Kapitel 9
Haarige Nicht-Harry-Situationen
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Jemand hat mir mal gesagt, daß es die Liebe ist, die die Welt antreibt. Na ja, ich mußte ihm einfach ins Gesicht lachen, weil, komm schon, jeder weiß, daß eine mutierte Wüstenrennmaus in einem Laufrad die Welt antreibt.
– Mutedfaith com
Männer sind von der Erde, Frauen sind von der Erde. Finde dich damit ab.
– Mutedfaith com
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Ginny Weasley saß in der hintersten Ecke der Bibliothek, weit weg von den sonnigen Wänden und bequemen Fensterplätzen, wo sie normalerweise saß. Dafür gab es zwei Gründe. Der erste Grund war, daß sie niemanden sehen wollte, der sie nach ihrer neuesten Auseinandersetzung mit Pansy Parkinson fragen konnte. Der zweite war, daß sie geweint hatte und im Moment nicht wollte, daß jemand ihr Gesicht sah, voller roter Flecken und mit roten Augen, passend zu ihren feurigen Haaren.
Sie hatte ihre Hausaufgaben dabei sowie auch ihren neuen Liebesroman, den ihre Mutter ihr geschickt hatte, aber Ginny ignorierte beides. Sie war zu sehr damit beschäftigt, wütend in die Gegend zu starren, als daß sie etwas so Banalem wie Hausaufgabenhätte Beachtung schenken können. Auch der Liebesroman war keinen Gedanken wert. Er war von der Sorte „Sie küßten sich, und ihre Glückseligkeit trug sie zu den Sternen und zurück". Die Heldin in dieser Art von Romanen war immer ein süßes, unschuldiges, (dummes) junges Mädchen aus der Oberschicht ohne einen Pfennig Geld, dem es irgendwie gelungen war, mit seiner Geschmacklosigkeit und Unerfahrenheit den reichsten, bestaussehenden und überzeugtesten Junggesellen „auf dem Markt" einzufangen. ‚Oh', hatte Ginny mit einem Schnauben gedacht, ‚nicht zu vergessen, daß er ein Graf, ein Vicomte oder ein Zauberer mit den erstaunlichsten Fähigkeiten war. Nicht mal Ginny mit ihrer Vorliebe für gutaussehende Helden und schöne Heldinnen konnte den sirupsüßen Schund auf den Seiten dieses Buches ertragen.
Also saß sie da, verlegen und wütend, und hoffte, daß niemand, der sie kannte, sie fand. Natürlich hätte sie erwarten sollen, daß sie gefunden werden würde. Es war einfach so ein Tag gewesen. Sie hätte mit Sicherheit nicht überrascht sein sollen, daß die Person, die sie fand, an dem langen Zopf zupfte, den sie wie gewöhnlich trug. Unglücklicherweise hatte sie das nicht, und sie war es, daher – anstatt den jungen Mann, der sich ihr so leise genähert und an ihrem Zopf gezogen hatte, einfach nur zornig anzufunkeln – sprang sie von ihrem Stuhl auf, wirbelte herum und traf ihn mit einem Schlag, der übel gewesen wäre, hätte der junge Mann nicht die schnellen Reflexe eines geborenen Suchers gehabt.
„Großer Gott, Weasley! Wofür zum Teufel war das?"
Draco Malfoy betastete vorsichtig sein Kinn, wo Ginnys Faust ihn gestreift hatte. Er tat verdammt weh, und er war nur froh, daß er der Wucht des Schlages hatte ausweichen können.
„Bist du wahnsinnig?"
Ginny starrte ihn schockiert an. Sie hatte nicht vorgehabt, jemanden zu attackieren; es war einfach passiert. Vermutlich ein Ergebnis des Streits, den sie mit dieser Kuh Parkinson gehabt hatte. Sie war zerknirscht. Sie mochte diesen Jungen wirklich, trotz all ihrer Verschiedenheit.
„Tut mir leid", sagte sie rasch und blickte von ihm zu ihrer Faust, wie um herauszufinden, wie ihre Hand ohne ihre Erlaubnis gehandelt hatte.
„Ja, danke, Kleine. Ich werd dran denken, wenn ich dich wegen Körperverletzung verklage! Auf die Gefahr hin, mich in nerviger Weise zu wiederholen, wofür zum Teufel war das? Es hat dich vorher nie gestört, wenn ich das gemacht hab. Du benimmst dich, als hätt' ich dir weh getan, oder so was."
Ginny sah ihn mit verengten Augen an. „Das hast du, du Riesenidiot. Was hast du erwartet?"
Draco neigte leicht den Kopf. „Was meinst du? Ich hab doch kaum gezogen!"
Ginny blinzelte. „Du meinst, du hast es nicht gehört?"
„Was gehört? Ich hab in Snapes Unterricht festgesteckt. Er scheint zu glauben, daß ich vor meinen UTZs Extraübungen in Fortgeschrittene Zaubertränke brauche."
Er ging um den Tisch herum und setzte sich. „Also, was ist passiert? Und was machst du hier in der Ecke? Ich hatte nicht mal vor, hier … hey! Hast du geweint?"
