20. Seltsame Schicksale
Sie brauchten nicht lange warten, bereits nach kurzer Zeit kehrte Glorfindel mit dem Rat zurück. Erestors Gesicht verriet seine Unzufriedenheit und veranlasste Rûmils Herz einen kleinen hoffnungsvollen Hüpfer zu tun.
In der Tat lächelte Glorfindel fröhlich vor sich hin und ließ dann seinen Blick über die erwartungsvollen Minen der Umstehenden gleiten, ehe er sprach.
„Der Rat ein Urteil beschieden, nicht einstimmig, aber mehrheitlich, was ich dazu sagen möchte. Und daher gebe ich nun bekannt, dass Kharek, der Uruk-hai freizusprechen ist vom Vorwurf des Mordes an Lhûnrhofal."
Aufgeregtes Gemurmel, nicht nur zustimmend kam auf und zwang Glorfindel einen kleine Pause zu machen. Geduldig wartete er, bis er weiter sprechen konnte.
„Weiterhin ist der Arrest gegen ihn vollständig aufgehoben und es steht ihm fürderhin frei sich in den Gefilden von Imladris zu bewegen, wie es ihm beliebt. Er braucht keine Begleitung und keinen Bürgen mehr. Er hat sich in Gefahr begeben, einem Freund beizustehen und einen Kampf zu kämpfen, der nicht der seine war. Dabei wurde er ein Opfer heimtückischer Niedertracht. Dafür möchte ich mich im Namen der Bewohner von Imladris entschuldigen."
Diese Worte ließen das Gemurmel der Elben erneut aufbranden, lauter dieses Mal. Doch der blonde Hüter von Imladris ließ sich nicht beirren, er verneigte sich leicht vor Kharek, der ihn sehr verwirrt anstarrte. Sicher beschämte ihn diese Handlung, aber er war auch sehr erleichtert, dass sich alles zum Guten gewandt hatte.
Rûmil griff nach der Hand seines Freundes und drückte sie freudig. Elladan und Elrohir tauschten triumphierende Blicke mit Alagosion. Einzig Erestor behielt seine versteinerte Mine bei.
Glorfindel löste die Versammlung auf und die Elben zerstreuten sich in kleinen Grüppchen. Das Urteil wurde heftig diskutiert, ein Teil stimmte ihm bedingungslos zu, andere äußerten Zweifel, ob es wirklich rechtens war. Schon jetzt zeigte sich deutlich, dass Kharek noch lange nicht von allen akzeptiert würde.
Der zog es zunächst einmal vor, zusammen mit Rûmil den Ort des Geschehens zu verlassen. Sie suchten Khareks Quartier auf, wo sie in Ruhe über die Versammlung und das erfreuliche Urteil reden konnten.
Vor allem die Frage nach dem Schützen, welcher Kharek getroffen hatte und dessen Motive beschäftigten sie lange Zeit, doch Rûmil hatte nicht darauf achten können und niemand hatte eine eindeutige Aussage gemacht, bei der Ratsversammlung. Anscheinend war der betreffende Elb unbeachtet geblieben.
Später verabschiedete Rûmil sich, um sein eigenes Quartier aufzusuchen und Kharek beschloss einen kleinen Nachtspaziergang zu machen, um die Sterne zu beobachten, etwas, das ihm zu lange versagt gewesen war.
***
Langsam bewegte er sich auf den kleinen Platz zu, in deren Mitte der runde See lag. Ein Ort voller Ruhe und Harmonie in der Abgeschiedenheit der Nacht. Gern war er am Anfang seiner Zeit in Bruchtal mit Rûmil hierher gekommen, um die Sterne zu betrachten und die vielen neuen Dinge zu verarbeiten, die jeden Tag auf ihn einstürmten. Jetzt, wo der Arrest aufgehoben war zig es ihn wieder hierher, dieses Mal allein …aber noch ehe er sie sah, verriet ihm der Geruch, dass der Platz nicht verlassen war, wie er erhofft hatte.
