19. Neue Erkenntnisse
Lange hatte sie am Fenster gestanden, hatte dem Morgen beim Erwachen zugesehen, doch seine erblühende Schönheit bleib ihr heute verschlossen, denn zu sehr war sie in ihren Gedanken versunken. Rûmils Worte hatten sie berührt, hatten sie zum Nachdenken gebracht und nun kämpften ihr Herz und ihr Verstand gegeneinander an.
Dann wandte sie sich wieder dem Raum zu, in dem ihre Schützlinge auf ihre Fürsorge warteten, fand die meisten in tiefem Heilschlaf, gab zweien frisches Wasser zu trinken und blieb dann mit dem Wasserkrug in den Händen an der Nische stehen, in der Kharek auf seiner Pritsche schlief. Sie zögerte, kämpfte ihren inneren Kampf weiter und schließlich trat sie vor, nahm einen Becher aus dem Wandregal und füllte Wasser hinein. Den Becher stellte sie auf einen niedrigen Holzschemel neben der Pritsche und hockte sich dann an Khareks Seite.
Ihre Abscheu überwindend hob sie ihre Hand und legte sie auf die Stirn des schlafenden Uruks. Sie war warm, aber nicht übermäßig, es gab keine Anzeichen eines beginnenden Wundfiebers, was sie erleichtert feststellte.
‚Wie weich seine Haut ist…ich hätte sie mir viel rauer vorgestellt.' ging es ihr unerwartet durch den Kopf. Gloráre schüttelte den Kopf und zog die Hand auffallend schnell zurück, was ja niemand sehen konnte.
Abrupt erhob sie sich, machte auf dem Absatz kehrt und ging mit raschen Schritten zurück zu ihrem Kissen, wo sie mit einem Seufzen niedersank, den Kopf an die Wand lehnte, die Augen schloss und versuchte den widersprüchlichen Gefühlen, die in ihrem Inneren tobten Herr zu werden.
***
Eine Woche war vergangen, seit dem Überfall und langsam kehrte wieder Ruhe ein in Imladris. Celoniell hatte dann doch noch mit Gloráre getauscht, da es ihrem Gefährten und ihrem Bruder rasch besser ging.
Inzwischen waren alle Verwundeten soweit genesen, dass sie keiner Pflege mehr bedurften
Rûmil hatte sein Quartier verlassen und war zu Kharek gezogen, der bis auf weiteres unter Arrest stand. Kharek war Rûmil sehr dankbar, dass er ihm half in dieser Zeit und ganz deutlich seine Stellung in dieser Geschichte zeigte.
Heute nun sollte eine Versammlung einberufen werden, in der Khareks weiteres Schicksal bestimmt werden sollte. Glorfindel hatte den Vorsitz und erwartete Rûmil und Kharek auf der Ratsterrasse. Erestor saß an der Seite des blonden Elben, sein Gesicht war angespannt und seine Stirn leicht gerunzelt. Elladan und Elrohir saßen nebeneinander an Glorfindels anderer Seite und tauschten erwartungsvolle Blicke, sie machten einen sehr gelassenen Eindruck.
Alle Elben Bruchtals waren versammelt und sie unterhielten sich untereinander, wobei es zwei deutliche Seiten gab, nämlich jene, die an Khareks Unschuld glaubten und hofften, alles würde sich zum Guten aufklären und natürlich die anderen, welche den Ork am liebsten tot sehen würden, oder zumindest auf ewig von Bruchtal verbannt, zusammen mit seinem kleinen Elbenfreund.
Die Anwesenden zogen sich zurück und bildeten so eine breite Gasse, als Rûmil mit Kharek an seiner Seite den Weg entlang kam und es wurde so still, dass man ein Blatt hätte fallen hören können. Kharek schaute starr geradeaus, mied den Blick der Elben umher, er hatte seine Augen auf Glorfindel gerichtet, trug den Kopf hoch erhoben und schritt ohne zu zögern aus, bis er vor dem Rat stand. Rûmil wich nicht von seiner Seite, auch seine Augen waren nach vorn gerichtet, doch suchten sie den Blick der Zwillinge, welche ihm dann beruhigend zunickten.
Glorfindel erhob sich und wartete bis sich die allgemeine Unruhe wieder gelegt hatte und alle Elben ihre Aufmerksamkeit nun ihm widmeten.
