Sie täglich auf dem Laufenden halten. Professor Dumbledore, danke für die Kekse und den Saft. Tarsuinn…"

Tarsuinn streckte nur ganz zögerlich seine Hand aus.

„…mach deinen Lehrern und mir bitte keine Sorgen mit voreiligen Handlungen. Ich bin sicher, alles wendet sich zum Guten."

Der Händedruck der Frau war erstaunlich energisch.

„Ich begleite Sie aus dem Schloss, Mrs Kondagion", bot sich Flitwick an. „Dann können Sie mir auch etwas über Ihren Mann und das Baby erzählen. Sind Sie immer noch mit diesem gut aussehenden Jungen zusammen, wie hieß er doch gleich…?"

Die Stimmen verklangen und Tarsuinn sank in sich zusammen.

„Tikki!", flüsterte er leise, setzte Teddy auf den Tisch und schloss seine kleine Freundin in die Arme.

Professor Dumbledore blieb lange still und ging in den hinteren Teil seines Raumes, während Tarsuinns Gedanken sich permanent in einem Strudel aus Verzweiflung und Hoffnung drehten. Das Schlimmste an der Sache war, er wusste nicht, was er tun sollte, beziehungsweise überhaupt konnte, denn zum ersten Mal in seinem Leben wollte er nicht irgendwohin weglaufen. Er und Rica hatten ein wirkliches Zuhause, nicht nur ein Zimmer über der Küche. Es war schön, sich nicht verstecken zu müssen, nicht mehr die Verantwortung für alles tragen zu müssen, keinen Gedanken daran zu verschwenden, wo man die nächste Nacht schläft oder wie lange man die Essensportionen noch strecken konnte. Tarsuinn wusste, dass dies alles wieder von vorn beginnen würde, sollte man sie ausliefern, denn eines war für ihn sonnenklar – er würde nicht zulassen, dass man Rica und ihn einsperrte.

„Ich frage mich, warum sie die Preisgabe ihres Geheimnisses riskieren?", sagte Professor Dumbledore recht leise, nachdem einige Zeit vergangen war.

„Was meinen Sie?", fragte Tarsuinn verwirrt.

„Nun, natürlich das, was man deiner Schwester und dir angetan hat."

Tarsuinn dachte eine Weile darüber nach.

„Sie haben Angst, weil Sie im Sommer dort waren und Fragen gestellt haben!", schlussfolgerte er dann langsam. „Wahrscheinlich, weil Rica und ich noch eine Verbindung für einem Kunden sind."

„Vielleicht ist es aber auch ganz anders", sagte der Professor mysteriös.

Wieder musste Tarsuinn erst mal die Worte verdauen.

Ganz anders?", fragte er mit einem eisigen Gefühl im Magen. „Wie genau anders?"

„Ja. Alles könnte darauf abzielen, die Möglichkeit des Transfers öffentlich zu machen."

„Neue Kunden gewinnen", murmelte Tarsuinn und fragte sich, wann die schlechten Neuigkeiten denn heute aufhörten. „Wie kommen sie drauf?"

„Nun – ich wurde gestern ins Ministerium gerufen, wo man mir, nach vielen Kleinigkeiten, heute Morgen eröffnete, was auf dich zukommt und man hat mich dann gleich hierher begleitet. Ich schätze uns, und vor allem dich, zu überraschen, war der Hauptgrund für dieses Manöver, was ich leider nicht vorhergesehen habe. Zumindest begegnete ich Gloria – Mrs Kondagion – und diese bat mich zu einem kurzen Gespräch."

„Wegen mir?"

„Nein. Wie sich herausstellte, war sie, bevor sie ihr Kind bekommen hat, für die Gesetze zuständig, die wir heimlich zu verabschieden versuchen. Du weißt doch noch welche?"

Tarsuinn nickte ernst.

