Als die Klingel die Stille zerreißt,
zuckt Erik zusammen und tritt hastig einen Schritt zurück. "Das ist Nadir..." murmelt er
geistesabwesend. "Ich muss ihn über den See holen."
Mit zitternden Händen streicht
sich Félicie eine Haarsträhne hinters Ohr.
"Warst du nicht mehr bei ihm,
nachdem er um das Treffen gebeten hat?"
Er schüttelt den Kopf und versucht
krampfhaft, sich auf Félicies Frage und nicht auf ihr Gesicht
zu konzentrieren.
"Nein... Es... konnte nur mit...
mit Raoul zu tun haben... Der Mann vor der Loge. Erinnern...
erinnerst du dich?" Zögernd reibt er seine Handflächen
gegeneinander, dann streicht er flüchtig über Félicies
Wange und wendet sich ab. "Warte hier."
Während Erik fort ist, setzt sie
sich an das Klavier und spielt mit zitternden Händen eine
Fingerübung.
Sie hat ihn geküsst... hat ihn
umarmt und er hat zugelassen, dass sie ihn küsst. Er ist ihr
nicht wie sonst ausgewichen, wenn sie ihn berühren wollte.
Und wie soll es nun weitergehen? Hat
ihm dieser Kuss etwas bedeutet oder wird sie nur weiterhin als gute
Freundin oder Vertraute in seiner Wohnung leben dürfen? Sie weiß
es nicht, und sie fürchtet sich davor, ihm diese unausweichliche
Frage zu stellen.
"Bon soir, Nadir." begrüßt
er seinen Freund leise und bemüht darum, nicht zu zeigen, dass
er noch immer am ganzen Körper zittert.
Hastig tritt Nadir durch das Tor und
fasst Erik am Ärmel, um ihn zum Boot zu ziehen.
"Warum hast du nicht auf meine
Nachricht reagiert?" fragt er ärgerlich "Du bist in
Gefahr! Raoul ist wieder in Paris und er..."
"Das weiß ich längst."
unterbricht Erik ihn voll Desinteresse und hilft ihm ins Boot. "Ich
weiß auch, dass er seine Frau mitgenommen hat."
Nadir reißt die Augen auf.
"Und das sagst du so ruhig?"
Der Rhythmus seines Ruderns kommt kurz
ins Stocken, als Erik die Schultern hebt.
"Ich habe Madame Chagny einen
letzen Besuch abgestattet. Sie war nicht erfreut, mich zu sehen, also
ging ich wieder, ohne große Umstände zu machen. Ich hoffe,
sie berichtet ihrem Mann davon, und die beiden reisen bald wieder
nach Roumare, wo sie hingehören."
"Erik, was hast du genommen?"
In der Stimme des Daroga klingt echte Besorgnis mit.
"Nur das übliche."
'Und einen Kuss...' ergänzt er in
Gedanken 'Und wenn ich das Haus wieder betrete, wird Félicie
dort auf mich warten... Wird sie...?' Eine plötzliche Furcht
lässt ihn seine Ruderschläge beschleunigen. Was, wenn sie
nun bereut, was sie getan hat? Was, wenn sie...
Eilig öffnet er die Tür und
hastet in den Flur.
"Félicie?" vergeblich
versucht er, die Angst in seiner Stimme nicht deutlich werden zu
lassen "Félicie?" Als er das Wohnzimmer betritt und
sie heil und unversehrt am Flügel stehen sieht, wollen seine
Knie vor Erleichterung nachgeben, doch er reißt sich zusammen.
"Da bist du ja."
Verwirrt runzelt sie die Stirn. Warum
klingt seine Stimme so ängstlich?
Sie macht ein paar unsichere Schritte
neben ihn und tastet nach seiner Hand.
"Was ist mit dir?" fragt sie
leise.
"Nichts." versichert er
hastig und drückt kurz dankbar ihre Hand.
"Bon soir, Mademoiselle Tarissou."
begrüßt Nadir, der diese Szene mit skeptisch gerunzelter
Stirn beobachtet hat, seine - so wird es denn wohl sein -
Gastgeberin.
"Bon soir, Monsieur Nadir."
antwortet sie freundlich und schmiegt sich noch ein wenig näher
an Erik. "Was führt Sie zu uns?"
