Ein schöner, klarer und frischer Morgen leuchtete in die Höhle hinein. Zwar lag die Höhle auf der Schattenseite des Berges, aber das von den anderen Berggipfeln reflektierte Licht war so hell und warm, dass es schien, als ob die Sonne selbst die Höhle erhellte.
Amentio schaute sich verschlafen um. Fil'yana war nicht da, ihre Decke zusammengerollt und ihre Kleider abgenommen.
Er setzte sich auf, das Feuer war gelöscht und neben seiner Schlafstatt stand eine kleine Schüssel mit Fleisch. Er stand auf, zog sich an und trat, die Schüssel in der Hand und auf Fleisch kauend aus der Höhle heraus. Doch auch hier war Fil'yana nirgends zu sehen. Er aß auf und begann seine Sachen zusammenzupacken und sich abreise fertig zu machen.
Als er das erledigt hatte, blieb ihm nichts weiter übrig, als sich vor die Höhle zu setzten und auf die Shararrim zu warten.
Etwas unten am Waldrand erregte seine Aufmerksamkeit. Er hörte ein gedämpftes Grollen und Kläffen und knackende Zweige. Bäume erzitterten und warfen Blätter in kleinen Schauern ab.
Eine innere Unruhe erfasste ihn und er stand auf.
Da! Ein schwarzes Ungeheuer, eine dieser Monstrositäten, die er und diese Frau zuhauf hinter dem Dorf der Shararrim abgeschlachtet hatten, sprang aus dem Wald und trieb jemanden vor sich her – Fil'yana! Mit einem Krächzen sprang Amentio auf und hastete wie ein Wahnsinniger den steilen Pfad hinab. Fil'yana war es gelungen sich aus dem Kampf zu lösen und rannte ihrerseits den Pfad hinauf. Diese Abscheulichkeit hetzte hinter ihr her. In der Mitte des Weges trafen sie sich. Fil'yana blutete aus zahlreichen leichten Wunden und einer schweren Scharte am Hals. Sie keuchte und rannte mit letzter Kraft. Noch im Laufen hatte Amentio sein Schwert gezogen und empfing das Biest mit einem schweren Schlag auf den Kopf. Das Vieh sprang einen Schritt zurück, doch Amentio setzte konsequent nach und schnitt der Bestie zweimal quer über das Maul. Mit einem röhrenden Brüllen sprang das Ding nach vorne, Amentio sprang zur Seite und schnitt mit einem wuchtigen Hieb dem Höllenhund die Kehle auf.
Mit einem blubbernden Keuchen ging das Tier zu Boden und überschüttete die Steine und den Katzenfuß mit zähflüssigem Blut und blieb dann still liegen.
„Was ist passiert?" fragte Amentio gehetzt. „Sind Dir noch mehr auf den Fersen?"
„Nein, das war der einzige Roz'zarz. Er war ein Späher. Wir sollten von hier verschwinden, denn wenn er nicht bald wiederkommt, werden die Anderen nach ihm suchen."
„Warte" wandte er ein. „Ich will mal nach Deinen Verletzungen schauen."
„Das geht auch oben" erwiderte sie ein wenig unwirsch. „Wir haben keine Zeit zu verlieren."
Amentio fuhr über den rauen Tonfall zurück, sah sie verwirrt an und zuckte dann mit den Achseln.
„Du musst es wissen."
Sie stapfte voran und sah nicht zurück.
Nach wenigen Augenblicken waren sie oben angelangt, dort nahm sie ihre Tasche und zog sie sich in den hinteren Teil der Höhle zurück, um sich dort um ihre Wunden zu kümmern. Er blieb am Eingang sitzen und wartete, auf einem Grashalm kauend.
Die Sonne war mittlerweile komplett aufgegangen und das Tal begann sich mit Wärme aufzutanken und bald würde es vor Hitze hier nicht mehr auszuhalten sein. Schon jetzt war jeder Lufthauch mehr als angenehm und Amentio freute sich schon auf den dunklen, kühlen Wald.
„Wir können losgehen" ertönte eine jetzt wieder sanfte Stimme hinter ihm, und Amentio konnte ein deutliches Zusammenzucken seinerseits nicht unterdrücken.
Er stand auf und meinte nur:
„Ich gehe mich auch noch kurz waschen" und deutete mit dem Kopf in Richtung der kleinen Wasserbecken. „Hasst Du Deinen Wasserschlauch schon aufgefüllt?"
Sie nickte leicht, sah ihn kurz missbilligend an, Enthielt sich aber jeden Wortes. Er ging in den rückwärtigen Teil der Höhle, zog sich dort sein Hemd über den Kopf, nachdem er die Rüstung abgelegt hatte und wusch sich nochmals kurz und gründlich.
