Kapitel 12
„Und jetzt erzähl schon, wie war es dort?" Es war ein ruhiger Frühlingsabend, Sango und Kagome saßen entspannt in einer heißen Quelle. Vor einer Woche waren die Miko und der Halbdämon aus Irland zurückgekehrt und Kagome war danach sofort in ihre Zeit gegangen. Inuyasha hatte nicht viel erzählt und sowohl Sango als auch Miroku platzten vor Neugierde, wie denn nun der Hanyou und seine Miko ihre Probleme gelöst und zusammen zurückgekehrt waren.
„Es war genauso, wie ich mir Europa immer vorgestellt habe. Wir waren sogar in einer richtigen Burg!", begann Kagome und erzählte von den Banshees, ihrer Lebensart und dem Krieg mit den Hundedämonen. Sango hörte interessiert zu, doch war das nicht wirklich, was sie hören wollte. Als Kagome fertig war, schwiegen sie eine Weile. Sango entging nicht, wie ihre Freundin die ganze Zeit über ihre linke Hand an ihr Herz gepresst hielt. „Ist...ist zwischen dir und Inuyasha wieder alles in Ordnung?", fragte Sango, als sie das Schweigen nicht mehr länger aushielt. „Natürlich. Es war ja nicht seine Schuld gewesen."
„Was?" Sango war überrascht. „Er hat dich vor deinen Augen betrogen und du sprichst ihn von jeglicher Schuld frei? Kagome, wie kannst du ihm das jemals verzeihen?"
„Wieso kannst du Miroku immer verzeihen?"
„Das...das ist doch was anderes. Er ist halt so und meint es nicht ernst. Aber Inuyasha ist ein Hundedämon. Die wechseln ihre Gefährtinnen nicht einmal die Woche, das ist eine Bindung fürs Leben und sie kann durch nichts gebrochen werden."
„Es...es war ihr Geruch. Sie hat ihn betört und er war dagegen machtlos. Aber er kam eines Nachts vor vier Wochen zu mir." Sango hing gespannt an ihren Lippen und hätte Kagome am liebsten geschüttelt, damit sie weitererzählen würde und nicht mit verträumten Gesicht sprachlos vor sich hinstarrte. Sango stieß die Träumerin leicht mit dem Fuß an. Kagome erwachte aus ihrer Starre, warf ihr einen schuldbewussten Blick zu und berichtete weiter: „Er hat mir einen Ring gegeben und versprochen, dass er zu mir zurückkommen wird...und dass er mich heiratet. In gewisser Weise."
Sango zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen.„Und wo ist der Ring?"
Der verträumte Gesichtsausdruck war wie weggewischt. „Ich habe ihn im Kampf verloren. Der König der Kobolde hat ihn mir abgenommen." Sie würde sich das niemals verzeihen können. Inuyasha hatte ihr den Ring als Symbol ihrer Verbindung geschenkt und sie hatte ihn sich einfach wegnehmen lassen. Sie war einen Tag später nochmal an Ort des Kampfes zurückgekehrt, in der Hoffnung, irgendwo in den Narben von Inuyashas Kaze no Kizu, den Ring zu finden. Aber sie fand nichts, der Ring war wohl mit dem König vernichtet worden.
Sango rutschte zu ihrer Freundin herüber.„Oh, das tut mir leid. Was hat Inuyasha dazu gesagt?"
„Keh, war doch nur ein dummer Ring", imitierte sie ihn und lachte halbherzig. Doch Tränen der Enttäuschung standen in ihren Augen, was Sango nicht entging. Tröstend umarmte sie Kagome. „Du weißt doch, wie er ist. Es war seine Art zu sagen, dass du es nicht so schwer nehmen sollst."
„Ja, ich weiß. Danke, Sango." Kagome versuchte tapfer zu sein, doch wenige Sekunden später lag sie weinend in den Armen ihrer Freundin.
Im Dorf wartete ein ungeduldiger Mönch auf die Rückkehr der Mädchen. Er und Inuyasha saßen in der Hütte, die einst Kaede bewohnt hatte, vor einem wärmenden Feuer. Miroku hatte die ganze Zeit über gebetet und Inuyasha vor sich hin gebrütet. In den Halbdämon kam erst wieder Leben, als der Mönch aufstand. „Ich werde nach den Mädchen schauen, sie sind schon viel zu lange weg."
„Es geht ihnen gut, setz dich wieder."
„Woher willst du das wissen?"
„Ich weiß es halt."
„Das reicht mir nicht."
„Miroku!", knurrte Inuyasha drohend.
