Amentio erwachte in der kleinen kühlen Rundhütte, als er merkte, dass jemand an sein Bett getreten war. Fil'yana beugte sich zu ihm hinunter und schnurrte leise:

„Es ist Zeit aufzustehen. Wir müssen bald aufbrechen. Ich hoffe, Du hast gut geschlafen."

„Ja, danke. Ich... ich hatte nur einen seltsamen Traum. Ich kann mich aber nicht erinnern."

Er schwang seine Beine über das Bett. Und zog wieder die weißen Leinenkleider über, die er schon gestern getragen hatte.

„Ja, Du hast mehrmals in der Nacht gelacht. Wie ein Kind."

„Seltsam. Aber ich kann mich wirklich nicht erinnern, was ich geträumt habe."

„Nun gut" flüsterte sie. „Es gibt gleich Frühstück."

Sie richtete sich wieder auf und verschwand mit leicht wedelndem Schwanz aus dem Zimmer. Durch das Fenster drang nur das leise Piepen von wenigen Vögeln. Es war noch Dunkel, nur ein dünner, rosiger Streifen über den Bergen im Westen kündigten den Sonnenaufgang an. Das Dorf schlief noch.

Nicht aber dieses Haus. Die Frau Viashnos hantierte schon wieder in der Küche und briet Fleisch.

Fleisch schien hier das Hauptnahrungsmittel zu sein. Aber was erwartet man schon bei großen Katzen, dachte Amentio bei sich. Nur weil sie größer waren, würden sie bestimmt nicht anfangen Gemüse zu essen.

Das Frühstück bestand aus Schafsfleisch und Schafsmilch und wurde weitestgehend schweigend eingenommen. Neben der Tür lag ein großer Sack bei dem ein Stab und ein Schwert standen.

Nachdem sie fertig gegessen hatten stand Viashno auf und überreichte Amentio seine Rüstung und seine Waffen und ging wieder in den rückwärtigen Teil des Hauses. Seine Frau folgte ihm.

Fil'yana stand auf und bedeutete ihm, ihr zu folgen.

„Du musst Deine Rüstung vor dem Haus anziehen, denn es bringt Unglück, wenn man Kriegsgerät im Haus anlegt."

Draußen war es kühl und still. Nur ein paar Vögel waren erwacht, piepten und zwitscherten leise. Weit hinter den Bergen im Osten wurde der Himmel ein wenig heller. In blasses Lila stieg auf. Im Westen stand noch eine Bastion der Dunkelheit, nur erhellt von einigen wenigen Sternen.

Dünne Wolken zogen über das kühle Firmament.

Im Dorf schliefen noch alle, nirgends brannte Licht und alle Feuer waren erloschen und ließen nur kleine Rauchsäulen aufsteigen.

Amentio zog sich still und leise vor dem Haus an, während Fil'yana noch einmal in Haus zurückgekehrt war, um etwas zu Essen zu holen.

Als sie wieder draußen neben ihm stand, gingen sie los.

Sie erklommen den Berg in westlicher Richtung, denn da sollte man nach Ambar kommen. Je höher sie steigen, desto heller und wärmer wurde es.

Hinter den Bergen im Osten war die Sonne aufgegangen und ließ hier in diesem großen, stillen Wald die Nebel, die am Boden entlang krochen, orange aufleuchten und den Tau, der im feinen Gras und in Spinnenweben hing, glitzern wie Perlen.

Die Bäume hier hatten allesamt dicke, runde und knorrige Stämme und ausladende Kronen. Sie sahen fast aus wie tausendjährige Eichen, nur die ovale und gezackte Blattform stimmte nicht. Die Bäume standen weit auseinander und zwischen ihnen wuchs Gras und dünnes Gesträuch. Dichtes Unterholz gab es hier nicht. Überall schien die Sonne durch das Blätterdach und malte Kringel und Kreisel auf den Boden.

Langsam wurde das Gebiet felsiger. Zunächst waren es nur kleine graue Brocken, die aus dem Boden lugten, doch bald wurden es riesige Felsblöcke, zerschunden von Regen und Pflanzen, bewachsen mit Moos und kleinen Bäumen, die ihre Wurzeln in Spalten und Ritzen trieben und so den Fels sprengten.

Leise wogten die Kronen im Wind und ab und an sahen sie ein Tier davonhuschen.

