Kapitel 6
Sie
kuschelt sich in ihren Mantel. Es ist kalt und sie steht nunschon seit
einiger Zeit wartendvor dem Louvre. Zum ersten Mal hat sie gemeinsam
mit Erik
die Wohnung verlassen. Und nun lauscht sie auf die Geräusche,
die aus seiner Richtung kommen.
"Was
tun Sie?" fragt sie leise, als sie das seltsame metallische
Klicken und Schleifen nicht zuordnen kann. Langsam bekommt sie das
Gefühl, dass er mit niemandemüber diesen Besuch mit niemandem.
"Mein
Bekannter hat vergessen, mir den Schlüssel herauszulegen."
antwortet er "Ich muss die Schlösser aufbrechen.
Sicherheitsschlösser brauchen ihre Zeit. Laufen Sie doch etwas
auf und ab, damit Sie nicht frieren."
Sie
hebt die Augenbrauen. Sein Bekannter...
"Moment,
wir brechen gerade in das Louvre ein?" Ihre Haltung versteift
sich und sie bekommt ein flaues Gefühl im Magen, so als hätte
sie schon seit Tagen nichts mehr gegessen und sich nun den Bauch
vollgeschlagen. "Aber... wenn man uns nun sieht?"
"Jeder,
der uns sehen könnte, schläft." Das letzte Schloss
klickt leise und er stößt die Tür mit dem Zeigefinger
auf. "Nun kommen Sie."
Zögerlich
folgt Félicie ihm in eine große Halle.
"Haben
Sie so etwas schon öfter gemacht?" Sie versucht, möglichst
leise zu sein und zuckt bei jedem Geräusch zusammen, während
sie ihm auf Zehenspitzen folgt. Sie dürften gar nicht hier
sein...
"Gelegentlich."
er schaut sich um. "Hier entlang."
Geduckt
schleicht sie hinter ihm her.
"Was
ist, wenn die Wachmänner uns entdecken?" Ihre Hände
sind vor Angst schweißnass.
"Sie
schlafen, wie ich bereits sagte..." Er nimmt Félicies
Hand und legt sie auf das Bein der ersten Statue. "Dies ist 'Der
Brunnen der Diana'." erklärt er, und beginnt, sich in die
Betrachtung des Werkes zu vertiefen "Der... Schöpfer dieser
Skulptur ist und bleibt... unbekannt."
Vorsichtig
streicht Félicie mit den Fingerspitzen über den glatten
kaltenMarmordoch
sie kann sich vor lauter Angst kaum darauf konzentrieren.
"Warum
schlafen die Wachmänner, Monsieur Erik?" fragt sie mit
bebender Stimme.
"Ich
habe es ihnen befohlen." Er lehnt sich noch etwas weiter vor, um
die Oberfläche der Statue eindringlich zu mustern.
"Befohlen?
Wie?" Ängstlich ziehtsie die Hände zurück. Ein seltsames Gefühl
macht sich in ihr breit.
Erik
streicht über eine unschöne Verfärbung auf der Wade
der Statue und runzelt missmutig die Stirn.
"Meinen
Stimme. Die Sirene. Sie erinnern sich?"
"Sie
können damit sogar Menschen einschläfern?" erkundigt
sie sichmisstrauisch. "Aber... ich muss mich nicht davor
fürchten, oder?"
"Eher
nicht, nein." Er kratzt an einer weiteren Verfärbung des
Marmors, dann reißt er sich los. "Gehen wir weiter?"
Félicie
nickt und reicht ihm die Hand, damit er sie zu der nächsten
Statue führt.
"Wo
haben Sie das gelernt?"
Erstaunt
über ihre bereitwillige Kontaktaufnahme zögert Erik einen
Moment, ehe er ihre Hand in seiner verschwinden lässt.
"Ich
habe es nicht gelernt.' Das Monument des Herzens Henri II' von
Germain Pilon und Dominique Florentin."
"Sie
können das einfach so?" fragt sie während sie die
Statue abtastet.
"Nun
es…" er hält kurz inne "Ich kann es auch nicht
erklären."
Nachdenklich
legt sie die Stirn in Falten.
"Wenn
Sie so etwas können, singen Sie dann auch an der Oper?"