Plötzlich drehte sich Miroku um und hielt drohend einen Bannspruch hoch. „Dieses Mal wirst du mich nicht..."
„Ich muss mit dir reden", unterbrach ihn der Halbdämon.
Miroku hob erstaunt die Augenbrauen. „Du willst reden?"
„Ist das so ungewöhnlich?"
„Na ja...was ist los? Hat es mit Kagome zu tun?" Der Mönch steckte den Bannspruch wieder weg und setzte sich neugierig vor seinen Freund.
„Wieso muss es denn mit Kagome zu tun haben?", schnappte Inuyasha beleidigt.
„Also, es hat mit ihr zu tun."
„Ja", gab der Halbdämon zu und kramte in seiner Jacke, bis er etwas glitzerndes in der Hand hielt. Interessiert lehnte Miroku sich vor. „Was ist das?"
Inuyasha seufzte. „Diesen Ring habe ich von Totosai schmieden lassen." Miroku hob die Augenbrauen hoch und wartete. Doch Inuyasha starrte nachdenklich auf den Ring. Nach einigen schweigsamen Minuten wurde der Mönch ungeduldig. „Was ist mit dem Ring?"
„Ich hatte ihn Kagome gegeben, als Versprechen, dass ich wieder zu ihr zurückkehre und..." Er sprach nicht weiter, doch Miroku hatte schon verstanden.
„Du...du hast ihr einen Heiratsantrag gemacht?" Hatte sein sturer Kamerad endlich den Mut dafür aufgebracht? Er wollte ihm schon gratulieren und ihn ein wenig aufziehen, als er den traurigen Gesichtsausdruck bemerkte. "Hat...hat sie abgelehnt?"
„Nein. Sie hat ihn im Kampf gegen diesen irischen Bastard verloren. Scarlet hat ihn gefunden und ihn mir wiedergegeben." Beide Männer starrten nun auf den Ring, bis Miroku den Mut aufbrachte, die Frage zu stellen, die den Kern von Inuyashas Problem darstellte: „Und warum hast du ihn ihr nicht wieder gegeben?"
Als Inuyasha nicht sofort antwortete, wurde Miroku langsam klar, welche Gedanken durch den Kopf seines Freundes gingen.
„Kagome und du, ihr seid füreinander bestimmt. Warum hast du Bedenken? Befürchtest du, dass sie dich verlassen wird?"
„Sie ist ein Mensch, ich bin ein Halbdämon. Das allein ist schon kompliziert genug. Außerdem lebt sie in einer anderen Zeit."
„Kagome hat noch nie ein Problem mit deiner Herkunft gehabt, oder hat sie dir jemals Anlass gegeben an ihren Gefühlen für dich zu zweifeln? Und was die unterschiedlichen Zeitepochen angeht, bin ich mir sicher, dass sie hier bleiben würde."
„Und was dann? Soll sie genauso enden, wie meine Mutter? - Es wäre mein größter Wunsch, den Rest meines Lebens an ihrer Seite zu verbringen. Ich...ich habe mich noch nie...so glücklich gefühlt." Miroku musste angestrengt zuhören, weil Inuyashas Stimme immer leiser geworden war. „Möchtest du mir nicht erzählen, was in Irland vorgefallen ist? Was hat dich dazu gebracht, an eurer Verbindung zu zweifeln?"
Inuyasha seufzte. „Ich habe gesehen, wie es ist, wenn Kagome meine Gefährtin wird und meine Eltern noch leben würden. Sie waren stolz auf mich und sie haben Kagome akzeptiert." Miroku legte eine Hand auf seine Schulter. „Ich bin sicher, das wären sie auch."
„Aber die Wirklichkeit sieht doch anders aus. Wenn Kagome bei mir bleibt, bedeutet das nur Leid für sie und unsere Kinder. Ich will ihnen nicht das gleiche zumuten... das hat sie nicht verdient."
„Das ist ja wirklich nobel von dir, aber sei doch kein Narr, Inuyasha! Glaubst du wirklich, dass es das beste für euch wäre? Wem willst du etwas vormachen? Eure Verbindung ist etwas ganz besonderes, du kannst Kagome nicht einfach wegschicken! Es würde ihr genauso das Herz brechen, wie dir!"
Nachdenklich drehte Inuyasha den Ring zwischen seinen Fingern. "Ihr Herz wird gebrochen werden, wenn sie bei mir bleibt. Es ist besser, wenn sie mich vergisst."
"Inuyasha!" Miroku war ernsthaft besorgt. "Mach nichts, was du später bitter bereuen würdest! Hab doch ein bisschen mehr Vertrauen!"