Er begann mit ruhiger klarer Stimme zu reden.
„Der Rat von Imladris ist heute zusammengekommen, um die Vorfälle während des Überfalles zu klären. Es gibt eine Anklage gegen Kharek, den Uruk-hai, welcher unser Gast ist. Er soll einen Grenzwächter, Lhûnrhofal getötet haben, mit Vorsatz und böser Absicht. Doch es gibt auch Gegenstimmen, die ihn verteidigen und von einem tragischen Unfall berichten. Nun soll die Wahrheit gefunden und ein gerechtes Urteil beschieden werden."
Beifälliges Murmeln folgte seinen Worten, als er sich nun Kharek zuwandte.
„Ich möchte zuerst dich bitten, Kharek mir zu berichten, was sich in jener Nacht zugetragen hat."
Kharek nickte langsam, kurz schien er seine Worte noch einmal im Geiste zu überdenken, ehe er mit fester Stimme seine Schilderung der Vorfälle begann.
„An jenem Abend kam Rûmil zu mir und erzählte von einem Orküberfall. Er bat mich in der Hütte zu bleiben, da er befürchtete, dass ich mit einem der Angreifer verwechselt werden könnte. Ich stimme zu, doch dann hielt ich es nicht aus. Ich hatte immer wieder die Vision, dass Rûmil in Gefahr schwebte und ich musste einfach wissen, ob er meine Hilfe brauchte. Ich verließ die Hütte, und eilte zum Kampfplatz. Dort fand ich Rûmil, bedrängt von einem großen Ork und ohne Möglichkeit zur Flucht. Ich habe dem Ork den Kopf abgeschlagen und Rûmil zu geholfen."
Rûmil nickte zustimmend zu Khareks Worten, unterbrach ihn jedoch nicht.
„Dann spürte ich einen Schmerz in meinem Arm und konnte meine Hand nicht mehr richtig bewegen. Das Schwert fiel mir aus der Hand und ich drehte mich um, ich wollte sehen, wer mich da getroffen hatte. Ein Elb stand dann vor mir, er hatte sein Schwert erhoben und als ich ihm gegenüberstand, machte er einen Schritt auf mich zu und zog das Schwert mit Schwung über meinen Bauch. Der Schmerz war sehr stark und etwas in mir loderte auf, wie eine helle Flamme. Das nächste was ich weiß, ist wie ich in diesem Raum aufwachte, wo die Verwundeten waren. Ich kann mich nicht daran erinnern, was ich mit dem Elben tat oder nicht tat und sollte ich ihn tatsächlich getötet haben, dann nicht mit Absicht. Es tut mir sehr leid, dass dies geschehen ist, aber ich kann es nicht erklären."
Kharek verstummte und Glorfindel nickte ihm zu, ehe er sich an Rûmil wandte.
„Nun, Rûmil von Lorien, ich möchte jetzt deine Version der Geschichte hören, wie haben sich die Dinge aus deiner Sicht zugetragen?"
Rûmil bestätigte Khareks Schilderung und fügte hinzu, was der Ork nicht mehr wusste.
„Als Lhûnrhofal Kharek mit dem Schwert schlug habe ich nur noch gedacht, dass eben das eingetreten wäre, was ich befürchtet hatte. Ich habe gedacht, dass er Kharek für einen der Angreifer hielt. Kharek war von einem elbischen Pfeil im Arm getroffen worden und stand waffenlos vor Lhûnrhofal.
Kharek brüllte vor Schmerz auf, als ihn das Schwert aufschlitzte, er packte den Elben an den Schultern und schleuderte ihn mit Wucht von sich weg. Lhûnrhofal prallte gegen einen Baum und starb durch die Kraft des Aufpralles. welcher sein Genick brach. Kharek lag am Boden, atmete nur mehr flach und hatte beide Hände vor den Leib gepresst. Er wurde dann in die Hallen der Heilung gebracht…das ist, was ich gesehen habe."
Auch diese Erzählung kommentierte Glorfindel nur mit einem kleinen Nicken. Dann wandte er sich Alagosion zu.
„Als nächsten möchte ich dich hören, Alagosion, Hauptmann der Wächter von Imladris. Was haben deine Augen gesehen?"
