Die Abendsonne malt den Himmel dunkelrot und lila. Wir sitzen am Lagerfeuer und singen.
"Row, row, row your boat..."
Weiß der Teufel, was mich geritten hat, als ich ihnen dieses Lied beibrachte. Aber es scheint ihnen zu gefallen, denn wir singen es praktisch seit einer Stunde immer wieder.
Ich stelle fest, daß Legolas trotz aller gegenteilig lautenden Gerüchte eine ganz passable Singstimme hat und Gimli gibt einen hervorragenden Tenor ab.
Haldir allerdings bleibt still.
Ein leichtes Drehen der Welt um mich herum begleitet mich, als ich zu ihm herüberrutsche.
"Was geht, Halli?" frage ich, leicht lallend.
"Hm," macht er und malt mit einem Ast Kreise in den Sand, "es ist sehr schön hier."
Aha.
Ich lege den Kopf schief und sehe ihn fragend an. "Und?"
Er nimmt noch ein Löffelchen vom mittlerweile vollkommen geschmolzenen Eierlikoreis.
"Und das hier ist sehr schmackhaft."
Legolas ändert den Text seines Gesanges.
Row, row, row your boat
Gently to the sea.
Merrily, merrily, merrily, merrily,
Valinor is not a dream.
"Und?" Ich frage mich, worauf er hinaus will. Ich bin nicht besonders geduldig, wenn ich angetrunken bin.
Er sieht mich an; seine Augen sind wie klares Wasser in einem Bergsee. So blau, daß ich mich praktisch darin verlieren könnte. Oh bitte, lass mich darin ertrinken...
"Ich will nicht wieder zurück," sagt er leise, "wir haben kein Eis."
Das ist natürlich ein wichtiger Grund....
Gimli hat das Texten übernommen.
Row, row, row your axe
Gently into the rock.
Merrily, merrily, merrily, merrily,
The cave is full of jewels.
Ich denke kurz, daß Gimli sicherlich ein guter Handwerker, aber keinesfalls ein talentierter Poet ist.
"Ach Halli," sage ich und drapiere einen Arm um seine sonnengeröteten Schultern, die enorme Wärme abstrahlen, "das wird schon alles."
Sein Arm schlängelt sich um meine Taille, ich lege meinen Kopf an seinen Arm, klaube einen Ast auf und werfe ihn ins Feuer; die Funken stieben hoch. Schweigend starren wir aufs Elbwasser.
Legolas ändert wieder den Text.
Draw, draw, draw your bow
Gently to yourself.
Merrily, merrily, merrily, merrily,
I am just an Elf.
"Wie ist das, wenn man immer wieder stirbt?" frage ich.
"Schmerzhaft," antwortet er trocken.
"Kann ich mir wohl denken."
Meine Kehle ist trocken; mein Blick fällt auf die Dosen, die in Ufernähe dümpeln. Unter Gimlis
Go, go, go we all
on a little quest.
Merry, Pippin, Frodo, Sam,
And I am Gimli the Dwarf.
tapse ich hinüber und hole ein paar von ihnen aus dem kühlen Wasser. Ich denke, daß die Laune langsam trübe wird und beschließe, daß Stimmung lockern angesagt ist.
Ich setze mich gut sichtbar zwischen die drei. Mittlerweile hat auch Haldir seine Stimme gefunden und singt mit.
Boring, boring, boring it is
top be up there on screen.
Wildly, wildly, wildly I wish,
that this was just a dream.
Ich krame einen spitzen Schlüssel aus meinem Schlüsselbund. "Schau, Halli, das mußt du probieren...." Er dreht sich mir aufmerksam zu.
"Pass auf." Ich halte die Dose in einer Hand, piekse hart mit dem Schlüssel unten an der Seite hinein und presse sofort fest den Daumen ans Loch. Dann schüttele ich sie und halte ich die Dose vor seinen Mund, immer noch den Daumen auf dem Loch haltend.