Erik
versteift sich.
"Ich
habe nicht die ausreichende Ausbildung, um als Sänger zu
arbeiten" erklärt er schließlich ausweichend und
macht ein paar Schritte von ihr weg. "Kommen Sie weiter."
Rasch
folgt Félicie ihm zur nächsten Statue und erkundet sie
flüchtig, ehe sie sich ganz Erik zuwendet.
"Aber
Sie könnten es, nicht wahr? Der Gesang der Sirene... das war
wunderschön."
"Ich
werde nie wieder für Publikum singen." murmelt er kalt.
Erschrocken
weicht sie zurück.
"Entschuldigen
Sie... Ich wusste nicht..." sie schüttelt den Kopf und
bricht ab, nervös die Handflächen gegeneinander reibend.
Erik
seufzt.
"Die
nächste Statue befindet sich auf einem hohen Sockel. Wollen Sie
sie auslassen oder soll ich Sie hochheben?"
"Oh,
ich würde sie sehr gerne betrachten. Wenn es Ihnen nichts
ausmacht." fügt sie rasch hinzu.
"Sie
waren es, die nicht berührt werden wollte." bemerkt er
kurz, umfasst ihre Hüfte und stemmt sie hoch "Das Werk
heißt 'Die Wiederauferstehung' und wurde ebenfalls von Germain
Pilon erschaffen."
Obwohl
er so dünn ist, sind seine Arme außergewöhnlich
kräftig. Sie spürt seine starken Hände an ihrer Taille
und wundert sich, wie lange er sie ohne zu zittern halten kann.
"Es
ist sehr schön." meint sie schließlich.
"In
der Tat." antwortet Erik ohne es zu wollen, und meint damit den
Duft ihres schwarzbraunen Haares, das über seine Maske streicht.
"Würden
Sie mich wieder runter lassen?" Félicie steht kaum wieder
auf ihren Füßen, da hört sie ein leises Geräusch.
Erschrocken zuckt ihr Kopf Richtung Eingang und sie ballt die Hände
zu Fäusten, während ihr Herz bis zum Hals schlägt. "Da
kommt jemand..." wispert sie entsetzt "Ein Wachmann mit
einem Hund."
Ruhig
schaut sich Erik nach einem Schatten um, in dem sie sich verbergen
könnten, doch schon schlägt der Hund an und unter die
schnellen Schritte des Wachmannes mischt sich das metallene Geräusch
eines Hahnes, der gespannt wird.
Schützend
stellt er sich vor Félicie und beginnt zu singen.
Schon
verlangsamen sich die Schritte, bis der Wachmann ganz stehen
geblieben ist, und ihm der Revolver und die Kette des Hundes aus der
Hand gleiten. Keine zwei Minuten später schlafen Mann und Hund
fest.
"Kommen
Sie weiter." meint Erik schließlich leise.
Sie
horcht ängstlich und klammert sich an Eriks Arm. Vor Angst
beginnt sie zu zittern wie Espenlaub.
"Wir
sollten vielleicht besser nach Hause gehen... wenn sie aufwachen..."
"Wenn
Sie möchten." Die Wärme ihres an ihn geschmiegten
Körpers lenkt ihn vom Denken ab und er macht sich vorsichtig
los. "Allerdings sollten wir Hund und Herr vorher auf ihren
Posten zurückbringen."
Am
nächsten Morgen steht sie noch vor Erik in der Küche und
versucht, Crêpes zuzubereiten. Vielleicht gelingt es ihr, ihm
mit regelmäßigem Essen wieder zu etwas mehr Gewicht zu
verhelfen.
Während
sie dem Brutzeln in der Pfanne lauscht, fällt ihr ein, dass er
noch eine Statue in seiner Wohnung hat, die er ihr zeigen wollte.
Erstaunlich
erholt erhebt sich Erik nach einer Nacht ohne bedrückende Träume
aus seinem Sarg. Auf dem Flur begrüßt ihn der Geruch von
Crêpes. Er seufzt. Sein Appetit hält sich in Grenzen,
ebenso sein Hunger.
"Guten
Morgen, Félicie."