"Nein, dieses Mal mache ich nichts dummes, sondern handle verantwortungsvoll. Ich werde Kagome nicht ins Unglück stürzen."
Scarlet war in ihre Burg zurückgekehrt. Ihr Vater hatte sie kurzfristig zurückbeordert, weil der graue Pilger sie sprechen wollte. Scarlet lief jedes Mal ein kalter Schauer über den Rücken, wenn sie dieser geheimnisvollen Person gegenübertrat. Niemand wusste, was oder woher dieser graue Pilger gekommen war. Er war eines Tages einfach zu ihnen gekommen und ihnen Hilfe versprochen im Kampf gegen die Banshees. Der graue Pilger hatte ihnen von Inuyasha erzählt, dem Halbdämon mit dem mächtigen Schwert Tessaiga.
Er sei der Sohn eines der mächtigsten Hundedämonen, welche die Welt jemals gesehen habe und nur Inuyasha wäre in der Lage, den Krieg zu ihren Gunsten entscheiden zu können, hatte der Pilger verkündet.
Daraufhin war Scarlet nach Japan aufgebrochen, um ihn zu suchen und nach Irland zu bringen. Und er hätte bei ihnen bleiben sollen, als ihr Gefährte. Doch Scarlet hatte es nicht fertig gebracht Inuyasha und Kagome endgültig voneinander zu trennen.
Aber letztendlich war alles gut verlaufen und der Krieg war beendet. Warum wollte der graue Pilger sie dann nocheinmal sprechen wollen?
Sie betrat die Versammlungskammer, in der ihr Vater und der Pilger bereits auf sie warteten. Das Gesicht des Pilgers war, wie gehabt, mit einer Kapuze verhüllt und auch seine leise Stimme ließ nicht erahnen, ob eine Frau oder ein Mann unter dem grauen Gewand steckte. Seine Präsenz ließ ihre Nackenhaare zu Berge stehen, alles in ihr schrie, sich von diesem seltsamen Zeitgenossen fern zu halten. Ihr Vater machte ein ernstes Gesicht. "Was ist los? Wir haben doch erreicht, was wir wollten, der Krieg ist zuende", sagte sie. "Du hast Inuyasha wieder nach Japan zurückgeschickt?", fragte ihr Vater. "Ja, seine Aufgabe war beendet." Sie runzelte die Stirn. War er jetzt sauer, dass sie auch dieses Jahr keinen Gefährten gewählt hatte? Doch statt ihrem Vater, sprach nun der Pilger. "Es war ihm bestimmt, an deiner Seite diesen Clan zu führen. Warum hast du dich deinem Schicksal widersetzt?" In der heiseren Stimme schwang Ärger mit.
"Na, weil Inuyasha bereits eine Gefährtin hatte. Es erschien mir nicht richtig, ihn hier zu behalten." Scarlet wich erschrocken zurück, als der Pilger drohend ein paar Schritte auf sie zuging. "Wie konntest du!"
"Aber vielleicht überlegt er es sich nocheinmal anders", fügte Scarlet pansich hinzu, als ihr das letzt Gespräch mit Inuyasha in den Sinn kam. "Er hatte Zweifel."
"Was...für Zweifel?" Der Pilger war wohl wieder besänftigt, das bösartige Zischen war aus seiner Stimme verschwunden. "Er...er war sich nicht mehr sicher, ob es richtig sei, Kagome zu seiner Gefährtin zu machen."
Der Pilger kicherte leise. "So? Dann ist noch nicht alles verloren. - Gut gemacht, Scarlet." Dann war der Pilger plötzlich wieder verschwunden. Erst jetzt merkte Scarlet, wie schnell ihr Herz klopfte.
Ich frage mich langsam, ob dieser graue Pilger uns wirklich helfen wollte.
Warum bestand er darauf, dass Inuyasha in Irland bleiben sollte?
Oder vielmehr, warum er ihn von Kagome trennen wollte?
"Vater, dieser Pilger ist nicht das, wofür wir ihn gehalten haben."
"Ich weiß, was du meinst. Deine Mutter hatte von Anfang an recht behalten. Dieser Pilger führt nichts gutes im Schilde. Auch wenn er uns wirklich geholfen hat, den Krieg zu beenden, werde ich das Gefühl nicht los, dass dies nicht seine Absicht war. Er schien überrascht gewesen zu sein, als ich ihm die gute Botschaft mitteilte."
Zusammen verließen sie die Versammlungskammer.
"Du solltest Inuyasha warnen und dich bei ihm entschuldigen. Wir waren zu leichtgläubig gewesen", meinte ihr Vater. Scarlet nickte nur und machte sich auf den Weg nach Japan.
E N D E