Wieder angekleidet stieg er die kleine natürliche Treppe zum oberen Wasserbecken hinauf und füllte seinen Schlauch. Dann ging er rasch wieder zum Eingang und zusammen brachen sie auf.
Sie schlugen im schattigen Wald einen Weg nach Südwesten ein, der sie nach Sangarosso bringen würde. Von dort wollte Amentio versuchen sich nach Ambar durchzuschlagen, möglicherweise als Söldling bei einem Handelszug, um dort dann an eine Akademie zu gehen und dort nachzufragen, was es mit ihm auf sich hatte. Das war das schlauste, was ihm momentan einfiel. Um einen ausgereifteren Plan aufzustellen, nun, dafür kannte er diese Welt einfach noch zu wenig.
Sie liefen auf dem Kamm der Hügelketten lang, die hier anscheinen das gesamte Land durchzogen. Auch hier wuchsen überall diese riesigen Bäume, weiches Gras bedeckte den fruchtbaren Boden auch hier überall und von Wölfen war nirgends eine Spur zu sehen.
So wanderten sie den gesamten Tag, ohne dass ihnen auch nur etwas zustieß. Zu Mittag machten sie eine kleine Rast und aßen ein wenig von dem Fleisch, dass wirklich noch, sollte nichts dazwischen kommen, bis nach Sangarosso reichen würde, zu dem es ja noch knapp anderthalb Tage Fußmarsch waren.
Am Abend kamen sie an den Loch Rushur. Das, so erzählte die Shararrim, war wohl ein alter Vulkankrater, der sich über viele Jahre hinweg mit Wasser gefüllt hatte und in den ein kleiner Bach, der Rushur, mündete.
Hier, am mit Kieseln und schwarzen Steinen übersäten Strand wollten sie Rast machen und die Nacht verbringen.
Die Sonne war noch nicht untergegangen, doch durch das dichte Blätterdach fiel kaum noch Licht und es war kühl geworden. Sie sammelten Holz und schichteten ein Lagerfeuer am Strand auf, damit sie es über Nacht warm haben würden.
Sie waren noch nicht ganz fertig mit dem Aufschichten von Holz, da sahen sie im schwindenden Licht des Tages ein gar wunderschönes Schauspiel, dass sich über dem See abspielte.
Überall aus dem Wasser stiegen kleine leuchtende Punkte auf und begannen in großen und kleinen Kreisen über dem fast runden Loch Rushur zu kreisen. Einige von ihnen tauchten b und zu unter die Wasseroberfläche und hinterließen kleine Wellenkreise, die auf vielfältige Art und Weise das Licht der Anderen reflektierten um dann, immer schwächer und flacher sanft im Wasser u vergehen.
Immer mehr dieser kleinen leuchtenden Kugeln stiegen auf und tanzten über das nunmehr schwarze Wasser. Die Sonne war untergegangen. Die Kreise der Lichter wurden mal enger, um dann, wie auf ein unsichtbares Signal hin, schlagartig wieder fast so groß wie der Loch zu werden, mal schneller, dann fast rasend, dann wieder langsam und manchmal sogar rückwärts. Überall spiegelten sich in dem Wasser, das glatt wie ein Spiegel war, die kleinen Lichter, verschwommen und mit weichen Rändern. Langsam, wie ein alter Mann kroch und kletterte der Mond, ein Voller, den Berg und dann den Himmel hinauf. Die kleinen Lichter huschten aufgeregter, so schien es, über das Wasser und mieden jetzt die Mitte.
Dort wurde ein blasses Leuchten sichtbar, das immer kräftiger zu werden schien. Mit jedem Augenblick wurde es stärker und intensiver und mit der Zeit wurde auch eine Form sichtbar. Zunächst schien es etwas rundes zu sein, doch je mehr sich das Leuchten von unten der Wasseroberfläche näherte, desto mehr Details und Farben wurden sichtbar.
Runde Zacken schälten sich aus dem durchsichtigem Schwarz des Wasser, Zacken, die in sanften, aber kräftigen Pastellfarben leuchtete. Blau, Rot, Grün, Gelb. Als das große Licht die Wasseroberfläche durchbrach erkannten sie, um was es sich handelte. Es war eine große Blüte, umrahmt von unzähligen kleinen, runden Zacken gleichenden Blütenblättern, die in allen Farben leuchteten.
Wasserwellen liefen über den Loch und brachen das weiche bunte Licht und das der kleinen Kugeln und des Mondes.