"Guten
Morgen." flötet sie ihm gut gelaunt entgegen "Ich
hoffe Sie haben Hunger." Mit diesen Worten stellt sie einen
Teller mit fertigen Crêpes auf den Tisch. "Mir ist
eingefallen, dass Sie mir noch eine Statue zeigen wollten."
Erik
mustert die zum Teil leicht angebrannten Crêpes und versucht,
seinen Körper dazu zu überreden, bei dem Gedanken an
Nahrungsaufnahme nicht zu rebellieren.
"Die
Statue..." er spürt, wie er sich noch weiter verkrampft
"Ich... kann mir nicht vorstellen, dass Sie sie nach all dem,
was Sie im Louvre berührt haben, noch schön finden werden."
i'Feigling!'/i
Irritiert
wendet sie ihm den Kopf zu.
"Warum
sollte ich? Ich mag Ihre Kunstwerke." protestiert sie und zieht
eine enttäuschte SchnuteDort oben in der Oper, das haben Sie auch erschaffen
und ich finde es sehr schön. Sie stehen den Künstlern aus
dem Louvre bestimmt in nichts nach." Mit den Schultern zuckend
seufzt sie tief. "Ich hoffe jedenfalls, dass Sie Ihre Meinung
noch ändern."
Eine
ganze Weile lauscht sie schweigendin die Stille der Küche. Er isst nicht.
"Schmecken
Ihnen die Crêpes etwa nicht?" fragte sie enttäuscht.
Widerstrebend
nimmt Erik seine Gabel in die Hand.
"Ich
weiß Ihre Mühe zu schätzen, Mademoiselle, aber ich
bin nicht sehr hungrig." Er schneidet ein Stück Crêpe
ab, kaut langsam und meint dann: "Sehr gut."
"Sie
essen nicht sehr viel." stellt sie fest und setzt sich zu ihm an
den Tisch. "Sind Sie krank?"
"Das
wissen Sie doch." antwortet er wegwerfend.
Sie
nimmt seine Hand und hält sie fest, damit er sie nicht gleich
wieder wegziehen kann. "Aber nur weil sie traurig sind, sind Sie
doch nicht so mager, oder?" Seine langen dürren Finger
liegen erstarrt unter ihren. Die Knochen sind deutlich zu spüren,
und auf seinem Handrücken kann sie kleinere Erhebungen ertasten,
die ihr bisher nie aufgefallen sind - teils verkrustet... wie Wunden
oder Narben.
"Erik,
was ist das?"
Mit
einem Ruck zieht er seine Hand zurück und springt auf.
"Einstiche.
Vom Morphium." antwortet er kurz. "Aber Sie wollten die
Statue sehen. Folgen Sie mir."
Etwas
irritiert durch seine plötzliche Unruhe steht auch Félicie
auf und folgt ihm in das Atelier hinter seinem Zimmer.
"Sie
wissen ganz genau, dass ich keine Ahnung habe, was das ist."
Den
Blick starr auf ihren flachen Sockel gerichtet, bleibt Erik dicht
neben der Statue stehen.
'Du
weißt, sie wird auch danach wieder fragen, und wieder und
wieder...'
"Morphium
ist ein Schmerzmittel. Ich bin davon abhängig wie Ihr Vater vom
Alkohol abhängig war. Die Substanz wird mit einer Spritze direkt
in den Blutstrom injiziert. Das hat die Venen in meinen Armen bereits
zerstört, weshalb ich jetzt die auf meinen Händen benutze,
bis auch sie kollabieren, oder ich meinem Leben mit einer Überdosis
ein Ende setze."
Erschrocken
fährt sie zusammen und umklammert sich einen kurzen Augenblick
selbst mit ihren Armen. Ein Drogensüchtiger? Sie beißt
sich auf die Lippen, atmet tief durch und zwingt sich zur Ruhe.
Immerhin ist so etwas nichts wirklich Neues für sie.
"iMorphium/i."
wiederholt sie langsam und versucht, sich den Namen einzuprägen,
um ihn nie wieder zu vergessen.
Er
kreuzt die Arme vor der Brust.
"Die
Statue steht direkt vor Ihnen."
Überrascht
streckt sie die Hände aus. Ihre Finger ertasten eine glatte
Oberfläche, offenbar mit sehr viel Liebe bearbeitet. Erik muss
daran lange für die Fertigstellung gebraucht haben.
