Kapitel 11
Der Krieg zwischen den Banshees und den Hundedämonen war zuende, doch es würde sehr viel Zeit brauchen, bis beide Seiten wieder vertrauen zueinander fassen würden. Keira und Scarlet hatten den Anfang gemacht, doch es fiel beiden schwer dem anderen ohne Hass und Vorurteile zu begegnen. Inuyasha brauchte Zeit, um wieder zu Kräften zu kommen. Man hatte ihn in das Schloss der Banshees gebracht, weil sie näher zum Reich der Kobolde lag. Scarlet verließ kurz darauf die Burg, um einen Tag später mit einigen Hundedämonen zurückzukehren um den Banshees beim Wiederaufbau ihrer Burg zu helfen.
Als Kagome wieder aufwachte, war Inuyasha immer noch bewusstlos. Aber er sah nicht mehr so blass aus und befand sich auf dem Weg der Besserung. Scarlet hatte ihn in einen Heilschlaf versetzt, aus dem er nach drei Tagen wieder erwachen würde. Kagome wollte die ganze Zeit an seiner Seite verbringen, doch sah sie bald ein, dass es nichts nutzte, da Inuyasha vor Ablauf dieser drei Tage nicht mehr erwachen würde und er ihre Präsenz nicht wahrnehmen konnte. Also nahm sie Keiras Vorschlag bei den Aufräumungsarbeiten zu helfen an, und nebenbei ein Auge auf das zerbrechliche Bündnis zwischen Banshees und Hundedämonen zu werfen. Kagome hätte nicht geglaubt, dass dies notwendig sein würde, doch mehr als nur einmal verhinderte sie Streit und Gewalt zwischen den ehemaligen Feinden. Grund dafür war die raue Art der Hundedämonen, die mit der sanfmütigen Art der Banshees kollidierte.
„Ich weiß nicht, was geschehen wird, wenn du wieder nach Japan zurückkehrst. Der Frieden zwischen uns und den Hundedämonen ist sehr zerbrechlich." Keira und Kagome standen auf den Zinnen der Burg und beobachteten das Arbeiten. „Ihr werdet das schon schaffen. Wie geht es Inuyasha? Ist er schon aufgewacht? Die drei Tage müssten doch schon vorbei sein."
Keira lächelte. „Er müsste jeden Moment aufwachen. Scarlet ist gerade bei ihm, um ihn aus der Heiltrance herauszuholen." Kagome seufzte erleichtert. Sie hatte ihn seit zwei Tagen nicht mehr gesehen. "Du kannst immer noch bei uns bleiben", meinte Keira, die immer noch hoffte, dass Kagome bei ihnen bleiben würde.
"Nein, meine Entscheidung steht. Ihr...könnt mich doch in einen Menschen zurückverwandeln, oder?" Nervös verschränkte Kagome die Hände ineinander.
"Natürlich. Wir haben das Ritual nicht vollständig vollzogen. Sobald du unser Reich durch das gleiche Tor verläßt, durch das du gekommen bist, wirst du wieder ein ganz normaler Mensch sein." Das beruhigte Kagome sehr.
Lautes Geschrei lenkte die Aufmerksamkeit der beiden Frauen auf den Innenhof. "Wer streitet sich denn nun schon wieder?" Kagome verdrehte die Augen. Das wurde langsam anstrengend.
„Lasst mich! Die paar Kratzer bringen mich nicht um! Wo verdammt noch mal, ist Kagome?" Seine frustiert klingende Stimme schallte quer über den Hof und einige Banshees und Hundedämonen hielten verwundert nach dem Schreihals Ausschau.
"Inuyasha?" Wenn er wieder so herumbrüllt geht es ihm wieder gut!
Ihr Herz jubelte vor Freude und das schwere Gewicht der Verantwortung, das sie die letzten Tage getragen hatte, war aufeinmal fort, den nun war sie nicht mehr allein: Inuyasha weilte wieder unter den Lebenden.
Sofort machte sie sich auf dem Weg zu ihm. Gerade als er auf den Burghof stolperte, kam sie ihm von der anderen Seite entgegengelaufen. „Inuyasha!"