Ihr Duft war ihm vertraut, auch wenn er ihren Namen nicht wusste. Die Elbe, welche er nun am Rand des Sees erblickte, hatte er oft in Begleitung des Herrn Glorfindel gesehen und er hatte den Ausdruck tiefer Traurigkeit in ihren Augen gelesen, fast greifbar der Schmerz ihres Herzens. Dann war sie in dem Haus gewesen, wo er mit den Verwundeten lag. Sie hatte ihn angespuckt und voller Hass in den Augen beleidigt.
Reglos verharrte er im Schatten, doch schienen ihre Sinne sein Kommen bereits bemerkt zu haben, denn sie hob den Kopf und ihre Augen funkelnden im Mondlicht.
„Was starrst du mich an?" fragte sie leise und ohne einen Hauch Wärme in der Stimme. Ein neuer Geruch mischte sich zu dem ersten und Kharek konnte ihre Angst riechen. Sie fürchtete sich vor ihm. Auch dieser Geruch war ihm nicht fremd, auch wenn er nun schon so lange in Bruchtal weilte begegnetet ihm die meisten Elben mit Vorsicht und ängstlicher Distanz, trotz der Aufdeckungen durch die Zwillinge und seiner Hilfe bei dem Überfall.
Er seufzte leise und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Elbe am Seeufer.
„Ich starre nicht…ich kam nur her, um…" begann er, doch ihre Stimme schnitt seine weiteren Worte ab.
„Um mir nachzustellen, nicht wahr? Du möchtest deinen erneuten Triumph auskosten und dich daran weiden, dass ich dich weiterhin ertragen muss. Halte dich fern von mir, und das ist ein gut gemeinter Rat."
Bitter klangen ihre Worte und noch immer klang unterschwellig ein Anflug von Hass darin mit.
Kharek wandte sich zum Gehen, doch etwas ließ ihn zögern, vielleicht der Gedanke, dass wenn er sich jetzt zurückzog er immer wieder zurückweichen würde. Er musste seine Stellung behaupten. Also blieb er stehen und sein Blick war ruhig auf Gloráre gerichtet.
Sie schüttelte ungläubig den Kopf.
„Habe ich
mich nicht deutlich genug ausgedrückt? Ist dir der Sinn meiner Worte nicht
aufgegangen? Du sollt verschwinden, du beschmutzt diesen Ort mit deiner
Anwesenheit..."
Hart klangen ihre Worte, finster blickten ihre Augen, doch ihr Geruch verriet Kharek etwas anderes. Die Elbe dort vor ihm verging vor innerer Furcht, sie kämpfte einen Kampf mit sich, den sie nicht verleugnen konnte. Also blieb er weiter reglos stehen.
Das war zuviel für Gloráre, sie ließ sich in das weiche Gras sinken und begann leise zu schluchzen.
„Warum quälst du mich so? Bereitet es dir ein dunkles Vergnügen, mich leiden zu sehen? Erträgst du meinen Hass mit grimmiger Freude, um dich an meiner Hilflosigkeit zu weiden?"
Unterbrochen von harten Schluchzern stieß sie diese Worte hervor. Kharek runzelte die Stirn, unsicher, wie er weiter vorgehen sollte, doch dann setzte er sich einfach dort wo er war, etwa fünf Schritt von ihr entfernt auf den Boden. Er schaute sie lange an, ehe er sie ansprach, bemüht ruhig und leise zu sprechen.
„Warum fragst du mich das? Ich glaube, du kennst die Antworten am besten. Ich quäle dich nicht, ich möchte nicht, dass du leidest und es freut mich nicht, dich hilflos oder ängstlich zu sehen. Aber du selbst tust dir diese Dinge an. Du umhüllst dich mit deinem Mantel aus Hass, du bedeckst deine Augen mit der Angst, du versteckst dich hinter deiner Hilflosigkeit. Alles das. machst du, nicht ich. Ich bin nicht derjenige, der deinen Mann damals getötet hat. Ich bin selbst in meiner Rasse verachtet, dafür wie ich bin und wenn du nur ein wenig die Augen öffnen würdest, deinem Herzen gestatten einen winzigen Blick zu tun, der tiefer geht, dann könntest du die Wahrheit hinter meinen Worten sehen."