Der Elb trat vor und gab mit ruhiger Stimme wieder, was er beobachtet hatte. Er bestätigte die Berichte von Kharek und Rûmil und wurde von Glorfindel ebenfalls mit einem Nicken entlassen.
Erestor lehnte sich ein wenig zurück, ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Im Moment sah es gut aus. Auch wenn ihm keine direkte Absicht nachgewiesen werden konnte, so hatte Kharek doch den Tod Lhûnrhofals herbeigeführt und würde zumindest dafür bestraft werden, womit sich sein Aufenthalt hier in Bruchtal einem raschen Ende näherte. Bald würden hier wieder Ruhe und Frieden einkehren. Diese Gedanken ließen ihn lächeln, sie lenkten ihn ab, so dass er sehr überrascht war, als Glorfindel noch weitere Zeugen aufrief.
„Nun möchte ich die Söhne Elronds bitten vorzutreten, sie haben auch etwas zu berichten, nicht nur zu den Vorfällen in jener Nacht, sondern noch interessantere Dinge, welche sie bereits vorher bemerkten. Tretet vor, Elladan und Elrohir von Bruchtal.
Die Zwillinge ließen sich nicht lange bitten und stellten sich vor Glorfindel auf. Elladan ergriff das Wort.
„Danke Glorfindel. Zu den Vorfällen des Überfalles können wir nichts Neues hinzufügen, aber wir haben eine andere Beobachtung gemacht, die von großer Bedeutung sein könnte.
Hierbei geht es um ein Gespräch zwischen Lhûnrhofal und einem anderen Elben, dessen Name hier nicht genannt werden soll. Mein Bruder und ich wurden ungewollt Zeugen dieser Unterredung und was wir hörten machte und argwöhnisch.
Lhûnrhofal sagte nämlich, dass er den Uruk in Bruchtal unzumutbar fände, eine persönliche Beleidigung für alle Elben hier. Er sagte weiter, dass er eine Gelegenheit, sich Khareks zu entledigen nicht ungenutzt verstreichen lassen würde.
Daraufhin fragte der andere Elb, ob er Kharek auch töten würde, wenn er eine Möglichkeit fände, was Lhûnrhofal sofort bestätigte."
Es gab eine leichte Unruhe in der Menge, als diese Worte gesprochen waren. Lhûnrhofal schien seinen Hass gut verborgen gehalten zu haben und diese unerwarteten Einblicke in die niederen Absichten des Wächters verwirrten viele. Elladan hingegen ließ sich nicht durch das aufbrandende Gemurmel irritieren und fuhr fort.
Dieses Gespräch und das Wissen, welches wir daraus erlangten ließ uns zu dem Schluss kommen, dass Lhûnrhofal sein Schwert in vollem Wissen und in niedrigster Absicht gegen Kharek geführt hat und so den Angriff des Uruks gegen sich provozierte, zumal der vorher durch einen ELBISCHEN Pfeil entwaffnet wurde. Was wir zuerst für einen tragischen Fehlschuss hielten, scheint uns nun immer mehr als Komponente eines abgesprochenen Angriffs auf Kharek."
Elrohir nickte nur, sein Bruder hatte erzählt, was es zu berichten gab.
Glorfindel entließ die Zwillinge mit seinem ruhigen Nicken und wandte sich dann wieder der Menge zu.
„Viele Schilderungen haben wir nun gehört, Verdachte wurden geäußert, Mutmaßungen angestellt. Nun ist es Aufgabe des Rates, ein Urteil zu beschließen. Wir werden uns nun zurückziehen und in Kürze bekannt geben, was der Rat beschlossen hat.
Er nickte noch einmal kurz zu Kharek und Rûmil und verließ dann nach den anderen Ratsmitgliedern die Terrasse.
In gespannter Erwartung blieben die Elben und der Uruk-hai zurück, alle auf die in ihren Augen wahre Gerechtigkeit hoffend, wie unterschiedlich diese auch auszulegen war.
***Wieder mal viel Gerede und das Urteil gibst im nächsten Kapitel, wo dann auch mal wieder was passiert. Aber wenn ich das noch anfüge sprengt es meinen Kapitelrahmen *g* Also Geduld bitte, ich hab euch lieb und hoffe auf Reviews, mein Treibstoff fürs Gehirn *smiles* ***