Fil'yana ging vorneweg und schaute sich immer wieder um. Ihre Ohren drehten sich nach jedem Geräusch und mehr als einmal schnupperte sie in die Luft. Ihr Schwanz bewegte sich erregt.

Amentio ging hinter ihr her und schaute sich nur manchmal neugierig um. Ansonsten herrschte Schweigen.

Dann, nach vier Stunden Kraxelei kamen sie auf einen Felsvorsprung, auf dem sie eine kleine Rast machten. Von weiter oben kam ein kleiner Bach herabgeplätschert und speiste einen kleinen See, in dem kleine Fische schwammen und sich zwischen den Wasserpflanzen versteckten.

Von hier oben konnte man das gesamte Tal überschauen. Unten war, noch ein wenig von Nebel umhüllt, das Dorf der Shararrim zu sehen, das mittlerweile vollkommen erwacht war. Östlich des Dorfes konnte man die Schafweide erkennen und im Dorf selbst herrschte wieder morgendliche Betriebsamkeit.

Fil'yana sah nach unten und seufzte leise.

„Was ist?" wollte Amentio wissen.

„Ach, es ist – nichts" erwiderte sie. „Nichts. – Es ist bloß, ich werde, glaube ich, kaum zurückkehren."

Amentio schwieg. Solche Gespräche behagten ihm nicht. Wusste er doch selbst nicht, was es zu tun galt. Er kramte in seinem Beutel herum und fischte ein kleines Stück Fleisch heraus und wollte es gerade verspeisen, als sie ihn ansah.

„Wir sollte unser Essen einteilen" meinte sie. „Wir sind noch nicht sehr weit gekommen und wir haben noch eine lange Wegstrecke vor uns."

Wortlos schob er das Fleisch wieder in den Rucksack zurück und stand auf, um zum Teich zu gehen und etwas Wasser zu trinken.

„Lass uns weitergehen."

Er stand auf und folgte ihr.

Der Weg, den sie nahmen führte sie in einer sanften Steigung immer höher ins Gebirge.

„Hier sollten wir vorsichtig sein" warnte sie ihn. „Es gibt hier das eine oder andere Wolfsrudel. Sie mögen Angst und Scheu vor den Menschen zeigen, aber vor uns, den Shararrim haben sie keine Angst. Also, sieh Dich auch um, damit wir gewarnt sind."

Leise nickte Amentio und begann, sich ebenfalls aufmerksamer umzuschauen.

Der Weg wurde flacher und bequemer gangbar, als sie auf dem Kamm des kleinen Gebirges angelangt waren, der aber immer noch im Wald verlief. Das Gebirge war ja auch nicht sehr hoch.

Sie liefen vorsichtig weiter, hielten ab und zu an, um durch den Wald zu spähen und Fil'yana ging manchmal in die Hocke, wohl nach Spuren Ausschau haltend. Doch jedes Mal kam sie mit einem beruhigenden Schnurren wieder auf die Beine und meinte nur:

„Hier hat sich seit Monaten kein Wolf blicken lassen."

Beruhigt gingen sie weiter. Der Kamm fing an wieder leicht anzusteigen und rechter Hand türmte sich ein größeres Gebirge auf. Sie wichen in südliche Richtung aus und begannen am Hang entlang zu laufen, der aber hier auf dieser Seite mehr als Flach und nicht unbequem zu gehen war.

Der Wind frischte wieder auf und ließ die Blätter zittern und rascheln. Mitten im Lauf blieb Fil'yana stehen und schnupperte in den Wind hinein. Ein seltsame Grollen entrang sich ihrer Kehle.

„Was ist?" wollte Amentio wissen.

„Ich rieche Blut" erwiderte sie. „Frisches Blut."

„Wölfe?"

„Ich weiß es nicht. Lass uns vorsichtig weitergehen."

Leise schlichen sie vorwärts und kamen an eine Stelle im Wald, an welcher der Boden aufgewühlt war. Im Zentrum lag ein Reh. Teilweise aufgefressen und auf der Lichtung zerstreut hing ein schwerer Geruch nach Blut und Gedärm in der Luft. Fil'yana stand starr und steif, die Augen auf das tote Tier gerichtet, nur die Schwanzspitze zuckte nervös, das Karamellfarbene Fell hatte sich buschig aufgerichtet.

Überall auf dem kleinen Rund des Todes waren Spuren zu sehen. Nicht nur Spuren des Kampfes und der Verzweiflung, sondern auch die Spuren von mindestens acht Wölfen.