Gloráre hatte aufgehört zu weinen, sie hob langsam den Kopf und blickte den Uruk an. Einen Moment lang wollte sie ihm all ihren Hass, ihre Trauer entgegenschleudern, doch etwas hielt sie zurück. Rûmils Stimme in ihrem Kopf.
(„Warum ist es eigentlich so schwer für viele von euch, etwas Neues zu akzeptieren, etwas zu sehen, was man so nicht erwartet hat? Immer nur die Oberfläche, ein schnelles Urteil, eine klare Entscheidung, nur das Sichtbare zählt zuerst.")
Traf sie ihr Urteil vorschnell, war sie nicht bereit tiefer zu sehen, hatte sie Angst vor dem, was sie vielleicht fand?
Ihre hellen Augen suchten unwillkürlich den Blick von Khareks gelben Pupillen und sie hielt ihnen stand als sie hineinschaute, auch wenn ihr Herz heftig schlug.
Kharek wagte kaum zu atmen in diesem ewig währenden Augenblick, da sich ihr wunderschönes Gesicht ihm zuwandte, ihre Augen in die seinen tauchten. Für einen Lidschlag war zwischen ihnen keine Angst, kein Hass, nur ein zartes Tasten, ein vorsichtiges Heranwagen.
Keiner von beiden hatte die Wolken bemerkt, welche sich inzwischen vor die Sterne geschoben hatten. Gewitterwolken waren es, angekündigt durch eine schwülwarme Brise und nun bereit sich zu entladen. Die Heftigkeit des Blitzes riss beide auf die Füße, nur um sie im nächsten Moment wieder niederzuwerfen, als die helle Energie sie traf.
***
Das erste, was Gloráre bemerkte waren die heftigen Kopfschmerzen, dann spürte sie die Nässe des Regenschauers, welcher sie geweckt hatte. Sie lag auf dem Bauch auf dem Boden der kleinen Lichtung, soweit sie das sehen konnte. Der Geruch des feuchten Grases war übermächtig stark in ihrer Nase, vermischt mit einem leichten Geruch nach etwas anderem, wie verschmortes Holz.
Mühevoll richtete sie sich auf und strich sich das nasse wirre Haar aus den Augen…und hielt inne, als wäre sie zu Stein erstarrt. Nur ihre Augen zuckten panisch zwischen den schwarzen Haarflechten und der dunkelhäutigen Pranke hin und her, mit welcher sie zu ihrem Kopf gegriffen hatte.
Mit einem erstickten Laut, der zu ihrem Erschrecken eher einem Knurren glich senkte sie den Blick und fand eine grobe braune Tunika, welche einen kräftigen Körper bedeckte, weiter eine schwarze Hose über muskulösen Beinen, bis zu den Füßen, welche in schweren Stiefeln steckten.
Ungläubig nahm sie das alles wahr, noch nicht fähig einen klaren Gedanken zu fassen, als ihr Blick weiter schweifte zu der Gestalt, welche sich etwa fünf Schritt von ihr befand, auf dem Rücken liegend, den Kopf von blonden Haaren umrahmt dem Himmel zugewandt.
Dort lag ihr Körper wurde ihr plötzlich bewusst. Ein erschrockener Aufschrei entrang sich ihrer Kehle und veranlasste die andere Person langsam den Kopf zu drehen.
Voller Unglauben starrte Gloráre in ihr eigenes Gesicht, welches dieselbe Fassungslosigkeit zeigte, die auch sie fühlte…
***Tja, was ist denn da passiert? Manchmal haben die Valar einen merkwürdigen Humor findet ihr nicht? Ich hoffe ich hab euch nicht überfordert, viel Spaß beim Lesen und reviewen.***
