- Kapitel 20 -

In finsteren Kellern

Inzwischen war Donnerstag und Tarsuinn hatte sich so halbwegs bei den Weasleys eingelebt. Was im Grunde bedeutete, Mrs Weasley ließ ihn in Ruhe, behandelte ihn vollkommen normal und er benahm sich im Gegenzug dafür wie ein höflicher Gast. Es war eine Art Burgfrieden, denn schließlich war es die Herrin des Hauses, mit der er fast den gesamten Tag auskommen musste.

Mit Mr Weasley, der meist erst am späten Nachmittag von der Arbeit auftauchte, kam er viel besser klar. Da es hier weder Fernsehen, Computer oder dergleichen gab, musste man seine Freizeit anders verbringen, als in normalen Familien und das bedeutete, dass Mr Weasley ständig bastelte und Tarsuinn ausgefragt wurde.

Gestern erst hatten sie sich über den Sinn und Unsinn von Benzin unterhalten, welches bei Mr Weasleys magisch getuntem Rasenmäher nun gar nicht mehr nötig war. Tarsuinn hatte versucht es zu erklären und auch auf die Gefährlichkeit der Flüssigkeit hingewiesen. Dies stellte sich leider als Fehler heraus, denn Mr Weasley musste natürlich sofort sämtliche Eigenschaften persönlich austesten. Ergebnis der Experimente war, dass man Benzin, wie auch Öl, nicht mit Wasser löschen konnte, Tarsuinn die Formel für einen Feuerlösch-Zauber lernte und versprechen musste Mrs Weasley nichts zu erzählen, was sich als recht schwierig herausstellte. Denn wie sollte man die abgefackelten Augenbrauen Mr Weasleys erklären, die dessen Frau natürlich sofort entdeckte.

Bei dem Gedanken musste Tarsuinn wieder grinsen.

Leider war Mr Weasley heute nicht vor und auch nicht nach dem Abendbrot in den Fuchsbau gekommen und gegen Mitternacht, hatte Mrs Weasley Tarsuinn dann doch ins Bett geschickt. Eine Uhrzeit, die Tarsuinn akzeptierte, aber deswegen noch nicht zum Schlafen nutzen wollte.

Stattdessen lag er auf seinem Bett im Keller und kraulte Tikki.

Das war mit der Zeit etwas langweilig und da er sich gerade einigermaßen gut fühlte, blies er Tikki aus Schabernack ins Gesicht. Er wusste, sie mochte das nicht, und das sagte sie ihm auch.

„Du kannst nicht gewinnen, Tikki", lachte er und entließ sie aus seinen Armen. Er nahm Teddy zur Hand und nahm dessen Knubbelarme in die Hände. „Wenn du mich schlägst, werde ich mächtiger werden, als du es dir nur entfernt vorstellen kannst."

Tikki pfiff empört.

„Nur eine Meisterin des Bösen, Tikki", sagte er und versuchte die kleine Mungodame mit dem Körper des Plüschbären einzufangen.

Jetzt amüsiert pfeifend, sprang Tikki über ihn, landete auf seinem Rücken und sprang von da auf den dicken Bettpfosten.

Etwas übermütig schwang Tarsuinn Teddy wie eine Keule sanft nach ihr, doch er traf nur Luft. Aber damit konnte sie ihm nicht so einfach entkommen. Nicht mehr. Er nahm seinen Zauberstab und mit einem Wingardium Leviosa ließ er das Kopfkissen auf sie zufliegen während er mit der anderen Hand und Teddy versuchte, sie zu erwischen.

Leider war es jedoch so, auch wenn er es Tikki inzwischen schwerer machen konnte, erwischen konnte er sie trotzdem nicht, obwohl es ab und an doch recht knapp war.

Trotzdem machte es Spaß so herumzualbern. Irgendwann sprang Tikki ihm dann in die Arme und sie legten einen gespielten Ringkampf hin, bei dem er alles vermied, womit er ihr wehtun konnte. Am Ende lag Tikki auf seinem Brustkorb und hatte ihre Zähne an seinen Hals gelegt.

„Ich geb auf", sagte er und hielt die Hände beiseite. „Die Seite des Bösen hat – wieder mal – gewonnen. Du warst schon immer die Stärkere."

Tikki ließ seinen Hals los und pfiff begeistert.

„Ja, und auch die Cleverere", stimmte er kichernd zu. „Aber Luna ist schöner als du."

„Natürlich hat sie kein Fell."

„Fell ist nicht der einzige Maßstab für Schönheit."

„Da kann man geteilter Ansicht sein. Ich persönlich denke…"

Es knallte oben im Haus.

„Mr Weasley ist da", flüsterte Tarsuinn und da er immer noch nicht schlafen wollte, schlich er sich aus seinem Zimmer und bis zur Treppe. Er war neugierig, warum Mr Weasley so spät kam. Es stellte sich dann auch als recht interessant heraus, da ein Zauberer seine Weihnachtsdekoration etwas zu lebendig gestaltet hatte und deshalb Mr Weasley den halben Tag hinter einem Plastikweihnachtsmann her gewesen war, der Kindern Geschenke bringen wollte. Dass dieser sich dabei in den Schaufenstern bediente, war dann vielleicht ein wenig Weihnachtsmann-untypisch gewesen und hatte einiges an Gedächtniszaubern erfordert. Am Ende hatte man jedoch den Plastikmann gestellt, als er gerade die geklauten Geschenke an Kindergartenkinder verteilte, ihn danach unauffällig eingeschmolzen und dem Besitzer sämtliche Schäden in Rechung gestellt.

Etwas unfair fand Tarsuinn am Ende nur, dass Mr Weasley gerügt worden war, weil er den Kindergartenkindern die Geschenke nicht wieder weggenommen hatte.

Doch so sehr ihn die Geschichte amüsierte, Mr Weasley erzählte sie seiner Frau in erstaunlich wenigen Worten. Stattdessen drängte er sie recht bald nach oben ins Bett zu gehen. Nun – es war zwar entsprechend spät, aber trotzdem war es untypisch.

Mr Weasley fragte Tarsuinn eigentlich jeden Abend, ob er was aus der Winkelgasse bräuchte oder ob er etwas Professor Dumbledore bzw. Mrs Kondagion etwas ausrichten könnte. Doch heute ließ er das aus, obwohl jeder der nicht taub war, hören musste, dass es im Keller still war, was natürlich nur zweierlei bedeuten konnte – Tarsuinn war noch wach oder tot.

Kaum war es im Erdgeschoss leise geworden, schlich sich Tarsuinn deshalb nach oben und in die Küche.

Die Weasleys hatten sich zwar an sein gutes Gehör gewöhnt und achteten inzwischen sehr darauf was sie sagten und wie laut, aber es gab da einige Tricks, von denen sie nichts wussten.

So leise und vorsichtig er konnte nahm Tarsuinn ein Glas aus dem Küchenschrank und tastete sich mit Tikkis Hilfe zu einer Wand, die direkt unter dem Schlafzimmer der Erwachsenen lag. Dort hielt er dann das Glas an die Wand und drückte sein Ohr dagegen. Dadurch wurden die Stimmen zwar sehr dumpf, aber Tarsuinn konnte jedes einzelne Wort verstehen.

„… und das ist gar nicht gut", hörte er Mrs Weasley gerade sagen.

„Dumbledore meint das auch. Aber es lässt sich nicht ändern, Molly. Der Junge muss damit klarkommen."

„Aber er muss beschäftigt gehalten werden und das kann ich nicht so gut, da es im Winter hier nicht sonderlich viel zu tun gibt."

„Ich weiß. Deshalb hab ich mit Bill gesprochen…"

„Okay"

„Ich weiß, das findest du nicht gut, aber…okay"

„Ja – ich sagte okay. Arthur, glaubst du, ich hätte sechs Jungs aufgezogen und dabei nichts über sie gelernt? Wenn es ginge, würde ich Tarsuinn einen Besen in die Hand drücken und einen Klatscher auf ihn loslassen, nur damit er sich mal austoben kann. Stattdessen lasse ich ihn Kartoffeln schälen, nur um ihn von Schularbeiten abzulenken."

„Du lenkst ein Kind von Schularbeiten ab", staunte Mr Weasley.

„Wenn das Kind den ganzen Tag nicht anderes tut? Ja! Arthur, wenn man mal von den Essenzeiten absieht, hat er achtzehn oder neunzehn Stunden nichts anderes gemacht, als in Schulbüchern zu lesen und Aufgaben zu lösen. Nicht einmal Percy hätte das durchgehalten."

„Achtzehn Stunden", wiederholte Mr Weasley völlig perplex.

„Ja. Inzwischen scheint es ihm ja wirklich besser zu gehen, aber irgendwann platzt ihm der Schädel und nicht mal Dumbledore weiß, ob das nicht wörtlich zu nehmen ist. Der Junge muss hier raus und was erleben, was ihn ablenkt, und wenn das Billy ist, dann soll es so sein – es steht doch hoffentlich nichts allzu Gefährliches an, oder"

„Nein, nein. Keine Sorge, Molly. Bill wollte sich um einen Anfängerauftrag kümmern und wenn das nicht klappt, eine Runde in der Ausbildungshalle mit dem Jungen drehen."

„Und die Kobolde lassen sich darauf ein"

„Bill meint, wenn er Tarsuinn als besonders talentiert in Gegenflüchen bezeichnet und als die ultimative Waffe gegen Blickflüche darstellt, bekommt er sicher die Genehmigung."

„Aber er hat nicht vor ihn zu einem Beholder oder so was mitzunehmen"

„Natürlich nicht! Obwohl ich gern sehen würde, wie der Beholder aus seinen zehn Augen schaut, wenn keine seiner Blickmagie wirkt."

„Nur, um danach zu sehen, wie der Junge zu Tode gebissen wird."

„Das war doch nur ein Gedanke, Schatz. Das mit dem Beißen wäre sicher nicht zu begrüßen. Aber es könnte für Tarsuinn sicher eine mögliche Zukunft sein. Durch seine Unempfindlichkeit gegen Blickattacken, könnte er bei einer solchen Aufgabe – mit viel Training – sicher mehr leisten, als jeder, der sehen kann. Er wird später sicher große Schwierigkeiten haben einen Beruf zu finden, den er ausüben kann und der interessant ist. Warum nicht einen, bei dem seine Einschränkung ein Vorteil ist"

„Du weißt genau, wie ungern ich Billy bei einer solch gefährlichen Arbeit sehe. Mir wäre lieber gewesen, er hätte eine der anderen Stellen im Ministerium angenommen. Mit seinen Zensuren und der Reputation eines Schulsprechers standen ihm alle Türen offen."

„Und er hat gewählt, was ihm am meisten Spaß bei einer guten Bezahlung versprach. Die Diskussion hatten wir schon. Er war alt genug seine Entscheidung allein zu fällen und bisher ist er gut damit gefahren, nicht wahr"

Mrs Weasley sagte nichts dazu, doch Sekunden später kicherte Mr Weasley leise und fragte„Molly, was machst du da"

„Wonach fühlt es sich denn an, Arthur", kam die ironische Antwort.

„Hast du auch an deinen Verhütungsspruch gedacht, Schatz"

Tarsuinn fiel fast das Glas aus der Hand, so erschrocken zuckte er von der Wand zurück. Ihm glühten die Ohren und schnell sah er zu, dass er in sein Zimmer kam. Das Glas, beschloss er, konnte er auch am Morgen zurückstellen. Tikki fand sein Verhalten völlig kindisch, doch das beachtete er nicht. Er beschloss schnell schlafen zu gehen. Im Moment mischte sich das, was Rica ihm alles geschrieben hatte, mit seiner Phantasie und dem speziellen Gefühl, das ihm das Große Einhorn geschenkt hatte. Da träumte er doch lieber schlecht!

Am nächsten Morgen war er wie immer der Erste der aufstand. Er füllte sein Glas mit Wasser und Erdbeersirup und machte sich daran, so als wüsste er von nichts, weiter seine Schularbeiten zu bearbeiten. Wie er feststellte, hatte Mrs Weasley durchaus Recht gehabt. Die Anzahl der noch offenen Aufgaben war deutlich geschrumpft und fast nur noch praktische Übungen waren offen. Einige davon konnte man einfach nicht allein üben und Tarsuinn grauste ein wenig vor dem Moment, wenn er Mrs Weasley um Hilfe bitten musste.

Doch für heute würde es noch reichen, selbst wenn dieser Bill nicht kam. Er hatte sich noch die Zaubertrankaufgaben von Snape aufgehoben, die er im Übrigen für ziemlich fies hielt. Oder wie sollte man einen Trank interpretieren der sich wie das how is how der ekligsten Trankzutaten las? Auch Tarsuinn hatte Grenzen bei dem, was er ohne Widerwillen berühren konnte. Er gestand sich nur nicht zu, das anderen zu zeigen.

Mr und Mrs Weasley verspäteten sich heute etwas.

Dafür zuckte Tarsuinn zusammen, als zwei Meter vor ihm ein Apparierknall aus seinen Gedanken riss. Er würde sich wohl niemals daran gewöhnen. Er musste immer den Drang unterdrücken, sein Messer nach dem plötzlichen Besucher zu werfen. Zumindest hielt er aber schon den Zauberstab unter dem Tisch bereit.

„Oh, hallo. Mum und Dad noch nicht auf? Ich bin Bill und du bist sicher Tarsuinn", sagte der Neuankömmling. „Schön, dich kennen zu lernen."

