Das Dorf bestand aus 20 oder 30 kleineren runden, mit Lehmziegeln gedeckten Holzhütten, die sich in einem kleinen, lichten Wäldchen versteckten. Eine einzelne staubige Straße führte in Schlängellinie hindurch. Trampelpfade oder dergleichen gab es nicht. Es herrschte mäßiger Verkehr. Männer und Frauen trugen geschlagenes Wild, Kinder liefen umher und jagten sich gegenseitig. Sie waren die einzigen, die über den Rasen zwischen den Hütten liefen. Vor jeder der Hütten gab es eine Feuerstelle, auf der fast bei allen das eine oder andere Stück Fleisch gegart wurde. Ein alter oder eine alte Shararrim kümmerten sich um das Feuer und das Fleisch. Irgendwo blökten Schafe.

Ein leichter Wind säuselte durch das Dorf und trug den Duft von Wacholder und tiefem Wald vor sich her. Die Straße, die durch das Dorf führte verschwand in Richtung Norden in den karstigen, steilen Bergen und im Süden verschwand sie in einem dunklen Wald, der ebenfalls Berge bedeckte.

Amentio wurde von den Bewohnern das kleinen Dorfes misstrauisch beäugt und die Kinder zeigten mit den Fingern auf ihn. Einige fauchten leise, aber vernehmlich oder flohen in die Häuser.

Einer rief Fil'yanas Namen und redete dann fast eine Viertelstunde auf sie ein und wies dabei mehrmals auf Amentio. Fil'yana antwortete ruhig und gelassen und mehrmals fiel dabei Viashnos Name, doch ihre Augen verengten sich immer wieder. Das schien dem Andere, gekleidet in eine leichte Lederweste und Lederhose sehr zu missfallen, was er von ihr hörte und sein Ton wurde fauchiger und gereizter.

Ich sah mich auf dem Dorfplatz, auf dem wir standen, ein wenig um.

Selbst hier waren keine Steine verlegt. Das einzige Bauwerk aus Stein war der Brunnen, der wohl nicht nur das örtliche, sondern auch das Zentrum des Dorflebens war. Er war überdacht und mit wildem Wein überwuchert. Auf den niedrigen Bänken, auf die sich die Shararrim nach Katzenart hinhockten, ohne jedoch die Arme zu belasten, so dass sie mit ihnen gestikulieren und nach den Wasserbechern greifen konnten. Ein großes, rundes Haus schien so etwas wie das Ratsgebäude zu sein.

Der Streit hinter ihm war wieder abgeflaut und der in Leder Gekleidete war fauchend von dannen gezogen.

„Hier entlang" wies ihn Fil'yana an und führte ihn in Richtung Westen. Sie traten aus dem Wald heraus auf eine saftige, blumenübersäte Wiese, die leicht ansteigend an einem steilen Hang endete. Oben auf dem Hang wuchsen Bäume. Sie wanderten auf der Wiese zwischen den Schafen hindurch bis sie vor einem großen Steinhaufen standen, der zwischen einigen Wacholdersträuchern versteckt lag.

„Worum ging es in der Unterhaltung?" wollte Amentio wissen.

„Einige der Dorfbewohner sind nicht gerade glücklich mit dem, was vor vier Tagen hinter diesem Hügel da passiert ist" erwiderte sie und wies dabei auf den Hügel, der sich vor ihnen erhob. „Andere sind jedoch der Meinung, dass es gut so war und nehmen gerne in Kauf, dass sie jetzt wieder einige Tage in den Bergen verbringen müssen."

„Er gehörte zur ersteren Sorte, nicht wahr?"

„Ja. Dazu kommt, dass sein Vater gegen meinen bei der Wahl des Ältesten nur knapp verloren hatte, und er nun jede Möglichkeit nutzt, um Streit vom Zaun zu brechen" seufzte sie. „Das wird uns noch den Frieden kosten."

„Kommen die Pupurnen oft hierher?"

„Eigentlich nicht. Nur ihr Heer, dass in dieser Region von Arensia patrouilliert kommt ab und zu hierher, um Tribut zu kassieren und manchmal um einige von uns zu versklaven."

„Um Euch zu versklaven? Wehrt ihr Euch denn nicht?"

„Nein. Mein Vater hat mir mal erzählt, was passiert war, als ein anderer Stamm sich dagegen gewehrt hat. Sie haben keinen am Leben gelassen" fröstelte sie. „Und weil wir nicht wollen, dass uns das ebenfalls passiert, geben wir einige als Sklaven hin."

„Ihr gebt sie hin?"

„Ja. Außerhalb unseres Dorfes gibt es einen Platz, auf dem wir früher, so sagt mein Vater, Wettkämpfe ausgetragen haben, um den Besten von uns zu küren. Heute dient er dazu, den Schlechtesten unter uns zu finden, und als Sklaven abzugeben."

Sie schwiegen eine Weile, bis Fil'yana sie einen Ruck gab.

„Hier haben wir sie begraben."