Die kleinen leuchtenden Kugeln schnellten in rasant enger werdenden Spiralen auf diese Blume aus Licht, die frei in der Luft schwebte zu, und umkreisten sie dann wie Bienen einen vollen Blütenstrauch. Einige ließen sich auf den Blütenblättern oder dem Kelch nieder, lösten sich dann wieder und flogen danach wie wild umher.
Dann, von einem Augenblick auf den anderen stoben diese Lichter in alle Himmelsrichtungen davon und es wurde schlagartig dunkler über den Wassern.
„Was ist das?" flüsterte Amentio fragen.
„Ich habe so was auch noch nie gesehen" hauchte Fil'yana.
Beinahe glücklich sahen sie sich an, den das gesamte Schauspiel hatte etwas unglaublich friedfertiges gehabt. Und es schien noch nicht zu Ende zu sein.
Denn nur einige Minuten später kamen Lichtpunkte, diesmal waren es rote, und stürzten sich wie wild auf die Blüte, die immer noch über dem Wasser schwebte. Wenige Augenblicke trafen aus einer anderen Himmelsrichtung Gelbe ein und begannen ebenfalls die Blüte zu umschwirren. Die Blume erzitterte unter dem Ansturm der Lichter, die eins nach dem anderen langsam nach unten fielen und, kleine Wellenkreise hinterlassend in den Loch fielen, um, immer dunkler und dunkler werdend, in der Tiefe versanken.
Als alle Lichter auf diese Art und Weise verschwunden waren, begann die Blüte zu welken und nur noch eine Kugel als Licht blieb übrig.
Ein Zittern lief durch diese Kugel und ein kräftiger Wind kam auf, der sich seltsamerweise nur auf das Wasser beschränkte und dieses Licht auseinander trieb. Myriaden kleinster, leuchtender Punkte entschwebten in die monderhellte Nacht.
Und als das letzte auf diese Weise verschwunden, war von der Blüte nichts mehr übrig, außer einer Erinnerung.
Er und Fil'yana saßen da und staunten sogar dann noch, als von dem seltsamen Schauspiel schon lange nichts mehr übrig war. Sie brauchten einige kleine Augenblicke, um das zu realisieren. Amentio ließ sich auf die noch warmen Steine sinken und schaute hoch in den klaren Himmel und seufzte leise. Wie ein schwarzer Schatten hob sich Fil'yana vor den Sternen ab, bis sie neben ihm auf die Steine sank.
„Es tut mir leid" sagte sie leise.
„Was?" fragte er.
„Heute früh" erwiderte sie. „Es war nicht richtig Dich so anzufahren"
„Du warst aufgeregt und eines dieser... dieser Dinger war hinter Dir her" meinte er. „Ich denke, niemand hätte da ruhig und gelassen reagiert."
„Ja" nickte sie. „Da hast Du wohl Recht."
Nach einer kleinen Pause: „Trotzdem tut es mir leid. Nimmst Du meine Entschuldigung an?"
„Ja."
„Danke."
Sie blieb liegen, er spürte ihre Wärme, die der Wind zu ihm hinübertrug...
Mit einem Ruck stand sie auf.
„Ich werde jetzt Feuer machen, Du kannst derweil ja schon das Essen auspacken und Wasser holen."
Auch er stand auf und sie bereiteten das Abendessen und genossen es an einem warmen, hellen und knackendem Feuer. Als sie fertig gespeist hatten, wickelten sie sich in ihre Decken und wären beide sofort eingeschlafen, wenn nicht just in diesem Augenblick ein schauerliches Heulen ertönte.
Es war kein Wolfsheulen, sondern eins der Sorte, die auch die Roz'zarz ausgestoßen hatten. Es war zwar nicht nah, aber nah genug, dass sie nicht ruhig würden schlafen können. Sie sahen sich beide an, bis Fil'yana meinte:
„Hier auf dem Boden können wir kaum schlafen. Was wenn sie hierher kommen? Ich denke, dass da noch mehr Späher sind. Sie werden ihren Vermissten suchen."
„Was schlägst Du vor?" wollte Amentio wissen und wünschte, er hätte nicht gefragt, denn ihr Blick wanderte zu einem der größeren Bäume hoch.
„Hast Du schon mal auf einem Baum geschlafen?" wollte sie wissen.
„Nein. Aber ich werde diese Nacht wohl die unbezahlbare Möglichkeit erhalten, oder?"
„Ja. Du wirst Dich daran gewöhnen" antwortete sie knapp und stand auf, um das Feuer zu löschen und die Scheite in den See zu werfen.
Sie säuberten den Rastplatz so gut es ging und dann wandten sie sich dem Baum zu, auf dem sie wohl die Nacht verbringen würden.
