Eile ist geboten
Am späten Nachmittag traf Elrond endlich aus Bruchtal an. Legolas' Zustand hatte sich nicht sonderlich zugespitzt, aber leider auch keineswegs verbessert. Gimli hatte es geschafft, wach zu bleiben und nicht von seiner Seite zu weichen. Aber Legolas, so schien es zumindest, hatte dies nicht bemerkt. Er war nicht mehr zu Sinnen gekommen.
Nach einer längeren Untersuchung bat Elrond um eine Unterredung mit Haldir. Sein Angesicht strahlte größte Erschütterung aus. Etwas abseits, so dass Gimli sie noch sehen konnte, redeten sie. Er beobachtete wie Elrond fortwährend zu Legolas zeigte und die Stirn runzelte. Haldir blieb verhältnismäßig ruhig und nickte beinahe nur. Gimli hätte zu gerne an der Zusammenkunft teilgenommen, da er aber nicht unhöflich erscheinen wollte, hatte er nicht darum gebeten.
Ein leises Aufstöhnen kam aus der Richtung des Krankenlagers. Gimli stand sofort auf und streichelte den Arm des Erkrankten.
„Elrond ist da, Legolas, er wird dir helfen. Ist das nicht wunderbar?" flüsterte er dem Elben ins Ohr.
Aber dieser stöhnte nur wieder auf.
„Möchtest du vielleicht etwas Wasser trinken? Ich werde dir welches besorgen…."
Gimli holte eine silberne Kanne und schöpfte etwas Wasser aus einer Quelle ganz in der Nähe. Damit ging er wieder ans Bett und füllte den kleinen, kupfernen Becher, der noch dort stand. Vorsichtig hielt er mit der rechten Hand den Kopf des Elben etwas hoch und setzte den Becher an seinen Mund. Gimli beobachtete erfreut, dass er tatsächlich Durst zu haben schien, denn er trank beinahe begierig ein paar Schlucke. Danach ließ Gimli ihn sanft wieder zurück in sein Kissen gleiten.
„So ist es richtig..." sagte Gimli leise und stellte den Becher weg.
Sein Blick wanderte zu Elrond und Haldir, die sich immer noch unterhielten. Galadriel und Celeborn kamen gerade hinzu. Schon nach kurzer Zeit wurde auch in ihren Gesichtern die Besorgnis groß. Gimli wusste, dass Elrond keine guten Neuigkeiten hatte. Er spürte wie es ihm das Herz erschwerte, seine Kehle zog sich zu und Tränen stiegen in ihm auf. Dann sah Galadriel zu ihm und deutete mit einer Handbewegung, dass er sich zu ihnen gesellen sollte. Er warf einen kurzen Blick auf Legolas.
„Ich bin gleich zurück" sagte er leise und schritt mit einem unguten Gefühl zu der kleinen Gruppe.
„Gimli, bitte verzeih uns, dass wir dich nicht eher zu unserer Besprechung gerufen haben. Ich wollte zuerst sicher gehen, dass ich das richtige unternehme." sprach Elrond mit einem furcht einflößend traurigen Unterton in der Stimme.
„Lasst mich es ihm sagen….Lord Elrond…es wird nicht einfach sein…" fiel Galadriel ihm ins Wort. Elrond nickte nur und trat einen Schritt zurück.
„Wir hatten alle Hoffnungen auf den Heiler aus Bruchtal gesetzt, aber diese wurden enttäuscht. Auch er wird Legolas nicht helfen können. Allerdings konnte er einiges zur Auflösung der recht außergewöhnlichen Botschaft Thranduils beitragen. Und somit auch zum Anstoß der Erkrankung. Wie du sicherlich weißt, wird unser Volk nicht durch den Körper krank, aber durchaus durch die Gemütsverfassung. Legolas' Seele ist schwer verletzt, bleierne Sorgen umnächtigen seinen Geist, wir wundern uns, dass er überhaupt die Beschwerlichkeiten des Krieges so unbeschadet überstehen konnte. Er ist ein sehr starker Elb, aber auch ihm waren Grenzen gesetzt. Als sich die Ruhe über ihn legte, holten ihn die Ereignisse der Vergangenheit wieder ein."
Galadriel sah mit unglücklichen Augen in die Runde.
„Und jene Begebenheiten haben wir soeben durch Lord Elrond in Erfahrung bringen können. Legolas ist ihm sehr vertraut und zu ihm kam er in den schweren Stunden seines Daseins. Des Düsterwaldes Prinz hat seiner Heimatstätte den Rücken gekehrt, vom eigenen Vater verstoßen oder zu einer Vermählung gezwungen. Große Schmach wurde über das Königshaus gebracht, als der König erfuhr, dass eine Bürgerliche durch Legolas in gute Hoffnung gebracht wurde."
Gimli starrte die Herrscherin sprachlos an. Das hatte er nicht erwartet.
Aber nun verstand er die Verschlossenheit, die Legolas ergriff, sobald es um seine Familie ging. Einerseits spürte er großes Mitgefühl, andererseits war er gekränkt, dass Legolas geschwiegen hatte. Auch er war mittlerweile ein Vertrauter des Elben geworden. Der Zwerg drehte den Kopf zur Krankenstätte und als er seinen Freund dort so hilflos liegen sah, überwog das Mitleid und verbannte jegliche Kränkung.
Sicher hatte Legolas seine Gründe gehabt, vielleicht hatte er es erfolgreich verdrängt und wollte es lediglich nicht wieder hervorholen.
„Können wir ihm denn gar nicht helfen?" fragte er nun mit wenig Hoffnung im Herzen.
Galadriel sah ihn ernst an.
„Nun, natürlich gäbe es eine Lösung, doch sie ist weit entfernt. Das Einzige, dass Legolas noch retten kann, ist die Rückkehr in den Schoß seiner Familie. Doch dies ist beinahe unmöglich, in unseren Völkern ist es durchaus üblich, einen Elben zu ächten, der entgegen seines Ranges gehandelt hat. Natürlich wird nun der Versuch unternommen, König Thranduil zu einer Unterredung zu bitten, die möglicherweise zu einer Versöhnung führen könnte. Und Eile ist geboten, denn Legolas wird nur noch wenige Tage haben, wenn nicht gar Stunden."
Gimli schluckte, da sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Tage oder Stunden und ein wütender König, der seinen Sohn verschmähte?
„Haldir, wähle eine Gefolgschaft und begleitet mich auf kürzestem Wege in den Düsterwald zu des Königs Palast. Dort müssen wir sofort Thranduil aufsuchen. Er muss erfahren, dass der Prinz sich bereits im zweiten Stadium befindet und uns sehr bald verlassen wird, wenn er bei seiner Geisteshaltung bleibt. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Elrond und Gimli werden derweil über Legolas wachen. Er ist somit in guten Händen."
