15. Verhandlungen

In unruhiger Hast eilte Rûmil die ihm unbekannten Gänge entlang, auf der Suche nach einem Weg, der ihn zu den Stallungen oder zu dem Ort bringen würde, zu welchem sie Kharek führten. Das Schicksal schien sich gegen ihn verschworen zu haben, dachte er, als er zum dritten Mal an derselben Tür ankam. Sicher, es waren nicht mehr viele Elben in Imladris, aber im Moment fühlte er sich wie der einzige, denn es war weit und breit niemand zu sehen.

Rûmil blieb stehen und zwang sich einmal ruhig durchzuatmen, so würde er nicht weiter kommen, überstürzte Hast würde ihn nicht weiter bringen. Also blickte er sich erst mal aufmerksam um, und lauschte. Tatsächlich vernahm er nun Stimmen, gar nicht weit entfernt von ihm. Er schlug seinen Weg nun in diese Richtung ein und erreichte dann einen Seitenflügel, dessen Zugang ihm beim raschen Laufen entgangen war. Er fand eine Tür welche offen stand und eben gerade traten zwei Elben heraus in den Gang, blieben stehen und musterten Rûmil fragend.

Er zögerte nicht lange, denn er fühlte innerlich, dass die Zeit drängte und nicht für Erklärungen gemacht war.

„Bitte, ich suche den Weg zu den Stallungen oder zu einem Ort, wohin Gefangene gebracht werden…"

brachte er eilig hervor, die hochgezogenen Augenbrauen der beiden anderen ignorierend.

Einer der Bruchtalelben schüttelte fast nachsichtig den kopf, als habe er ein kleines Kind vor sich, doch er lächelte dabei.

„Nun, wir können dir den Weg sicher zeigen, denn wir sind selber auf dem Weg dahin. Elronds Söhne haben einen Uruk-hai überwältigt und über den wird nun Gericht gehalten, das lassen wir uns sicher nicht entgehen. Du kannst dich uns also gern anschließen."

Sein Begleiter nickte.

„Sicher, obwohl ich mich frage, warum noch eine Verhandlung abgehalten werden muss, sie hätten ihn doch einfach abschießen können. Ich verstehe das nicht, nur ein toter Ork ist ein guter Ork."

Rûmil schluckte hart bei den Worten des Zweiten und biss sich auf die Zunge, um eine heftige Entgegnung zu vermeiden. Die beiden Elben kannten Kharek nicht und sagten nur, was jeder andere Elb an ihrer Stelle gesagt hätte. Und er hoffte in seinem Herzen, dass sich das Glück noch einmal auf ihre Seite stellte und Kharek auch hier einen guten Eindruck machen konnte. In diesen Gedanken versunken folgte er den beiden bis in einen großen Innenhof, der auch für die Versammlungen des Rates genutzt worden war. Hier waren eine Menge Elben versammelt sicher drei Dutzend scharrten sich in respektvoller Entfernung um Kharek und die Zwillinge, welche Rûmil unschwer als die Söhne des Herrn Elrond erkannte.

Kharek hielt den Blick gesenkt und es bekümmerte Rûmil seinen Freund gefesselt und vorgeführt zu sehen. Anscheinend hatte er sich gewaschen, als die beiden ihn überraschten, denn er trug keine Kleidung, bis auf den Lendenschurz. In all seiner Größe und Kraft wirkte er dennoch in Rûmils Augen eher verwundbar, so allein, umringt von jenen, die seiner Art bisher nur den Tod gewollt hatten. Am liebsten hätte er sich an die Seite des großen Orks gestellt und ihm die Stricke von den Händen genommen, aber nun kam Bewegung in die Menge und es bildete sich eine Gasse, durch welche nun zwei weitere Elben schritten. Der eine war Rûmil zumindest vom Sehen bekannt, es war Glorfindel, der nun auch die Rechtsprechung Bruchtals innehatte. An seiner Seite war ein dunkelhaariger Elb, mit ruhigem Gesicht, aber sehr wachen Augen und aus Äußerungen der Umstehenden bekam Rûmil mit, dass es sich bei diesem um Elronds engen Berater Erestor handelte.

Rûmil musterte die beiden Ankommenden eingehend, versuchte in ihren Gesichtern und Augen zu lesen. Erestor war schwer zu durchschauen, er wirkte kühl und verschlossen, während er in Glorfindels Augen eindeutig Neugier erkannte, als dieser ohne Furcht vor Kharek hintrat, ihm eine Hand unter das Kinn schob und so zwang den Blick zu heben. Die Augen des alten Elben hielten den Blick des Uruks einen langen Moment gefangen, fast schien es Rûmil, als wolle er Kharek direkt ins Herz blicken. Er wagte nicht zu atmen, ebenso wenig wie Kharek, dessen Brust sich in diesem Moment auch nicht hob oder senkte.