Tarsuinn stand auf und streckte dem Mann seine Hand entgegen. Sie wurde kräftig gedrückt. Ein fast erdrückendes Gefühl des Selbstvertrauens ging von dem Mann aus.

„Geht mir genauso, Mr Weasley", entgegnete Tarsuinn möglichst unbefangen.

„Nenn mich ruhig Bill", kam die freundliche Entgegnung. „Sonst fühl ich mich gleich zehn Jahre älter."

„Wie alt wäre das dann", fragte Tarsuinn interessiert. Es fiel ihm schwer, das Alter von Bill nach der Stimme einzuschätzen. Er klang älter, als es bei dem geschätzten Alter seiner Eltern eigentlich sein konnte.

„Dann wäre ich dreiunddreißig", lachte Bill leise.

„Das wäre echt uralt", bestätigte Tarsuinn.

„Ich werde mir dies merken und mich daran erinnern, sobald ich meinen dreiunddreißigsten feiere."

„Also, ich finde auch dreißig schon ziemlich alt", gestand Tarsuinn.

„Ich werd's mir merken", entgegnete Bill. „Weißt du, warum Mum und Dad so lange brauchen"

„Sie sind gleich unten", versprach Tarsuinn.

„Und woher willst du das wissen"

„Weil gleich die Tür klappen wird."

„Was bringt dich da…"

Oben im Haus wurde eine Tür geöffnet und wieder zugeklappt.

Tarsuinn genoss das Gefühl jemanden beeindruckt zu haben. Ja, es war Angeberei, aber er wollte heute unbedingt hier raus und wenn er Bill bewies, dass man sich um ihn keine Sorgen machen musste, dann wurde es vielleicht noch interessanter – sprich aufregender.

Die älteren Weasleys kamen die Treppe herunter und begrüßten freundlich ihren Sohn und auch Tarsuinn. Danach kümmerte sich Mrs Weasley um das Frühstück und Mr Weasley setzte sich mit an den Tisch.

„Na, Dad", sagte Bill. „Wie ist die Jagd nach dem Weihnachtsmann gelaufen"

„Wir haben ihn erwischt, hat aber bis spät in die Nacht gedauert", erwiderte Mr Weasley.

„Warum haben Sie denn den Weihnachtsmann gejagt", fragte Tarsuinn, wie es sicher von ihm erwartet wurde, woraufhin Mr Weasley die Geschichte von gestern Abend noch einmal erzählte, wobei er diesmal deutlich mehr ausschmückte. Tarsuinn lächelte immer an den richtigen Stellen, während Bill ab und an etwas lauter lachen musste.

„Und sie haben dir wirklich empfohlen, das nächste Mal Kindern Geschenke wieder wegzunehmen? Das wäre mir persönlich viel zu gefährlich", meinte Bill am Ende mit gespieltem Ernst.

„Mit diesem Argument wollte ich es auch versuchen, aber hab mich dann doch mit Weihnachten und dem unverhältnismäßigen Aufwand verteidigt. Im Grunde halte ich es jedoch für gefährlich in Kinderköpfen mit Erinnerungen herumzupfuschen und auch die Vergißmichs vom Unfallkommando waren dieser Ansicht."

„Die meisten von denen haben selbst Kinder", merkte Bill ernst an. „Schade finde ich aber, dass ihr den Weihnachtsmann eingeschmolzen habt. Hätte man mit einigen Korrekturen doch noch gut verwenden können."

„Stimmt, war ein verdammt gutes Stück von einem Muggelartefakt", fand Mr Weasley traurig, aber als seine Frau den Raum mit dem Frühstück betrat, setzte er noch schnell hinzu„Aber absolut illegal und deshalb ging es nicht anders."

„So, jetzt gibt es erst mal Frühstück", unterbrach Mrs Weasley entschieden. „Und lang kräftig zu. Vor allem du, Bill. Du siehst ein wenig dünn aus."

„Solange du nicht abgehärmt sagst, nehm ich das als Kompliment, Mum", entgegnete Bill freundlich.

Tarsuinn nahm sich eine von den dampfenden Waffeln und etwas Fruchtgelee, wobei er bei Letzterem den Zufall seine Auswahl treffen ließ. Man konnte sich eventuell ein wenig über die morgendliche Eintönigkeit beim Weasley-Standard-Frühstück beschweren – man hatte nur die Wahl zwischen Waffeln und Haferschleim – doch das wurde durch die wirklich guten Waffeln und die unzähligen Gelees, Marmeladen und drei Honigsorten mehr als wettgemacht. Vom Geschmack her vermutete Tarsuinn, stammte alles mehr oder weniger aus dem Garten der Weasleys oder zumindest von einem der Nachbarn. Wenn man alles ein wenig kombinierte, schmeckten die Waffeln jeden Tag anders.

Ein wenig beunruhigte es Tarsuinn, dass die Weasleys sich zwar über alles Mögliche unterhielten, Mrs Weasley fragte ihren Sohn sicherlich ein dutzend Mal, ob Muggel sich tatsächlich auch so kleiden würden, aber niemand erwähnte einen möglichen Ausflug für Tarsuinn. Entweder hatten sich die Pläne geändert, sich doch nicht auf ihn bezogen oder aber sie wollten ihn überraschen. Wenn Tarsuinn vorher nichts gewusst hätte, dann wäre das auch gar nicht gemein gewesen, so aber musste er von Minute zu Minute mehr den Drang zu zappeln unterdrücken.

Aber Tarsuinn wollte sich einfach nichts anmerken lassen, weshalb er nach dem Frühstück sein Schulzeug wieder auf den Tisch räumte.

„Na, dann lass uns aufbrechen", fragte Bill und Tarsuinn interpretierte das für einen Moment so, als würde der junge Mann Mr Weasley fragen. Darum reagierte er auch nicht darauf.

„Tarsuinn", präzisierte Bill nach einem kurzen Moment.

„Ähem, ja. Natürlich", sagte Tarsuinn erfreut und erst dann erinnerte er sich an die Rolle, die er spielen wollte. „Entschuldigung, ich wusste nicht, dass du mich meinst. Wohin soll's gehen"

„Ich dachte, du wolltest ihm das gestern Abend sagen, Dad", sagte Bill daraufhin.

„Es war spät, ich war müde und Tarsuinn schon im Bett", redete sich Mr Weasley heraus. „Na ja, besser spät als nie. Tarsuinn, Bill hat sich angeboten, dich mit zu sich auf Arbeit zu nehmen. Er ist bei Gringotts als Fluchbrecher angestellt und du findest das sicher sehr interessant."

Jetzt konnte Tarsuinn endlich seiner Freude freien Lauf lassen.

„Wirklich", fragte er gespielt erstaunt. „Darf ich das denn überhaupt"

„Nun, in der Auflage des Ministeriums heißt es nur, dass ein erwachsener Weasley dich begleiten muss. Es wird nicht gesagt welcher. Um ehrlich zu sein bezweifle ich, dass Bill dabei in Erwägung gezogen wurde, aber Mrs Kondagion sagte, dies wäre aufgrund der Formulierung überhaupt kein Problem. Wenn du also Lust hast, kannst du bedenkenlos mitgehen."

„Natürlich will ich", erklärte Tarsuinn begeistert, sprang auf, packte seine Schulsachen äußerst lieblos weg und wollte nach unten gehen – zögerte jedoch kurz.

„Normale Kleidung oder wie ein Zauberer", fragte er.

„Wie es dir gefällt", entgegnete Bill. „Wir gehen nur in die Winkelgasse und zu Gringotts. Da kannst du rumlaufen, wie du willst."

„Na, ordentlich solltest du schon aussehen", schränkte Mrs Weasley sofort ein.

Tarsuinn versprach, sich zu bemühen.

Am Ende entschied er sich für normale Kleidung, da er ansonsten nur Schulkleidung und den grünen Zaubereraufzug vom letzten Weihnachten hatte. Beides kam ihm unpassend vor. Also nahm er eine Thermohose, von der er wusste, dass sie schwarz war, und den Parka mit riesiger Kapuze, bei dem er nach der Farbe zu fragen vergessen hatte. Aber Rica hatte immer gesagt, zu Schwarz passe eigentlich alles.

Kaum war er fertig, rief er nach Tikki, die im Keller Mäuse jagte, und packte sie – so wie immer im Winter in einen Schal eingewickelt – samt Teddy in die Kapuze. Er hatte sich inzwischen so daran gewöhnt, dass ihm das zusätzliche Gewicht nicht einmal unnatürlich vorkam. So vorbereitet ging er wieder nach oben.

„Von mir aus können wir", sagte Tarsuinn und ging zur Tür.

„Du nimmst das Flohnetzwerk", hielt ihn Bill zurück. „Du kennst dich doch damit aus, oder"

„Schon", sagte Tarsuinn und runzelte die Stirn. „Aber mit Professor Lupin durfte ich doch nicht."

„Bei Professor Lupin liegt die Sache ein wenig anders…", entgegnete Bill.

„…weil er damals allein mit dir unterwegs war", erklärte Mr Weasley. „Dadurch, dass ich vor dir gehe und Bill nach dir, gibt es kein Risiko."

„Also, manchmal habe ich das Gefühl, man hält mich für Vo…", maulte Tarsuinn und verkniff sich gerade noch so den speziellen Namen, der alle immer erschrecken ließ „…Darth Vader."

„Nimm es als Kompliment", sagte Bill eindringlich. „Glaub mir, bei den Kobolden hast du einen guten Ruf."

„Warum sollte das so sein", fragte Tarsuinn erstaunt.

„Na, weil du reich bist", lachte Bill. „Nichts respektieren sie mehr."

„Ich bin nicht reich", grinste nun auch Tarsuinn. „Alles bei Gringotts gehört meiner Schwester."

Vorsichtshalber erwähnte er nicht, dass er noch immer die Kreditkarte von der Schweizer Bank besaß, aber den kleinen goldenen Schlüssel von Gringotts hatte er abgegeben.

„Wenn du meinst", entgegnete Bill geheimnisvoll. „Komm, lass uns gehen."

„Ich appariere schon mal in die Winkelgasse", sagte Mr Weasley und ließ es knallen.

Tarsuinn bekam etwas Flohpulver in die Hand gedrückt und wurde zu dem kalten Kamin bugsiert, damit es schneller ging.

„Und ganz deutlich Winkelgasse sagen", betonte Mrs Weasley. „Hab keine Angst, es kann überhaupt nichts passieren."

Na klar! Warum betonte sie dann nur so sehr, dass er deutlich sprechen musste? Doch er kommentierte das nicht, sondern trat in den Kamin und zeigte Mrs Weasley einfach, dass er ein so einfaches Wort deutlich aussprechen konnte.

Wie immer taumelte er, für einen Augenblick völlig orientierungslos, aus dem Zielkamin. Mr Weasley hielt ihn zum Glück aufrecht und rückte so den inneren Horizont wieder gerade.

„Weniger Waffeln nächstes Mal", schwor Tarsuinn, der mit dem Brechreiz kämpfte.

„Das wird schon wieder gut", versprach Mr Weasley.

„Das höre ich ständig", murmelte er und schluckte alles wieder runter. Neben ihnen apparierte jemand, wahrscheinlich Bill.

Eine alte Stimme im Hintergrund beschwerte sich flüsternd„Diese Angeber! Apparieren vor einem Flohnetzwerk-Kamin. Keine Rücksicht kennt die heutige Jugend."

„Geht es dir schon besser, Tarsuinn", fragte Mr Weasley besorgt.

„Mmh", bejahte er und richtete sich entschlossen auf. Den Mund zu öffnen wagte er momentan noch nicht.

„Gut. Ich muss weiter ins Ministerium. Geh und hör auf Bill, es wird sehr interessant werden."

„Wir kommen schon klar, Dad", versicherte Mr Weasleys Sohn. „Viel Spaß auf der Arbeit."

„Denk dran, was deine Mutter mit uns anstellt, wenn Tarsuinn etwas geschieht."

„Ich bin nicht lebensmüde, Dad. Keine Sorge."

Mr Weasley disapparierte, nachdem er Tarsuinn einen schönen und interessanten Tag gewünscht hatte.

„Wir haben noch massig Zeit", sagte Bill, als sie in die Gasse traten. „Möchtest du dich ein wenig umsehen – ich meine Geschenke kaufen oder Ähnliches"

„Ich hab kein Geld mit", entgegnete Tarsuinn und hätte sich dafür ohrfeigen können. „Aber umsehen können wir uns trotzdem. Hab ich für später wenigstens ein paar Ideen."

„Hier", sagte Bill und Tarsuinn bekam einen schweren Beutel in die Hand gedrückt. „Das Ministerium hat zwar eine Eulensperre über dich verhängt, aber ich darf dir das Geld von deiner Schwester geben und den Schlüssel für Gringotts. Hat deine Verteidigerin mir gestern gegeben."

„Nur für Weihnachtsgeschenke", zweifelte Tarsuinn.

„Wie du es verwendest, ist deine Sache, aber es gibt Gringotts nicht nur in England und offensichtlich ist da wer der Ansicht, du könntest den Schlüssel besser beschützen und auch nutzen."

Tarsuinn hatte ein wenig das Gefühl, dass man sich allerorten fast auf eine Niederlage vor dem Zaubergamot vorbereitete. Eine Sache, mit der er sich heute eigentlich nicht beschäftigen wollte.