Sein Gesicht hellte sich auf und er wollte zu ihr, doch seine Kräfte waren immer noch nicht voll da. Er stolperte und fiel auf seine Knie. Kagome war sofort bei ihm und hielt seine Schultern fest. „Übertreibe es nicht gleich wieder, du bist noch zu schwach!", tadelte sie ihn. Kagome erwartete eine schnippische Antwort, doch er beugte sich nur leicht vor und schnüffelte an ihr. „Du bist immer noch eine Banshee? Diese verfluchten Weiber sollten dich doch wieder zurückverwandeln!", brauste er auf.
Und wieder einmal wurde ein potentieller romantischer Moment erfolgreich von dem aufbrausendem Temperament eines unbeherrschten Haldämons im Keim erstickt.
Was habe ich auch anderes erwartet? Das ist Inuyasha und nicht Houjou. Er ist so ein unsensibler Trottel!
„Was soll das heißen?", fragte Kagome gefährlich leise. Inuyasha, der noch völlig in seinem Zorn versunken war, antwortete gedankenlos: „Solange du eine Banshee bist, kann ich dich nicht riechen! Ich kann deinen Geruch kaum noch wahrnehmen! Wie konntest du nur so was dämliches machen!" Kagome ließ ihn los und Inuyasha versuchte panisch sein Gleichgewicht zu halten. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn mitleidslos an. „Und wenn ich eine Banshee bleiben will?"
„Was? D...das meinst du doch nicht wirklich? Das lasse ich nicht zu!" Er hatte seine Hände links und rechts von ihren Oberschenkel auf den Steinplatten des Hofes plaziert und sah sie durchdringend an.
Enttäuscht stand Kagome auf und wollte gehen. „Was ist denn jetzt schon wieder? Frauen sind immer so empfindlich."
„Und Männer sind immer so unsensible Idioten!", schrie sie zurück. Seine Ohren richteten sich alarmiert nach vorne. „Lauf gefälligst nicht einfach weg!" Er rappelte sich wieder auf. Kagome sah ihn abwartend an. „Ich bin nun mal ein unsensibler Trottel, aber das heißt nicht, dass ich mich nicht ändern kann." Diese Worte hatten sie nicht besänftigt.
„Na schön. Dann sag mir, warum du mich liebst. Ist es nur wegen meines Geruchs? Bin ich nicht mehr länger attraktiv für dich, wenn du mich nicht mehr riechen kannst? Ist unsere Beziehung darauf aufgebaut?"
Inuyasha begann zu schwitzen. Warum müssen Frauen immer alles so kompliziert machen? Wie kommt sie nur auf diese bescheuerte Idee?
„Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun? Meine Gefühle werden doch nicht vom Geruch beeinflusst!"
„Natürlich nicht, deshalb bist du ja auch Hals über Kopf nach Irland gegangen", erwiderte Kagome sarkastisch. Inuyasha holte tief Luft. Die Kagome in seinem Traum war nicht so anstrengend gewesen. Doch dann lächelte er.
Aber dann wäre es ja auch nicht meine Kagome.
„Wenn ich dich nicht riechen kann, ist es als wäre ich blind. Außerdem, wie soll ich dich finden, wenn du in Gefahr bist? - Egal, wenn du eine Banshee bleibst, wirst du meinen Schutz nicht mehr brauchen." Er war aufgestanden und sah betrübt zu Boden. Wenn Kagome wirklich hier bleiben würde, gab es für ihn keinen Platz mehr in ihrem Leben. Nachdem er sie so schäbig behandelt hatte, würde es ihn nicht wundern.
Doch da schlangen sich zwei zierliche Arme um seinen Oberkörper. „Ich hatte ja keine Ahnung! Tut mir leid, Inuyasha, ich habe etwas überreagiert." Er legte seine Arme um ihren Körper und hielt sie fest. Sein Traum kam im plötzlich wieder in den Sinn und ein Teil von ihm bedauerte es, diese Traumwelt verlassen zu haben. In der Wirklichkeit würde er niemals so viel Glück emfpinden können, weil das Leben ihm ständig Hindernisse in den Weg legte. Unbewusst klammerte er sich fester an Kagome.
"Wenn wir nach Hause zurückkehren, werde ich wieder normal sein. Ich bin doch nur hergekommen, um dich zurückzuholen. Es war nie meine Absicht eine Banshee zu bleiben...denn diese Sache mit den Toten...ist wirklich unheimlich", murmelte sie in sein Hemd hinein.