"Festhalten - Achtung, Mund auf!" kommandiere ich, öffne das Loch. Kühles Bier flieht förmlich aus der Dose, direkt in seinen Hals. Er verschluckt sich fast, hält aber die Dose brav fest.
"Oh Valar!", sagt er, als das Bier aus der Dose in ihm verschwunden ist. "Was war das denn?"
"Dosenschießen," murmele ich grinsend und öffne mir selber eine auf die übliche Art.
Gimli ist neugierig geworden und taumelt herüber. "Ich auch," pflanzt er sich neben uns. Legolas singt allein weiter, während ich Gimli eine Dose schieße.
Low, low, low are you
I hope this is a dream.
Never, never never would I,
participate in such a game.
Ich frage mich im besoffenen Kopf kurz, woher der eigentlich auf einmal Englisch kann?
Haldir hat sich eine weitere Dose geöffnet und stößt mit Gimli an; ich rutsche hinüber zu Legolas. "Legs, alles fit?" frage ich. "Wieso kannst'n du auf einmal Englisch?"
Er lächelt in den Ufersand.
"Boach, hab ich eigentlich schon mal erwähnt, daß ich es abgrundtief hasse, wenn ihr immer nur lächelt und schweigt?"
Eisfarbene Augen blicken mich an, seine Stimme schnurrt, als er sagt "Und was sollte ich deiner Ansicht nach stattdessen tun?"
Nein, darauf gehe ich nicht ein, auch wenn du hundertmal Prinz von Düsterwald bist.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Haldir und Gimli gerade zum Steinpolder hinuntergehen; vermutlich, um im Wasser etwas Abkühlung von der Abendhitze zu suchen.
"Antworten," brumme ich und bemerke, daß der Alkohol mich ziemlich schläfrig macht.
Ich strecke mich lang und bäuchlings auf der Decke neben ihm aus.
Sekunden später bemerke ich das Gewicht, welches sich auf meinem Hintern niederläßt. Er ist nicht schwer, bei Gott nicht. Klar, denke ich, der Knabe kann ja auch auf Schnee latschen.
Weiche Hände graben sich in meinen Rücken; tasten, entknoten, ziehen, kneifen, rollen in meinen Muskeln herum. Der weiß, was er tut, denke ich. Ich mag Leute, die wissen, was sie tun.
"Menschen fühlen sich seltsam an," sagt er. Ich grinse mit geschlossenen Augen. "Legs, du schuldest mir noch 'ne Story. Fürs Eis, du erinnerst dich?"
Ich merke, wie mich etwas am Ohr berührt und als er spricht, weiß ich, daß es seine Lippen sind. Es durchfährt mich heiß und kalt.
"Aragorn?" murmelt er.
"Mmmh..." bringe ich zustande.
Scheiße, auf mir liegt ein Elb; nein - der Elb schlechthin. Superelb. Legolas.
Der bloße Gedanke macht mich schwindelig.
Er streckt sich auf mir aus; seine Hände greifen die meinen und schieben sie nach vorne in den Sand. Mein Rücken scheint zu verbrennen; seine Haut fühlt sich an wie eine Heizdecke. Die blonden Elbenhaare bilden einen Vorhang vor meinem Gesicht, und seine weiche Stimme surrt in meinem Ohr.
"Das war in Lothlorien," schnurrt er, "ich wollte eigentlich nur baden; da gibt es so schöne Wasserfälle. Und er war schon da. Naja - hmmm - und da war er eigentlich schon. Nicht, daß ich mich nicht gefreut hätte, daß er endlich mal ein Bad nimmt. Ich habe so eine empfindliche Nase. Er sah auch noch gut dabei aus. Und nach dem ganzen Stress in Moria dachte ich, es wäre schön, mal ein wenig Abwechslung zu haben."
Er bewegt sich auf mir, verlagert sein Gewicht nach rechts. Ich wage kaum zu atmen und denke, daß das einzige, was ich mir wünsche, eine sehr kalte Dusche ist. Eine Dusche aus Eierliköreis, fährt es durch mein verwirrtes Hirn, dann könnte er es.... Ich schubse den Gedanken beiseite.