„Sag mal, warum liegt hier und in Hogwarts Schnee, während das im restlichen England eigentlich eher selten ist", wechselte Tarsuinn das Thema und schlenderte die Gasse entlang.

„Weil wir Zauberer der Meinung sind, dass sich das so für einen Winter und an Weihnachten gehört. Oder hast du keinen Spaß im Schnee"

Natürlich hatte Tarsuinn Spaß daran und um das zu beweisen, erzählte er von seinem letzten Geburtstag und der Schneeballschlacht in der Luft. Es war wirklich schön, wieder etwas draußen zu sein, und mit Bill konnte man sich fast wie mit einem Gleichaltrigen unterhalten, obwohl dieser gleichzeitig auch immer vollkommen erwachsen und überlegen wirkte. Wenn Tarsuinn je einen älteren Bruder gehabt hätte, er hätte irgendwie so wie Bill sein müssen.

Eine Stunde später hatte Tarsuinn Geschenke für alle, die er mochte, und Zaubertrankzutaten und Bücher, die er für sich brauchte. Er hatte dabei kaum auf den Preis geschaut und nur aus der Gewohnheit heraus ein wenig gehandelt und es war Bill, der das meiste Zeug tragen musste.

„Sag mal", fragte er, als die Uhr langsam Richtung zehn kroch. „Kommst du nicht zu spät zur Arbeit"

Bill lachte nur gutmütig.

„Eines der besten Dinge an meinem Job – freie Zeitgestaltung. Dafür ist das Festgehalt wirklich ein Hungerlohn, was die Schatzanteile jedoch mehr als nur wettmachen."

„Wer also viel und oder erfolgreich arbeitet, der wird reich", folgerte Tarsuinn. „Und was ist mit denen, die nichts schaffen"

„Die sollten sich schnell einen anderen Job suchen."

„Bist du gut", erkundigte sich Tarsuinn.

„Na ja – als ich anfing war es recht hart und ich hatte eine gewisse Durststrecke, aber im letzten halben Jahr hatte ich ab und an Glück, das sich auch bezahlt gemacht hat."

„Wie kommt es überhaupt, dass man so viele Flüche brechen muss, dass man extra Spezialisten dafür anstellt"

„Erklär ich dir, sobald wir im Gebäude sind. Nicht auf der Straße."

Sie bogen ab, Bill klopfte an eine Tür und sagte„Weasley, Bill und angemeldeter Kandidat."

Daraufhin ertönten Geräusche, als würde jemand ungefähr zwanzig Riegel und Ketten hinter der Tür entfernen und erst dann ging die Tür auf.

„Guten Morgen, Krupuk", sagte Bill freundlich.

„Ihr seid spät", antwortete es ungefähr auf Tarsuinns Bauchhöhe. „Macht hin"

Sie traten ein und hinter ihnen wurde die Tür wieder verschlossen. Ein penetranter Geruch nach Krabben und Fisch lag in der Luft und Tarsuinn hatte den starken Verdacht, dass es von dem kleinen Mann kam, der wahrscheinlich wie Indig Nabundus ein Kobold war.

„Und seid ihr ein böser Wicht, sagt euch das das rote Licht", sagte Krupuk weiterhin äußerst unfreundlich. Tarsuinn hatte keine Ahnung, was damit gemeint war.

„Hast du irgendetwas Magisches dabei, Tarsuinn", fragte Bill. „Das muss alles geprüft werden, bevor du das mit hineinnehmen kannst."

Tarsuinn musste zugeben, wenn er das gewusst hätte, wäre er vielleicht nicht mit Bill mitgekommen. Etwas widerwillig zeigte er kurz seinen Zauberstab und gab dann sein Messer, den Stein von Professor Dumbledore und den Schutzsteinüber den er mal eine Strafarbeit für Professor Snape hatte schreiben müssen, an den Kobold. Als dieser ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden zu tappen begann, fügte er auch noch die Phiolen mit einzelnen Trankportionen und seine Erinnerungsscheibe hinzu.

„Das ist alles", versicherte Tarsuinn.

„Mmh", brummte der Kobold nur. „Was ist das"

Tarsuinn streckte die Hand aus und nach einem Moment des unangenehmen Wartens wurde die Kette mit Dumbledores Stein hineingelegt.

„Es warnt Professor Dumbledore, wenn mir Dementoren zu nahe kommen und sagt ihm, wo ich mich befinde", erklärte Tarsuinn. „Wenn das ein Problem ist…ich hab eigentlich versprochen es nicht abzulegen"

„Ja, ja", brummte der Kobold. „Das ist bekannt. Haben wir nicht was vergessen"

Einen Moment lang dachte Tarsuinn angestrengt nach, dann griff er in die Kapuze und übergab Teddy.

„Was ist das", fragte Krupuk zweifelnd, ja geradezu ratlos.

„Ein Teddybär", erklärte Tarsuinn das Offensichtliche.

„Ich meinte, was macht er"

„Er beschützt mich in meinen Träumen."

„Und warum hast du ihn jetzt dabei"

„Ich bin gern vorbereitet."

„Diesen muss ich untersuchen lassen – oder er bleibt hier."

„Wir haben eh sehr viel dabei, was nicht mit reingeht", erklärte Bill. „Ich denke…"

„Ich brauch Teddy wieder", unterbrach Tarsuinn. „Untersuchen Sie ihn also ruhig."

„Wenn dem so ist", brummte der Kobold. „Legt ab, was ihr nicht braucht, und geht schon mal rein. Bill – mach ihn mit den Regeln vertraut."

Tarsuinn bekam all sein Zeug – bis auf Teddy – wieder, dann klappte rechts von ihnen eine Tür und der Geruch nach Krabben verdünnte sich etwas.

„Krupuk mag dich", sagte Bill und öffnete eine weitere Tür nach innen.

„Nicht dein Ernst", zweifelte Tarsuinn.

„Glaub mir", versicherte Bill ernst. „Er war extrem freundlich zu dir. Komm erst mal hier rüber."

„Wo sind wir gerade", fragte Tarsuinn.

In seinem Bauch kribbelte es heiß und kalt und sein Herzschlag beschleunigte sich. Bill schloss gerade etwas Eisernes auf und dann wurde Tarsuinn kurz geblendet. Silberne Fäden und Knoten waren vor ihm aufgetaucht.

„Du kannst das sehen", fragte Bill interessiert.

„Ja."

„Wie viel davon"

„Drei Sachen."

„Ich vermute, das, das und das"

„Mmh."

„Kannst du erkennen, was das genau ist"

Tarsuinn schüttelte den Kopf.

„Es ist magisch und das da könnte eine Keule oder so was sein. Zumindest sieht es fast so aus."

Vorsichtig deutete er auf einen etwas lang gezogenen Knoten. So ähnlich hatte damals auch die Keule ausgesehen, mit der er Sir Oliver in der Geisterhütte erpresst hatte.

„Na ja – das ist weit daneben, aber okay."

„Wo sind wir hier", fragte Tarsuinn erneut.

„In einer Art Ausstattungsraum. Hier lagern wir magische Gegenstände, die für die Arbeit notwendig, aber draußen nicht gestattet sind. Man muss spezielle Lizenzen für jeden einzelnen davon besitzen."

„Sie sind gut gesichert, oder", erkundigte sich Tarsuinn und versuchte das Kribbeln einzuordnen. „Und irgendwer schaut uns zu"

Die drei magischen Gegenstände wanderten durch die Luft und blieben dann dort schweben, wo er Bill wusste.

„Gut", sagte der junge Mann. „Bevor es losgeht, eine kleine Einweisung. Keine Sorge, die ist nicht lang, da es eigentlich nur zwei Regeln gibt – steck nichts ein, was nicht dir gehört und fass nichts an, was du nicht kennst. Beides ist zu deinem Schutz. Und wenn du Fragen hast, frag einfach. Hier gibt es keine dummen Fragen, nur verfluchte Zauberer, die zu stolz oder zu dumm waren eine Frage zu stellen."

Grinsend steckte Tarsuinn die Hände in die Taschen.

„Nun übertreib nicht, deinen Zauberstab solltest du schon bereithalten, wenn es so weit ist", sagte Bill. „Aber jetzt komm."

Tarsuinn folgte Bill dicht auf. Sie gingen still eine Weile, bogen mal rechts ab, mal links, und mehrere Treppen hinunter. Unterwegs trafen sie wieder auf Krupuk, der Tarsuinn wieder seinen Teddy aushändigte. Einige Male hörte er seltsame Geräusche aus irgendwelchen Seitengängen. Einmal glaubte er sogar, jemand würde Gold mit einer Schaufel schippen.

„Wer hat diese vielen Gänge in den Fels geschlagen", fragte Tarsuinn interessiert. „Oder macht man das mit Zaubern"

„Soweit ich weiß, sind fast alle Erweiterungen Auftragsarbeiten von Zwergen. Vor allem wenn es sehr tief geht. Aber das passiert nur noch selten."

„Und wie tief sind wir"

„Fast noch an der Oberfläche. In die Tiefe fährt man mit dem Schienenwagen. Ich zeig dir aber erstmal etwas Anderes."

Bill öffnete eine Tür. Dahinter gab es ein Echo, wie in der Großen Halle, und Tarsuinn hörte einige Stimmen, die Zauberformeln und Gegenflüche murmelten.

„Diese Halle wird Das Praktikum genannt. Wenn man neu ist, lernt man hier in recht wirklichkeitsnahen Übungen, wie man Flüche oder Schutzzauber erkennt, abwehrt und bricht beziehungsweise Schutzwesen bekämpft. Die Ausbildung hier geht viel weiter als in Hogwarts und man darf erst einen Auftrag annehmen, wenn man alle Stationen hintereinander ohne Pause absolviert hat."

„Wie lange hast du dafür gebraucht"

„Mehr als zwei Jahre. War eine harte, aber auch sehr abwechslungsreiche Zeit. Jedoch hat es sich gelohnt."

„Du bist reich geworden"

„Nein, noch nicht", lachte Bill. „Um ehrlich zu sein, zu reisen, die Welt zu sehen, war und ist mir viel wichtiger."

„Wo warst du schon überall"

„Ein paar Mal schon in Ägypten, aber auch in Irland, Deutschland, Italien, Spanien und Griechenland. Halt vor allem da, wo es in der Geschichte einst große und wohlhabende Reiche gegeben hat."

„Und das ist legal? Ich meine, du darfst da offiziell arbeiten"

Bill lachte laut und furchtbar gewinnend.

„Gringotts und die Kobolde sind fast in jedem Land aktiv. Denn von jedem Schatz geht ein Teil nicht nur an den Fluchbrecher und die Kobolde, sondern auch ein dicker Batzen an die Zaubererregierung des jeweiligen Landes. Jeder gewinnt. Alle sind zufrieden. Hast du Lust mal einen dieser Testräume auszuprobieren"

Tarsuinn verzog sein Gesicht.

„Ich bezweifle, dass ich da eine Chance habe", lehnte er ab.

„Da hab ich aber anderes gehört", entgegnete Bill und schob ihn weiter. „Zum Beispiel soll da jemand die Schutzzauber von Hogwarts überwunden haben, ohne einen Alarm auszulösen."

„Das war wohl kaum mein Verdienst, eher Zufall", widersprach Tarsuinn vehement. „Wenn man es genau nimmt, dann hab ich doch erst seit diesem Jahr wirklich Unterricht. Ich kann das ganz sicher nicht."

„Hab dich nicht so. Was kann schon passieren, außer dass deine Ohren noch länger werden"

„Ich mag meine Ohren so wie sie sind."

„Versuch es einfach mal. Das hier ist eher eine Aufmerksamkeits- und Reaktionsübung. Man kann sie auch ohne Magie bestehen."

„Ich weiß nicht…", war Tarsuinn sich noch immer unsicher.

„Ich würde wirklich gern sehen, ob du dich verteidigen kannst, bevor wir hinuntergehen und ein echtes Verließ knacken."

„Ehrlich"

„Wenn du nicht zwei linke Hände und nur Daumen hast – versprochen"

„Warum sagst du das nicht gleich", tat Tarsuinn plötzlich überzeugt, obwohl er eigentlich Schiss hatte. Die Geräusche hier und vor allem einige doch recht schmerzerfüllte Flüche – nicht die der magischen Sorte – ließen ihn Schlimmes befürchten. „Was muss ich tun"

„Das ist ganz einfach. Geh einfach den Gang entlang. Er ist zwar verwinkelt, aber ohne Abzweigung. Ab und an wirst du natürlich auf Hindernisse treffen. Versuch sie zu überwinden und mach dir keine Sorgen – ich kann von oben herab alles sehen. Tu einfach, was du auch in Hogwarts tun würdest."

„Das ist Anstiftung zum Regelbrechen", lächelte Tarsuinn.

„Das ist das Leben", entgegnete Bill ernst und hinter Tarsuinn schloss sich eine Tür.

Es wurde still.

„Wenigstens Tikki hätte er vorher fragen können", murmelte Tarsuinn und tastete nach seiner kleinen Freundin. „Sag mal, hast du die ganze Nacht gejagt, dass du jetzt alles verschlafen musst"

Anscheinend war dem so.

„Na dann, aber beschwer dich nicht, wenn es holprig wird."

Das brachte Tikki dazu, verschlafen den Kopf aus der Kapuze zu strecken.