„Nun – sie hat diese nicht alle fertig gestellt bekommen. Man hat deshalb diese Aufgabe jemandem anderen zugeteilt und sie hat sich nicht weiter darum gekümmert. Vor wenigen Tagen jedoch hat sie einen ersten Entwurf gelesen und musste feststellen, dass es kleine Änderungen in den Gesetzen gab, auch in denen, die sie selbst angefertigt hatte, die systematisch für eine Lücke sorgten. Sie konnte sich diese nicht erklären und da bei den meisten Gesetzesvorschlägen mein Name stand, hat sie mich darauf angesprochen."

„Weiß sie von den Transfers?", flüsterte Tarsuinn leise.

„Sie hat angedeutet, dass sie wüsste, dass man Eigenschaften von Tieren übertragen kann und dies meine Gesetze verbieten würden. Sie hat mich recht unverblümt gefragt, warum mir das solche Sorgen macht. Ich glaube, sie ist sehr misstrauisch."

„Stimmt es, was sie sagt?"

„Ich habe nur in der Nacht ein paar Seiten gelesen, aber es scheint zu stimmen. Irgendwer hat meine Pläne durchschaut und sabotiert", entgegnete Dumbledore und lachte dann leise. „Anscheinend bin ich doch nicht der einzige intelligente Mensch auf der Welt."

Tarsuinn musste auch grinsen, aber er verkniff sich ein: Das wusste ich schon!

„Aber die Falle zu kennen, ist schon der erste Schritt sie zu vermeiden", fuhr der Professor aufmunternd fort.

Tarsuinn grübelte einen langen Augenblick nach.

„Was kann ich tun?", erkundigte er sich.

„Fleißig lernen und deinen Lehrern keinen Ärger machen", entgegnete der Professor belustigt. „Dazu zählt auch, dass du deine nächtlichen Ausflüge etwas einschränkst, Tarsuinn. Auch wenn ich schon froh bin, dass du dich inzwischen aufs Schloss zu beschränken scheinst."

Gefangen zwischen dem Versuch angemessen zerknirscht auszusehen und heftig feixen zu wollen, senkte Tarsuinn schuldbewusst den Kopf.

„Was hast du denn im Raum der Runen überhaupt gesucht?", fragte der Professor ein wenig ernster. „Um ehrlich zu sein, wie bist du überhaupt hineingelangt?"

„Die Tür hat auf mich reagiert, Professor", gestand Tarsuinn. „Ich hab sie einfach nur berührt…Deshalb wollte ich Sie gestern Nacht sprechen."

„Professor Lupin hat mir das schon berichtet. Ich glaube, er neidet dir ein wenig dein geringes Schlafbedürfnis. Er sah heute Morgen nicht gut aus."

„Ich habe ihm nicht verboten, schlafen zu gehen", sagte Tarsuinn und biss sich auf die Lippen.

„Nein, sicher nicht", kommentierte Professor Dumbledore ironisch. „Aber du möchtest jetzt sicher wissen, ob Professor Lupin wirklich so vertrauenswürdig ist, wie er behauptet, nicht wahr?"

„Das hätte ich auch gefragt", erwiderte Tarsuinn.

„Was so klingt, als ginge es eigentlich um etwas anderes", vermutete der Professor.

„Um ehrlich zu sein, ja", entgegnete Tarsuinn und suchte nach den passenden Worten. „Ich möchte Sie bitten mir mein Erbe zu geben."

„Dein Erbe?", fragte der Professor und wirkte wirklich erstaunt.

„Die Nachricht von Marie-Ann", erklärte Tarsuinn. „Sie war für mich."

„Auch auf die Gefahr hin meinen Nimbus der Unfehlbarkeit noch weiter anzukratzen, ich weiß nicht, was du meinst."

„Sie haben doch die Tür öffnen können", sagte Tarsuinn erstaunt. „Ich dachte, Sie hätten auch die Nachricht abgespielt, aktiviert, wie auch immer."