„Oh, gut bemerkt, Malfoy!" antwortete Ginny giftig. „Was hat dir den Anhaltspunkt gegeben? Die zerknüllten Taschentücher? Die roten Augen?"
Draco hob abwehrend die Hände. „Hey, laß es nicht an mir aus, wenn der Typ aus dem Café deine Briefe nicht beantwortet!"
„Du bist ein erbärmlicher Idiot, Malfoy, weißt du das? Das hier hat nichts das geringste mit Bob zu tun, und nur weil er nicht … Ich meine, das geht dich nichts an. Aber eins kann ich dir sagen! Du solltest deine Freundin besser an die Leine nehmen, denn wenn sie mir noch mal näher als zwei Meter kommt, wird mehr als Madame Pomfrey nötig sein, um sie wieder hinzukriegen!"
Draco wich beinahe vor dem wütenden Funkeln zurück, das ihm die kleine Gryffindor gegenüber von ihm zuwarf. „Meine Freundin?" sagte er nach einem Augenblick. „Du bist krank, Weasley. Ich habe keine Freundin. Wovonredest du?"
Ginny rollte mit den Augen und überkreuzte die Arme. „Oh, bitte sag nicht, du wußtest nichts davon, daß Parkinson und all ihren mutigen kleinen Slytherin-Freundinnen geplant haben, mich in die Ecke zu treiben und mir eine neue Frisur zu verpassen, ohne die Benutzung einer Schere!"
Ginny sprühte fast vor Zorn, aber der verwirrte Gesichtsausdruck des jungen Mannes gegenüber von ihr beruhigte sie etwas. Vielleicht hatte er es tatsächlichnicht gehört. Es dauerte nicht lange, bis die Verwirrung verschwand und von einer anderen Gefühlsregung ersetzt wurde. Obwohl sie in den vergangenen Monaten den Großteil ihrer Freizeit in der Gesellschaft dieses jungen Mannes verbracht hatte, zuckte sie bei seinem finsteren Blick zusammen.
„Willst du damit sagen, daß Pansy und ihre Freundinnen dich angegriffen haben?" fragte er mit leiser Stimme.
Ginny schüttelte ihren vorübergehenden Schrecken ab und schniefte. „Sie haben versucht, mich anzugreifen. Du weißt aus persönlicher Erfahrung, daß das nicht so einfach ist."
Sie konnte nicht anders, als bei dieser Erklärung ein klein wenig großspurig zu klingen. Wenngleich Draco seit fast einem Jahr nicht mehr versucht hatte, sie zu verhexen, war er doch oft genug am empfangenden Ende ihrer Verteidigungszauber gewesen.
„Vergiß das", sagte er mit einem ungeduldigen Wedeln der Hand. „Erzähl mir, was passiert ist."
Ginny zuckte die Schultern. „Tja, zunächst mal, es tut mir wirklichleid, daß ich dich geschlagen hab, aber du wirst es verstehen, wenn ich's dir erklärt hab. Und ich sitze hier, weil ich weiß, daß früher oder später Snape oder McGonagall oder Hermine oder sonstwer nach mir suchen wird, um mich zu fragen, womit ich deine Freundin verflucht habe."
Dracos Blick verfinsterte sich wieder. „Sie ist nicht meine Freundin", stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Wie oft muß ich dir das sagen? Und was zur Hölle ist passiert?"
„Na gut!" sagte Ginny entrüstet. Der Effekt wurde ruiniert durch das plötzliche, boshafte Grinsen, das sich auf ihr Gesicht stahl. „Kennst du die Mädchen, mit denen Parkinson rumhängt?"
Draco nickte, während er sich wunderte, warum sein Magen sich so zusammenzog. Weasley sah in Ordnung aus, abgesehen von den Flecken und den Tränenspuren, und aus eigener Erfahrung wußte er, daß es wahrscheinlich Pansy war, um die er sich sorgen sollte. Aber ihre Reaktion, wie sie so blind nach ihm geschlagen hatte, hatte ihn aus der Fassung gebracht.
„Nun", sagte sie, „ich war nach dem Unterricht auf dem Weg zurück nach Gryffindor, und Parkinson und ihre Bande kamen sozusagen angeglitscht."
Der Hauptpunkt der Geschichte war, daß Parkinson Weasleys Freunde vertrieben und das Mädchen dann drangsaliert hatte. Weasley war jedoch nicht so leicht einzuschüchtern, und Pansy und ihre Freunde hatten erkannt, daß sie eher eine kleine Teufelin vor sich hatten als ein mickriges Wiesel, wie sie erwartet hatten. Anscheinend hatten sie angefangen, nach ihr zu greifen, hatten ihre Kleider zerrissen und ihr an den Haaren gezogen. Pansy hatte es geschafft, einmal böse zu ziehen, bevor Weasley sie verhext hatte. Der Rest der Bande war abgehauen und hatte – typisch für sie – eine der ihren im Stich gelassen. Nachdem Ginny den Hausgeist von Gryffindor losgeschickt hatte, um die Heilerin zu holen, war sie hierher gekommen.