"Raoul." antwortet dieser für
Nadir. "Er hat sich wieder einmal in den Kopf gesetzt, dass er
mich töten muss, um Christine behalten zu können."
Nadir knurrt missmutig, mustert aber
Félicie mit großem Interesse.
"Nimm es nicht so auf die leichte
Schulter, Erik. Der Junge ist wirklich sehr aufgebracht, und er wird
nicht so einfach aufgeben."
"Das kann ich mir denken."
Erik seufzt und halb ernsthaft schlägt er vor: "Vielleicht
sollten wir dem Haus de Chagny einen Freundschaftsbesuch abstatten."
Félicie zieht die Stirn kraus.
Es gibt Menschen, die möchte sie nicht kennenlernen, nicht
einmal um ihnen zu zeigen, dass Erik jetzt nicht mehr an Christine
interessiert ist. Schließlich schüttelt sie den Kopf.
"Nein, besser nicht." murmelt
sie leise. "Aber Monsieur Nadir, wenn dieser Raoul Erik töten
will... sind wir dann hier unten noch sicher vor ihm? Und was ist mit
der Sûreté? Früher oder später wird jemand
vielleicht doch hierher finden."
Nadir verzieht den Mund und wirft einen
Blick auf Erik, der in diesem Moment jedoch nur Augen für
Félicie zu haben scheint.
"Ich denke, das Labyrinth ist
sicher. Mehr Gedanken würde ich mir über die Oberwelt
machen."
Sie drückt Eriks Hand ein wenig
fester.
"Wenn Raoul nicht aufgibt, werden
wir noch besser darauf achten müssen, dass uns niemand hier
unten entdeckt." seufzt sie verzweifelt "Vielleicht wäre
es besser, wenn wir Paris so schnell wie möglich verlassen"
"Nadir... du möchtest sicher
einen Tee?" fragt Erik plötzlich, und ohne eine Antwort
abzuwarten, zieht er Félicie hinter sich her in die Küche.
Er schließt die Tür und lehnt sich von innen dagegen.
Zögernd streichelt er ihre Wange. Wenn er nur die wirren Gefühle
in seinem Innern, die ihn zu dieser kleinen Entführung
veranlassten, durchschauen und zu einer konkreten Frage formulieren
könnte. So bleibt er stumm und hofft, dass Félicie etwas
sagt, ehe das Schweigen unbehaglich wird.
Mit klopfendem Herzen steht sie ihm
gegenüber und wartet ebenfalls darauf, dass er etwas sagt.
Félicie lächelt und rückt ein Stück näher
an ihn. Als sie ihr Gesicht an seines schmiegen möchte, spürt
sie seine kalte Maske und seufzt.
"Musst
du dieses Ding unbedingt tragen?"
Erik versteift sich leicht.
"Ich muss Rücksicht auf
meinen Besuch nehmen." antwortet er und schiebt sie unsicher von
sich "Außerdem muss ich Tee machen."
Schnell tastet sie nach seiner Hand und
lässt ihn nicht noch weiter von sich.
"Sie
stört, wenn ich dich küssen möchte." flüstert
sie, dreht ihn zu sich und nimmt ihm die Maske vom Gesicht, um ihn
wieder an sich zu ziehen.
Ihre Worte und ihre Berührung
jagen einen warmen Schauer über Eriks Rücken. Sie bereut
nichts. Im Gegenteil. Er fühlt sich plötzlich sehr frei und
schließt die Augen, um sich Félicies Zärtlichkeit
ganz hinzugeben.
Irgendwann löst sie sich wieder
von ihm und lässt ihren Kopf auf seiner Brust ruhen.
"Erik, ich habe Angst."
murmelt sie kaum hörbar "Selbst wenn Raoul dich nicht
findet, wer sagt dir, dass die Sûreté es nicht tut? Wenn
einer von ihnen schon in dieser Falle war..." Sie erschauert
"Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt."
Kopfschüttelnd lässt er sich
gegen die Tür sinken und hält Félicies Hände
umklammert.
"Warum hast du solche Eile? Du
willst, dass ich mit dir meine Oper verlasse, mein ureigenes
Zuhause... Und was wird dann? Was wird aus Magali? Was... wird aus
uns?"