„Ich wollte dieses Kunstwerk nicht zerstören, indem ich damit herumexperimentiere", erklärte der Professor. „Bisher ist es keinem Direktor oder Lehrer für Alte Runen gelungen, den Anfang zu finden. Aber du hast, nicht wahr?"

„Mein Zauberstab war der Anfang", flüsterte Tarsuinn, als ob er befürchtete es würde jemand an der Tür lauschen. „Er gehörte Marie-Ann."

„Die Runen waren eine Nachricht für den Träger des Stabes."

Tarsuinn nickte.

„Erzählst du mir davon?", fragte Dumbledore.

Wieder nickte Tarsuinn und dann erzählte er alles dem Professor. Eigentlich hatte er es Rica schreiben wollen, aber das würde er jetzt nicht mehr dürfen.

Er erzählte alles, was er gesehen hatte, wie schön Marie-Ann gewesen war und wie traurig. Er war erstaunt, sich jedes einzelne Wort gemerkt zu haben und vergaß auch nicht sein Einhorn zu erwähnen.

Professor Dumbledore ließ ihn reden und unterbrach kein einziges Mal, nur manchmal brummte er leise.

„Es ist bedauerlich, dass du dir dieses Vermächtnis nicht schon letztes Jahr anhören konntest", sagte Dumbledore, nachdem Tarsuinn geendet hatte. „Es hätte uns einige Probleme ersparen können."

„Bekomme ich die Sachen?", brachte Tarsuinn sein Anliegen wieder auf den Punkt.

„Professor Flitwick und ich werden erst mal alles überprüfen müssen", lehnte Dumbledore ab. „Aber keine Sorge, ich glaube dir und dass es dein Erbe ist, aber ich denke auch, dass einige Dinge in dieser Truhe sind, für die du nicht bereit bist. Doch warte…"

Professor Dumbledore stand auf und ging durch den Raum, öffnete einen Schrank und dann einen weiteren Gegenstand, dessen Scharniere unangenehm quietschten. Nach kurzem Suchen kam der Direktor zu Tarsuinn zurück. Eine kleine, dünne und flexible Scheibe wurde in seine Hand gelegt.

„Was ist das?", fragte er, da ihm dieser Gegenstand unbekannt war.

„Drück ihn gegen deine Stirn", forderte Dumbledore ihn freundlich auf. „Es wird dir gefallen."

Tarsuinn tat es und wäre beinahe vom Stuhl gefallen, so überrascht zuckte er zurück. Nur der schnelle Griff des Direktors stabilisierte seine kippelnde Sitzgelegenheit wieder.

Vorsichtig versuchte Tarsuinn es erneut und jetzt, da er eine Ahnung hatte was ihn erwartete, schaffte er es, seine Reaktion unter Kontrolle zu halten.

Er saß auf einer Wiese. Es war Nacht und das Gras unter seinen Händen ein wenig nass, so als ob es eben geregnet hatte. Sein Blick jedoch war auf ein riesiges Gebäude auf einer Klippe unter ihm gerichtet. Die Fenster funkelten vor Licht und spiegelten sich mit den Sternen in dem Wasser eines dunkelblauen Sees. Etwas abseits vom Schloss lag ein Quidditch-Stadion, das jedoch leer und nicht beleuchtet war. Und noch viel dunkler erhob sich majestätisch ein Wald, Abenteuer und Gefahr versprechend.

Es war mit nichts zu vergleichen, was Tarsuinn jemals gesehen hatte. Kein Geist, keine Magie hatte ihm jemals dieses Leben, diese Farben, diese Festigkeit vermitteln können, wenn man von Tikkis Sicht einmal absah, die ihm aber nicht etwas so Schönes gezeigt hatte.

Tarsuinn wollte mehr sehen und bewegte den Kopf, doch das Bild blieb unverändert.

„Es ist nur ein Erinnerungsbild", flüsterte Professor Dumbledores Stimme unaufdringlich. „Bevor es die Photographie gab, hat man so Bilder aufbewahrt oder geteilt. Doch es ist in Vergessenheit geraten, da es sehr teuer und aufwändig ist, diese Scheiben herzustellen. Außerdem braucht man einen äußerst disziplinierten Geist, um ein solch perfektes Bild erzeugen zu können."

