Kraftlos

Bereits eine Stunde später war die Gruppe unterwegs zu ihrer eilenden Mission, während Gimli und Elrond bei dem Kranken weilten. Es war ein längerer Ritt und so befürchtete Gimli, dass sie vielleicht nicht rechtzeitig zurückkehrten.

Elrond suchte beinahe verzweifelt nach einigen Kräutern mit einer stärkenden Wirkung, die in den Wäldern Lóriens nur sehr spärlich wuchsen.

Gimli saß an Legolas' Bett. Seine Gedanken kreisten um die Dinge, die er in der Nacht gehört hatte. Sie hatten sein Bild von Legolas ins Wanken gebracht. Niemals hätte er gedacht, dass sein bester Freund solche Geheimnisse verbergen könnte. Für ihn war der junge Elb immer ein stiller, höflicher und anmutiger Mann gewesen, den kaum etwas aus der Fassung brachte. Nur selten hatte er ihn furchtsam oder widerspenstig erlebt. Aber nun hatte er von Begebenheiten erfahren, die dazu nicht passten. Außerdem wurde ihm bewusst, dass Legolas nun sicher schon Vater war. Es waren schließlich fast 2 Jahre vergangen. Ein Vater, der mit der Mutter des Kindes nicht verheiratet war. Dies war nicht nur unter Elben eine Schande, auch bei den Zwergen verhielt sich das nicht anders. Natürlich hielten sich nicht viele an das Gebot, bis zur Ehe unberührt zu bleiben, aber man sorgte dafür, dass nichts Folgenschweres geschah. Legolas war noch sehr jung gewesen, wahrscheinlich zu jung, dass er die Folgen hätte einschätzen können.

Gimli verstand das Verhalten des Königs bis zu einem gewissen Punkt. Legolas war Prinz, Elrond hatte gesagt, er sei das einzige Kind des Herrschers, also war er sicher auch Thronfolger. Aber er hatte mit einer unvorsichtigen Nacht das ganze Königshaus und die Ehre seines Vaters befleckt. Aber andererseits lag er nun im Sterben, von Sorgen zerrüttet, und Gimli verstand einfach nicht, warum Thranduil sein Ansehen auch nun noch nicht aufgeben wollte. Er war nicht nur König, er war auch Vater eines noch sehr jungen Elben, der ihn dringend brauchte, um gesund zu werden und seinen Frieden wieder zu finden. Konnte ein Mann, ob Elb oder nicht, wirklich seinen Sohn sterben lassen, nur um seinen Ruf zu wahren?

Gimli dachte kurz an Galadriel und ihre Gefolgschaft. Er betete, dass sie schnell und ohne Hindernisse voran kämen und dass der König seine Vaterliebe voranstellte.

Legolas wimmerte leise, Gimli sah sich suchend nach Elrond um, aber dieser schien immer noch nach diesen Pflanzen zu suchen.

„Was hast du?" fragte er sanft und trat näher an den Elben heran.

„Geht es dir nicht gut? Oder hast du Durst oder Hunger? Sag etwas und ich werde dir helfen."

Legolas stöhnte auf, anstelle einer Antwort.

„Soll ich Elrond holen? Brauchst du die Hilfe von ihm?"

Der Elb öffnete langsam die Augen und sah Gimli verwirrt und vom noch hellen Abendlicht geblendet an. Dann bewegte er seine Hand in Richtung des Zwerges. Gimli ergriff sie und drückte sie an sich.

„Ich bete für dich, mein Freund, zu deinen und zu meinen Göttern. Sie werden dich nicht zu dir holen, das glaube ich ganz fest." sagte er andächtig.

Legolas hatte die Augen immer noch geöffnet und schien nicht zu wissen, wo er sich befand. Vorsichtig bewegte er den Kopf hin und her, um die Umgebung einzuordnen.

„Wir sind in Lothlórien, in Galadriels Reich, hier hat unsere Freundschaft begonnen, aber ich werde nicht zulassen, dass wir an diesem Orte wieder getrennt werden. Und du darfst das auch nicht zulassen. Bitte…."

