Kapitel 9
Die Gestalt des Dämon füllte fast die gesamte Tür aus. Er war fast zwei Meter groß. Seine kurzgeschnittenen, feuerroten Haare bildeten einen scharfen Kontrat zu sanften grünen Augen, die sie wissend ansahen. Seine samtene, tiefe Stimme versetzte sie in Trance. „Du bist nur deshalb aufgewacht, weil du eine mächtige Druidenpriesterin bist. In dir schlummern Kräfte, welche die stärksten unter uns zum Erzittern bringen können. Und wie ich sehe, bist du noch eine jungfräuliche Priesterin, deine Kräfte sind rein..." Er war ihr näher gekommen, streckte eine Hand aus und streichelte ihre Wange. „Komm mit mir, kleine Priesterin und ich werde dir wahre Macht zeigen! Die Gefühle dieses schäbigen Halbdämons verunreinigen deine Kräfte. Verbinde dich mit mir und du wirst sehen, dass die ganze Welt dir dienen wird." Seamus bemerkte nicht, wie Kagome bei seinen abwertenden Worten über Inuyasha aus der Trance erwachte. Sie schlug seine Hand weg. „Nimm deine Pfoten von mir! Ich will diese Macht nicht! Ich bin nur deshalb so stark, weil ich ihn liebe, also ziehe unsere Gefühle nicht in den Dreck!" Der Dämon schaute sie einen Moment verwundert an, dann begann er laut zu lachen.
Inuyasha lächelte. Er war der glücklichste Halbdämon auf der ganzen Welt. „Natürlich werde ich für immer hier bleiben! Ich werde dich nie mehr verlassen und diese alberne Ausbildung brauche ich auch nicht", versicherte ihm Kagome. Sein Herz vollführte Freudensprünge bei ihren Worten. Endlich konnten sie ein gemeinsame Leben aufbauen, hier, in seiner Zeit. „Das wurde auch verdammt noch mal Zeit!", rief er und riß sie übermütig in seine Arme. Kagome lachte überglücklich. Er ließ sie wieder los, drehte ihr den Rücken zu und ging auf ein Knie runter. Er musste nichts sagen, Kagome wusste, was er von ihr wollte. Kichernd kletterte sie auf seinen Rücken, schlang die Arme um seinen Hals und legte ihr Kinn auf seine Schulter. Die Hände sicher unter ihre Knie plaziert, stand er auf. "Wo gehen wir hin?", fragte sie leise. "Das ist eine Überraschung", antwortete er grinsend und rannte mit unglaublicher Geschwindigkeit los. Als sie eine kleine Höhle erreicht hatten setzte er sie wieder ab. Er nahm ihre Hand und führte sie hinein. In der Höhle erwartete sie ein gemütliches Bettlager mit weichen Fellen, erleuchtet von unzähligen Kerzen, die Inuyasha in der Zukunft besorgt hatte. Daneben stand ein gedeckter Tisch mit ihrem Lieblingsgericht. Er richtete den Blick wieder auf Kagome, die mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen auf das liebevoll gestaltete Arrangement starrte. Inuyashas Herz stockte einen Moment.
Gefiel ihr es nicht? War er zu weit gegangen? Fühlte sie sich bedrängt?
„Ge...gefällt es d...dir nicht? Wir können auch wieder gehen!..." Er wollte nicht so panisch klingen, aber es war ihm egal. Das hier war wichtig und Machoallüren würden sie auf jeden Fall abschrecken.
Kagome legte einen Finger auf seine Lippen und er verstummte. "Es ist perfekt. Genau wie in meinen Träumen", beruhigte sie ihn und strahlte ihn an. Inuyasha fühlte sein Herz innerlich bersten vor Freude.
Ich habe Kagome endlich richtig glücklich gemacht!
Er nahm ihre Hand und legte sie auf sein rasendes Herz. "Möchtest du immer noch meine Gefährtin sein?"
„Was ist denn das für eine Frage? Ich liebe dich! Natürlich will ich deine..." Weiter kam sie nicht, denn er brachte sie mit einem leidenschaftlichen Kuss zum Schweigen. „Dann bist du nach unserer Vereinigung mein."
„Und du bist mein", erwiderte sie atemlos. Er hob sie auf seine Arme und bettete sie vorsichtig auf das Lager. Niemand störte die Liebenden in dieser Nacht.
Ich kann es noch immer nicht glauben. Kagome ist endlich mein und niemand wird sie mir jemals wegnehmen. Sie wird nicht in ihre Zeit zurückkehren, außer um ihre Familie zu besuchen, sie bleibt jetzt für immer hier, für immer bei mir.
Endlich sind die Götter mir gewogen.