„Was ist? Guten Morgen! Man hat uns hier eingesperrt, auf dass wir ein wenig Spaß und Aufregung teilen. Hast du Lust, oder soll ich dich in der Kapuze verpacken und du schläfst weiter"

Zur Antwort wand dich Tikki aus dem Schal und sprang auf seine Schulter.

„Willkommen im heutigen Tag", grinste Tarsuinn. „Auf dem Plan stehen Fallen und Gemeinheiten, aber nur als ein Spiel. Bereit"

Tikki pfiff unternehmungslustig. So war sie immer, neugierig auf alles und dabei.

„Na, dann los."

Er ging einige Schritte. Der Gang, dem er zu folgen hatte, war nicht sonderlich breit. Wenn er die Arme ausstreckte konnte er die Wände mit den Fingerspitzen berühren. Vorsichtshalber hatte er seinen Zauberstab gezogen. Im Grunde natürlich nur, weil er irgendwie doch wie ein Zauberer aussehen wollte. Außerdem fürchtete er, ihm könnte ein wenig die Kontrolle entgleiten, falls er sich sehr erschrak, und dann sollte jeder denken, er bräuchte einen Zauberstab um zu zaubern.

Seine Sinne waren zum Zerreißen angespannt. Er hörte seinen und Tikkis Atem, seine eigenen Schritte. In der Luft lag ein leichter Schweißgeruch und ein kühler Hauch zog über seine Haut. Es war ihm ein wenig zu heiß, weshalb er seine Jacke öffnete. Er wollte gerade sein Körpergewicht auf das vordere Bein verlagern, als ein unbestimmtes Gefühl ihn zögern ließ.

Der Boden, bisher immer völlig unnachgiebig, war um einen Zentimeter unter ihm weggesackt. Vorsichtig zog er seinen Fuß zurück.

„Bleib auf meinem Rücken", bat er Tikki. „Das ist so was wie ein Loch mit Ästen drüber und spitzen Pfählen drin – nur irgendwie sind die Pfähle was anderes."

Langsam ging er auf die Knie, während Tikki von seiner Schulter auf den Rücken wechselte, und tastete über den Boden, der aus einzelnen halbmeterlangen Steinquadern bestand. Der Quader vor ihm war über einen Zentimeter höher gelegen als der vorhergehende.

Das irritierte Tarsuinn etwas. Es war ihm ja klar, dass dies eine Trittfalle war, aber gerade das verwirrte ihn. Wenn man so etwas ernsthaft bastelte, dann sorgte man doch dafür, dass der Stein nicht als solcher zu erkennen war und baute ihn so ein, dass eine ebene Fläche am Fußboden blieb. Aber ein Zentimeter musste doch sicher gut zu sehen sein. Warum machte man so etwas, wenn es doch hier darum ging, jemand auf das Entdecken von gefährlichen Fallen zu schulen? Warum dann so etwas Einfaches? Wenn es für Kinder wie ihn gedacht wäre, dann okay, aber hier?

Er richtete sich wieder auf, Tikki kletterte wieder auf seine Schulter und er streckte den Arm nach oben. Doch er war zu klein, um die Decke zu erreichen.

„Ist da irgendwas anders oder ungewöhnlich", fragte er Tikki.

Sie stieg auf seinen Kopf und reckte sich nach oben.

„Wo? Einen halben Sprung von uns entfernt"

Tikki gab den Pfiff für Sieb von sich.

„In der Decke"

Sie bestätigte.

Warum sollte wer eine mögliche Falle hinter der Druckplatte aufbauen? Wäre es nicht darüber logischer gewesen?

Okay – wenn die Zauberer mit Zeitverzögerung arbeiteten, aber Zeitverzögerung war dumm, da sich jeder Mensch unterschiedlich schnell hier bewegen würde. Also blieb nur eine Lösung. Tarsuinn trat auf die erhobene Bodenplatte. Es machte klick, aber nichts passierte.

„Wenn wir jetzt nicht gerade in einem Minenfeld stehen, dann war das gut", bemerkte Tarsuinn ironisch. „Aber zur Vorsicht…"

Er nahm Teddy aus der Kapuze und streifte diese sich und Tikki über. Dann machte er einen großen Schritt über die nächste Platte hinweg. Wieder sackte der Boden ein klein wenig unter ihm weg.

„Noch mal das Ganze", fragte er verwundert, woraufhin Tikki dreimal kurz pfiff.

Er machte zwei weitere große Schritte und wollte gerade auf die letzte Platte treten, als ihn ein Gedanke zurückhielt. Wenn Tarsuinn so etwas gebaut hätte, er hätte gerade mit der letzten Platte etwas Gemeines angestellt. Er setzte Tikki neben sich ab.

„Ein weiter Sprung, Tikki", erklärte er und sprang selbst so weit er konnte. Ein Meter hätte zwar theoretisch gereicht, aber sicher war sicher.

Wenig später thronte Tikki wieder auf seiner Schulter. Tarsuinn konnte ein triumphierendes Grinsen kaum unterdrücken. So was machte durchaus Spaß – wenn man gewann.

Die nächste Falle ließ nicht lange auf sich warten, wobei diese für Tarsuinn fast zu einfach war. Er spürte eine Person zwei Meter schräg vor sich. Ob die da eingemauert war oder ging es vorher noch um eine Ecke?

Langsam schob er sich an der Wand entlang nach vorn. Da wo er die Person vermutete war keine Ecke, aber ein etwa fünf Zentimeter langer Spalt. Schnell zog er die Finger von da fort.

Das kam ihm jetzt nicht sonderlich wirklichkeitsnah vor, obwohl – konnten Mumien zaubern? Er beschloss nachher Bill zu fragen. Wenn ja – dann war das vielleicht doch nicht aus der Luft gegriffen.

Trotzdem stand er vor dem Problem, dass wahrscheinlich ein Fluch aus dem Spalt kommen würde, sobald er daran vorbei wollte. Krampfhaft versuchte er sich an alle Flüche mit einer möglichst kurzen Spruchformel zu erinnern. Wenn er schnell genug vorbei sprang…alternativ konnte er natürlich selbst einen Fluch durch den Spalt jagen.

Doch dann erinnerte er sich an Professor Lupin und dass man ihm gerade zusah und versuchte es etwas anders. Er konzentrierte sich kurz, versuchte Furcht, Kälte und Verwirrung wie in seinen Träumen zu empfinden, malte mit dem Zauberstab einen Kreis und sagte dann leise„Nebula!"

Das Zischen, was zu hören war, klang schon mal gut. Er wartete einen Augenblick, hielt Tikki auf seiner Schulter fest und rannte an dem Spalt vorbei.

Zusätzlich versuchte er auch mit Avocatio einen Schutzzauber, der jedoch gründlich misslang, weil er seine Gefühle nicht schnell genug umschalten konnte. Vor und hinter ihm zischte je ein Lähmzauber durch den Gang und schlug in die gegenüberliegende Wand ein.

Ein warnender Pfiff Tikkis ließ Tarsuinn bremsen. Leider zu spät und er stieß – relativ sanft – mit der Schulter gegen die Wand.

„Blöder Ort für ne Ecke", brummte er und lockerte seinen Griff um Tikki. „Ja und hier riecht es komisch! Was das wohl ist"

Tikki sprang von seiner Schulter und ging schnüffelnd voraus. Er folgte ihr langsam. Seine Ohren sagten ihm nichts und nur ein leichtes Ziehen in der Nase ließ ihn misstrauisch werden. Es roch ein wenig wie eine Mischung aus Snape und Sprout, nur schwächer.

Dann fand Tikki irgendetwas auf dem Boden und warnte ihn zu noch mehr Vorsicht. Er ging auf ihre Höhe und dann, als er ganz nah bei Tikki war, sah er eine Art dünnes, kaum sichtbares Spinnennetz aus silbernen, magischen Fäden. Tarsuinn nahm sein Messer zur Hand und tastete damit vorwärts. Die Fäden schwebten offensichtlich einige Zentimeter über dem Boden. Aber wozu?

Irgendetwas war jedoch auf dem Boden unter den silbernen Fäden. Er stocherte ein wenig nach und plötzlich war ein Geräusch wie von einem Blasrohr zu hören, dann ein Einschlag in der Decke und kurz darauf fiel etwas Leichtes zu Boden.

Mit dem Messer fuhr Tarsuinn die Form nach, die eben anscheinend irgendetwas abgeschossen hatte. Als nichts weiter geschah, steckte er das Messer in die Scheide zurück, zog einen Handschuh an und streckte die Hand aus, um noch einmal etwas direkter dieses Etwas zu ertasten. Er fand einen kleinen unregelmäßigen Kegel, dem die Spitze fehlte. Wie ein kleiner Vulkan in etwa und jetzt wusste er auch, was das da vor ihm war. Madame Sprout hatte sie einmal von einer Pflanze gewarnt, die Tod der Eroberer hieß. Sie war in Brasilien heimisch und für den Tod sehr vieler Spanier verantwortlich gewesen, die jedoch glaubten von den Blasrohrpfeilen der Eingeborenen getroffen worden zu sein. Tarsuinn konnte sich deshalb daran erinnern, weil es auch in den vielen Geschichtsbüchern gestanden hatte, denen er in Professor Binns Unterricht zuhörte, statt dem Geist zu lauschen. Leider hatte er nicht mehr in Erinnerung, wie man gegen diese Dinger vorging, da er die Gefahr eh für hypothetisch gehalten hatte. Tja – anscheinend hatte Toireasa doch nicht Recht, Kräuterkunde war anscheinend weder nutzlos noch öde. Obwohl – ein wenig öde schon.

Beim Zurückziehen der Hand verkantete er ein wenig und stieß ganz sachte gegen einen anderen dieser kleinen Vulkane. Ein weiterer Pfeil wurde ausgehustet und diesmal sauste das gefährliche Geschoss nicht senkrecht durch die Luft, sondern knapp über ihn hinweg und schlug hinter ihm in der Decke ein.

„Das hätte ins Auge gehen können", maulte er fröhlich und wurde dann lauter„Eh – schon mal dran gedacht, dass man dadurch blind werden könnte"

Er kroch ein Stück zurück und suchte mit seiner behandschuhten Hand den Pfeil, den er auch recht bald fand. Grinsend stellte er fest, dass auf dem Pfeilkopf ein kleiner Hartgummiball befestigt war. Konnte also doch nicht ins Auge gehen.

„Dann spielen wir halt ein wenig Torball", sagte er zu Tikki. „Komm"

Er ging zur Ecke zurück, zog den Ball von der Pfeilspitze, rammte den Pfeil dann in eine der Ritzen zwischen den Bodenplatten (damit niemand sich verletzten konnte) und schleuderte den Ball ganz flach durch den Raum. Dann presste er sich hinter der Ecke in Deckung und barg vorsichtshalber Tikki in seinem Arm.

Der Gummiball fegte durch den Raum, von der einen Wand zur anderen und wurde begleitet von so vielen Blasrohrgeräuschen, dass es fast wie ein obszönes Konzert klang.

Tarsuinn machte die Sache immer mehr Spaß. Es war, als würde er in Hogwarts durch die Gänge schleichen und Unsinn anstellen, nur gab es hier nicht den ernsten Hintergrund, die Gefahr und (hoffentlich) den harmlosen Ausgang. Er fand, sobald das Leben nicht mehr so grausam war, sich Hogwarts mal genauer anzusehen. Sicher waren die Fallen da ähnlich harmlos, aber trotzdem herausfordernd. Es bereitete ihm unbändige Freude, diese Fallen auszutricksen. Das hatte es ihm schon immer gemacht – wurde ihm plötzlich klar. Nur die Anlässe waren einfach nicht die richtigen für Vergnügen gewesen und so hatte er es sich niemals zugestanden.

Das Konzert hörte nach und nach auf.

Tarsuinn tastete vorsichtig nach weiteren Pfeilen, in dem Gang lagen jetzt mehr als genug, bastelte die Bälle ab, sicherte die Pfeile und warf diese Bälle nach den Tod-der-Eroberer-Pflanzen. Vereinzelt gab es daraufhin noch Blasrohrgeräusche.

„Okay, Tikki", sagte Tarsuinn. „Am besten hüpfst du in die Kapuze. Nicht, dass sich eines dieser Bällchen aus Versehen gelöst hat und du in eine Pfeilspitze trittst."

Sie tat es und auf Zehenspitzen ging Tarsuinn mit ihr wieder näher an die Falle heran.

„Was denkst dum Tikki? Die vorsichtige Art Minen zu suchen oder die forsche"

„Weder noch? Dass du immer so negativ sein muss."

„Ja, ja – gründlich. Schon klar."

Erneut legte er sich auf den Boden und nahm sein Messer in die Hand.

„Das ist a – eklig, und b – trotzdem gefährlich. Wenn ich nur eine Art Schild hätte"

„Ich finde deine Eifersucht auf Teddy schon fast bedenklich."

Etwas widerwillig, aber eigentlich war es ja für den ungefährlich, nahm er Teddy zur Hand, packte ihn am Rücken und ließ ihn quasi vorgehen. Er selbst robbte hinterher.

„Hoffentlich geht der Gestank von diesen Pflanzen nachher wieder raus. Rica macht bestimmt nen riesen Terz, wenn ich die Jacke nach kaum einem Jahr ruiniere."