„Wir sollten hier schleunigst verschwinden" meinte sie. „Sonst kommen sie wieder. Und mich betrachten sie auch als Nahrung."

„Dann los!" antwortete Amentio.

Leise, so es ging, schlichen sie in einem weiten Bogen in Richtung Süden um den Schlachtplatz herum und versuchten so den Wölfen zu entgehen, die in Richtung Norden abgezogen waren.

Momentan spielte auch der Wind mit, der nach Süden blies und so auch ihren Geruch davontrug.

Leider blieb es nicht so.

Mit einem Säuseln und einem leisen Heulen in den Bergen dreht der Wind und trug ihren Geruch weit nach Norden.

„Schneller" drängte die Shararrim. „Mit den Margwölfen ist nicht zu spaßen. Sie sind groß, grau und gemein. Elendes Wolfspack!"

Behände huschte sie durch das Unterholz, nicht ein Laut war von ihr zu hören. Jetzt hatte sie ihre Krallen ausgefahren und war noch aufmerksamer als sonst, die blauen Augen zu weit geöffnet, die Iris war kaum noch zu sehen.

Aus dem Norden tönte durchdringendes Wolfsheulen, das einem durch Mark und Bein ging.

„Sie kommen" keuchte Fil'yana. „Sei bereit, wenn es nötig wird, auf einen Baum zu klettern."

„Ja" antwortet Amentio gepresst und lief weiter. Seine Rüstung, so leicht sie auch sein mochte, bestand immer noch aus Metall und langsam wurde es warm in ihr. Zu warm.

Das Heulen kam näher. Und aus verschiedenen Richtungen.

Irgendwo hörte er preschende Bewegungen durch das Unterholz und mit einem Male brachen aus drei verschiednen Richtungen fünf riesenhafte Wölfe aus dem Gebüsch.

Töte sie. Töte sie alle! Rote Schlieren zogen vor seine Augen, als der Kampf begann.

Der erste von ihnen sprang auf Amentio zu, der es gerade noch schaffte, sich zu ducken und in der selben Bewegung mit seinem Stab den nachfolgenden Wolf von den Füßen holte. Der Dritte sprang neben ihn und pralle wieder vom Boden ab, sprang und warf ihn um.

Geifernd krachten die Kiefer knapp von Amentios Gesicht zusammen, Speichel spritze ihm in die Augen. Keuchend rollte er sich auf den Rücken und bekam die Füße unter den Bauch des Wolfes und mit einer kräftigen Bewegung trat er aus und schleuderte den Wolf von sich.

Sofort musste er sich zu Seite rollen, denn der Erste kam auf ihn zugesprungen. Aus der rollenden Bewegung kam Amentio auf die Beine und schmetterte dem Wolf seinen Stabknauf auf den Schädel. Es knirschte und der Wolf taumelte ein wenig zurück, eine schwere Platzwunde auf dem Kopf.

Fil'yana war nirgends zu sehen.

Er zog sein Schwert mit der Linken, steppte zur Seite, als ein Wolf von rechts sich in seiner Seite verbeißen wollte und riss dabei das Schwert mit der Rückhand von rechts nach links und schnitt dem Wolf das Maul auf, landete krachend noch einen Treffer mit dem Stab auf dem ohnehin schon blutenden Schädel des Rudelführers.

Der dritte Wolf sprang ganz dicht an ihn heran und verbiss sich in seinem Bein.

Durch die plötzliche Wucht des Aufpralls aus dem Gleichgewicht gebracht konnte Amentio sein Schwert nicht mit der Schneide auf den Wolf herabsausen lassen, sondern erwischte ihn nur mit der Breitseite. Das Schwert vibrierte heftig in seiner Hand und nur mit Mühe konnte er es festhalten.

Der Biss des Wolfes war nicht durch die Rüstung gegangen, eher im Gegenteil: Blut troff aus dem Maul des Wolfes, als er wieder zurücksprang. Er hatte sich einen Zahn ausgebissen. Sofort sprang der Wolf wieder vorwärts, während Amentio immer noch versuchte wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Diesmal hatte er es auf seinen Hals abgesehen. Amentio schaffte es mit Mühe sich zu Seite zu drehen und dabei mit seinem Stab auszuholen. Dieser wurde ihm aus der Hand geprellt, denn er hatte sich in den Läufen des Wolfes verfangen. Der Wolf kam auf, stolperte über den Stab und aus der Drehung sprang Amentio hinzu und stach mit dem Langschwert durch das Auge des Wolfes in seine Kopf. Der Wolf war sofort tot.