Das löste die Spannun zwischen ihnen wieder auf. Sie sahen sich einander für einen Moment tief in die Augen, dann schlang Kagome einen Arm um seine Taille und führte ihn zu seinem Ruhelager zurück.
Dämonen und Banshees hatten die kleine Szene interessiert verfolgt.
War es wirklich so einfach zu verzeihen? Dieses junge Paar schien sich öfters zu streiten, und doch fanden sie immer wieder zueinander zurück. Einigen von ihnen gab es zu denken. Andere wandten sich fast angewidert ab. Inuyasha entgingen diese Reaktionen nicht. Ein ungutes Gefühl regte sich in ihm. Doch es war schnell wieder vergessen als er in ihr lächelndes Gesicht sah und er einen Arm um ihre Schultern legte.
"Schön, dass es dir wieder gut geht", sagte Scarlet, als sie ihn am nächsten Tag besuchte, um sich zu verabschieden. Sie musste wieder zurück in ihre Burg und konnte nicht bei Inuyashas und Kagomes Verabschiedung dabei sein.
"Du hast mir bei der Heilung geholfen, sonst wäre ich nicht so schnell wieder auf den Beinen." Er setzte sich auf. Scarlet kramte in ihrer Jackentasche und zog einen kleinen, runden Ring heraus. "Hier, den habe ich bei Seamus Überresten gefunden."
"Kagomes Ring!", rief er überrascht aus. Mit gemischten Gefühlen nahm er den Ring entgegen und betrachtete nachdenklich das Kleinod, das nun auf seiner Handfläche ruhe. "Was hast du, Inuyasha? Irgendwas beschäftigt dich doch?" Er reagierte nicht sofort auf ihre leise Frage, sondern hing Erinnerungen nach...
Erst als sie sanft sein Gesicht berührte, wachte er aus seiner Starre wieder auf. "Erzähle mir, was dich bedrückt. Es ist das wenigste, was ich für euch tun kann." Sie setzte sich neben ihn. Inuyasha wollte erst nichts erzählen. Er kannte Scarlet doch kaum! Aber andererseits war sie auch ein Halbdämon, sie würde es verstehen können. "Kagome bedeutet mir alles und ich würde alles tun, um sie glücklich zu machen." Er machte eine Pause. Scarlet lächelte. "Das ist doch wunderbar. Warum bist du dann so traurig?"
"Ich weiß nicht, ob ich das kann. Dieser Traum hat mich nachdenklich gemacht. Wir waren dort zusammen und glücklich, niemand hat sich an unserer Verbindung gestört...aber die Wirklichkeit sieht doch anders aus. Ich habe viel an meine Mutter denken müssen, was sie durchlitten hat, nur weil sie einen Dämon geliebt hat und ein Kind von ihm bekommen hat. Die Menschen haben uns verachtet, die Dämonen haben mich gejagt...es war ein schlimme Zeit und ich will Kagome nicht das gleiche antun." Er schloß die Finger um den Ring. "Dieser Ring war mein Versprechen, zu ihr zurückzukommen und sie zur Gefährtin zu nehmen...ich weiß nicht, ob ich ihr den Ring wieder geben soll. Sie glaubt, er wäre verloren. Vielleicht ist es besser, sie in diesem Glauben zu lassen."
"Ihr könntet doch bei uns bleiben", schlug Scarlet zaghaft vor.
"Nein!", widersprach Inuyasha heftig. Ein bisschen zu heftig. Scarlet zog nur die Augenbrauen hoch. "So habe ich das nicht gemeint. Ich habe nur Angst...dass die Banshees ihre Finger nicht von Kagome lassen würden. Ich glaube Keira war von Kagomes Macht ziemlich beeindruckt." Scarlet konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Ich glaube eher, du hast angst, dass Kagome ihre Drohung doch noch wahrmachen würde und zu einer Banshee wird. Und du würdest nie mehr ihren lieblichen Duft wahrnehmen können." Beleidigt reckte seine Nase in die Luft. "Keh, das ist doch Blödsinn."
"Aber ich glaube, du würdest Kagome nur unglücklich machen, wenn du ihr den Ring nicht wieder gibst", fügte Scarlet wieder ernster hinzu. Dann ließ sie ihn wieder mit seinen Gedanken allein.