Er löste noch drei dieser Dinger aus, wobei einer der Pfeile wahrscheinlich Teddy massakriert hätte. Zumindest stieß was heftig gegen dessen Kopf.

„Du bist tot, Kumpel", erklärte Tarsuinn Teddy sarkastisch. „Ich hoffe, du nimmst mir das nicht krumm. Schließlich wirst du wieder auferstehen."

Dann war das silberne Spinnennetz und auch die Pflanzen zu Ende.

Tarsuinn richtete sich auf und versuchte den Dreck aus der Jacke zu klopfen, aber leider war das Zeug recht klebrig. Wahrscheinlich war es besser die Handschuhe anzulassen. Man wusste nie, wie so ein Zeug auf der Haut wirkte.

Nächste Ecke, neues Glück. Irgendwie ging es immer nur rechts herum.

Der Gang, der vor ihm lag, schien überhaupt keine Besonderheiten zu besitzen. Kein Geruch, kein Geräusch, kein silbernes Schimmern, kein Staubkörnchen in der Luft.

Er schnalzte einmal mit der Zunge, nur um irgendetwas zu hören. Unerwarteterweise für so einen engen Gang, kam ein einfaches, einmaliges Echo zurück.

Hier war doch etwas verändert worden.

Vorsichtig schritt er voran. Die Aufregung in seinem Herzen belebte ihn noch immer und er rechnete in jeden Augenblick mit einem Schockeffekt. Ein Kreischen, eine eiskalte Dusche, irgend so was. Eine Dusche hätte er sogar begrüßt.

Aber es geschah nichts dergleichen. Stattdessen hatte er plötzlich das Gefühl, dass sich sein Magen und sein Körper in unterschiedliche Richtungen bewegen wollten. Das hielt zwar nur einen Augenblick, aber plötzlich war die Person hinter dem Spalt auf der anderen Seite seiner Wahrnehmung. Da, wo sie gar nicht hingehörte. Das war seltsam und er hatte so etwas noch nie erlebt. Er drehte sich um und machte noch mal zwei Schritte. Wieder dasselbe Ereignis. Für den Bruchteil einer Sekunde war ihm übel und dann war die Welt um 180 Grad gedreht.

„Ein Glück, dass die uns nicht auch auf den Kopf stellen", sagte er zu Tikki, was dieser nur ein verständnisloses Pfeifen entlockte.

„Pass mal auf"

Er legte Teddy auf den Boden, drehte sich wieder um, ging zwei Schritte, bückte sich und nahm seinen Plüschfreund wieder auf. Jetzt verstand auch Tikki, was er sagen wollte, auch wenn sie sich diesen Effekt offensichtlich nicht erklären konnte.

„Alles Magie", erklärte Tarsuinn ein wenig abwertend, obwohl er von der Idee eigentlich beeindruckt war. Immerhin war er der Überzeugung, dass jeder andere Zauberer mit dem Erkennen dieses Tricks viel mehr Probleme gehabt hätte. Nur, wie sollte man hier weiterkommen? Es war Tikki, welche die Lösung fand.

„Rückwärts gehen, um vorwärts zu kommen? Auf solche Ideen kommen nur weise kleine – AUA– Ohrenzwicker. Du weißt doch gar nicht, was ich sagen wollte"

Doch Tikki war der Ansicht, dass er es sich sicher verdient hätte, wenn sie ihm nicht zuvorgekommen wäre. Womit sie definitiv Recht hatte. Er machte sich lieber an die Umsetzung ihres Plans.

Mit ganz kleinen Schritten näherte er sich der Stelle, an der es ihn immer umdrehte. Sobald er diese erreicht hatte blieb er stehen und schwankte ganz leicht vor und zurück, bis er den richtigen Moment fand. Gerade als es kurz davor war ihn vollständig herumzudrehen, machte er einen großen Schritt rückwärts – und die Welt blieb richtig herum.

Lächelnd drehte sich Tarsuinn herum, so dass er wieder vorwärts ging.

„Das war easy", grinste er, doch das verging ihm augenblicklich. Vor ihm erklang plötzlich ein Sirren, wie er es von einem Sägeblatt kannte. Ohne zu überlegen, nur auf Tikkis und seiner Ohren Weisung hörend, rollte er nach vorn und unter dem Sirren hindurch. Tikki sprang mitten in der Bewegung von seiner Schulter.

„Das war kna…", begann er, doch hinter ihm kehrte das Sirren zurück. Er hatte das seltsame Drehfeld vergessen. Tarsuinn sprang in die Luft, versuchte sich mit den Beinen mit einem Spagat an den gegenüberliegenden Wänden abzustützen – in Hongkong im Kino, hatte Rica ihm mal einen solchen Stunt beschrieben – der ihn zwar vor der sirrenden Säge rettete, aber das mit dem Abstützen funktionierte nicht. Stattdessen rutschte er recht schnell zu Boden und fiel schmerzhaft auf die Knie.

Jetzt wäre es sicher praktisch einen Reductor-Zauber zu können. Den Lacerare-Fluch, den er zumindest heimlich schon ein paar Mal zustande bekommen hatte, versuchte er lieber nicht, denn den hatte Professor Lupin als höchst bedenklich bezeichnet, obwohl dies keiner der Unverzeihlichen Flüche war. Aber was blieb sonst? Bei Lupin hatten sie immer nur Zauber und Flüche gelernt, die einem gegen Menschen oder magische Tiere halfen. Praktisch wäre auch ein Sagitta scutum gewesen, wie ihn Snape verwenden konnte.

Das Sirren prallte an einer Wand ab und kam wieder zurück. Diesmal sparte sich Tarsuinn irgendwelche spektakulären Sprünge und wich einfach zur Seite aus, dann konzentrierte er sich. Das was er jetzt probieren wollte, hatte er noch nie gemacht, geschweige denn für möglich gehalten, wenn es ihm nicht Ryu-san einmal demonstriert hätte.

Er steckte seinen Zauberstab in den Ärmel. Dann nahm er seine linke behandschuhte Hand in Hüfthöhe vor sich, mit der Handfläche nach oben hoch. Die rechte Hand führte er vor sein Gesicht, die Handfläche zum Boden gerichtet.

Konzentration, Tarsuinn, befahl er sich selbst. Eine Frisbeescheibe fängst du doch auch manchmal.

In der Realität wäre er zwar weggelaufen, aber wahrscheinlich war die Gefahr auch hier, wie bei den Pfeilen, entschärft.

Das Sirren erreichte ihn und Tarsuinn schlug blitzschnell die Handflächen zusammen. Zu seinem eigenen Erstaunen erwischte er eine dünne Scheibe, die sich jedoch in seinen Händen weiterdrehte und je mehr er drückte um sie zum Stehen zu bringen, desto heißer wurde es auf seiner Haut. Das konnte nur schief gehen. Aus einem verzweifelten Impuls heraus, versuchte er die Scheibe in die Wand zu knallen, aber entweder war die Scheibe wirklich stumpf oder aber die Wand zu hart, zumindest prallte die Scheibe nur ab und begann, zwischen den Seitenwänden des Ganges hin und her zu fliegen. Mit jeder Wandberührung immer schneller werdend. Was jedoch leider nicht alles war – die Scheibe kam auch langsam auf ihn zu. Inzwischen viel zu schnell um dazwischen hindurchzuhuschen.

Er wich zurück.

„Wir müssen hier raus, Tikki", sagte er. „Sobald das Ding die nächste Ecke erreicht, knallt es mit Schallgeschwindigkeit durch die Gegend und das kann unangenehm werden. Wir brauchen einen Ausgang."

Natürlich hätte Tarsuinn auch Bill darum bitten können abzubrechen, aber dies wollte er sich noch nicht eingestehen. Nicht wenn er noch ein paar Sekunden hatte.

Er rannte hinter Tikki her, sich jetzt völlig auf ihren Instinkt und sein Bauchgefühl verlassend. Abrupt bremste ihn Tikkis Befehl und er versuchte, sich neu zu orientieren. Seine momentane Position fühlte sich vertraut an. Tikki gab das Zeichen für Tür, die nach außen öffnet. Tarsuinn stand wieder am Anfang des Weges, während hinter ihnen die sirrende Scheibe immer näher kam. Er suchte einen Türknauf, doch er fand nur den Türspalt. Gegen die Tür zu drücken brachte auch nichts. Als das Sirren nicht mehr allzuweit von der Ecke entfernt zu sein schien und er sich nicht anders zu helfen wusste, schritt er zu drastischen Maßnahmen. Er zog sein Messer und fuhr damit einfach den Türspalt nach, um entweder den Riegel oder die Angel zu durchtrennen. Zwar würde sich dadurch auch der Überzug der Klinge zum größten Teil verbrauchen (Eisen war da deutlich problematischer, als Fleisch, Holz oder Glas), aber das war es ihm wert. Außerdem konnte er ja alles wieder neu machen. Als erstes fand er den Riegel, säbelte ihn durch und sprang gegen die Tür, die auch sofort aufflog. Er fiel zu Boden und die sirrende Scheibe flog über ihn hinweg nach draußen.

Sistere", donnerte eine alte männliche Stimme und das Sirren endete schlagartig.

Tikki sprang Tarsuinn in die Arme und vergewisserte sich fürsorglich, ob es ihm gut ging. Er rappelte sich kichernd auf und setzte sie wieder auf seine Schulter.

„Bill", rief Tarsuinn aufgeregt und versuchte ein Geräusch des Weasleys aufzufangen. „Das war wirklich cool. Habt ihr noch mehr Sachen dieser Art hier"

„Sooo. Das hier ist kein Kinderspielplatz", schimpfte keine zwei Meter neben ihm der Mann, der die sirrende Scheibe angehalten hatte. „Nicht nur das Sie ein potentiell gefährliches Objekt in einen der Gänge entlassen haben, nein, Ihre Vorgehensweise war schlecht. Die Platten haben Sie nur durch Glück überwunden. Was wäre gewesen, wenn die vorletzte, die entscheidende gewesen wäre? Genauso hätten sie niemals mit ihrem Nebelzauber einen Zaubergolem oder Ähnliches täuschen können! Ich gebe zu, bei den Pflanzen haben Sie aus Ihren begrenzten Fähigkeiten noch einiges gemacht, aber die Säge hätte Sie erwischt. Der Versuch sie zu fangen, war vollkommen schwachsinnig. Was haben Sie sich dabei gedacht"

„Ich dachte, wenn Ryu-san das kann, dann ich auch, Sir", antwortete Tarsuinn noch immer grinsend. Wer immer da versuchte ihn zusammenzufalten, musste wohl blind sein und Tarsuinns Alter nicht erkennen.

„Warum haben Sie denn keinen Zauber eingesetzt", fragte der Mann weiter.

„Weil Tarsuinn eigentlich erst seit einem halben Jahr Zauber erlernen kann, Magister Hobble", erklärte Bill, der gerade eine Treppe heruntergelaufen kam.

„Sooo", Magister Hobble dehnte dieses einzelne Wort ins Extreme. „Zeig mir dein Messer, Junge"

Ausnahmsweise tat es Tarsuinn, obwohl dieser Mann sehr unfreundlich war, aber er klang ein wenig wie Ryu-san und in Bills Stimme hatte höchster Respekt gelegen. Er zog sein Messer, fasste es vorsichtig an der flachen Klinge und reichte es dem Mann mit dem Griff voraus.

„Seien Sie bitte vorsichtig, Sir", bat er, obwohl dies höchstwahrscheinlich unnötig war.

Eine Weile verging, ehe wieder etwas gesagt wurde.

„Krupuk hat es nicht beanstandet", sagte Bill und klang weder bittend, noch entschuldigend. Es war eine einfache Feststellung, die eine wichtige Tatsache erwähnte. Und das war etwas, was Tarsuinn an Bill respektierte. Respekt, Freundlichkeit, aber keinerlei Unterwürfigkeit.

„Interessante Arbeit", brummte Magister Hobble. „Von wem ist die"

„Von mir, Sir", erklärte Tarsuinn nicht ohne Stolz.

„Sooo", zog der Mann das Wort wieder unglaublich in die Länge. „Dann ist das wohl in Ordnung. Nun, Bill, das ist also der junge Mann mit dem Wilden Talent, von dem der Tagesprophet schreibt? Ich hab weder etwas Wildes, noch etwas Gefährliches gesehen. Hier, Mr McNamara, Ihr Messer und Sie sollten jegliche Schulbildung mitnehmen, die Sie bekommen können."

Tarsuinn tastete sehr, sehr vorsichtig nach seinem Messer und bekam den Griff in die Hand gelegt.

„Sooo", fuhr Hobble fort und wandte sich ab. „Und jetzt zu Ihnen, Mrs van Sickle! Sind Sie sich sicher, dass Sie die richtige Berufswahl getroffen haben? Von einem einfachen Nebelzauber haben Sie sich austricksen lassen! Was zur Hölle…"

Die Tirade ging so eine Weile weiter, wurde aber etwas leiser.

„Kannst du ihr nachher sagen, dass es mir Leid tut", fragte Tarsuinn und fühlte sich ein wenig schuldig.

„Keine Sorge. Abbie kann das vertragen und macht sich da nicht viel draus. Es ist nichts Ungewöhnliches vom Magister getadelt zu werden. Das nimmt man sich nur am Anfang der Ausbildung zu Herzen oder man gibt auf."

„Ist Mr Hobble hier der Chef", fragte Tarsuinn interessiert.