Draco war nicht sicher, ob er lachen oder besorgt sein sollte. Er stand auf, stellte sich hinter sie und ließ seine Hand sanft in das Haar unter ihrem Zopf gleiten.
„Was machst – autsch! Verflucht, das tut verdammt weh!"
Draco zog seine Finger zurück. „Verdammt ist richtig, du blutest. Diese Schlampe hat dir praktisch die Haare ausgerissen", sagte er kalt und zeigte ihr seine leicht blutigen Fingerspitzen. „Ich sollte …"
„Duwirst gar nichts tun!" schnappte Ginny, die sich jetzt ziemlich unbehaglich fühlte. Sie würde es nie vor ihm zugeben, aber es hatte sich gut angefühlt, wie er mit den Fingern durch ihre Haare gefahren war. Nicht mal der schmerzhafte Stich war so schlimm gewesen, es war mehr ihre Verlegenheit gewesen, die sie hatte aufschreien lassen. Er durfte auf keinen Fall denken, daß sie tatsächlich schwach wurde. Außerdem wurde sie das nicht … sehr.
Sie stand abrupt auf und wich zurück. „Der Fluch, mit dem ich sie verhext hab, war einer, mit dem ich experimentiert hab. Ich bin nicht sicher, ob die Heilerin ohne ein wenig Hilfe in der Lage sein wird, ihn rückgängig zu machen. So wie's aussieht, mußte sie vermutlich die Schweinerei zusammenkratzen und Parkinson in ein Bett gießen. Ich sollte gehen."
„Oh, ich verstehe", erwiderte Draco böse. Das tat er jedoch nicht. Er hatte sie kaum berührt, und sie war zurückgesprungen, als wäre er kontaminiert. Überraschenderweise störte ihn das mehr, als er zugeben wollte. Mit einem höhnischen Grinsen zeigte er auf ihren langen, dicken Zopf und sagte: „Tja, Weasley, hier ist ein kleiner Rat. Wenn du nichts damit machen willst, solltest du das Ding abschneiden. Dann würden es die Leute nicht für eine Klingelschnur halten."
Draco wandte sich um und schlenderte davon, während Ginny ihn düster beobachtete. Draco Malfoy empört und wütend, weil ihr etwas zugestoßen war, war neu für sie. Und Draco Malfoy, der sanfte, graziöse Finger durch ihr Haar gleiten ließ und wegen ein bißchen Blut kalt und slytherinhaft wurde, war geradezu dazu bestimmt, sie weit über „schwach" hinauszukatapultieren und in die beängstigenden Gefilde von „Vernarrtheit".
Sie sah zu, wie er die Bibliothek verließ, wobei er an Professor McGonagall vorbeikam. Seufzend packte Ginny ihre Sachen zusammen, und als sie damit fertig war, stand die Lehrerin neben ihr.
„Ms Weasley", sagte sie steif. „Würden Sie mich freundlicherweise zur Krankenstation begleiten? Und wenn wir dort fertig sind, werden wir eine schöne, lange Unterhaltung führen, über das Verfluchen anderer Schüler. Andere lassen ihre Schüler vielleicht damit davonkommen, aber ganz gleich, was die Provokation war, wir sind Gryffindors!"
Ginny sank das Herz in die Hose, als sie ihre Tasche schulterte und der Lehrerin für Verwandlung aus der Bibliothek hinaus folgte.
Anmerkungen:
Gute Nacht allerseits, und bis morgen!
blub:Schon, aber die sind meistens wesentlich stressiger als die Vorlesungszeit. ;-) Wenn man erst mal denkt, man hätte frei, und faul wird, kommt man da schwer wieder raus … aber die Arbeit macht sich trotzdem nicht von selbst. Ja, ja, ich leide … ;-)
h0n3ym0on: Na gut, chrmchrm, ich verkrafte soviel Lob und werde nicht unter dem Druck der Erwartungen zusammenbrechen. ;-) Vielen Dank, wirklich. Jetzt muß ich wohl erst recht mein Bestes tun. :-)
Richtige Rons gibt es, glaub ich, gar nicht so viele in der wirklichen Welt. Diejenigen meiner Bekannten, die jüngere Schwestern haben, sind nicht unbedingt überinteressiert oder sonstwie besitzergreifend … soweit ich weiß. ;-) Zwei von denen haben letztens HP6 gelesen und fanden so eine typische Ron/Ginny-Szene völlig unrealistisch. :-D
SpoiltAngelVirginia:Draco wird genaugenommen zu gar nichts, er ist es schon. ;-) Ich sagte ja bereits, daß hier beide ganz harmlos sind. Ändern kann ich das aber wohl nicht, die Geschichte ist nun mal, wie sie ist. Da läßt sich nachträglich nicht mehr viel machen. ;-)
Zutzi alias Susi:Hab mir schon gedacht, daß die meisten die Erklärung nicht brauchen, aber man weiß ja nie, wie alt bzw. jung die Leser sind. ;-) Sicher ist sicher.
Vielen Dank an: LadyEvelyn, Pottili und Loki Slytherin!
