Kapitel 5
Was darfs sein, Kaffee, Tee oder ich?
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Schließlich ist Kaffee bitter, ein Geschmack aus dem verbotenen und gefährlichen Reich.
– Diane Ackerman
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Ginny Weasley saß an ihrem üblichen Tisch in der Buchhandlung mit integriertem Café direkt über die Straße von Georges und Freds Scherzartikelladen. In zwei Tagen würde sie nach Hogwarts zurückkehren und – ehrlich gesagt – war es gar nicht so schlimm gewesen, die Ferien mit ihren Brüdern zu verbringen. Sie würde sie tatsächlich vermissen, obwohl sie sie allein hatten kochen lassen. Immerhin hatten sie den Abwasch übernommen und sogar beim Einkaufen geholfen. Ginny nahm an, daß es nicht halb so schlimm gewesen war, wie sie es Malfoy gegenüber dargestellt hatte in der Woche bevor sie abgereist war.
Mit einem Seufzen nahm Ginny ihre Tasse mit dampfendem Kaffee, eine spezielle Mischung mit Zimt-Kokos-Vanille-Geschmack und einer Portion Sahne darauf. Sie hatte es auf Empfehlung des jungen Mannes probiert, der hier abends arbeitete, nachdem die meisten anderen Geschäfte in der Straße geschlossen hatten. Ginny war hergekommen, nachdem sie Fred und George geholfen hatte, angezogen sowohl von dem wundervollen Aroma, das auf die Straße hinauswaberte, als auch von den Reihen, Stapeln und Regalen mit Büchern. Sie war ziemlich überwältigt gewesen von der Vielfalt an Getränken, die man bestellen konnte, von gekühlten Getränken über Eistee bis zu kochendheißer Schokolade und Kaffee.
Der junge Mann hinter der Theke hatte ihr einen geübten Blick zugeworfen und vermutet, daß sie ihre Schokolade heiß und süß mochte. Sie hatte die kindische Vorliebe zugegeben, und daß Kaffee für ihren Geschmack etwas zu bitter war. Der junge Mann war lächelnd an die Arbeit gegangen. Das Ergebnis war ein Getränk, das – wie er sagte – kein Kakao war, aber es enthielt Kokosaroma, und er wettete, sie würde es lieben. Das hatte sie, und anschließend konnte sie nicht dazu bewegt werden, etwas anderes zu probieren.
Jetzt war Ginny süchtig und fragte sich, ob sie sich nicht vielleicht einen von diesen winzigen Kaffeeautomaten für eine Tasse und ein paar Beutel mit dem Spezialaufguß leisten können würde, wenn Fred und George sie für ihre Hilfe bezahlt hatten.
Ginny nahm einen vorsichtigen Schluck von dem kochendheißen, süßen Kaffee und versuchte, sich auf ihren Roman zu konzentrieren. Es war jedoch schwierig. Sie würde in zwei Tagen nach Hogwarts zurückkehren, und sie fühlte sich immer noch furchtbar wegen des Streits, den sie mit Malfoy gehabt hatte. Nun ja, kein Streit, dazu brauchte es zwei Personen. Aber er war einfach explodiert und hatte seitdem nicht mehr mit ihr geredet. Es war traurig, denn langsam mochte sie den gemeinen, arroganten Idioten, sogar sehr. Nicht in einem romantischen Sinn natürlich, aber sie mochte seine Gesellschaft, und es war schade, daß das harmonische Verhältnis, das sie aufgebaut hatten, so leicht und so schnell wieder zerstört war.
„Weißt du, es ist nicht gut für dich, so die Stirn zu runzeln", sagte eine angenehme Stimme hinter ihrem Rücken.
„Woher weißt du, daß ich die Stirn runzele?" fragte Ginny und drehte sich um, um den Mann aus dem Laden hinter sich stehen zu sehen.
Er grinste und setzte sich an ihren Tisch. Das tat er oft, wenn keine anderen Kunden im Laden waren, und Ginny stellte fest, daß ihr die Unterhaltungen mit ihm gefielen, obwohl er wahrscheinlich vier oder fünf Jahre älter war als sie.
„Du runzelst immer die Stirn, bevor du anfängst zu lesen. Schlechte Erinnerungen?"
Ginny wandte den Blick von dem schlichten, angenehmen Gesicht des junges Mannes ab und zuckte die Schultern.
„Es ist nichts, Bob", sagte sie. „Ich hab nur an einen F-Bekannten gedacht. Wir haben uns sozusagen verkracht, bevor ich aus der Schule abgereist bin."
Sie blickte ihn wieder an und sah Bobs bewegliche Augenbrauen sich heben. „Du hattest Streit mit deinem Freund?"
Ginny lächelte. „Nein, er war nicht mein Freund. Nicht mal ich bin nicht soirre. Aber ich hab gedacht, wir wären Freunde gewesen."
Bob drückte ihre Hand ein wenig und sagte: „Also bist du mit dem Kerl nicht mal befreundet?"