Der Steinhaufen war gut und gerne anderthalb Schritt hoch und bestand aus etwa faustgroßen Steinen.

Fliegen summten.

Der Wind ließ die Blätter wispern.

Amentio sank in die Knie und blieb mit gebeugtem Rücken sitzen. Seine Augen wurden feucht. Doch er hatte keine Tränen mehr. Er wusste nicht warum er so traurig über ihren Tod war. Er wusste nicht, warum sie ihm soviel bedeutete. Die Sonne wanderte ein kleines Stück weiter während er da saß und in Schweigen gehüllt war. Der Wind flaute ab und eine drückende Hitze machte sich breit.

„Kanntest Du sie?"

„Ja. Ich glaube schon. Sie lag auf dem Schlachtfeld und sie hatte die gleiche Rüstung an wie ich. Sie war so schön..."

„Weißt Du, wie sie hieß?"

„Nein."

„Das ist seltsam."

„Wo habt ihr uns gefunden?"

Sie stand auf und ging etwa 10 Schritt auf den Hang zu und deutete auf eine Stelle am Boden.

„Hier. Hier lagt ihr. Sie auf Dir. Ihr Blut floss in Deinen Mund."

Amentio stand auf und ging zu ihr hin, sah den großen, eingetrockneten Blutfleck auf dem Boden.

„Wo sind eigentlich meine Rüstung und meine Waffen?" wollte er wissen

Sie trat leise neben ihn:

„Wir haben sie in unserem Haus. Die ihren haben wir mit begraben."

„Werde ich sie wiederbekommen? Wenn ich Euch verlassen soll, wäre das sicher nützlich."

„Ja. Mein Vater wird sie Dir morgen wieder geben, wenn Du sie wieder haben willst."

„Gut" antwortete er. „Ich will Euch nicht noch mehr Ärger machen, als ich ohnehin schon verursacht habe."

Die Sonne versank langsam rotglühend hinter dem Hang im Westen. Das Blöken der Schafe, die ganze Zeit über nah, entfernte sich und überließ dem Insektensummen und Blätterrascheln die Geräuschkulisse.

„Wir sollten zurückkehren. Es wird bald dunkel."

„Ja."

Schweigend machten sie sich auf den Rückweg. Während sie zum Dorf zurückkehrten ging die Sonne endgültig unter und im Osten zogen die ersten Sterne auf. Nur noch Grillenzirpen erfüllte die Nacht und ab und an vielleicht das Rufen einer Eule. Die Feuer vor den Rundhütten waren nicht verloschen. Um sie herum saßen die Familien und aßen zu Abend. Auch vor der Rundhütte Fil'yanas saßen Viashno und seine Frau vor dem Feuer und aßen. Brutano war nirgends zu sehen.

Fil'yana nickte ihren Eltern zu und setzte sich. Viashno bedeutete Amentio sich ebenfalls zu setzen und seine Frau bot ihm eine Schüssel mit Fleisch an, die er dankbar nickend entgegennahm.

„Was hast Du vor?" ließ Viashno seine Tochter fragen.

„Ich weiß noch nicht recht" antwortete Amentio. „Ich denke, ich werde in einer der Menschenstädte gehen. Ich wüsste mir sonst keinen Rat."

„Nun, ich muss ehrlich gestehen, ich auch nicht" antwortete Viashno über seine Tochter. „In Ambar gibt es eine Akademie der Menschen, vielleicht kann man Dir da weiterhelfen."

„Wenn Ihr mir sagen könnt, wie ich dahinkomme, werde ich es versuchen."

„Nun, das wird schon schwerer" seufzte ihr Vater. „Der Weg dorthin ist weit und gefährlich. Weiter im Süden, in der kleinen Stadt Sangarosso gibt es einen kleinen Handelspunkt. Von dort aus kannst Du Dich einem Händlertreck anschließen. Du scheinst ganz gut mit dem Schwert umgehen zukönnen. Vielleicht kannst Du Dich als Söldling verdingen, denn Geld wirst Du auf jeden Fall brauchen."

„Wie weit ist es bis dahin?"

„Nun, nicht sehr weit. Drei oder vier Tagesreisen, mehr nicht. Wenn Du nichts dagegen hast, wird Dich Fil'yana begleiten, denn sie kennt den Weg und die Gefahren sehr gut."

„Ich wäre dafür sehr dankbar, kenne ich mich in dieser Welt noch sehr wenig aus."

„Gut. Dann gehe heute früh schlafen, denn Du wirst Deine gesamte Kraft für den Weg gebrauchen können."

Schweigen aßen sie weiter. Frischer Wind kam auf und trug den Geruch des Schlachtfeldes herüber. Aber nur schwach und von Wald und Wacholder überdeckt. Bleich und weiß ging der Mond auf und tauchte alles in ein bläuliches Licht. Viashno und seine Frau wünschten ihnen eine gute Nacht und zogen sich zurück.

„Willst Du überhaupt mitkommen?" fragte er Fil'yana.