"Wir können hier nicht
bleiben." flüstert sie traurig "Nicht, solange halb
Paris nach dir sucht. Wir suchen uns ein Häuschen in der
Bretagne... und Magali nehmen wir mit. Das heißt..." Ihr
Gesicht verdüstert sich ein wenig. "Wenn du mich für
immer an deiner Seite ertragen könntest..."
Langsam lässt Erik sich in die
Hocke nieder und schaut zu Félicie auf.
"Möchtest du denn mich
ertragen?" fragt er leise.
"Natürlich" sagt sie,
als sie es das Selbstverständlichste der Welt.
Leise beginnt er zu lachen, während
sich Tränen in seine Augen stehlen.
"Das ist schön." Er
steht wieder auf und legt seine Arme um Félicie. "Ich
glaube, du hast mir gerade das Leben gerettet." flüstert er
gegen ihre Schulter.
Sie lächelt zurückhaltend.
"Wir sollten Monsieur Nadir nicht
zu lange warten lassen. Vielleicht ist es das letzte Mal, dass er
dich besuchen kann." Sie macht sich daran, Wasser zu erhitzen
und beißt sich nachdenklich auf die Lippen. "Wir sollten
uns wirklich nicht allzu viel Zeit lassen. Der tote Mann und Raoul
sind deutliche Zeichen. Wie schnell denkst du, haben wir genügend
Geld, um Paris zu verlassen?"
Erik seufzt, öffnet die Küchentür
und räuspert sich.
"Ich kann den Tresor der Oper in
fünf Minuten aufbrechen." Er lässt den Blick durch das
Wohnzimmer schweifen. Sein einziges wirkliches Zuhause. Ein
sonderbares Gefühl beschleicht ihn und er dreht sich kurz nach
Félicie um. Doch dann verlässt er stumm die Küche
und geht zu Nadir.
"Ich werde Paris verlassen."
verkündet er ruhig.
Félicie, die mit dem Tee
zurückkommt, räuspert sich leise und lächelt.
"iWir/i
werden Paris verlassen." verbessert sie ihn sanft "Meinst
du, wir könnten Jules bitten, Magali zu holen? Oder nein..."
unterbricht sie sich bei dem Gedanken an eine neuerliche Begegnung
mit Jules' Frau "... wir könnten sie selbst holen,
nachher." Sie serviert Nadir den Tee.
Der schaut Erik mit hochgezogenen
Augenbrauen an, bekommt aber nur ein ratloses Schulterzucken zur
Antwort.
"Und das hat alles Zeit bis
morgen, Félicie." er nimmt ihre Hand. "Bis morgen
sind wir hier unten noch sicher, das verspreche ich dir."
"Erik, nein." Sie streicht
mit den Fingerspitzen über seinen Handrücken "Wir
können nicht länger warten. Wenn mir Raoul gestern bereits
vor der Loge begegnet ist, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis
er dich findet. Und wenn sie kommen, dann möchte ich Magali bei
mir haben, damit wir schnell aufbrechen können." Sie seufzt
tief "Vielleicht könntest du Jules beauftragen, dir alles
nachzuschicken, wenn du ein Haus gefunden hast." Ihre Hände
beginnen, immer heftiger zu zittern. Sie kann doch nicht zulassen,
dass sich Erik in Gefahr begibt.
Nachdenklich schaut Erik sie an.
"Du hast tatsächlich Angst."
murmelt er schließlich. Er seufzt und zieht Félicie auf
die Chaiselongue neben sich. "Wir können Magali sofort
holen, sobald Nadir seinen Tee ausgetrunken hat."
Unruhig zwingt sie sich, neben Erik
sitzen zu bleiben, nicht einfach aufzustehen, und schon Dinge
zusammenzusuchen, die ihr wichtig geworden sind. Auch sie hat Angst,
Paris zu verlassen, doch noch größer ist ihre Angst davor,
dass Erik etwas zustoßen könnte. Sie lehnt den Kopf an
seine Schulter und genießt seine Wärme.
Der Weg über dem See verläuft
schweigend und schließlich hört sie, wie Erik das Tor zur
Rue Scribe öffnet. Sie umklammert seinen Arm und lächelt
Nadir ängstlich zu.
"Leben Sie wohl, Monsieur. Und
wünschen Sie uns Glück!"