Sie band sich ein Seil um die Taille und kletterte behände wie, nun ja, behände wie eine Katze den Baum hinauf und warf ihm von oben das Seil nach unten. Er befestigte daran ihre Taschen und mit einem Knirschen des Seils zog sie die Dinge nach oben.
Dann versuchte er selbst den Baum zu erklimmen, was ihm aber, als mehr als ungeübten Kletterer, nicht gelang.
„Wo bleibst Du denn?" ertönte es von oben.
„Es wäre sehr freundlich, wenn Du mir das Seil zuwerfen könntest" gab er gepresst zurück. „Ich bin kein so guter Kletterer wie Du. Ich habe keine Krallen in den Fingern."
Nur einen Augenblick später kam ihm ein Seil aus der Dunkelheit entgegengeflogen und mit dessen Hilfe konnte er die knapp sechs Schritt zur ersten Astgabel ersteigen.
„Wir werden noch weiter klettern" raunte sie ihm zu. In der Dunkelheit konnte er nur ihre Augen ausmachen, die das Mondlicht reflektierten. Die Roz'zarz können gut riechen, wir sollten als mehr als vorsichtig sein."
Amentio schaute verzagt in die Dunkelheit, in der er den Baum nur als dunklen Schemen erkannte. Wie er hier noch klettern sollte, das war ihm ein Rätsel.
„Ich kann nicht im Dunkeln sehen" flüsterte er.
„Dann rate ich zu äußerster Vorsicht" raunte sie knapp zurück.
„Danke. Ein bisschen Hilfe wäre nützlicher."
„Ich werde Dir sagen, wie Du klettern musst. Und Du wirst Dich am Seil festhalten. Es sind bestimmt nur noch drei oder vier Schritt. Also, nur Mut" gab sie ein wenig beruhigender zurück.
Dann verschwand sie lautlos in der Dunkelheit. Nicht ein Scharren oder ein Kratzen war zu hören, was eigentlich zu erwarten gewesen wäre, wenn man bedachte, dass ihre Krallen nicht gerade klein waren.
Nur wenige Augenblicke später ertönte über ihm eine leise Stimme:
„Greif das Seil."
Er spürte einen Luftzug neben seiner Wange und griff in die ungefähre Richtung, in der jetzt das Seil hängen musste. Als er es hatte, wickelte er es einmal um seine Hüften und stemmte seine Füße gegen den Baumstamm.
„So und jetzt langsam hochgehen."
Amentio ersparte sich jedwede Antwort. Wer einmal auf diese Art und Weise einen Baum erklommen hat, weiß, wie anstrengen das ist, und dazu kam auch noch die Dunkelheit.
„Vorsicht!" rief Fil'yana. „Da ist ein großes Astloch! Pass auf, dass Du nicht reintrittst!"
Er versuchte mit dem Fuß irgendetwas zu ertasten, und tatsächlich erspürte er ein großes Astloch. Seine Arme taten weh und sein Rücken protestierte, als er sich weiter hoch wuchtete und das Gefühl keine Gliedmaßen zu haben war übermächtig geworden, als er angelangt neben Fil'yana in der Astgabel zu Boden sank. Hier oben schien der Mond ein wenig durch das Blätterdach und so war er imstande mehr als ein paar Schemen zu erkennen. Die Astgabel war riesig. Sicherlich mehr als drei Schritt reichte sie um den Stamm herum, der selbst gewiss mehr als fünfzehn Schritt Durchmesser hatte. Fil'yanas Augen leuchteten im kalten Licht des Mondes.
„Hier" meinte sie und deutete auf die Astgabel. „Hier wirst Du schlafen. Leg Dich einfach so quer hier rein, dann kannst Du auch nicht rausfallen." Sie deutete weiter um den Baum herum. „Ich werde dort drüben schlafen. Hier ist noch Wasser." Sie drückte ihm seinen Wasserschlauch in die Hand und kletterte los.
Er sah, dass sie sich ganz nach Katzenmanier mit allen Vieren an den Baum klammerte und überaus geschickt zu einer anderen Astgabel hinüberkletterte. Dort angekommen rollte sie sich auf ihrer Decke zu einer Fellkugel zusammen und war wohl sofort eingeschlafen.
Auch er versuchte es sich bequem zu machen, was gewisse Schwierigkeiten bereitete, wenn man noch nie in einer Astgabel geschlafen hatte. Doch schließlich fand er eine Position, in der ihm nicht so viele Unebenheiten in den Rücken, die Schenkel stachen und seinen Kopf malträtierten. Er fiel in einen seit langem wieder ruhigeren Schlaf.
Der sollte aber nicht allzu lange dauern.