„Ja. Es ist gut, dass ich mal wieder wegkomme" antwortete sie. Hier ist es sehr schön, aber ich wollte schon immer reisen. Deswegen bin ich auch die Einzige hier, die schon mal in Ambar war."

„Bist Du weggelaufen?"

„Ja" lächelte sie. „Ich bin eines Tages weggelaufen. Und bin für fast drei Jahre verschwunden. Ich habe in Ambar gelebt. Dort gibt es noch andere Shararrim. Bei denen habe ich gewohnt und auch gearbeitet."

„Was hast Du dort gemacht?"

„Oh. Ich war eine Knochenmeisterin. Einige der Shararrim dort jagten seltene Tiere für die Menschen und für die Echsen. Ich habe die Knochen der Tiere zusammengebaut, nachdem die wertvolleren Teile entfernt worden sind. Echsen finden so etwas sehr schön und wertvoll und bezahlen nicht gerade wenig Geld dafür. Menschen interessieren sich eher für Mittel, die ihre Manneskraft steigen lassen. So habe ich auch die Sprache der Menschen und der Echsen gelernt."

„Und warum bist Du wieder zurückgekehrt?"

„Ich hatte Sehnsucht nach zu Haus" erwiderte sie. „Den meisten Shararrim missfällt es, wenn sich Dinge verändern. Und so auch mir. Wir leben noch so, wie es uns unsere Vorfahren geboten. Wir gehen immer die selben Pfade und trinken immer aus dem gleichen Brunnen. Wir tragen fast immer die gleiche Kleidung und halten an unseren Traditionen fest. Ich weiß nicht, ob das gut ist. Heute verändern sich sehr viele Dinge schnell. Nachrichten erreichen uns hier gar nicht. Wer weiß, wie die Welt jetzt wieder aussieht und was in den vergangenen vier Jahren, die ich wieder hier lebe, geschehen ist."

„Willst Du deswegen mitkommen?"

„Ja, deswegen auch."

„Was ist der andere Grund?"

„Ich will weg von hier."

„Warum, hier scheint es doch noch ganz friedlich zu sein."

„Oh nein. Das mag für Dich den Anschein haben, aber ich kann hier keine ruhige Stunde mehr verleben."

Amentio sah sie erstaunt an.

„Du hast doch heute Brutano gesehen, oder?" fuhr sie fort.

„Ja."

„Nun, dieser Shararrim will, dass ich seine Jungen gebäre."

„Magst Du ihn etwa nicht?"

„Darauf kommt es bei uns nicht an. Bei uns suchen die Väter die Männer für ihre Töchter aus. Und die Frauen für ihre Söhne. Brutano aber ist Waise und deswegen hat er es schwer auf Brautschau zu gehen. Aber was noch viel schlimmer ist, er war einst ein Sklave bei den Purpurnen. Ich hege große Zweifel daran, ob er als Vater geeignet wäre. Mein Vater teilt diese Zweifel, denn normalerweise hört er auf mich. Aber er ist alt und schwach und wer weiß, was ihm Brutano einflüstert, damit er mich bekommt. Deswegen will ich auch weg."

„Wohin?"

„Ich weiß es noch nicht. Erst einmal nach Ambar. Dann werde ich weitersehen."

Das Feuer zwischen ihnen knackte leise und ein paar Funken erhoben sich kleinen Sternen gleich in den Himmel, um dort zu verlöschen. Es wurde am Rücken mittlerweile empfindlich kühl und der Wind frischte noch mehr auf. Die Blätter raschelten im Wind und trug die größeren Funken weit fort. Nur noch wenige Feuer leuchteten in der Dunkelheit.

„Wann werden wir morgen losgehen?" wollte Amentio wissen.

„Ich denke, die Zeit kurz nach Sonnenaufgang wird wohl die beste sein" antwortete Fil'yana. „Wir sollten bis zum Höhlenberg kommen. Das Wetter ist unwirtlich und eine Höhle ist besser als der bloße Himmel. Aber der Weg ist weit, wir müssen also schnell laufen."

„Nun, dann werde ich jetzt schlafen gehen, wenn Du mir meine Schlafstatt zeigst. Bitte."

Fil'yana erhob sich und winkte ihn ins Haus.

„Folge mir" hörte er ihre Stimme in absoluter Finsternis.

„Ich sehe nichts" erwiderte er.

„Nimm meine Hand. Ich führe Dich."

Er spürte, wie eine Hand mit weichem Fell die seine berührte und sie nahm. Dann fühlte er einen leichten Zug, dem er folgte. Leise tappten sie so durchs Haus und sie führte ihn in wahrscheinlich die Kammer, in der er schon vier Nächte verbracht hatte.

„Wir sind da. Leg Dich hin und schlaf die aus."

Er wurde zu diesem Nestbett geführt und streckte sich darauf aus.

Nur noch im Halbschlaf nahm er war, wie sie ihm eine gute Nacht wünschte.