„Interessant…in der Tat, das ist sehr interessant." meinte Glorfindel dann, vielleicht eher zu sich selbst, was ihm einen erstaunten Blick von Erestor einbrachte, durch dessen gleichgültige Fassade einen winzigen Moment Furcht schimmerte, die er dann wieder geschickt verbarg.

Glorfindel hieß dann Elladan und Elrohir vortreten und berichten wo und wie sie Kharek aufgespürt hatten und das bitte in Westron, damit alle Beteiligten ihren Worten folgen konnten. Bei den letzten Worten blickte er tatsächlich zu Kharek, aber auch ganz schnell wieder weg. Elladan erzählte dann in knappen Worten und sein Bruder nickte nur bestätigend dazu.

Danach wandte Glorfindel sich an Kharek, schaute ihm wieder fest in die Augen und zu Rûmils Freude hielt der Uruk dem Blick stand.

„Gut, nun kennen wir eine Seite dieser wirklich ungewöhnlichen Geschichte. Aber ich bin neugierig, ich leuchte gerne alle Seiten, Ecken und Winkel aus, von daher würde mich auch interessieren, ob der Gefangene auch etwas sagen möchte. vielleicht warum er an den Grenzen von Bruchtal anzutreffen war, welche Geschäfte ihn dorthin führten, ob er allein kam und in welcher Absicht. Und erst dann werde ich ein Urteil finden…"

Aus dem Gemurmel der Umstehenden Elben konnte Rûmil schließen, dass diesen größtenteils mehr als überrascht waren von Glorfindels Worten. Anscheinend hatten sie mit einer Exekution gerechnet, ohne große Verhandlung, immerhin war der Gefangene einer der gefürchtetsten Feinde. Doch es gab zwei Arten von Stimmen, eben jene, die fragten, warum der Aufwand nötig war, wo es doch nur um einen Ork ging und andere, die neugierig waren, was Glorfindel mit dieser Anhörung bezweckte.

Kharek schaute ruhig in die klugen Augen des blonden Elben vor sich, in denen er Neugier las und die Bitte um Verständnis. Dieser Mann war ein Krieger, seiner Haltung nach und Kharek roch keine Angst an ihm. Vielleicht würde er hier doch eine Gelegenheit erhalten, seinen Weg fortzusetzen. Er wagte es nicht den Blick zu lösen, um nach Rûmil Ausschau zu halten, doch er hoffte, dass sein Freund nicht allzu weit entfernt war.

Ruhig begann er dann zu sprechen.

„Ich kam hier her mit einem Freund aus dem Goldenen Wald. Er meinte, wir könnten hier vielleicht Verständnis und Weisheit finden. Etwas, das uns auf unserem Weg weiter hilft, den wir beschlossen haben zusammen zu gehen. Er ließ mich an der Furt zurück, um eine frühe Konfrontation zu vermeiden, ehe er unsere Geschichte vortragen konnte. Ich sollte mich verborgen halten, was ich auch versuchte, aber anscheinend nicht gut genug für Eure Wächter, die mich fanden. Und da ich nun als ein Gefangener hier stehe, muss ich annehmen, dass mein Freund noch nicht hier eintraf, oder noch keine Möglichkeit hatte mit jemandem zu sprechen."

Glorfindel hob erstaunt eine Augenbraue, eine Geste, welche Erestor synchron ausführte. Sie hatten zum einen sicher nicht erwartet, dass sich ein Ork dermaßen artikulieren konnte, zum anderen waren seine Worte bestimmt nicht jene, die sie hatten zu hören erwartet.

Glorfindel neigte den Kopf und blickte Kharek noch einmal prüfend an.

„Und wer ist dein geheimnisvoller Freund…kannst nur mir seinen Namen nennen?"

In diesem Moment gab es eine Bewegung in der Menge, denn Rûmil hielt es nicht länger auf seinem Platz und er drängte sich nach vorn, bis er neben Kharek stand.

„Ich bin sein Freund, ich bin Rûmil und ich habe sein Leben gerettet und damit meine Verbannung aus Lorien erwirkt. Ich habe ihn hier her gebracht um für uns Asyl zu erbitten, eigentlich eher für ihn, da ich ja auch so hier leben könnte, aber ohne meinen Freund werde ich nicht bleiben. Und ich möchte euch bitten, euch alle ihm eine Gelegenheit zu gewähren euch zu zeigen, warum er nicht ist wie die anderen Orks. Denn nur aus diesem Grund ist er noch am Leben und ich werde für eben dieses Leben kämpfen, wenn es sein muss."

Diese Worte sprudelte er rasch hervor, seine Augen blitzten und seine Wangen waren sanft gerötet, er unterstrich damit wie ernst ihm diese Worte waren.