"Ich wünsche Ihnen alles
Glück der Erde, Mademoiselle Tarissou." antwortet Nadir
lächelnd und legt seine Hand kurz auf Eriks Arm. "Und auch
dir, alter Freund. Leb wohl."
Erik nickt.
"Leb wohl, Nadir."
In diesem Moment hört Félicie
ein Geräusch, das sie zusammenfahren lässt. Jemand
versteckt sich hinter der Ecke an der Rue Scribe und es ist kein
Tier. Sie will Erik warnen, doch im selben Augenblick hört sie
schon, wie der Hahn eines Revolvers gespannt wird. Eine Stimme sagt
laut: "Bleiben Sie stehen, Erik! Es ist vorbei!"
Sie
kennt diese Stimme. Es ist die des Mannes, der sie vor der Loge
angesprochen hat. iRaoul/i!
"Mademoiselle, gehen Sie zur
Seite. Und Sie auch, Monsieur Khan. Wenn Sie kooperieren, werden wir
Ihnen nichts tun!"
Félicie schüttelt den Kopf
und klammert sich noch stärker an Eriks Hand, aber da sind
plötzlich noch andere Männer, die sie von Erik wegreißen.
Sie versucht, sich zu wehren, aber die Männer sind stärker.
Also schreit sie aus Leibeskräften und tritt um sich, so dass
beide Angreifer Schwierigkeiten haben, sie zu halten. Doch schon sind
ihre Arme auf ihren Rücken gedreht, und eine schweißige,
nach Herrenparfum riechende Hand presst sich auf ihren Mund, um ihre
Schreie zu ersticken.
"Monsieur de Chagny, Sie haben
kein Recht, sich derart..." beginnt Nadir erbost, doch Raoul
schneidet ihm mit einer Geste seines Revolvers das Wort ab.
"Schweigen Sie, Monsieur Khan, ich
würde meinen Männern nur ungern befehlen, grob mit einem
alten Mann. Und nun zu Ihnen Erik! Was hat Sie dazu verleitet, meine
Frau noch einmal aufzusuchen, nachdem sie Ihnen doch sehr deutlich zu
verstehen gegeben hat, dass Sie ihr nichts bedeuten?"
Erik ballt die Hände zu Fäusten
und richtet sich zu seiner vollen Größe auf.
"Ich habe mich endgültig von
ihr verabschiedet, Monsieur. Wenn Sie nun Ihren Freunden befehlen
könnten, Mademoiselle Tarissou loszulassen, wäre ich Ihnen
sehr verbunden."
Félicie zittert vor Angst und
Wut. Sie steht nur wenige Meter von ihm entfernt und kann Erik doch
nicht helfen.
"Wie soll ich Ihnen das glauben?"
knurrt Raoul unbeeindruckt "Sie haben sie immer wieder gefunden.
Nur weil plötzlich eine andere Frau an Ihrer Seite steht – ich
traue Ihnen nicht... und Christine tut es auch nicht. Auf
Nimmerwiedersehen, Monsieur le Fantôme."
Und dann schießt er. Zweimal, und
jedes Mal fühlt Félicie sich, als würde ihre eigene
Brust getroffen. Sie weiß nicht, was geschehen ist, weiß
nicht ob Raoul Erik tatsächlich getroffen hat. Sie hört
sich selbst schreien und kann sich endlich dem Griff der Männer
entwinden.
Der Schmerz dringt nur gedämpft
durch Eriks Morphiumrausch, doch der Aufprall der beiden Kugeln - die
eine in seiner linken Schulter, die zweite in seinem linken Arm -
lässt ihn zurücktaumeln. Aus kalten Augen starrt er Raoul
an. So viel würde er diesem selbstgerechten Bürschchen
entgegenspucken, müsste er nicht für Félicie am
Leben bleiben. Er keucht. Dann geben seine Knie nach und das letzte,
was er hört, sind Raouls zufriedenes Lachen und Félicies
panisches Schluchzen an seinem Ohr.
Selbst, als sie hört, dass er noch
schwach atmet, kann sie sich nicht beruhigen. Sie springt auf und
stürzt sich auf Raoul. Nicht einmal seine Freunde können
sie dieses Mal halten. Wütend schlägt sie nach ihm, trifft
sein Gesicht, seine Brust.