„Ist das Hogwarts?", fragte Tarsuinn ergriffen, denn er schaute immer noch auf das Bild in seinem Kopf.

„Ja. Wie es vor einhundert Jahren war."

„Und ich darf das behalten?"

„Ja."

Nur mühsam schaffte er es, die Scheibe wieder von seiner Stirn zu nehmen.

„Danke", sagte er und schluckte einmal tief. „Für alles."

„Das ist nicht mein Verdienst", lehnte der Professor ab. „Aber es freut mich sehr, dass es dir gefällt. Vielleicht hilft es dir, die Dinge nicht mehr so schwarz zu sehen."

„Na, so hell ist es auch nicht", machte er einen schwachen Scherz und musste über den kläglichen Versuch lächeln. Das Bild hallte noch immer ein wenig in seinem Kopf wieder und besiegte mit seiner Schönheit jeden frechen Gedanken.

„Denkst du, du bist wieder bereit, den Rest des Sonntages mit deinen Freunden zu verbringen?", erkundigte sich Dumbledore. „Wir gehen schon stramm aufs Mittagessen zu und zumindest mir knurrt der Magen schon beträchtlich.

Tarsuinn nickte, doch dann fiel ihm noch etwas ein.

„Zwei Fragen hätte ich noch, Professor", sagte er.

„Und die wären?"

„Zum einen, ist Ihnen aufgefallen, dass Miss Boro, wenn sie mich wirklich in Indien gesehen hat, für den gearbeitet haben muss, der für die Transfersache verantwortlich ist?"

„Ja."

„Gut!", damit war Tarsuinn schon zufrieden. „Und zweitens, wissen Sie, warum Kondagion mir hilft, falls sie das wirklich tut?"

Diesmal war es an Professor Dumbledore ein wenig länger nachzudenken.

„Nun", sagte er nach einer Weile. „Mir fallen mehrere Gründe für Gloria Kondagions Verhalten ein."

„Und die wären", hakte Tarsuinn nach. „Immerhin soll sie Rica und mich vertreten."

„Es wird dir nicht weiterhelfen, denn ich habe Erklärungen für einen möglichen Verrat, aber auch für echtes Mitgefühl. Sieh – Gloria war schon immer sehr ehrgeizig. Talentiert im Umgang mit Magie, aber furchtbar im Umgang mit anderen Menschen. Zumindest war das bis vor einem Jahr noch so. Sie ist aber immer noch so ehrgeizig, dass ihr wirklich zuzutrauen ist, dass sie dich verkauft. Andererseits kann sie sich aber viel mehr Prestige erarbeiten, wenn sie für dich kämpft und sollte sie auch noch gewinnen, könnte sie es sich zwar mit einigen Leuten verscherzen, aber auch einen Ruf als geniale Anwältin erringen, die selbst schwierige Fälle in Siege verwandeln kann."

„Und wo ist da das echte Mitgefühl?", fragte Tarsuinn in einer Atempause Dumbledores. Er wollte einfach ein Haar in der Suppe finden.

„Auch das ist recht einfach – hätten wir hier indisches Recht, dann würde sie auch im Gefängnis sitzen."

„Warum?"

„Weil fast ihre gesamte Familie Todesser Voldemorts war. Sie aber hat sich ihrer Familie nicht angeschlossen, sondern hat trotz ihrer Jugend wirklich versucht dagegen anzukämpfen. Ihr Vater sitzt in Askaban und ihre Mutter wäre auch dort, wenn Gloria ihr nicht die Gelegenheit gegeben hätte, sich selbst zu töten."

Tarsuinn stockte der Atem.