Ich werde Kagome beschützen, ehren und lieben...und mich manchmal mit ihr streiten...wahrscheinlich werden wir uns öfter streiten, so wie in der Vergangenheit. Hehe, es macht Spaß sie zu ärgern...ich muss nur aufpassen, dass ich es nicht übertreibe, sonst weint sie wieder...meine liebe Kagome...was würde ich nur ohne dich machen? Lächelnd strich er eine Haarsträhne aus ihrem entspanntem Gesicht. Sie schlief noch, erschöpft von der anstrengenden Nacht. Doch die friedliche Idylle wärte nicht lange. Auf dem Hals seiner Gefährtin entdeckte er einen dunklen Punkt. „Myoga", knurrte er und pickte den Flohgeist mit Daumen und Zeigefinger vorsichtig von Kagomes Hals, um sie nicht zu wecken. „Was hast du hier verloren?"
„Seid nicht böse mit mir, Inuyasha, ich wollte mich nur vergewissern. Ihr habt euch mit Kagome vereinigt?"
„Was geht dich das an? Verschwinde, du störst!"
„Nein, wartet! Eure Eltern schicken mich!" Verdutzt hielt Inuyasha inne. „Meine Eltern sind tot. Leidest du an Geistesschwäche?"
„Ihr seid ein furchtbarer Sohn! Eure Eltern haben sich Sorgen um Euch gemacht, als ihr damals ohne ein Wort losgezogen seid, um Naraku zu bekämpfen!"
„Hey, wenn du mich verarschen willst, ist das ein ganz schlechter Zeitpunkt. Und jetzt verschwinde!"
„Inuyasha?", murmelte Kagome verschlafen.
„Du hast sie geweckt", fuhr der Hanyou den Flohgeist an. „Ich war es nicht, der laut geworden ist."
„Was ist los, Liebster?"
„Nichts, schlaf weiter, Liebste. Du bist noch völlig erschöpft." Er küsste sie auf die Stirn. Doch Myoga nutzte die Gunst der Stunde. „Inuyashas Eltern wollen Euch sehen" Kagome schlug ihre Augen auf. „Wirklich? Das ist doch wundervoll! Du hast sie so lange nicht mehr gesehen!"
„Hä? Kagome, meine Eltern sind tot!"
„Nicht schon wieder. Bist du immer noch auf sie sauer?"
„Sauer? Ich war niemals sauer! Ich würde alles dafür geben meine Mutter noch einmal zu sehen...und meinen Vater." Das wollte er wirklich. Welches Kind wollte nicht seine verstorbenen Eltern wieder sehen?
„Ich wusste es doch. Tief in deinem Inneren hast du ein weiches Herz." Sie kuschelte sich an ihn.
„Nein, hab ich nicht", brummelte er.
„Doch."
„Nein."
„Oh, doch und versuche es nicht zu leugnen."
„Verdammt, sei still Weib und schlaf weiter!"
„Osuwari."
Inuyasha seufzte ergeben. „Kagome, ich trage die Kette nicht mehr."
„Du hättest es aber verdient."
Er lachte leise. „Ich weiß, ich bin manchmal ein Trottel."
„Manchmal?"
Seamus widerliches Lachen war wieder verklungen. „Du wirst deine Meinung ganz schnell ändern." Instinktiv wich Kagome vor ihm zurück und als Seamus sie packen wollte, baute sich erneut eine Schutzbarriere um sie herum auf und Seamus wurde von ihr zurückgestoßen. Er flog an die Wand und fiel zu Boden. In seinen Augen blitzte Zorn. „Was ist das für eine Magie?"
„Seine Liebe beschützt mich."
Seamus Blick fiel auf ihre Hand mit dem Ring. „Lächerlich", schnaubte er und streckte seine Hand aus. Bevor Kagome bemerkte, was er vorhatte, war es schon passiert. Der Ring glitt von ihrem Finger und flog in Seamus ausgestreckte Hand. Die Barriere verschwand.
Ich bin ihm ausgeliefert! Ohne Pfeil und Bogen und ohne Ring...was soll ich nur tun? Ich will von diesem Kerl nicht angerührt werden!
ICH WILL NICHT, DASS ER MICH ANFASST!
Als er erneut versuchte sie zu fassen, glühte erneut eine Barriere auf. Als Seamus sie berührte war der Rückschlag so heftig, dass er durch die Mauer geschleudert wurde. Als sie genauer hinschaute, stellte sie beeindruckt fest, dass er durch mehrere Mauern geflogen war und in etwa 100m regungslos auf dem Boden lag. Sein Diener war verschwunden. Kagome verlor keine weitere Zeit packte Inuyasha und schleppte sich, mit Inuyasha über der Schulter, aus dem Verlies heraus. Sie wollte sich ein Versteck suchen um Inuyasha zu wecken und weiterzukämpfen.
Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er den Palast seines Bruder...Halbbruders...Vaters...(wem gehörte er jetzt eigentlich?) betrat.
Sein Vater war doch vor über 200 Jahren gestorben, genau wie seine Mutter, warum behauptete alle Welt, sie wären noch am Leben und wollten ihn sehen?
Inuyasha war misstrauisch und der einzige Grund, weshalb er vorläufig mitspielte, war seine Neugier...und ... sein Verlangen seine Eltern zu sehen. Er wollte wissen, ob sie stolz auf ihn waren, er wollte ihnen Kagome vorstellen und wissen, ob sie mit seiner Wahl einverstanden waren. Sein Herz verlangte so sehr danach, dass er seinen Verstand und seinen Instinkt ignorierte, die ihn eindringlich warnten.
Doch als er schließlich seine Eltern sah, vergaß er alles. Das Gesicht seiner Mutter strahlte vor Freude, als sie ihn sah. Plötzlich fühlte er sich wieder wie ein kleiner Junge und rannte auf sie zu und umarmte sie. „Willkommen zu Hause, Inuyasha", sagte sie und erwiderte seine Umarmung. Er wollte etwas sagen, doch ein dicker Kloß in seinem Hals hinderte ihn daran. Als er sich wieder von ihr löste, standen Tränen in seinen Augen. „Du...du hast dich nicht verändert...du bist nicht älter geworden", sagte er nur. Seine Mutter sah genauso aus, wie er sie in Erinnerung gehabt hatte. „Mein Sohn", erklang die tiefe Stimme seines Vaters.
Mein Vater...ich stehe das erste Mal meinem Vater gegenüber!
Inuyasha wandte sich ihm zu. Er war größer als er und hatte verblüffende Ähnlichkeit mit Sesshoumaru. Aber diese goldenen Augen strahlten Wärme aus. Inuyasha war unschlüssig. Sein Vater flößte ihm soviel Respekt ein, dass er gar nicht wusste, wie er sich verhalten sollte. „Wir sind froh, dass dir nichts geschehen ist. Deine Mutter hat sich große Sorgen gemacht", erklärte Inutaisho.
„Und dein Vater hat nächtelang nicht geschlafen."
„Nur weil mich dein Jammern wach gehalten hat."
„Du hast mich wahnsinnig gemacht mit deinem ruhelosem auf und abwandern!"
Mit großen Augen verfolgte Inuyasha das Streitgespräch seiner Eltern. Als würde er in einen Spiegel schauen, mit Kagome als seiner Mutter und er selbst als sein Vater. Doch so schnell der Streit begonnen war, so schnell war er auch wieder beendet.
„Das muss Kagome sein." Neugierig wandte sich seine Mutter der jungen Frau an seiner Seite zu. „Mutter, Vater, das ist Kagome, meine Gefährtin."
„Freut mich, Sie kennen zu lernen! Inuyasha hat schon viel von ihnen erzählt", begann Kagome. Sein Vater zog eine Braue hoch. „Hat er das?" Als Kagome rot anlief, legte Izayoi ihrem Gemahl eine Hand auf den Arm. „Du kennst doch unseren Sohn. Er ist genauso gesprächig wie du, wenn es um die Familie geht." Vater und Sohn reckten beide beleidigt ihre Nase in die Höhe und kommentierten Izayois Einwand mit einem verstimmten‚Keh!'
Beide Frauen fingen an zu lachen und gemeinsam begaben sie sich zum Willkommensbanquett.
In dieser Nacht liebten sie sich erneut. Als sie hinterher glücklich aneinandergeschmiegt einschliefen, legte er seine Hand auf ihren Bauch.
Dieses Mal war etwas ganz besonderes. Wir werden bald unser erstes Kind haben. Verdammt, ich weiß genau, dass hier etwas faul ist, aber...das ist das Leben, dass ich mir gewünscht habe und jetzt ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Was kann denn daran so schlimm sein? Ich war noch nie so glücklich und ich will nie wieder hier weg.
Inuyasha entspannte sich vollkommen, doch plötzlich rüttelte ihn ein gellender Schrei wach.
„INUYASHAAA!"
Das war Kagomes Stimme, aber sie lag doch in seinen Armen und schlief!
Verwirrt schaute er auf seine Gefährtin, die friedlich in seinen Armen schlummerte.
„INUYASHAA!"
Dieses Mal war es sogar noch lauter gewesen. Sein Herz begann zu rasen.
„Zur Hölle noch mal, was ist hier nur los?"