"Sie widerlicher arroganter
Mistkerl! Was haben Sie getan? Sie greifen einen unbewaffneten Mann
an. Er hat Christine nichts getan! Er interessiert sich nicht mehr
für sie. Ist Ihre Frau zu selbstgefällig, um das zu merken,
oder sind Sie es?" Raoul versucht, sie mit einer Hand von sich
zu schieben, doch sie wirft sich dagegen, zerkratzt sein Gesicht mit
den Fingernägeln und hört wie durch einen dichten Nebel,
dass er leise vor Schmerz keucht. "Sie verdammter
iHurensohn/i!" Sein Revolver – er hat noch immer seinen
Revolver in der Hand...
Raoul kann sich nicht erklären,
wie seine Waffe plötzlich in die Hände der blinden Frau
gelangt ist, doch nun spürt er eindeutig den Lauf des Revolvers,
der direkt auf seine Brust gedrückt wird.
"Verschwinden Sie! Nehmen Sie Ihre
gekauften Freunde und Ihr verwöhntes kleines Frauchen und
verlassen Sie Frankreich bevor ich dieses Ding wirklich benutze!"
faucht sie. Sie hat nicht wirklich erwartet, dass etwas geschieht,
doch tatsächlich weicht Raoul einige Schritte vor ihr zurück.
"Edouard, Claude!" Auch
Raouls Gehilfen gehen nur langsam, aber schließlich legt sie
zitternd die Waffe auf den Boden und stolpert an die Stelle zurück,
an der Erik bewusstlos am Boden liegt. Zitternd und schluchzend sinkt
sie neben ihm nieder.
"Er lebt noch, Mademoiselle, aber
wir sollten ihn so schnell wie möglich ins Haus zurückbringen;
ich muss seine Wunden untersuchen, und der Lärm hat
Aufmerksamkeit erregt."
Zögerlich hebt Félicie den
Kopf, lauscht, lauscht, doch sie hört nichts, außer dem
üblichen, nächtlichen Straßenlärm. Wenn jemand
tatsächlich etwas gehört hat, dann ignoriert er es ebenso
gut, wie die Menschen, die in ihrem Armenviertel gelebt haben.
Er erwacht von einem brennenden,
beißenden Schmerz, der seine Schulter und seinen linken Arm
durchzieht. Hastig kämpft er sich in eine aufrechte Haltung und
blinzelt, um ein klares Bild vor die Augen zu bekommen.
Von seiner plötzlichen Bewegung
aus dem Halbschlaf gerissen, schreckt Félicie hoch und dreht
sich zu ihm.
"Erik?
Wie geht es dir? Ich hatte solche Angst um dich" flüstert
sie und löst ihre Finger zum ersten Mal seit Stunden von seiner
Hand, um sein Gesicht zu berühren.
"Félicie" Er blickt
sich um und erkennt, dass er sich in Félicies Zimmer unter der
Oper befindet. Er schließt die Augen wieder und stöhnt
leise. "Meine Schulter... Sind wir allein?"
Sie schüttelt den Kopf.
"Monsieur Nadir ist im Wohnzimmer.
Ich glaube er ist dort eingeschlafen... aber ich konnte nicht gehen.
Ich dachte du stirbst!" Sie schluckt den Kloß herunter,
der sich in ihrem Hals bildet. "Erschreck mich nie wieder so,
hörst du?"
Seine Hand zittert, als er über
Félicies Wange streicht. Er lächelt müde.
"Bist du so gut und holst mir das
Kästchen aus der linken Schublade meines Sekretärs? Ich
glaube nicht, dass ich schon aufstehen kann..."
Félicie nickt und steht gehorsam
auf, um zu tun, was er ihr aufgetragen hat. Zurück in ihrem
Zimmer legt sie Erik das Kästchen in den Schoß.
"Ich hätte es nicht ertragen,
dich zu verlieren." murmelt sie schwach.
Erik legt das Kästchen zur Seite
und nimmt zögernd Félicies Hand.
"Was sagst du da?" flüstert
er heiser "Félicie?"
"Ich liebe dich, Erik." sagt
sie nur.
Stumm bricht er in Tränen aus und
zieht sie an sich.
"Und ich liebe dich."