„Zwei Freunde von mir waren selbst dabei", fuhr Professor Dumbledore ohne Unterbrechung fort. „Sie hatten damals keine Veranlassung ihr zu vertrauen, aber Gloria bot ihnen eine so gute Gelegenheit an, dass sie das Risiko eingingen und sie zu einem Treffpunkt einiger Todesser begleiteten. Gloria hat ihre eigenen Eltern verraten, um Voldemort zu schlagen, und der einzige Dienst, den sie ihrem eigenen Fleisch und Blut danach erwies, war ein Messer, damit diese sich selbst töten konnten. Ihre Mutter nahm an. Ihr Vater versuchte sie umzubringen. Es war einer unserer größten Siege damals und einer der wenigen."

„Dass sie so…so…", stammelte Tarsuinn.

„…konsequent ist", vollendete er dann, da ihm kein anderes Wort einfiel.

Kalte Schauer liefen ihm über den Rücken. Was diese Frau für ihre Überzeugungen zu opfern bereit war, erschreckte ihn bis ins Mark. Tarsuinn musste für sie nur eine unwichtige Wanze sein.

„Und das macht sie so gefährlich", betonte der Professor eindringlich. „Sie glaubt an die Reinheit des Blutes, aber im Gegensatz zu manch anderen erkennt sie auch die Zeichen der Zeit und welche Möglichkeiten das System auf ganz legale Weise bietet. Ich glaube fest, sie will Macht, sie will bestimmen, aber ihr geht es nicht darum, Herrscher über Leben und Tod zu sein. Und ganz bestimmt ist sie kein Voldemort, die jeden umbringt, der sich gegen sie stellt, nur weil sie die Macht dazu hätte."

„Ich halte sie für viel gefährlicher als Voldemort", murmelte Tarsuinn. Das mochte zwar daran liegen, dass Gloria Kondagion eine viel greifbarere Bedrohung für ihn war und Harry Potter hätte ihm sicher nicht zugestimmt, aber so empfand er es.

„Nicht für Leib und Leben", widersprach Dumbledore überzeugt. „Beten wir, dass du niemals den Unterschied zwischen Voldemort und Gloria Kondagion erfahren wirst."

„Ihr Wort in Gottes Gehörgang", schloss Tarsuinn den Wunsch des Professors ab und lächelte diesmal echt, obwohl das gar nicht zum Thema passte.

„Was sagtest du doch gleich?", antwortete der Professor auf dieses Stoßgebet ironisch.

„Nicht weiter wichtig, Professor", entgegnete Tarsuinn. „Darf ich zum Essen gehen oder ist da noch etwas…?"

„Nein, ich denke vorerst nicht", entließ ihn der Professor.

Tarsuinn kletterte von seinem Stuhl, schnappte sich Teddy und ging zusammen mit Tikki zur Tür.

„Wenn du Hilfe brauchst…", murmelte der Professor und wusste sicherlich, dass Tarsuinn es hörte.

Er nickte nur und ging genauso selbstverständlich davon aus, dass diese Geste dem Professor nicht verborgen blieb.

Danach ließ er sich von Madame Pomfrey die Kopfhaare wieder wachsen, aß mit seinen Freunden zu Mittag, spielte den halben Nachmittag Torball und hörte seinen Freunden bei einer improvisierten Partie Quidditch zu. Die Stimmung war ziemlich ausgelassen, wahrscheinlich weil er nichts von dem Auslieferungsantrag erzählt hatte. Er wollte einfach nicht, dass seine Probleme wieder alle beschäftigten, wenn doch auch Toireasas Sache mit den Briefen wichtig war. Sie konnten ihm eh nicht helfen, schließlich war er selbst hilflos. Zum jetzigen Zeitpunkt wegzulaufen, wäre in vielen Augen ein Schuldeingeständnis gewesen und wie hätte er sich und Rica auch vor Zauberern verstecken sollen? Für einen Moment hatte er daran gedacht, an Tante Glenn zu schreiben, um zu erfahren, wie sie sich gegen Entdeckung schützte, doch diesen Gedanken verwarf er sehr schnell wieder. Sie hatte genug eigene Probleme und außerdem war es im Moment ziemlich wahrscheinlich, dass man seine Post überwachte, damit er nicht an Rica schrieb. Professor Dumbledore hatte ihm zwar nicht verboten zu schreiben, aber das war nicht noch mal extra nötig gewesen. Tarsuinn würde von sich aus alles tun, um niemandem eine Handhabe gegen sich zu geben. Dazu zählte auch dafür zu sorgen, dass seine Freunde nichts Unüberlegtes taten und der beste Weg war, ihnen nichts zu erzählen.