Gimli konnte seine Gefühle nicht mehr zurück halten. So stand er da und begann leise zu weinen.

„Weine noch nicht um ihn." sprach Elrond, der lautlos mit einem dampfenden Becher hinter ihm aufgetaucht war.

„Noch ist er nicht verloren. Erfreue dich daran, dass er noch unter uns weilt. Und bete, dass er dies noch lange tun wird."

Gimli nickte nur, immer noch hielt er Legolas' feingliedrige Hand. Er küsste sie kurz und legte sie ihm auf die Brust, ungefähr an die Stelle seines Herzens.

„Fühlst du dein Herz schlagen? Lass es nicht verstummen."

Dann drehte er sich um und ging in den Wald hinein. Er wollte ein wenig allein sein, denn seine Trauer war übermächtig.

Elrond hob vorsichtig Legolas' Kopf an und setzte den Becher an seinen Mund. „Nimm das zu dir, es wird dich stärken." sagte er mit einer sanften Stimme. Legolas tat wie ihm befohlen und trank den Becher in kleinen Schlucken leer.

„So ist es gut…und nun schlafe wieder. Du benötigst deine Kräfte zum kämpfen."

Er strich Legolas eine blonde Strähne aus dem Gesicht und setzte sich auf einen Stuhl. Auch er hatte Zweifel, dass die Zeit reichen würde. Er spürte bereits, dass Legolas zusehend schwächer wurde, so schwach, wie er es bei einem seines Volkes noch niemals erlebt hatte. Sein Kräutertee würde ihn zwar ein wenig stärken, aber ausreichend war es nicht. Auch er fühlte den Schmerz in ihm aufkommen, Legolas' war im zarten Alter von zehn Jahren bereits bei ihm gewesen und hatte Bruchtal von da an häufig einen Besuch abgestattet. Elrond hatte für Legolas' die Stellung eines lieben Onkels.

Schmerzlich wurde Elrond bewusst, wie jung der Kranke war. Seine erste Begegnung mit ihm lag nicht viel länger als einhundert Jahre zurück. Für einen Elb eine sehr kurze Zeit.

Legolas bäumte sich in seinem Krankenbett auf und stöhnte. Elrond eilte sofort zu ihm.

„Mein junger Freund, beruhige dich….es ist alles gut…dir wird nichts geschehen."

Legolas stöhnte wieder auf und versuche sich aufzusetzen, dann würgte er qualvoll. Elrond half ihm auf und griff nach einem Behälter, der vorsorglich an das Bett gestellt worden war. Mit einer Hand stütze er ihn, da Legolas zu erschöpft war, um alleine zu sitzen, mit der anderen Hand hielt er ihm das Gefäß, während der Erkrankte erbrach.

Als Heiler hatte Elrond befürchtet, dass dies geschehen würde. Der Tee war nur ein Versuch gewesen, ihm ein wenig Kraft zu geben, aber Legolas' Körper war zu geschwächt, um etwas aufzunehmen. Wieder übergab sich der Elb und zitterte dabei am ganzen Körper. Elrond streichelte ihm mitleidsvoll den Rücken. Er konnte sehen, dass Legolas sehr litt und es tat ihm leid, dass er ihm diese zusätzliche Pein zugefügt hatte.

Endlich beruhigte sich Legolas wieder, aber das Erbrechen hatte ihn völlig entkräftet. Elrond ließ ihn an seine Brust sinken. Liebevoll wie ein Vater versuchte er ihm die Wärme zu geben, die Legolas so verzweifelt entbehrte und hielt ihn so lange in den Armen, bis der ermattete Elb eingeschlafen war. Vorsichtig bettete er ihn auf seinem Kissen, legte ihm die Hand auf die Stirn und betete wortlos.

Gimli kehrte kurz darauf zurück, seine Augen sahen verweint aus, aber sein Gesicht drückte die Entschlossenheit aus, seine Trauer nicht mehr vor Legolas zu zeigen. Schweigend setzte er sich auf den Stuhl und senkte den Kopf. Auch er begann lautlos zu beten.