„Er ist der Chefausbilder seit über vierzig Jahren."

„Er hat sehr viel von einem Kobold an sich", murmelte Tarsuinn leise.

Das entlockte Bill ein leises Lachen.

„Lass ihn das nicht hören, das könnte seine gute Meinung von dir ändern."

„Gute Meinung? Von mir", staunte Tarsuinn. „Ich muss was falsch verstanden haben."

„Du kennst den Magister nicht", amüsierte sich Bill noch immer, flüsterte aber sehr leise. „Vertrau mir, genau wie ich fand er dich nicht schlecht dort drin. Was ihn gestört hat war, dass du offensichtlich Spaß hattest und das mag er überhaupt nicht bei der Arbeit. Er kann es nicht ab, wenn es jemandem am Ernst mangelt und hat deshalb einen Grund gesucht, dich ein wenig zurechtzustutzen. Er hat sicher gehofft, wenigstens die Gummisäge würde dich erwischen."

Endlich konnte auch Tarsuinn wieder lächeln.

„Hab ich den falschen Ausgang genommen"

„Ja", entgegnete Bill. „Da fällt mir ein – Reparo."

„Wo war der richtige"

„Da, wo die Säge erschien. Du hättest nur nach dem Spalt suchen müssen, aus der sie herausgeflogen gekommen ist."

„Schade, die anderen Gänge hätte ich auch gern gefunden", gestand Tarsuinn.

„Du bist schon weiter gekommen, als ich vermutet hätte", meinte Bill und Tarsuinn schwellte ein wenig die Brust. „Die Hälfte hattest du schon geschafft. Dass ihr den Eingang wieder gefunden habt, lag nur daran, dass du und deine kleine Gefährtin nicht auf optische Illusionen hereinfallt. Niemand sonst geht einfach durch die Wand. So – und jetzt halt still. Ich mach dich erst mal sauber. Scourgify!"

„Danke, Bill", sagte Tarsuinn. „Auch dafür, dass du mich überredet hast. Zeigst du mir auch weitere dieser Übungsräume"

„Ja, aber nur zeigen. Fürs Ausprobieren bis du dann doch noch etwas zu jung."

„Ich würde auch nie was anderes behaupten. Aber ich bin trotzdem der Meinung, ihr solltet so einen Parcours als Attraktion anbieten."

„Mach doch Professor Lupin die Idee schmackhaft", meinte Bill. „Dann ist es sogar kostenlos."

„Sollte sich die Gelegenheit noch mal ergeben, mach ich das vielleicht", erklärte Tarsuinn und die düstere Realität fiel wieder in den heutigen Tag ein. Wie mochte Rica sich jetzt fühlen?

„Komm hier lang, das könnte dich interessieren."

Sie stiegen eine Treppe nach oben und auf eine freie Fläche.

„Wir sind hier über einer Übungskammer, die nach deinem Geschmack wäre, sobald du deine ZAG-Prüfung hinter dir hast."

„Warum"

„Weil es in dieser Kammer keinerlei Licht gibt und auch kein Lumos, Feuer oder dergleichen funktioniert."

„Und wie kommt ihr dann damit klar"

„Nicht anders als du."

Tarsuinn fand die Vorstellung amüsant und versuchte sich ein paar herumtapsende Sehende in der Dunkelheit vorzustellen.

„Tut euch sicher oft weh, oder", fragte er mit hochgezogenen Mundwinkeln.

„Natürlich", entgegnete Bill „Scheint dir ein wenig zu gefallen, nicht wahr"

„Ich hab es auch nicht anders gelernt", verteidigte sich Tarsuinn gegen den sanften Vorwurf. „Warum sollte es euch besser ergehen? Niemand wird dort drin ernsthaft verletzt, oder"

„Natürlich ist es relativ ungefährlich, aber man sollte anderen keine Schmerzen wünschen."

„Das sehe ich ab und an ein wenig anders", meinte Tarsuinn etwas unterkühlt und lenkte dann vom Thema ab. „Da geht gerade jemand rein, oder! Ist das…ähem…Abbie"

„Korrekt. Möchtest du ihr helfen"

„Ich denke, ich darf da nicht rein"

„Nein, ich meine von hier aus."

„Wie soll ich ihr da helfen"

„Mit deiner Erfahrung natürlich. Glaubst du, wir Sehende könnten nichts von dir lernen"

„Wie häufig müsst ihr schon durch die Dunkelheit gehen", schüttelte Tarsuinn abwehrend den Kopf. Niemand neidete ihm seine Fähigkeit, da sie mit Blindheit verbunden war. Andersherum fragte er sich selbst des Öfteren, womit gewisse andere Leute überhaupt das Privileg von Farbe und Form verdient hatten.

„Du würdest dich wundern. Ist es nicht ein hervorragender Schutz, jemanden seiner bevorzugten Wahrnehmungsform zu berauben? Stell dir vor, man würde dir die Fähigkeit zu hören rauben. Würde das dich nicht entscheidend behindern"

Unter ihren Füßen lief Abbie gegen etwas, das verdächtig nach einem Topf klang.

„Wie kann ich machen, damit sie mich hört", fragte Tarsuinn.

„Gleich", sagte Bill und Tarsuinn rechnete es ihm hoch an, dass er nicht mehr auf dem Punkt herumritt. Dreimal klopfte ein Zauberstab auf den Boden.

„Abbie, hier ist jemand der dir helfen möchte", sagte Bill laut. „Hör ihm zu."

„Ich komm schon klar", antwortete die junge Frau stolz.

„Das sieht von hier oben nicht so aus", entgegnete Bill eindringlich. „Am besten bleibst du erst mal stehen, sonst ist der Test gleich vorbei. So, Tarsuinn. Jetzt bist du dran."

„Abbie", fragte Tarsuinn vorsichtig.

„Ja"

„Ähem – Bill meint, ich könnte dir helfen. Willst du das auch"

„Im Moment schein ich sie seiner Meinung nach zu brauchen."

„Und wirst du auch auf mich hören"

„Was bleibt mir denn übrig"

„Du könntest es auf die harte Tour herausfinden."

Unten in der Kammer lachte jemand kurz auf.

„Ich steh nicht unbedingt auf Schmerzen", antwortete sie.

„Gut – dann geh noch mal die zwei Schritt zurück zur Tür", wies Tarsuinn sie an.

„Warum"

„Weil du überhaupt nicht weißt, wo du bist", erklärte er.

Sie tat, was er sagte.

„Bleib da einfach stehen. Schließ die Augenlider. Der Wunsch, etwas sehen zu wollen, lenkt nur ab. Zieh jetzt langsam und ganz bewusst die Luft ein. Mehrmals! Langsamer. Dreh den Kopf von links nach rechts. Was riechst du"

„Ich weiß nicht."

„Etwas Unbekanntes"

„Ich glaub nicht. Ich…ich weiß nicht."

„Wenn du in dich hineinfühlst, fühlst du dann Angst, Sorge oder so was"

„Vorsicht, irgendwie."

„Steck jetzt den Finger in den Mund."

„Wie bitte"

„Schon mal versucht die Windrichtung festzustellen, wenn der Wind nur schwach ist"

„Ach – jetzt verstehe ich. Ein ganz leichter Luftzug von links."

„Dreh den Kopf in die Richtung. Wird der Geruch stärker"

„Ein wenig – vielleicht."

„Gut – kommen wir zum Hören…"

Eine ganze Stunde lang half Tarsuinn Abbie durch das kleine Labyrinth mit Fallen. Er brachte ihr nacheinander bei, wie man auf die einzelnen Sinne hört, wie man mit den Fingern den Weg fühlt, wie man sich eine Karte vorstellt, dass man mit seiner Fußlänge den Weg maß und dass man die Füße langsam über den Boden schleifen ließ, um nicht zu stolpern.

Außerdem wies er Abby an, sich einen Hexenhut aufzusetzen und ein Blatt Papier oder etwas Ähnlichen so damit einzuklemmen, dass ein mögliches Hindernis zuerst gegen dieses Blatt stieß und erst dann gegen die Stirn. Abby löste das mit einer Feder, da sie kein Papier dabei hatte, aber es funktionierte.

Ein wenig fühlte sich Tarsuinn an die Zeit zurückerinnert, als er Tikki noch nicht gekannt beziehungsweise verstanden hatte. Und es machte ihm bewusst, wie gut es ihm eigentlich im Gegensatz zu anderen Blinden ging. Gut, auch die hatten oftmals Hilfe durch einen tierischen Helfer, aber all diese Hunde waren kein Vergleich zu Tikki. Außerdem hatte keiner von ihnen Magie und das Geschenk von einem Einhorn, das einen wie ein Kompass für das Leben leiten konnte. Eigentlich hatte Tarsuinn recht wenig Grund mit seinem Schicksal unzufrieden zu sein – natürlich nur, was sein Augenlicht anging und da wusste er wenigstens, wer davon profitierte. Er beschloss, zumindest in dieser Hinsicht nie wieder zu meckern.

„Wir sind durch", jubilierte Abbie in diesem Moment und Tarsuinn musste zugeben, die letzten Meter hatte sie eigentlich allein zurückgelegt.

„Sooo – und darauf sind Sie wohl auch noch stolz", erklang unvermittelt die Stimme von Magister Hobble. „So, so. Sie sind viel zu sehr von dem bisschen überzeugt, das Sie Talent und Fähigkeiten nennen. Sie haben bei diesem Test kläglich versagt. Nur, dass Sie sich da keine Schwachheiten einbilden"

Wieder erging sich der Ausbilder in einer längeren Tirade.

„Ich dachte, es wäre erwünscht, dass ich helfe", flüsterte Tarsuinn Bill zu.

„Keine Sorge", beruhigte dieser ihn. „Sie hätte allein niemals den Test bestanden. Nicht beim ersten Mal. Sie war kurz davor ins Wasserbecken zu fallen, bevor du ihr geholfen hast. So aber hat sie mehr gelernt, als in zehn Versuchen allein. Glaub mir, jeder hier wäre froh gewesen, deine Hilfe während der ersten Stunden in der Dunkelkammer zu haben. Sie wird den Test sicher schneller schaffen, als der Durchschnitt hier. Dank dir."

„Ich hab nicht viel dazu beigetragen", gab sich Tarsuinn bescheiden, obwohl ihm ein wenig Stolz die Brust schwellte. „Was machen wir jetzt"

„Essen natürlich", lachte Bill. „Du weißt doch sicher, wie spät es ist."

„Wir kommen aber nicht irgendeiner Koboldküche zu nahe, oder", vergewisserte sich Tarsuinn. Sein Magen wollte etwas zu essen, aber nicht um jeden Preis.

„Du hast schon mal die Bekanntschaft gemacht", fragte Bill amüsiert und lotste ihn in eine bestimmte Richtung.

„Ich hab das Zeug sicher nicht gegessen – falls du das meinst", grinste Tarsuinn. „So ausgehungert war ich schon seit Langen nicht mehr."

„Das wirst du auch heut nicht werden. Kobolde essen auch ganz gern unsere Küche und damit alle Mitarbeiter zufrieden sind, gibt es halt keine traditionellen Koboldspeisen hier. Es ist zwar nicht Hogwarts, aber durchaus genießbar."

„Ich werd dir einfach mal vertrauen."

„Was für eine Ehre", meinte Bill ironisch.

Auf dem Weg zum Speisesaal führte Bill ihn einen anderen Weg durch das Übungsgelände. Tarsuinns Ohren fingen wieder jede Menge interessanter Geräusche auf. Einmal glaubte er einen Tiger fauchen zu hören, dann wieder roch es nach Phosphor oder die Luft wurde eiskalt. Es waren aber immer nur kurze Eindrücke, nichts, was ihn auch nur im Entferntesten beunruhigte.

Doch dann hörte er leise einen Schrei. Einen Schrei voller Angst, von einem erwachsenen Mann. Tarsuinn blieb wie angewurzelt stehen. Das klang nicht wie Training, es war echte Panik. Tikki war derselben Meinung und gab einen fragenden Laut und das Zeichen für Tür von sich.

„Was ist", fragte Bill, der, von Tarsuinns Stehenbleiben überrascht, noch einige Schritte gegangen war.

„Hinter der Tür hat jemand in Panik geschrien", erklärte Tarsuinn und tat einen zögerlichen Schritt nach vorn. Der Schrei war zwar nur sehr leise durch die Tür gedrungen, aber der Mann dahinter hatte all seine Kraft hineingelegt. Er hatte um Hilfe gerufen.

Schnell streckte Tarsuinn die Hand zur Tür aus, ergriff die Klinke und öffnete…

„Nicht", versuchte Bill das noch zu verhindern, doch es war zu spät.

Ein Hauch von Hass, Furcht und Verzweiflung wogte über Tarsuinn hinweg und ließ ihn kurz auf den Fersen wippen. Für einen Moment nur…

Dann ging er in den Raum und zu dem Mann, den er am Boden wimmern hörte.

„Komm zurück, Tarsuinn", kam Bill angelaufen und als der junge Mann die Tür erreichte, sprach dieser mit fester Stimme. „Animus leonis!"

Erst dann kam Bill Tarsuinn nach.

„Das ist nur ein Test, Tarsuinn", rief er. „Ach, egal. Ist eh vorbei."

Dann half Bill, den mehr oder weniger bewusstlosen Mann aus dem Raum zu schaffen.