Deshalb versuchte er auch nicht, seine Gefühle zu kontrollieren – wie er es sonst tat, wenn er mit Problemen rang – denn das hätten zumindest Winona und Toireasa bemerkt, sondern er probierte ehrlich, sich zu amüsieren und alles andere beiseite zu drängen.

Doch je länger der Tag dauerte, desto schwerer fiel ihm das. Nach dem Abendessen kramte er seine Hausaufgaben hervor und begann diese, mit einer für ihn inzwischen untypischen Gründlichkeit, abzuarbeiten. Die einzige Ausnahme der letzten Wochen davon war der Aufsatz, den er für Professor Lupin schrieb, und genau diese Ernsthaftigkeit legte er heute an den Tag. Sicher wunderte das Winona etwas, aber lieber war er etwas sonderlich, als dass sie sich über sein ernstes Gesicht Gedanken machte. Tarsuinn machte das so lange, bis alle anderen Schüler in ihre Schlafräume gegangen waren. Erst dann begab er sich selbst in sein Zimmer. Ganz normal machte er sich bettfertig, legte sich mit Teddy in sein Bett…

Ich kenne einen Ort, an dem du und deine Schwester sicher seid, flüsterte die Stimme in seinem Kopf gegen das Brummen Teddys an. Jetzt, wo alles still war, konnte er sie nicht mehr überhören.

Tarsuinn stand wieder auf und verschreckte damit Tikki, die auf seinem Rücken gelegen hatte.

Du kennst den Ort.

Er begann, unruhig im Raum auf und ab zu gehen. Die Ohren zuzuhalten brachte nichts, das wusste er aus Erfahrung. Die Stimme wollte nicht verstummen und traktierte ihn mit seinem eigenen Wissen und Wünschen. Irgendwann wurde es ihm einfach zu kalt, er griff sich seine Decke und verkroch sich mit Teddy und Tikki in eine Ecke.

„Sei still, sei still", flüsterte er dabei die ganze Zeit, presste die Erinnerungsscheibe gegen seine Stirn und streichelte Tikki.

Er spürte nicht die kleinen, zarten Finger auf seinem Gesicht, die versuchten ihn zu trösten, und er bemerkte auch nicht, als ein seltsamer Zauber ihn auf sein Bett schweben ließ.

Irgendwann jedoch hielt er die Stimme nicht mehr aus. Im Schlafanzug und barfuß, ging er in die Gemeinschaftsräume und sah sich um.

„Lady", fragte er bittend, da er nicht die Konzentration aufbrachte, die nötig war, um Geister sehen zu können.

„Ja?", hörte er ihre Stimme Sekunden später neben sich.

„Bitte bleiben Sie bei mir, bis ich eingeschlafen bin", bettelte er.

„Soll ich für dich singen?", fragte sie mit weicher Stimme.

„Ja!", entgegnete er und ging wieder zurück in sein Zimmer.

Sie begleitete ihn und ihre tödliche Aura der Kälte vertrieb die Stimme, die Angst vor dem Tod hatte.

Ihre Stimme sang ein Lied voller Trauer und Liebe und je weiter er sich dem hingab, desto ruhiger wurde er und desto leiser wurde ihre Stimme, als er in den Schlaf sank. Denn im Schlaf konnte er sich an der Stimme rächen, denn sie litt dann auch.

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