Die Augenbrauen blieben erhoben, bei diesem Auftritt und es dauerte einen kleinen Moment, bis Glorfindel sich wieder in der Gewalt hatte. Es war unschwer zu erkennen, dass Rûmils Rede ihn berührt hatte.

Er wechselte einige kurze Worte mit Erestor, ehe er wieder zu allen sprach.

„Du wirst nicht kämpfen müssen Rûmil, soviel ist schon mal sicher. Und ich werde auch keine Hinrichtung befehlen, denn ich bin genauso neugierig, wie ein Großteil der hier Anwesenden. Ich würde mich gern selber von der Andersartigkeit dieser Kreatur überzeugen, deren Gattung bisher für uns nur Tod und Verderben bedeutete. Allerdings kann ich eben in den Augen dieses Orks kein Verlangen nach Blut erkennen, ich spüre keinen Hass, keine Mordlust oder etwas in der Art. Von daher wird euch Asyl gewährt sein in den Gefilden von Imladris, mit einigen Einschränkungen, zumindest für die erste Zeit. Der Uruk wird das ihm zugewiesene Quartier nur mit meiner oder Erestors Erlaubnis verlassen und es steht ihm vorerst nicht frei sich ohne deine Begleitung zu bewegen, Rûmil. Du bist für ihn und sein Verhalten verantwortlich und seine Verfehlungen würden auf dich zurück fallen."

Rûmil nickte nur, er wollte Glorfindel ja nicht unterbrechen, denn jener hatte noch etwas zu sagen.

„Außerdem wirst du fortan wieder den Namen deiner Heimat tragen, so du es noch wünschst, denn ich verstehe diese Entscheidung des Rates von Lorien nicht und hoffe, dass sie, wie ich meine vorschnell gefällt wurde. Das ist mein Urteil und auch wenn ich weiß, dass es nicht bei jedem von euch auf Zustimmung stößt, so ist es doch hiermit beschieden."

Damit zog Glorfindel ein kleines Messer aus seinem Gürtel und zerschnitt die Fesseln um Khareks Handgelenke. Mit einem winzigen Lächeln wandte er sich an Rûmil.

„Wir werden deinem Freund nun sein Quartier zeigen und dann erwarte ich dich, Rûmil von Lorien in meinem Arbeitszimmer, denn ich brenne darauf die ganze Geschichte dieser ungewöhnlichen Freundschaft zu hören."

Erestor winkte Kharek ihm zu folgen, was dieser auch nach einem kurzen Blicktausch mit Rûmil tat. Rûmil selber ging hinter Glorfindel her, der nun den Versammlungsort verließ.

Hinter ihnen verkündeten die aufbrandenden Stimmen, dass Glorfindel Recht behalten hatte, denn die Elben waren zwiegespalten. Einige teilten Glorfindels Neugier und wollten erfahren, wie ein Elb und ein Ork Freunde werden konnten, andere jedoch sahen eine Gefahr in Khareks Bleiben und vertrauten nicht auf Rûmils Worte.

Doch die beiden ungleichen Freunde waren zumindest in diesem Moment an einem Ziel angekommen, welches sie nicht in solch unmittelbarer Nähe erwartet hätten.

Rûmil saß bald darauf mit Glorfindel in dessen hellem Arbeitszimmer und erzählte ihm die Geschichte von Anfang an, nur selten unterbrochen von einer kurzen Frage des blonden Elben, zum besseren Verständnis.

Kharek hingegen wurde zu einem abgelegenen Gebäude gebracht, mit festen Türen und kleinen Fenstern. Ehemals waren es Arrestzellen gewesen, nun dienten sie schon lange als Lagerräume, und einige standen sogar ganz leer.

Und eines dieser leeren Quartiere wurde nun rasch hergerichtet, ausgefegt, ein sauberer Strohsack wurde in eine Ecke gelegt, mit einer Wolldecke, es wurden ein Tisch und zwei Stühle hergebracht, Kerzen und Öllampen. Eine Tür führte in einen Nebenraum, wo sich eine einfache Latrine befand.

Kharek sah sich um und befand, dass es schlimmeres geben konnte und die Aussicht aus den schmalen Fenstern versöhnte ihn mit dem Gedanken vorerst nicht frei herum laufen zu dürfen. Zumindest lebte er noch, und war wieder gehört worden. Sicher würde es nicht leicht werden, allen hier zu beweisen, dass er anders war, aber er war bereit diesen steinigen Pfad voller Vorurteile und schlechter Erfahrungen zu beschreiten, egal wie lang er sein würde, denn dies war sein Weg…

***So, nun lass ich die beiden Mal allein und kümmere mich um mein weltliches Leben, ehe ich euch erzähle, wie es sich weiter in Bruchtal zuträgt…ihr könnt mir und euch die Wartezeit ja mit ein paar Reviews verkürzen *g* ***