„Du solltest hier niemals einfach so eine Tür öffnen", belehrte ihn Bill, sobald sie draußen waren. „Dies ist einer der Räume, in die du auf keinen Fall hinein solltest"

„Aber der Mann…"

„…sollte in diesem Raum lernen seine Angst zu überwinden und in ihrem Angesicht zu zaubern"

Wieder war es die Stimme von Magister Hobble, die in das Gespräch eingriff.

„Wie sonst soll er lernen gegen einen Dementor zu bestehen, den man zur Bewachung eines Schatzes angeworben oder mit eingemauert hat"

Auch wenn das Sinn ergab, diesmal war Tarsuinn der Ansicht richtig gehandelt zu haben.

„Erstens war da kein Dementor drin und zweitens sollten sie einfach die Schalldämmung der Tür verbessern, wenn sie nicht wollen, dass man es draußen hört und entsprechend handelt."

„Natürlich ist da kein Dementor drin", erklärte der Magister ärgerlich. „Wir treiben doch unsere Angestellten nicht in den Wahnsinn! Aber wir bereiten sie auf das Schlimmste vor und wenn sie an diesen Schrecken gewöhnt sind, dann können sie auch zaubern, wenn die Angst die Kehle zuschnürt. Mr Winchester hier wusste genau, worauf er sich einlässt und nur diese letzte Prüfung fehlt ihm für seine Zulassung. Und jetzt haben Sie dafür gesorgt, dass er noch länger warten muss."

„Vielleicht sollte er das auch", fauchte Tarsuinn zornig. „Wenn er bei dem bisschen schon umkippt, dann überlebt er keinen Dementor."

„Deshalb soll er sich ja auch an den Schrecken gewöhnen. Es wird von niemandem erwartet, dass er sofort vor etwas besteht, das so extrem an unseren schwächsten Stellen angreift. Niemand ist in der Lage, einem solchen Einfluss…"

Im letzten Satz war Mr Hobble mit jedem Wort leiser und langsamer in seiner Tirade geworden.

„Sooo…Bill", sagte Hobble nach einem Moment unangenehmer Stille. „Du hast die Kammer nicht neutralisiert"

„Ich kenne den Gegenfluch nicht, Magister", entgegnete Bill.

Finire metum alci afferre", murmelte Mr Hobble halb abwesend und schien sich dann zusammenzureißen.

„Mr McNamara", sagte der ältere Mann fast als würde er mit einem Erwachsenen sprechen. „In welche Klasse gehen Sie im Moment"

„In die zweite, Sir", entfuhr es Tarsuinn aufgrund einer gewissen Überraschung überaus höflich.

„Dann wird in drei Jahren Ihre Berufsberatung anstehen. Ich erwarte, dass sie sich nicht für eine Karriere entscheiden, bevor Sie nicht mit mir über Ihre Zukunft gesprochen haben. Ich verspreche, wenn Ihre schulischen Leistungen halbwegs akzeptabel sind…aber das werden wir dann sehen.

Sooo – zu Ihnen, Mr Winchester. Werden Sie endlich wach. In einer Stunde haben Sie Ihren nächsten Versuch"

„Lass uns weitergehen", murmelte Bill und zog Tarsuinn weg von Mr Hobble, der mit dem bewusstlosen Mr Winchester redete, als könne der ihn hören.

Ohne ein weiteres Wort erreichten sie den Speisesaal. Groß war die Auswahl an Essen da nicht sonderlich. Man konnte sich nur zwischen essen, nicht essen und nachwürzen mit einer ultrascharfen Soße entscheiden. Dafür jedoch bekam man eine riesige Menge. So richtig schmeckte der Brei aus Fleisch, Bohnen, Mais und Reis Tarsuinn nicht, aber es war durchaus genießbar, auch wenn der Koch anscheinend versuchte hatte Gewürz mit noch mehr Gewürz zu bekämpfen. Tarsuinn tötete diesen Wirrwarr des Geschmackes mit ein wenig von der scharfen Soße. Tikki verweigerte das Essen.

Bill sagte noch immer kein Wort.

„Was ist los", fragte Tarsuinn, nachdem er satt war, was bedeutete, dass sein Teller fast unangerührt aussehen musste. „Hab ich was so Schlimmes gemacht"

„Nein, das sicher nicht", entgegnete Bill recht ernst. „Aber es ist nur so, dass die Aufmerksamkeit Magister Hobbles etwas ist, das wir gern vermieden hätten."

„Warum? Ich meine, er hat mir quasi einen Job angeboten und du bist doch hier auch ganz zufrieden, oder"

„Ob ich zufrieden bin oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Nur musst du begreifen, dass der Magister nicht unbedingt ein Menschenfreund ist. Er hat plötzlich in dir Möglichkeiten gesehen. Zauberer mit einer so hohen Toleranzschwelle gegen Furchtflüche sind selten und wenn er dich sieht, sieht er steigende Gewinne. Aus diesem Grund wird er dich jetzt im Auge behalten und gerade das ist sicher nicht in deinem Sinne, oder"

„Einer mehr oder weniger…"

„Nimm das nicht auf die leichte Schulter. Wenn Hobble dich für wertvoll erachtet, dann wird er versuchen, dich in seinem Sinne zu beeinflussen. Er kann dir eine freie Wahl des Berufes recht schwer machen. Ich weiß zum Beispiel, dass er mal eine Bewerberin hatte, an der er interessiert war, die jedoch als erstem Berufswunsch zum Magischen Unfallkommando wollte. Hobble hatte daraufhin ein längeres Geschäftsessen mit dem Leiter dieser Ministeriumsabteilung und einen Tag später lehnte das Unfallkommando die Bewerbung des Mädchens ab, wodurch sie ihren zweiten Berufswunsch verwirklichte – als Fluchbrecherin bei Gringotts…"

„…und sie ist sehr zufrieden mit diesem Lauf der Dinge", mischte sich die Stimme von Abbie van Sickle ein. „Manchmal wissen junge Menschen wie ich einfach nicht sofort, was das Beste für sie ist."

„Hallo, Abbie", grüßte Bill. „Setz dich doch. Das hier ist Tarsuinn, der dir durch die Dunkelkammer geholfen hat."

„Und der mich in der Anfängerecke so blamierte", lachte Abbie fröhlich. „Schön, auch mal dein Gesicht kennen zu lernen. Ich bin Abbie."

Tarsuinn streckte die Hand aus, welche sofort ergriffen und kräftig gedrückt wurde. Abbie hatte eine recht raue und zerfurchte Haut, wie er sie bei einem Mädchen noch nie erlebt hatte.

„Angenehm", murmelte Tarsuinn und versuchte sich in einem Lächeln. „Ich hab dich sicher nicht absichtlich blamiert."

„Ist völlig egal", lachte Abbie offen. „Der alte Hinkefuß sucht doch immer was zu meckern. Wenn jemand an dem dünnen Spalt schnell vorbei springt, hat der dahinter kaum die Zeit Stupor zu sagen, geschweige denn zu zielen. Da jemanden zu treffen, selbst wenn er nicht den halben Gang einnebelt, ist eher eine Sache von Glück als von Können. Es ist immerhin die Anfängerecke, da soll man ja nur bei groben Fehlern erwischt werden. Aber, Bill, darf ich fragen, wie du Hinkefuß dazu gebracht hast, deinem kleinen Gast hier alles zu zeigen? Ich dachte, du sollst heut ein Verlies knacken."

„Machen wir auch noch, Abbie, und der Magister hat mit der Erlaubnis nichts zu tun, die Kobolde haben direkt ihre Einwilligung gegeben."

„Wir? Du willst und darfst den Kleinen bei einem Auftrag mitnehmen"

„Es ist völlig harmlos. Wir wissen sogar, was uns erwartet."

„Darf ich mal was dazwischen fragen", unterbrach Tarsuinn. „Wir knacken ein Verlies bei Gringotts, Bill"

„Ja."

„Ist das nicht…ich meine…"

„Nichts Ungesetzliches", erklärte Bill lächelnd. „Das passiert ab und an mal. Ich erklär es dir. Gringotts stellt jedem ein sicheres Verlies für seine Schätze zur Verfügung, aber trotzdem sind viele Zauberer und Hexen misstrauisch und bauen noch eigene Sicherheitsmaßnahmen ein. Wenn sie dann zum Beispiel sterben und keiner der Erben weiß, wie man an den Flüchen vorbeikommt, mietet man ganz gern einen Fluchbrecher, statt sich selbst in Gefahr zu bringen. Das bringt uns einen vorher ausgemachten festen Lohn oder einen zehnprozentigen Anteil am Erbe, was sich manchmal als recht lukrativ erweisen kann – oder als totaler Reinfall."

„McArthur hat mal einen Zettel gefunden, der ihm eine lange Nase zog und den Erben eröffnete, dass der Verstorbene das gesamte Erbe von über zwotausend Galleonen vor seinem Tod verschenkt und versoffen hat", erzählte Abbie kichernd. „Er war so sauer, als wäre er einer der Erben."

„Er hat drei Tage umsonst gearbeitet", gab Bill gut gelaunt zu bedenken. „Ein wenig verständlich ist sein Ärger also schon."

„Wenn er nicht so gierig gewesen wäre, dann hätte er locker fünfzig Galleonen einstreichen können. Aber egal – inzwischen kann er selbst wieder drüber lachen und dass sie seine Nase auch nicht mehr so knubblig-dick wie vorher hinbekommen haben, sieht er inzwischen als kostenlosen Schönheitszauber. Nicht, dass seine Frau das zu würdigen wüsste."

„Spann ihn ihr doch aus", bot Bill an.

„Ich leg mich doch nicht mit einer Halbfurie an", wehrte Abbie gespielt entsetzt ab. „Die treibt mich und ihn doch mit ihrer Eifersucht völlig in den Wahnsinn. Außerdem hab ich schon jemand ganz anderen im Auge."

Tarsuinn runzelte die Stirn angesichts von Abbies seltsamen Tons im letzten Satz.

„Na, da wünsch ich dir viel Glück, Abbie", entgegnete Bill. „Aber langsam sollten wir wirklich an unsere Aufgabe gehen. Du wirst sicher auch schon von Magister Hobble erwartet."

„Ach, der kümmert sich erst mal um den armen Winchester", entgegnete Abbie mit Enttäuschung in der Stimme. „Der schaut doch nicht nach mir."

„Dein Großvater hat seine Augen überall, Abbie", korrigierte Bill ernst. „Das solltest du inzwischen gelernt haben. Also viel Glück beim Üben. Komm, Tarsuinn! Wir gehen an die Arbeit."

Tarsuinn folgte, aber erst nachdem er sich freundlich von Abbie verabschiedet hatte. Am Ausgang des Speisesaals holte er dann Bill ein.

„Gehen wir jetzt wirklich ein Verlies knacken, Bill", fragte Tarsuinn erwartungsfroh.

„Kannst es wohl kaum erwarten"

„Bis jetzt hatte ich viel Spaß. Und? Machen wir das wirklich? Das mit dem Verlies? Oder ist das auch nur so nen Trainingsding"

„Nein, es ist echt."

„Und warum nimmst du mich dann mit? Ist es nicht gefährlicher für dich, wenn du auch noch auf mich aufpassen musst"

„Es ist nicht sonderlich gefährlich. Die Fallen sind alle bekannt und nicht lebensbedrohlich."

„Woher willst du das wissen? Wenn der Besitzer tot ist, kannst du doch auch falsche Informationen haben."

„Der Auftraggeber ist nicht tot", erklärte Bill. „Nur einfach etwas schusselig. Er hat die Schlüssel verloren und vergessen, wie man die Flüche umgeht."

„Wie kann man das vergessen"

„Wenn man alt ist und das letzte Mal vor dreißig Jahren das Verlies besucht hat, dann kann es auch schon mal Erinnerungslücken geben."

„Und was ist, wenn seine Erinnerungslücken etwas weiter gehen, als er dir gesagt hat"

„Dann wird es halt ein wenig interessanter. Ach – mach dir keine Sorgen. Es sind ganz sicher keine gefährlichen Sachen. Er ist ein sehr netter, alter Mann und würde niemals riskieren jemanden aus Versehen zu töten. Nicht einmal einen Einbrecher."

„Was du ja eigentlich bist", dachte Tarsuinn laut nach. „Wenn du alte Schätze suchst, dann öffnest du doch wahrscheinlich auch Gräber, oder"

Sie erreichten einen dieser Wagen, die zu den Verliesen fuhren, und stiegen ein.

„Das ist legal, wenn der Todestag zweihundert Jahre in der Vergangenheit liegt. Das gilt übrigens auch für Verliese, die eine solch lange Zeit nicht geöffnet wurden und sich kein Erbe feststellen lässt."

Der Wagen beschleunigte wie in einer Achterbahn und Tarsuinn gab sich Mühe, sein Mittagessen unten zu behalten.

„Hattest du jemals Zweifel, Bill", fragte er, als er den ersten Moment der Fahrt überwunden hatte. „Du klingst, als wärst du dir immer ganz sicher."

„Reine Verstellung", entgegnete Bill.

Tarsuinn glaubte es ihm nicht. Er kannte Bill nun erst seit einigen Stunden, aber Unsicherheit gehörte ganz sicher nicht zu seinen Wesenszügen. Bill war einer der wenigen Menschen, die einem das Gefühl vermitteln konnten, sie wären genau der richtige Ansprechpartner, wenn einem selbst die Probleme über den Kopf wuchsen. Und dabei wirkte er nicht so einschüchternd wie Professor Dumbledore.