"Was
stellt sie dar?"
'Schau
die Statue an, während du über sie sprichst!'
"Eine
Frau." Den Blick zwanghaft abgewendet, beginnt er, auf und ab zu
laufen. "Sind Sie fertig?"
'Feigling.'
"Wer
ist diese Frau?" Félicie tritt einige Schritte zurück.
Eriks Unruhe macht auch sie nervös. Er möchte sie am
liebsten wieder von der Statue wegbringen, wenn nötig sogar mit
Gewalt, das spürt sie. "Ist es Christine?"
"Ich
sollte sie im See versenken, meinen Sie nicht?" murmelt er
fieberhaft. "Ich konnte sie ihr nicht mehr geben. Ein Geschenk
ist schwachsinnig, wenn es niemand empfängt."
"Ich
würde sie an Ihrer Stelle behalten. Als Andenken." sagt sie
nachdenklich. Solch ein Kunstwerk darf man nicht einfach versenken.
"Vielleicht kommt sie eines Tages vorbei, und Sie haben doch
noch die Möglichkeit, die Statue zu verschenken."
Erik
lacht bitter und tastet geistesabwesend die Taschen seines Jacketts
ab.
"Sie
ist mit iRaoul/i
irgendwo in England und heilfroh, wenn sie... mein iGesicht/i
nie wieder sehen muss. Nein, ich werde die Statue zerstören. Wie
Sie die Vase zerstört haben. Ich..." Er bricht ab und
verlässt das Zimmer.
"Aber
das mit der Vase war ein Versehen!" ruft sie ihm hinterher. Sie
weiß nicht, ob sie ihm nun nicht besser folgen sollte, doch als
er zurückkommt, steht sie noch immer wie angewurzelt vor der
Statue. "Was haben Sie vor?"
"Ich
werde die Statue in Stücke schlagen. Wollen Sie zuhören?
Ich sollte sie alle in Stein hauen und dann vernichten, jeden
einzelnen. Nur Javert nicht, der hat sein Teil schon bekommen."
Wütend hebt er den Vorschlaghammer. "Hören Sie..."
und mit einem dumpfen Schlag trifft er die Seite von Christines
Ebenbild und lässt es leicht schwanken. "Sie sollten einen
Schritt zurücktreten, gleich stürzt sie um." Er holt
zu einem neuen Hieb aus.
"Hören
Sie auf! Bitte!" Félicie springt auf ihn zu und versucht,
seinen Arm festzuhalten. "Warum tun Sie das? Hassen Sie sie so
sehr?"
Unsanft
schiebt Erik sie von sich und lässt den Hammer erneut mit voller
Wucht auf den Marmor krachen.
"Oh,
nein, ich könnte sie niemals hassen." Ein weiterer Schlag
lässt die Steinsplitter fliegen. "Ich habe es wirklich
versucht, aber es ging nicht." Ein paar aufgesetzte Verzierungen
werden zerschmettert. "Ich liebe sie mehr als alles auf der
Welt." Der nächste Schlag lässt die Statue kippen und
laut zu Boden krachen. "Doch isie/i
liebt Raoul." Zitternd sinkt er zu Boden und klammert sich an
den Hammerstiel. "Ich hätte nie geboren werden dürfen."
Félicie
tritt zur Seite und drückt sich mit den Rücken gegen die
Wand.
"Aber
irgendwann haben Sie Christine vergessen und finden eine andere, die
es wert ist, von Ihnen geliebt zu werden." flüstert sie
kaum hörbar. "Wenn es Sie nicht gäbe, wären
Magali und ich jetzt tot."
"Sie
wissen nicht, was ich durchgemacht habe." knurrt er erschöpft
und kalt. "Lassen Sie mich jetzt bitte allein."
"Aber
Sie könnten es mir doch erzählen" schlägt sie
leise vor, ohne sich von der Stelle zu rühren.
Erstaunlich
schnell kämpft sich Erik auf die Füße und fasst
Félicie hart am Arm.
"Meine
Mutter hat mich gehasst." zischt er, während er sie zur Tür
zerrt. "Der Mann, der mein Vater sein wollte, hat mich verraten.