„Ich schätze nicht. Wir hatten eine Art Meinungsverschiedenheit, und er hat seitdem nicht mit mir gesprochen. Ich dachte, wir wären Freunde geworden, aber ich nehm' an, ich war mehr so was wie Unterhaltung für ihn, eine Möglichkeit, sich die Zeit zu vertreiben."
Bei Bobs entrüstetem Gesichtsausdruck kicherte Ginny. „So hab ich das nicht gemeint. Wir haben nur geredet. Wir haben uns gestritten, aber es war nicht ernstgemeint, verstehst du? Er hat mich geneckt und ich ihn. Aber unser einziges ernsthaftes Gespräch ist einfach irgendwie explodiert."
Einen Moment saßen sie still da, bis der junge Mann sagte: „Du fährst morgen?"
„Übermorgen, aber morgen führen mich die Jungs zu einem richtigen Essen aus. Sie versuchen, es wiedergutzumachen, daß sie mich die letzten zwei Wochen über ihrem Herd haben schuften lassen."
Ginny grinste, aber ihr neuer Freund sah nicht besonders glücklich aus. „Was? Was ist?"
„Nichts", sagte er, als er aufstand, um den Kunden zu bedienen, der gerade hereingekommen war.
Ginny beobachtete ihn einen Augenblick und kehrte dann zu ihrem Buch zurück.
Einige Zeit später trank Ginny den Bodensatz aus ihrer Tasse und klappte ihr Buch zu. Es war Zeit, nach Hause zu gehen. Bob eilte herüber, als Ginny sich erhob. Er nahm ihre Hand und hielt sie fest.
„Sieh mal, es ist so, Ginny-Mädchen", sagte er ohne Einleitung, wobei er den Kosenamen benutzte, den er ihr am ersten Tag gegeben hatte, als sie sich begegnet waren. „Ich weiß, ich bin älter, und ich hab keinen Abschluß an so 'ner feinen Schule wie Hogwarts gemacht und alles, aber ich mag dich, wirklich gern. Ich wollte, daß du das weißt, bevor du gehst."
Ginny starrte verwundert in sein schlichtes Gesicht. Er mochte sie? Er hatte bisher kein Wort gesagt. „Und warum sagst du mir das am letzten Tag, an dem wir uns sehen?" wollte sie wissen und schlang ihre Finger um seine.
Er sah erschrocken aus. „Du meinst, es macht dir nichts aus? 'n hübsches Mädchen wie du, und es stört dich nicht, daß ich nich' gut ausseh' und so?"
Ginny zog ihre Hand zurück und legte die Stirn in Falten. „Oh, na das ist was anderes", schnappte sie. „Du hast nicht gesagt, daß du mein Aussehenmagst. Und ich dachte, es wär das Mädchen im Innern, das du magst."
„Oh, Ginny-Mädchen, nicht!" flehte er. „'türlich mag ich dich. Ich dacht' nur, du wärst nicht interessiert."
„Bob", sagte Ginny und nahm wieder seine Hand, „ich mag dich auch, und es hat nicht das geringste damit zu tun, wie du aussiehst! Du hast mich wie einen Menschen behandelt, nicht wie eine Kundin. Du hast mir zugehört, wenn ich über mein schreckliches Leben gemeckert hab, und du warst ein Freund. Weshalb sollte ich dich nicht mögen? Ich meine, wir kennen uns nicht besonders gut, aber ich mag dich trotzdem."
Daraufhin lächelte er, und das Lächeln erleuchtete sein ganzes Gesicht. Er war nicht mehr unattraktiv oder schlicht. Er beugte sich zögernd nach vorn und sagte: „Du meckerst nie, Ginny-Mädchen. Und ich hör dir gerne zu. Meinst du, wir kennen uns gut genug für einen Abschiedskuß?"
Ginny nickte lächelnd. „Ich denke, wir kennen uns gut genug für einen kleinen Kuß", stimmte sie zu.
Der Laden war zum Glück leer. Bob neigte den Kopf und berührte ihre Lippen. Ginny lehnte sich nach oben und preßte sich näher an ihn; er küßte angenehm. Einen Moment später richtete er sich auf. Ginny öffnete die Augen und lächelte ihn an. Bobs Gesicht war plötzlich sehr ernst, so daß Ginny sich fragte, ob ihre Zahnpasta oder ihr Deodorant versagt hatten.
„Ich werde dich nicht wiedersehen", sagte er in merkwürdigem Tonfall.
„Jedenfalls nicht bis zum Sommer", stimmte Ginny zu.
„Ich werde im Sommer nicht hier sein. Du bist ein besonderes Mädchen, Ginny Weasley. Und wenn der Trottel aus der Schule das nicht sehen kann, dann ist das sein Pech. Vergiß das nur nicht."
Als Ginny die dunkle, kalte Straße zum Haus der Zwillinge hinunterging, erkannte sie zwei Dinge. Erstens: Bob hatte recht. Wenn Malfoy nicht sehen konnte, daß ihre Freundschaft etwas Gutes gewesen war, dann war das sein verdammtes Pech. Die zweite Sache war weniger erfreulich: Sie hatte die Hausaufgaben für Kräuterkunde noch nicht angerührt.