"Dieser dumme Mensch," gurrt er fort, und wieder berühren seine Lippen mein Ohr, "starrt mich also an und sagt 'Oh, Legolas, du auch hier?' Ich paddele zu ihm herüber, und versuche, naja, die übliche Taktik, lass mich deinen Rücken, und so weiter. Und was macht dieser Idiot?"
Schreiend rennen, so wie ich es im Moment eigentlich auch tun sollte, denke ich. Übliche Taktik? Was zum Teufel machst Du auf meinem Rücken?
Statt schreiend zu rennen und ihn das zu fragen, was sonst so durch mein bedröseltes Hirn läuft, zucke ich meine Schultern - da ich gerade dabei bin, fast blau anzulaufen, weil ich es immer noch nicht wirklich wage, zu atmen, kann ich grade nichts anderes.
Seine Stimme wird hoch, bleibt aber leise. "Oh... Legolas... nein... Arwen... ich bitte dich... das sage ich alles Elrond..." Er schnauft durch die Nase. "Und das mir. 'Ich sage alles Elrond!' Denkt der, er kann sich sein Leben lang hinter diesem Halbnoldo verstecken? Irgendwann setze ich ihm abends eine Spinne unter die Decke, dann kann er sehen, wo er bleibt."
"Du bist... ein bißchen frustriert?" keuche ich. Ich merke, daß ich angefangen habe zu transpirieren; die Fläche zwischen ihm und mir ist rutschig geworden. Elben schwitzen doch nicht, oder?
"Ein bißchen."
Ich merke, wie spitze Zähne an der Oberseite meines Ohrläppchens knabbern und bin der Ohnmacht nahe. Bitte hör auf, Du verbrennst meine Seele, denke ich.
"Und durch Zufall versuchst du hier nicht gerade, deinen Frust etwas abzubauen?" stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Vielleicht..." Die Knabberei geht weiter.
"Bitte, Legolas... lass das," bettele ich.
"Warum?"
"Ich mag das nicht."
"Hm," sinniert er. "Wenn Elben etwas nicht mögen, dann wird ihr Körper kalt, steif, und sie wehren sich. Menschen können nicht so unterschiedlich sein. Und dein Körper erzählt mir grade was anderes als das, was du sprichst."
"Verdammt, Legolas. Denk doch mal an..." Ich suche Worte. Irgendetwas. Scheiße, warum hat eigentlich niemand irgendwo erwähnt, ob und mit wem Legolas verheiratet ist? "...Haldir?" ende ich verzweifelt, mich an die Szene heute morgen erinnern könnend.
"Um den kann ich mich später noch kümmern..." Weiche Lippen knabbern an meinem Nacken; ich seufze aus mehreren Gründen.
"Gesetze und Verhaltensweisen der Eldar?" versuche ich Tolkiens Essay einzuwerfen. "Sex bedeutet Hochzeit? Wo ist dein Anstand?"(*)
"Mein Vater in Düsterwald hat da so seine eigenen Gesetze..." nuschelt es aus meinem Haaransatz am Hals.
Ich merke, wie irgendetwas stärker in der Gegend meines Oberschenkels drückt, als mein Nacken mit der feuchten Spur einer weichen Zunge ausgestattet wird.
Das ist zuviel.
"Nein!" rufe ich, rolle herum, springe auf. Verdattert liegt er auf der Decke.
"Legolas Thranduilion! Wenn du denkst, du könntest..., dann... Die Gesetze deines Vaters interessieren mich einen verdammten Scheißdreck. Geh zu deinen Spinnen oder sonstwem, mit dem du das machen kannst."
O Gott, was rede ich da. Ich hätte Legolas haben können. L-E-G-O-L-A-S.
Haldir und Gimli kommen herüber, der Galadhrim packt den Sindar am Arm und zerrt ihn zum Steinpolder. Gimli lässt sich neben mich fallen. Ich setze mich wieder; schäumend, wütend. Was bildet sich dieser Kerl eigentlich ein. Hey, nicht, daß ich ihn nicht gewollt hätte. Aber nicht so.