Ich bin allein durch ein Meer von Blut gewatet. Ich habe ein Kind
getötet. Ich wurde beinahe vergewaltigt von dem Mann, der mich
in einem iKäfig/i
ausgestellt hat, iwie
ein verdammtes Tier/i!" Die letzten Worte brüllt
er und stößt Félicie dabei aus dem Atelier um die
Tür hinter ihr zuzuschlagen und sich von innen dagegen zu
lehnen, bis die flackernden Punkte vor seinen Augen verschwinden.
Mit
heftig klopfendem Herzen steht sie vor der verschlossenen Tür
seines Ateliers. Sie wagt nicht, jetzt noch einmal zu klopfen und ihn
zu stören. Sie kann sich nicht einmal bewegen, um das Zimmer zu
verlassen.
Warum
sollte man Menschen ausstellen wie Tiere? Sie schüttelte den
Kopf und fröstelt. Er hat versucht, Christines Statue zu
zerstören. Ein Ebenbild der Frau, die er, wie er sagt, mehr
liebt, als alles auf der Welt.
Eine
ganze Weile verharrt sie vor seiner Tür, bis sie sich wieder in
der Lage fühlt, in ihr Zimmer zu gehen.
Müde
setzt Erik seine Maske ab und reibt sich die Augen.
"Schwerer
Fehler." flüstert er "Sehr schwerer Fehler."
'Ganz
im Gegenteil, Dummkopf.'
Er
lehnt den Kopf an die Tür. Schlafen...
"Félicie?"
fragt er nach einer Weile "Sind Sie noch da?" Als keine
Antwort kommt, wankt er in sein Zimmer und legt sich in den Sarg.
Sie
kann nicht zur Ruhe kommen. Das Lesen will an diesem Morgen nicht
glücken und schließlich steht sie wieder auf, um in die
Küche zu gehen. Im Schrank findet sie Milch, die sie auf dem
Herd erwärmt. Schließlich steht sie mit einer Tasse Milch
in der einen und einem Teller mit Honig-Baguette in der anderen Hand
wieder vor Eriks Zimmertür.
"Monsieur
Erik? Darf ich eintreten?"
Mühsam
richtet er sich im Sarg auf.
"Was
wollen Sie?" Seine Stimme klingt wie ein Reibeisen.
"Ich
habe warme Milch und ein Baguette für Sie gemacht..."
Er
stöhnt und greift sich an seinen dröhnenden Kopf.
"Danke,
aber ich habe keinen Hunger."
"Aber
ich habe es nur für Sie gemacht. Versuchen Sie es doch
wenigstens!"
"Félicie,
bitte. Ich kann jetzt wirklich nichts essen."
"Aber
Sie haben mir versprochen, mir ein Lied über Italien
vorzuspielen und ich wollte Ihnen das als Stärkung bringen."
Die erstbeste Ausrede, die ihr einfällt. Sie stellt die Milch
auf einen kleinen Tisch in der Nähe der Tür. "Ich kann
Sie auch wieder in Ruhe lassen."
"Ich
brauche nur noch etwas Schlaf, Félicie." Er lässt
sich zurück auf sein Kissen sinken und schließt die Augen.
"Geben Sie mir zwei Stunden."
Vorsichtig
stellt sie den Teller mit dem Baguette neben die Milch und verlässt
das Zimmer. Sie hat wieder alles falsch gemacht. Vielleicht muss sie
in Zukunft noch besser nachdenken, bevor sie Fragen stellt. Sie setzt
sich mit der Braille-Karte auf die Chaiselongue im Wohnzimmer.
Lange
versucht er, wieder einzuschlafen, doch die Wirkung des Morphiums
reicht dazu nicht mehr aus, und eine weitere Überdosis wäre
zu riskant. Schließlich erhebt er sich mit einem genervten
Knurren und geht ins Wohnzimmer hinüber.
Schwerfällig
lässt er sich neben Félicie auf der Chaiselongue nieder.
"Soll
ich Sie abhören?"
"Ich
fürchte, ich muss noch viel lernen." seufzt sie leise.
"Ja."
Er nimmt ihr die Karte mit den Braille-Buchstaben aus der Hand.
"Sagen Sie das Alphabet auf, ich helfe Ihnen."