Dann spürte er einen schweren Schlag im Rücken, als der Erste auf ihm landete. Das Schwert wurde ihm aus der Hand geprellt und er stürzte nach vorn. Das rettete ihm vermutlich das Leben, denn so bekam er nur eine Schmerzhafte Wunde hinten am Hals, als sich die kräftigen Kiefer das Wolfes schlossen. Der Wolf kugelte, durch die unerwartete Bewegung seines Opfers nach vorn und über ihn hinweg, kam aber sofort auf die Beine und sprang wieder los. Amentio rollte sich hilflos zur Seite und riss seinen Stab hoch, als er wieder auf dem Rücken lag.

Der Wolf machte wieder mit einen wütenden Knurren einen kräftigen Satz nach vorne und verbiss sich im Stab. Amentio versuchte verzweifelt gegenzuhalten, aber er war zu schwach für diesen Berg von Wolf.

In einem letzten panischen Versuch, der Wolf stand mittlerweile mit seinen Vorderläufen auf seinem Brustkorb und presste ihm die Luft aus den Lungen, dass es ihm schwindelig wurde, trat Amentio zu.

Der Wolf verdrehte die Augen, jaulte auf und kugelte verkrümmt zur Seite. Amentio rollte sich zur anderen Seite, kam wieder auf die Beine, das Schwert mit beiden Händen umklammert. Doch der Wolf war weg.

Gut so! Die Schlieren verschwanden wieder. So, als ob sie nie dagewesen waren...

Hinter sich, ein wenig den Abhang hinunter hörte er einen anderen Wolf wütend knurren. Er wandte sich um und lief durch Gesträuch und Gebüsch auf den Kampflärm zu.

Gerade noch um zur rechten Zeit zu kommen und zu sehen, wie sich Fil'yana mit einer Rolle unter einem Wolf davonrollte und gleichzeitig seinen Bauch mit ihren scharfen, sicher einen halben Spann langen schwarzen Krallen, aufriss. Der Wolf, noch im Fluge, seine Innereien wie einen Schweif hinter sich herziehend, kam mit einem Gurgeln auf und Blut schoss aus seinem Maul . Er ging zu Boden, fiel zur Seite und begann in einem Anfall irrer Verzweiflung im Todeskrampf seine Pfoten in den Boden zu graben.

Fil'yana, von seinem Gedärm bedeckt, reckte sich und zeriss das offenliegende und wie wild schlagende Herz des Wolfes. Nach nur wenigen Zuckungen blieb er still liegen.

Keuchend arbeitete sich die Shararrim aus dem Haufen und blieb zitternd stehen. Amentio sah sich auf dieser kleinen Lichtung um und entdeckte den zweiten Wolf mit zerfetzter Kehle unter einem Baum.

„Wir sollten so schnell wie möglich von hier verschwinden" meinte er.

„Ja!" knurrte sie und betrachtet ihr Fell. „Ich brauche ein Bad. Ich hasse Blut. Ich hasse Wölfe."

„Bist Du verletzt?" wollte er wissen

„Nein" antwortete sie, jetzt ein wenig ruhiger. „Und Du?"

„Nur ein wenig. Hinten am Hals."

„Lass mal sehen."

Sie lief um ihn herum und besah sich die Wunde.

„Hm" meinte sie. „Diese Wunde sollte so schnell wie möglich behandelt werden. Aber zunächst muss ich mir irgendwo die Hände waschen."

Sie reichte ihm die Wasserflasche und bedeutete ihm, dass er ihr Wasser in die Hände schütten solle.

Als sie sich ihre Hände gewaschen hatte, säuberte sie seine Wunde und legte ihm einen Verband an.

„Kannst Du gehen?" fragte sie.

„Ja, mir ist sonst nichts passiert"

„Gut, wenn wir uns beeilen kommen wir noch zum Höhlenberg. Der weg ist nicht mehr weit."

„Höhlenberg? Werden da nicht auch Wölfe sein?"

„Oh nein!" lachte sie „Der Höhlenberg ist einer der wenigen Plätze, der von den Wölfen gemieden wird."
"Warum?"

„Dort wachsen die sogenannten Shararrim'rah. In Deiner Sprache heißen sie Katzenfuß. Der Geruch ist das Geheimnis. Die Wölfe vertragen den Geruch nicht. Dort werden wir sicher sein."