Während ich mir eine weitere Dose öffne, beobachte ich, wie Legolas drüben auf dem Steinpolder mittlerweile an Haldirs Nacken knabbert und schüttele meinen Kopf.
Gimli lässt ein Grunzen verlauten, was sich fast wie ein Lachen anhört. Erstaunt sehe ich ihn an. "Gim? Was?"
Er grinst so breit unter dem Gestrüpp, welches sein Gesicht zu großen Teilen verdeckt und welches auch 'Bart' genannt wird, wie ich es bei ihm noch nie gesehen habe.
"Stolz, ich bin auf dich," sinniert er wie Yoda in seinen besten Zeiten, "Haldir und ich hatten gewettet, und ich habe gewonnen."
Meine Augen verengen sich zu Schlitzen. "Wie bitte?"
"Nun, ich hatte gesagt, daß du dir das nicht bieten läßt. Haldir meinte, Menschen wären zu weich. Andererseits konnte Legolas noch kaum jemand widerstehen; und so standen die Chancen eigentlich schlecht für mich."
Ich lache. "Und nun hat er ein neues Opfer..." sage ich und nicke zum Polder hinüber. Wieder überfällt mich die Müdigkeit.
"Ist nicht das erste Opfer..." brummelt Gimli, der aber irgendwo dazwischen kichert.
Ich bin verblüfft. "Wer denn noch?"
"Frag anders herum," sagt Gimli.
Mein Stirnrunzeln wird mit den Worten "Die einzigen, bei denen ich mir absolut sicher bin, daß sie auch widerstanden haben, sind die Lady Galadriel und Aragorn..." quittiert.
Ich schlucke. "Hobbits...? Gandalf...?" flüstere ich langsam mit aufsteigendem Horror.
"Uruk-Hai," bekomme ich bestätigend als Antwort. Ich fühle mich plötzlich ergreifend krank und bekräftige das durch ein entsetztes "Uhmmmmgggg....".
"Naja, Szenenpause halt," versucht Gimli zu beschwichtigen, aber nichts könnte meinen Magen jetzt beruhigen.
"Ist der wirklich immer so?" bringe ich, gegen die Übelkeit ankämpfend, hervor. Und SO WAS hat auf mir draufgelegen?
"Nicht so extrem. Dein Eis war aber wohl etwas zuviel. Legolas hat ein starkes Ego, was er ab und zu mal 'durchsetzen' muß. Und du hast ihn heute schon gekränkt."
Wieder fällt es mir ein. "Wieso konnte der eigentlich auf einmal Englisch?"
Gimli grunzt. "Die Originalversion läuft im Nebenkino; zeitgleich mit unserer. Wenn man grade keine Szene hat, kann man rüberhören. Dadurch lernt man."
"Und was war mit dem Shirt?" brummle ich.
"Das Wort 'Sale' kommt nicht vor im Film..."
Ich rolle mich zusammen, ein Lächeln auf meinem Gesicht, welches von einem Gähnen geteilt wird.
"Schlaf, Mädchen," brummt der Zwerg, "ich bleibe hier, und falls Legolas nach Haldir noch Ideen hat, gehe ich ihn ertränken."
"Danke," murmele ich, halb schon eindösend, lächele ich noch einmal und nicke. Ein Zwerg, der mir den Rücken freihält, im wahrsten Sinne des Wortes, sind meine letzten Gedanken. Dann falle ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
~ wird fortgesetzt ~
*) Quellenhinweis:
"Laws and Customs of the Eldar" (Hier "Gesetze und Verhaltensweisen der Eldar" genannt), "The Debate of Finrod and Andreth."
Zu finden in: "Morgoth's Ring: The Later Silmarillion Part One", Ausgabe 10 der "History of Middle Earth", J.R.R. Tolkien, editiert von Christopher Tolkien, Houghton Mifflin Co, 1993.