„Okay, wir sind da", sagte Bill und hielt Tarsuinn kurz am Kragen fest, denn beim Abbremsen wäre er fast aus dem Wagen gefallen. „Verließ 35. Niedrige Nummer, wenig Geld, geringe Sicherheit."

„Ich dachte, Gringotts wäre für jedes Geld der sicherste Ort", fragte Tarsuinn verwundert.

„Ist es auch. Es mag zwar relativ einfach sein, hierher zu gelangen, aber allein der Aufwand hierher zu kommen und diese Türen aufzubrechen, würde mehr kosten, als man hier holen kann. Es ist einfach eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Wer gibt schon hundert Galleonen aus um siebzig zu stehlen"

„Nur ein Idiot", gab Tarsuinn zu.

„Genau", pflichtete Bill bei. „Ich schließ die Verliestür auf und…"

„Warte", bat Tarsuinn. „Kann ich die Tür mal anfassen"

„Warum"

„Ich würde sie gern mal sehen. Oder ist das gefährlich"

„Nein, gar nicht. Sobald ich aufgeschlossen habe. Einen Moment."

Ein metallisches Klacken folgte und danach tastete Tarsuinn die Tür ab. Sie war absolut langweilig, wenn man davon absah, dass sie mehr als ein Schloss besaß. Tarsuinn hatte aber nur ein einmaliges Aufschließen gehört.

„Wenn man das falsche benutzt, dann geht was schief, nicht wahr", erkundigte sich Tarsuinn.

„Das ist geheim", antwortete Bill nur.

Tarsuinn vermutete, dass dies ein Geheimnis war, das Bill verpflichtet war zu bewahren. Zumindest war es logisch, dass man Tarsuinn nicht die Sicherheitsmaßnahmen Gringotts auf die Nase band.

Im Anschluss an seine Untersuchung betraten sie das Verließ.

„Na, das nen ich mal kreativ", murmelte Bill und Tikki stimmte ihm zu.

Tarsuinn stand ein wenig im Dunkeln und seine Nase verwirrte ihn noch mehr.

„Es riecht nach Pfefferkuchen und Gras", sagte er.

„Kein Wunder. Wir stehen auf einer Wiese vor einem Pfefferkuchenhaus."

„Warum so überrascht? Hat wer vergessen dir das mitzuteilen"

„Ich schätze, das fiel nicht unter Sicherheitsvorkehrung."

„Und warum hab ich dann plötzlich so viel Hunger, obwohl ich satt bin"

„Jetzt, wo du es sagst…"

Bill murmelte einen kleinen Zauberspruch und das Hungergefühl in Tarsuinn schwand. Seltsamerweise ließ auch seine Neugierde stark nach.

„Wenn du dich jetzt etwas desinteressiert fühlst, wundere dich nicht", erklärte Bill. „Ich habe unsere Leidenschaften ein wenig gedämpft, damit wir nicht so einfach manipulierbar sind."

„Und wie kämpft man gegen diese Lustlosigkeit an", fragte Tarsuinn ironisch. „Was nutzt es, wenn ich auf die Hungerfalle nicht mehr hereinfalle, aber auch keinen Bock mehr habe einzutreten."

„Indem dir klar ist, was du willst und was nicht. Ist ganz einfach. Komm – es ist eine einfache Tür mit nem kleinen Fluch drauf."

„Und wie öffnen wir die"

„Wie würdest du das machen"

„Ich würde Toireasa fragen."

„Und wenn du allein wärst"

„Ein Fluchumkehrspiegel, ein Alohomora und ein wenig Glück."

„Wie wäre es, wenn du einfach lernst einen Fluch zu umgehen und eine Tür ohne Zauberstab zu öffnen", bot Bill an.

„Und wie soll das gehen", fragte Tarsuinn interessiert.

„Zuallererst musst du herausbekommen, wo der Fluch sitzt. Das zu erkennen ist meist recht einfach."

„Für dich vielleicht", schränkte Tarsuinn ein.

„Nein! Für jeden", widersprach Bill. „Ist ganz einfach. Du hast doch sicher schon mal gespürt, wenn jemand große Magie in deiner Nähe spricht. Wenn zum Beispiel Professor McGonagall sich oder etwas anderes Großes verwandelt."

„Ja", gab Tarsuinn zu.

„Wie war es"

„Es haben sich die Nackenhärchen aufgestellt oder ich hab eine Gänsehaut bekommen."

„Genau das meine ich – gib mir deine Hand."

Tarsuinn reichte vorsichtig Bill die Hand, der diese ergriff und langsam durch die Luft führte. Nichts berührte Tarsuinns Finger und trotzdem…

„Da ist etwas", sagte er, doch dann schüttelte er den Kopf. „Das kann auch kalte Zugluft sein."

„Nein, das ist schon korrekt. Du hattest sicher schon mit einigen Flüchen in der Schule zu tun. Auch mit denen, die auf einigen der interessanteren Türen dort liegen."

„Vielleicht", entgegnete Tarsuinn vorsichtig.

„Das ist ein eindeutiges Ja", durchschaute Bill ihn und lachte. „Pass auf. Sicherungsflüche gibt es prinzipiell zwei Arten. Die, welche auf Runen basieren – und die sind ein ziemlicher Schmerz im Hintern – und die, welche im Gegenstand direkt verankert sind. Letztere sind glücklicherweise der Standard, weil Runen doch eher eine Kunst sind und viel Übung benötigen. Der Vorteil an den verankerten Flüchen ist, dass sie immer ein wenig von ihrer Magie abstrahlen und sie sind im Prinzip dümmer, aber auch häufig und sehr gemein."

„Und wo liegt da der Vorteil"

„Nun, zum einen kannst du sie finden, wenn du aufmerksam bist, und zum anderen dürfen diese Flüche nicht einfach so losgehen, denn der Besitzer möchte ja nicht selbst gegrillt werden oder sich vergiften. Also muss es einen Trick, Passwort oder einen Gegenstand geben, mit denen man den Fluch abschalten kann."

„Und das kann man herausbekommen"

„Selten, aber allein schon das Wissen, was den Fluch auslösen wird, kann schon sehr hilfreich sein. Wenn du ein Türschloss sichern müsstest, gegen was würdest du es sichern"

Tarsuinn überlegte einen Moment.

„Na ja – zuerst mal natürlich gegen Alohomora und dann mindestens noch gegen Dietriche und vielleicht auch gegen rohe Gewalt."

„Nicht schlecht. Und jetzt stell dir vor, du müsstest einem kleinen, dummen Kind erklären, wann es laut schreien soll, worauf sollte es achten"

„Keine Ahnung", gab Tarsuinn zu.

„Dann denk mal nach. Für Alohomora brauchst du was"

„Meinen Zauberstab."

„Und um das Schloss nach Muggelart zu knacken"

„Einen Dietrich."

„Und um die Tür einzuschlagen"

„Auch den Zauberstab oder eine Axt", sagte Tarsuinn und langsam begriff er, worauf Bill hinaus wollte. Er beschloss, diesen ein wenig in Erklärungsnot zu bringen. „Dynamit würde auch helfen."

„Lassen wir einfach mal das Dynamit weg. Wenn man die Tür unzerbrechlich gehext hat, stürzt eher die Höhle ein, als dass es der Tür etwas tut", ging Bill nicht groß auf die Provokation ein. „Was haben die anderen Gegenstände alle gemein"

„Sie sind mehr oder weniger große Stöcke."

„Genau. Also lassen wir diese weg."

„Und was bleibt uns da", fragte Tarsuinn verwirrt.

„Diese hier"

Bill wedelte ein wenig mit Tarsuinns Hand.

„Natürlich gibt es auch Möglichkeiten mit dem Zauberstab oder anderen Hilfsmitteln solche Flüche zu brechen. Zum Beispiel, indem man den Fluch einfängt oder ihn zerstört, aber mit etwas Geduld und Übung geht es bei kleinen Flüchen auch einfacher."

Wieder wurde Tarsuinns Hand zu der Stelle mit dem Fluch geführt.

„Du spürst doch die Magie, oder", fragte Bill.

„Mmh"

„Besser als vorher"

„Mmh."

„Kannst du ein kleines Stückchen dieser Magie in deine Hand holen"

„Ich soll was"

„Versuch es einfach. Stell dir vor, wie ein kleines Stück in deine Hand springt. Nur ein kleines Stück. Unverändert. Lass es nicht zu, dass es sich verwandelt. Einfach nur die rohe und reine Magie, nicht die Bestimmung."

Obwohl Tarsuinn diese Beschäftigung für sehr seltsam empfand, befolgte er Bills Anweisungen und er wusste nicht, ob er sich das alles einbildete oder ob wirklich etwas geschah. Zumindest kribbelte seine Hand immer stärker und Schweiß lief von der Stirn brennend in seine Augen. Es war mit das körperlich Anstrengendste, was er je gemacht hatte, ohne sich dabei zu bewegen. Sein Atem ging keuchend, sein Mund war ausgetrocknet und sein Arm zitterte wie nach hundert Liegestützen.

„Bill – ich halt es beinahe nicht mehr aus", gestand Tarsuinn, als das Kribbeln ihn immer mehr dazu zwingen wollte, seinen Arm auszuschütteln.

„Dann wirf jetzt alles gegen das Schloss und öffne es so", wies Bill ihn an.

Obwohl Tarsuinn überhaupt keine Ahnung hatte, wo das Schloss war, machte er eine werfende Bewegung grob Richtung Tür. Es krachte, knirschte, roch verbrannt und dann war da Stille.

„Ich meinte eigentlich, du solltest das Schloss öffnen und nicht es herausbrechen – aber das ist keine Kritik", sagte Bill. „Du solltest unbedingt ein wenig subtiler werden. Aber ansonsten war das gute Arbeit."

„Ich fühle mich, als wären 3 Stunden vergangen", gab Tarsuinn zu. „Hätten wir uns nicht einfach durch eine der Wände knabbern können"

„Das wäre doch ein wenig zu einfach gewesen", erwiderte Bill neckend. „Außerdem hat es fünf Stunden gedauert. Hier – du hast sicher Durst."

Bevor Tarsuinn zu dem Getränk griff, tastete er nach seiner Uhr und fand Bills Zeitangabe erschreckend präzise. Er selbst war vielleicht von einer halben Stunde ausgegangen.

„So – und jetzt zu den Schätzen", sagte Bill aufmunternd, während Tarsuinn in gierigen Zügen aus einer Flasche trank, die irgendwie nicht leer zu werden schien.

Vorsichtig gingen sie danach in das Pfefferkuchenhaus, doch keine weitere Falle erwartete sie.

„Was siehst du", fragte Tarsuinn neugierig.

„Das meiste hier sind nur alte Erinnerungsstücke. Mit viel Wert für den Besitzer, aber für niemand anderen. Ich schätze, die wurden hier nur deponiert, damit der alte Mann sie nicht verlieren kann. Schauen wir mal…gut, das da ist mein Schatzanteil und ich denke, dass könnte dir gefallen."

Tarsuinn bekam eine kleine Schatulle in die Hand gedrückt.

„Wenn das die Erinnerungen eines alten Mannes sind, will ich sie ihm nicht wegnehmen", sagte er unangenehm berührt. Der Weg zum Ziel hatte ihm mehr zugesagt, als das Ziel in seiner Hand.

„Nun mach erst mal auf, ehe du urteilst", sagte Bill. „Ich geh schon mal Bescheid sagen, dass wir hier ein neues Schloss brauchen. Bleib bitte hier und warte."

Bill ging und Tarsuinn öffnete nun doch neugierig die Schatulle. Darin fand er eine gesiegelte Schriftrolle und wollte diese schon wieder zurücklegen – die Briefe anderer gingen ihn ja nichts an – als seine Finger über das Siegel glitten und er: Für Tarsuinn, las.

Er wollte sich erstaunt an Bill wenden, doch der war gegangen. In banger Erwartung brach er das Siegel.

Sei gegrüßt Tarsuinn,

es gab auch für mich keinen anderen Weg, Dir unauffällig etwas mitzuteilen. Toireasa und Winona versuchen die ganze Zeit Dir unauffällig zu schreiben, weshalb ich wage zu behaupten, sie grüßen Dich herzlich.

Aber viel wichtiger ist, am Tag der Verhandlung musst du den kleinen schwarzen Stein, den Du um den Hals trägst, und den Schutzstein (den du nach der Strafarbeit für Professor Snape heimlich angefertigt hast) schlucken. So kann dir niemand deine Erinnerungen rauben und wir finden Dich, wo immer Du bist. Außerdem solltest du auf keinen Fall deinen Zauberstab mit ins Ministerium mitnehmen, da er dort kontrolliert werden wird.

Doch nun versinke nicht in Sorgen – dies ist nur eine Vorsichtsmaßnahme für den schlimmsten aller Fälle.

Albus Dumbledore

„Und ich dachte immer, der schlimmste alle Fälle wäre nicht korrigierbar", murmelte Tarsuinn und brach sich grinsend ein Pfefferkuchenstück mit Zuckerguss von der Wand ab. Der Brief in seiner Hand zerfiel der weile zu Puderzucker.

Tarsuinn beschloss, in der nächsten Zukunft ganz lieb zu Mrs Weasley zu sein.

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13.02.2005